Vergleichstest 1000er-Supersportler, Teil 2

Vergleichstest 1000er-Supersportler, Teil 2 Die Straßenfeger

Spaßiges Landstraßen-Surfen, Alltagsbetrieb, nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung – im zweiten Teil des großen Supersportler-Vergleichs müssen die fünf radikalen Powerbikes andere Qualitäten beweisen.

Die Straßenfeger Jahn

Wie zur Bestätigung des MOTORRAD-Testergebnisses aus Heft 6/2005 bügelten die Suzuki GSX-R 1000-Superbikes gleich beim ersten Weltmeisterschaftslauf die Konkurrenz nach Strich und Faden. Doppelsieg, Doppelführung in der WM – besser kann der erste Auftritt nicht laufen. Auch im sportlastigen ersten Teil des Supersportler-Vergleichs machte die GSX-R 1000 gleich Nägel mit Köpfen, landete überlegen auf Platz eins in der Zwischenwertung Motor, Fahrwerk und
Sicherheit vor Yamaha R1, Kawasaki ZX-10R, Honda Fireblade* sowie MV Agusta F4 1000 S. Und sicherte sich mit hauchdünnem Rückstand in der Rennstreckenwertung Rang zwei hinter der Kawasaki.
Doch bei aller Faszination und Leidenschaft fürs schnelle Gestühl stellt sich irgendwann die Frage nach Alltagstauglichkeit, Nutzwert und Wirtschaftlichkeit. Zu deutsch: Hat man diese Art von Krafträdern überhaupt noch im Griff? Und kann man sich den Spaß leisten, ohne Haus und Hof zu verjubeln?
Wie steht’s um das Handling auf
der Landstraße? Grundsätzlich muss
man auf jedem Supersportler Abstriche beim Landstraßenfetzen hinnehmen. Sitzposition, Fahrwerksabstimmung und die breiten Schlappen sind nicht ideal für
enges Geschlängel und holprige Straßen-
beläge, weshalb sich so mancher aus
der Knieschleifer-Fraktion wundert, wenn Großenduristen oder nackte Mittelklässler
formatfüllend im Rückspiegel auftauchen.
Wer sich jedoch mit den Rahmenbedingungen radikaler Sportler arrangiert, erhält auch mit einem der vier Japaner
ein Rundum-sorglos-Paket. Mehr Fahrstabilität, mehr Bremswirkung, mehr Kurvengier existiert nicht. Die Unterschiede der Probanden im Fahrverhalten sind winzig und hängen eher von der jeweiligen Serienbereifung ab als vom Gesamtkonzept. Unterm Strich fahren GSX-R 1000 und YZF-R1 aufgrund ihrer Neutralität und
ihres akzeptablen Fahrkomforts ein paar Pünktchen mehr ein gegenüber der CBR
1000 RR, die auf unhandlichen Pirelli Diablo
Corsa in Sonderspezifikation »H« rollt, und der bretthart gefederten ZX-10R.
Speziell die Yamaha findet wegen der entspannten Sitzposition und der kommoden Feder-/Dämpferabstimmung regen Zuspruch bei den Testfahrern. Alle vier Japaner indes profitieren vom im Rennmotorradbau aktuellen Trend zu kurzen Tanks und relativ hoch angeklemmten Lenkerstummeln. Wird dann noch ein prall gefüllter Tankrucksack als Stütze verschnürt, sind mit den Sportgeräten auch lange
Tagesetappen lässig zu machen.
Schon allein deshalb, weil sämtliche Triebwerke dermaßen drehmomentstark und bullig losschieben, dass jeder Tourensportler einpacken kann. Und: Keine Angst vor der schieren Gewalt, die neue Motorengeneration ist so handzahm wie nie zuvor. Unberechenbare Leistungsausbrüche sind passé, dafür gibt es je nach Bedarf spontan abrufbare Kraft, die nur dann zur Hölle wird, wenn man die Vierzylinder mit Vollgas und Drehzahlen über 10000/min galoppieren lässt. Dieses fahrdynamische Großereignis sollte man sich auf öffentlichen Straßen aber zweimal überlegen.
Das Schöne am Sportverein: die hochwertige Ausstattung, die von den tag-
hellen Lichtanlagen über ein komplettes Instrumentarium mit Tageskilometerzähler bis hin zu den tadellosen Armaturen und
überwiegend funktionellen Rückspiegeln alles Notwendige für den Alltag bereithält. Selbst über einen gewissen Windschutz hinter den rassig kurz geschnittenen Scheiben darf man sich freuen.
Außerdem erfreulich: Trotz Hightech lassen sich kleine Reparaturen oder Wartungsarbeiten an den Supersportlern einfach bewerkstelligen. Ob das Entblättern der Verkleidung, das Kettespannen oder der Zugriff zu Luftfilterkasten und Bordelektrik, jeder Handgriff hat Methode,
jedes Schräubchen eine klar definierte Funktion. Mit etwas handwerklichem Geschick geben die fünf Testkandidaten beim Schrauben und Basteln keine Rätsel auf.
Beim Reizthema Soziustauglichkeit
dagegen wollen wir bei dieser Art von
Heizgeräten nicht ins Schwadronieren kommen. Es gibt einen Soziusplatz,
ausklappbare Fußrasten und einen TÜV-
gerechten Haltegurt, das war’s. Zu Be-
ziehungs-Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Frau oder Freundin.
Eine Sonderstellung im Quintett nimmt die MV Agusta F4 1000 S ein, die mit
extrem tiefen Lenkerstummeln, einem zu langen Tank und dem brettharten Sitzpolster eine extra Portion Leidensfähigkeit erfordert, zumal Wenden und Rangieren mit der 221 Kilogramm schweren Diva
zu eher lästigen Übungen ausarten. Wenigstens sind die vorderen Blinker in die »Rückspiegel« integriert, denn eine andere Funktion kann diesen Teilen beim besten Willen nicht zugesprochen werden. Nein, der MV Agusta muss aus bedingungs-
loser Liebe der Zuschlag gegeben werden,
bereits ein Hauch von Vernunft oder Objektivität bringt die Liebe zum italienischen Mythos ins Wanken.
Kosten, Nutzen, Wirtschaftlichkeit – lässt sich pure Leidenschaft berechnen? Der Entschluss, sein Geld in ein
reines Sportgerät zu investieren, basiert auf der Leidenschaft zur rasanten Fortbewegung und der Faszination an waschechter Renntechnik. Was zählt, ist das Kribbeln im Bauch, wenn man Sonntagmorgens knarzend die Garagentür öffnet und das prachtvolle Stück mit den Reifen scharrt. Wie soll man für solche Momente eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen?
Trotzdem stellt sich spätestens am
Monatsende die Frage, welchen Preis das Vergnügen hat. Klare Antwort: im Unterhalt fast den gleichen wie ein hubraumgleiches Naked Bike, etwa eine 1000er-Fazer oder Bandit 1200. Was hauptsächlich ins Geld geht, ist die kurze Lebensdauer des Hinterreifens, die bei weichen Sportmischungen je nach Fahrweise und Reifentyp zwischen 2000 und 5000 Kilometer liegt. Grob 300 Euro pro Satz in 120/190er-Dimension fressen schnell ein Loch in den Sparstrumpf.
Bezüglich des Benzinverbrauchs halten sich die hochgezüchteten Vierzylindermotoren dagegen vornehm zurück und konsumieren kaum mehr als großvolumige Sporttourer oder Naked Bikes, allerdings allesamt in Super-Qualität. Hier kann die sparsame Honda beim Landstraßenbetrieb mit 5,9 Litern auf 100 Kilometer Punkte sammeln. Bei den Inspektionskosten liegen Kawasaki, Honda und Yamaha in Front und nur geringfügig über den Preisen robuster Tourer oder Allrounder. Auch diesbezüglich ist die MV die Ausnahme, die der Werkstatt eine satte Auftragslage garantiert.
Insgesamt betrachtet zeigen die fünf Sportler, wie ausgereift und hochwertig
der technische Stand der aktuellen Powerbikes ist und dass dieses Technikpaket bis ins Detail bei allen sein Geld wert ist. Dass
die Honda trotz ihrer Ausgewogenheit und Alltagstauglichkeit schließlich nur auf Platz vier landet, liegt am erheblichen Gabelflattern bei hart eingeleiteten Bremsmanövern, mit dem die Fireblade zu Testende auffiel. Das wurde im Nachhinein mit Punktabzug bei Bremsstabilität/Verzögerung geahndet. Beim Nachtest zusammen mit Honda-Technikern wurde eine akzeptable Lösung des Problems erst nach dem Wechsel der vorderen, derzeit noch nicht homologierten Bremsbeläge erzielt.

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Messwerte: Honda CBR 1000 RR Fireblade

Leistung* 156 PS bei 11000/min

Max. Drehmoment 106 Nm bei 8500/min

Beschleunigung
0–100 km/h 3,2 sek

0–200 km/h 7,7 sek


Durchzug
60–140 km/h 7,2 sek

Kraftstoffverbrauch 5,9 l/100 km

Theoretische Reichweite 305 km

Gewicht vollgetankt 211 kg

Preis inkl. Nebenkosten 13190 Euro
Repsol-Sonderlackierung 300 Euro

Messwerte: KAWASAKI ZX-10R

Leistung* 166 PS bei 11700/min

Max. Drehmoment 110 Nm bei 9500/min

Beschleunigung
0–100 km/h 3,1 sek

0–200 km/h 7,5 sek

Durchzug
60–140 km/h 6,8 sek

Kraftstoffverbrauch 6,3 l/100 km

Theoretische Reichweite 270 km

Gewicht vollgetankt 199 kg

Preis inkl. Nebenkosten 13100 Euro

Messwerte: MV Agusta F4 1000 S 1+1

Leistung* 163 PS bei 11500/min

Max. Drehmoment 106 Nm bei 9900/min

Beschleunigung
0–100 km/h 3,3 sek

0–200 km/h 8,0 sek

Durchzug
60–140 km/h 6,9 sek

Kraftstoffverbrauch 7,0 l/100 km

Theoretische Reichweite 300 km

Gewicht vollgetankt 221 kg

Preis inkl. Nebenkosten 20000 Euro

Messwerte: Suzuki GSX-R 1000

Leistung* 173 PS bei 11400/min

Max. Drehmoment 114 Nm bei 9500/min

Beschleunigung
0–100 km/h 3,0 sek

0–200 km/h 7,4 sek

Durchzug
60–140 km/h 5,8 sek

Kraftstoffverbrauch 6,5 l/100 km

Theoretische Reichweite 277 km

Gewicht vollgetankt 200 kg

Preis inkl. Nebenkosten 13139 Euro

Messwerte: YAMAHA YZF-R1

Leistung* 169 PS bei 12700/min

Max. Drehmoment 106 Nm bei 10000/min

Beschleunigung
0–100 km/h 3,2 sek

0–200 km/h 7,5 sek

Durchzug
60–140 km/h 6,9 sek

Kraftstoffverbrauch 6,7 l/100 km

Theoretische Reichweite 269 km

Gewicht vollgetankt 203 kg

Preis inkl. Nebenkosten 13295 Euro

Testergebnis: Suzuki GSX-R 1000

Suzuki GSX-R 1000 Stärker und schneller als die
Konkurrenz, mit brillanter Rennstrecken-Performance und ohne Schwächen im Alltag, siegt die Suzuki nach Punkten.

Testergebnis: Yamaha YZF-R1

Yamaha YZF-R1 Mit Respektabstand zur neuen Suzuki läuft die Yamaha ein, die ihre kleinen Schwächen auf der Rennstrecke durch vorzügliche Landstraßenqualitäten kompensiert.

Testergebnis: Kawasaki Ninja ZX-10R

Kawasaki Ninja ZX-10R Kraftvoll und pfeilschnell auf der Rennpiste, verliert die ZX-10R durch die unkomfortable Abstimmung lediglich zwei Punkte auf den zweiten Platz.

Testergebnis: Honda CBR 1000 RR Fireblade

Honda CBR 1000 RR Fireblade Das
hartnäckige Gabelflattern beim abrupten Bremsen kostet die Fireblade einen Spitzenplatz. Da helfen auch gute Noten im Alltag nicht weiter.

Testergebnis: MV Agusta F4 1000 S

MV Agusta F4 1000 S Der leistungsstarke Motor und das stabile Chassis der exklusiven und bildschönen MV können die Schwächen bei Alltag und Kosten nicht ausbügeln.

Punktewertung: Motor, Fahrwerk und Sicherheit

Sieger in den für Supersportler
ausschlaggebenden Testkriterien Motor, Fahrwerk und Sicherheit: GSX-R 1000 vor YZF-R1 und ZX-10R. Die Fireblade muss wegen
Gabelflatterns nachträglich sieben Punkte abgeben (Bremsstabilität drei Punkte, Verzögerung/Betätigungskraft 22 Punkte), rutscht in
der Zwischenwertung auf Platz vier (siehe auch Seite 56).

Punktewertung: Alltag

Mit einer reisetauglichen Zuladung von 198 Kilogramm und dem riesigen 21-Liter-Tank verschiebt
die MV Agusta die Wertung zu ihren Gunsten: Rang zwei hinter der ausgewogenen Yamaha YZF-R1. Während die Suzuki durch Abzüge in Reichweite und Zuladung nur auf Platz fünf landet, lassen Honda und Kawasaki mit je 54 Punkten nichts anbrennen.

Punktewertung: Komfort

Suzukis neuer Überflieger führt dank kommoder Sitzposition und guter Fahrwerksabstimmung in der Komfortwertung vor der ebenfalls bequemen Yamaha und Honda. Bei Kawasaki macht die sportliche Härte eine bessere Wertung zunichte. Klar abgeschlagen: die radikale MV Agusta F4 1000 S, die auch bei überzeugten Sportfreaks die Leidensfähigkeit arg strapaziert.

Punktewertung: Kosten / Umwelt

Erstaunlich gute Abgaswerte bei
der ZX-10R und der Fireblade, die auch im Verbrauch Punkte gutmacht. In Sachen Verarbeitung spiegeln alle fünf den beeindruckend hohen technischen Standard der großen Supersport-Klasse wider. Bei den Inspektionskosten schenken sich die Japaner nicht viel.
MV-Fahrer hingegen sind bei den Händlern gerne und oft gesehen. Irgendwie hat man den Eindruck, dass bei der aus leidenschaftlicher Feder entstandenen F4 1000 S auf eine akzeptable Kosten-Nutzen-Rechnung verzichtet wurde.

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