Sie sind die letzten Mohikaner - die letzten ihrer Zunft. Ducati 1199 Panigale S und KTM RC8 R sind die übrig gebliebenen Superbike-Twins. Grund genug, die völlig unterschiedlichen Konzepte gegeneinander antreten zu lassen.
Sie sind die letzten Mohikaner - die letzten ihrer Zunft. Ducati 1199 Panigale S und KTM RC8 R sind die übrig gebliebenen Superbike-Twins. Grund genug, die völlig unterschiedlichen Konzepte gegeneinander antreten zu lassen.
Was gab es da einmal für eine Vielfalt! Aprilia RSV 1000, Ducati 916/996, Honda VTR 1000, Suzuki TL 1000 - bei allen pulsierte ein Twin-Herz unter der engen Sportler-Verkleidung. Und heute? Die ehemaligen Hightech-Twins stehen auf der Koppel wie ausgemusterte Rennpferde. Darben in übergewichtigen Pseudo-Enduros ihrem Ableben entgegen, wie olle Klepper ihrem Gang zum Abdecker.
Doch halt! Erinnern wir uns an diesen einfachen Satz: "Weniger ist mehr". Und ja, er stimmt. Lieber zwei charakterstarke Twin-Racer auf dem Markt, als einen ganzen Stall voll nichtssagender, sich -immer ähnlich werdender Vierzylinder--Superbikes! Ein Hurra auf Ducati 1199 Panigale S und KTM RC8 R, die sich eindrucksvoll von dem Vierzylinder-Einheitsbrei absetzen und neben der Aprilia RSV4 das Superbike-Segment mit Würze versehen. Und ein weiteres Hurra, dass sich die beiden Twins nicht wie ein Ei dem andern gleichen, sondern beim Erreichen des gemeinsamen Zieles, nämlich ein schnelles Superbike zu sein, gänzlich unterschiedliche Philosophien verteten. Streng genommen kann man sogar sagen, dass die KTM RC8 R eigentlich eine klassische, aber moderne Du-cati mit Stahl-Gitterrohrrahmen und so weiter ist, während die 1199 S ein modernes, aber mit klassischen Ducati--Tugenden versehenes Superbike darstellt.
Old Style
Erklärung gefällig? Gerne. Die KTM RC8 R offeriert ihrem Benutzer effiziente Einstellmöglichkeiten an Chassis und Ergonomie. Niveau, Dämpfung, Schwingenwinkel, Lenkerhöhe- und Kröpfung, Heck- und Rastenhöhe, alles ist mechanisch einstellbar. Elektronische Helferlein vom Schlage eines ABS oder einer TC sucht man dagegen vergeblich - die KTM ist also in jeder Hinsicht klassisch. Ducati-mäßig ist ihr steifer und leichter Gitterrohrrahmen, der Twin mit fettem Punch ab leicht erhöhter Standgasdrehzahl und das stabile Fahrverhalten. Dass KTM nicht nur klassische mechanische Kompetenz besitzt, sondern auch die Elektronik im Griff hat, beweist das Motormanagement des 1190er-Twins seit 2011. Das ehemalige Raubein hat sich dank Doppelzündung zu einem wahren Musterschüler entwickelt. Seine lineare Leistungsentfaltung und das sehr gute Ansprechverhalten begeistern - die Laufruhe ist auf ordentlichem Niveau.
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New Style
Und die Panigale? Nun, sie zeigt einen Ausblick in die Zukunft. Zeigt, was alles machbar ist und höchstwahrscheinlich in Kürze Stand der Dinge sein wird. Nicht nur ihr Fahrwerk ist mit blütenweißen Handschuhen verstellbar. Nein, die Sache geht tiefer. Viel tiefer. Fängt bei den drei verschiedenen Fahr-Modi "Race", "Sport" und "Wet" an, geht weiter über die ABS-Modi, das einstellbare Motorbremsmoment, die achtfach einstellbare Traktionskontrolle, den Schaltautomaten und sie gipfelt in den bereits erwähnten, elektronisch einstellbaren Dämpfungselementen. Die beste Nachricht ist allerdings diese: Selbst Menschen, die nicht mit einem I-Pad unter dem Arm in den Kindergarten gegangen sind und das Lesen mit einem Buch statt eines Kindle gelernt haben, können die Elektronik der Panigale bedienen. Das große, gut ablesbare TFT-Display verzeiht das Vergessen der Lesebrille, und dessen Bedienung über die linke Lenkerarmatur gelingt sogar mit aufkommender Arthrose in den Fingern. Ducatis Fahrer-Informationsanzeige stellt hinsichtlich Ablesbarkeit sowie Informationsmenge und -fülle den sehr gut ausgestatteten KTM-Bordcomputer in den Schatten. Wird das der Panigale auch in Gänze gelingen? Wird der revolutionäre Kurzhuber den konservativen Ösi-Twin auf der Landstraße so mir nichts, dir nichts wegputzen?
Stil-Frage 1
Nicht wie gewohnt im Nordschwarzwald, sondern auf italienischen Landstraßen geht es zur Sache. Hightech -gegen Klassik, Monocoque gegen Stahl-Korsett, Rot gegen Orange. Bollernd erwachen beide Aggregate aus dem Schlaf, fühlen sich bei frühlingshaften Temperaturen ab der ersten Kurbelwellenumdrehung wohl und scharren erwartungsvoll mit den Hufen. Holla die Waldfee, was ist denn das? Die Kupplung der Panigale trennt leichtgängig, ganz wie die der RC8 R, und ihr erster Gang rastet mit einem leiseren "Klong" ein, als jener der Österreicherin! Die erste Überraschung ist -perfekt, noch bevor die Vögel fliegen. -Zurückhaltendes Warmfahren der Triebwerke folgt - Zeit, die Sensoren des Popometers zu kalibrieren. Die Sitzposition auf der Panigale kann überzeugen. Versammelt, sportlich und bequem sitzt der Pilot auf der neuen Duc, hat auf der Sitzbank sogar Platz, sich hin und her zu bewegen. Noch mehr Komfort und Spielraum bietet die KTM. Völlig entspannt und dennoch perfekt zum Brennen beherbergt sie ihren Chauffeur. Es zwickt nix, es drückt nirgends. "Va bene", sagt die Italienerin dazu.
Attacke! Motoren, Reifen und Fahrer sind auf Betriebstemperatur, die gewundene Landstraße lädt zum Kurven-Swing ein. Die Panigale stürmt frech voraus, will zeigen, was sie kann. Der Rhythmus steigt, und hoppla, die Duc kommt aus dem Tritt. Zum einen ist ihre Gasannahme verzögert, was gar nicht ihrem sonst so direkten Wesen entspricht. Zum anderen sucht man den überlegenen Punch einer 1198 vergebens. Jetzt ist er fort, der Drehmoment-Tsunami, auf dem so gewalttätig aus den Ecken herausgesurft werden konnte. Verwandelt wurde er - in Spitzenleistung. Auf der Rennstrecke sinnvoll, aber hier auf der Landstraße? In Zahlen fehlen der 1199 S bei 6500 Umdrehungen knapp 30 Newtonmeter auf die KTM! Während die RC8 R von 6500 Touren an bis zum roten Bereich über 120 Nm bereit hält, generiert die Duc vergleichbare Kräfte erst um die 8000/min. Im Sattel stellt sich da deutliche Ernüchterung ein. Denn erst bei zirka 7000/min erwacht die Panigale und stürmt dann allerdings mächtig böse voran. Der fette 1200er-Twin ist ein "Dreher", er giert nach hohen Drehzahlen.
Druckvoller wirkt da die KTM, setzt zum Überholen an und prescht an der Ducati vorbei. Dank linearer Leistungsabgabe lässt sich der Saft des 75-Grad-Twins herrlich dosierbar abzapfen und stressfrei in Vortrieb verwandeln. Gerade auf der Landstraße machen das superbe Ansprechverhalten und die immer beherrschbare Leistung richtig Spaß. Perfekt abrufbar wird vom Kurvenscheitel bis zum nächsten Bremspunkt immer das geliefert, was der Pilot bestellt. Nicht mehr und nicht weniger. Weniger überzeugen kann beim Fräsen allerdings die Schaltbox der KTM. Ab und an schleichen sich unerwünschte Zwischenleerläufe ein und zwingen zur konzentrierten Betätigung des Schalthebels. Ebenfalls stärker ausgeprägt als auf der Duc sind die Lastwechselreaktionen der RC8 R.
Dafür artikuliert sie sich deutlich dezenter als die Italienerin. Wer die 1199 S dreht - und das muss man, um an der KTM dran zu bleiben - , der lässt sie auch mit kräftiger Stimme brüllen. Ein weiteres Novum an der Panigale ist ihre "Sitzheizung". Bereits im Frühling fällt die Abwärme des unter dem Sitzhöcker -geschwungenen Krümmers des hinteren -Zylinders auf. Auffällig unauffällig halten sich dagegen die Fahr-Assistenten der Duc zurück. Mit der TC auf Stufe 5 von 8 (8 greift früh ein, 1 sehr spät) und dem ABS im gemäßigten Modus 3 (mit Abhebe-Erkennung des Hinterrads) lässt es sich sicher heizen. Eingriffe der Elektronik finden fast nicht statt, was zudem für das enorme Grip-Level der Ducati spricht. Wie es ohne Elektronik schnell vorwärts geht, zeigt die KTM. Beim bunten Treiben mit der 1199 S wünscht man sich höchstens auf ganz miesem Asphalt mal ein ABS. Allerdings wird die Panigale der KTM auf nassen Straßen eine Watsche verpassen, die von Bologna bis Mattighofen und zurück schallt. Was ABS und TC angeht, wird es für KTM allerhöchste Zeit, zu handeln!
Absolut gut aufgestellt ist die RC8 R dagegen beim Fahrwerk. Sehr handlich und zielgenau lässt sie sich in die Ecken schmeißen, hämmert neutral und präzise aus diesen heraus und verdaut während des Aufrichtens und Beschleunigens sogar Störimpulse des Fahrers. Bodenwellen, Kanten und Spurrillen scheint die KTM schlichtweg zu ignorieren und dämpft sie einfach weg. Lediglich ganz harte Kanten dringen zum Rückgrat des Piloten durch.
Die Panigale setzt zwar für Ducati-Verhältnisse beim Handling, vor allem beim schnellen Umlegen, neue Maßstäbe, muss sich dennoch in dieser Disziplin geschlagen geben. Die Österreicherin lenkt sich über den gesamten Schräglagenbereich neutral, während die Ducati ab zirka 20 Grad Schräglage um die Hüfte herum steif wirkt und für weitere Schräglage mehr Lenkkraft angelegt werden muss. Dafür rapportiert ihre Öhlins-Gabel noch klarer vom Untergrund als das WP-Pendant der KTM. Unnötige Härte regiert allerdings im Heck. Trotz voll geöffneter Druckstufendämpfung am Federbein tritt die Duc ihrem Piloten auf Bodenwellen gehörig ins Kreuz.
Stil-Frage 2
Zweifelsohne ist die Ducati 1199 Panigale S ein großartiges Motorrad. Ihre technische Ausstattung ist top und wird das auch einige Zeit bleiben. Sie besitzt den stärksten Twin auf dem Markt, erkauft sich diese Power aber auf Kosten einer kräftigen Mitte. Während die KTM ein alltagstaugliches, wohldomestiziertes Sportmotorrad ist, ist die Panigale S definitiv ein Rennmotorrad mit Straßenzulassung - mit allen Vor- und Nachteilen.
max. Punktzahl | Ducati | KTM | Antrieb |
Beschleunigung | 10 | 9 | 8 | Durchzug | 10 | 6 | 7 |
Leistungsentfaltung | 10 | 6 | 9 | Ansprechverhalten | 10 | 6 | 10 |
Lastwechselreaktion | 10 | 8 | 6 | Laufkultur | 10 | 7 | 7 |
Getriebebetätigung | 10 | 8 | 7 | Getriebeabstufung | 10 | 8 | 9 |
Kupplungsfunktion | 10 | 8 | 8 | Traktionskontrolle | 10 | 9 | - |
Zwischensumme | 100 | 75 | 71 | Fahrwerk |
Fahrstabilität | 10 | 7 | 7 | Handlichkeit | 10 | 7 | 8 |
Kurvenstabilität | 10 | 9 | 9 | Rückmeldung | 10 | 8 | 8 |
Fahrwerksabstimmung vorn | 10 | 9 | 9 | Fahrwerksabstimmung hinten | 10 | 6 | 8 |
Bremswirkung | 10 | 10 | 9 | Bremsdosierung | 10 | 10 | 9 |
Aufstellmoment beim Bremsen | 10 | 9 | 9 | ABS-Funktion | 10 | 10 | - |
Zwischensumme | 100 | 85 | 76 | Alltag + Fahrspaß |
Sitzposition | 10 | 8 | 9 | Windschutz | 10 | 7 | 8 |
Ausstattung | 10 | 9 | 7 | Verbrauch | 10 | 6 | 7 |
Fahrspaß | 10 | 7 | 9 | Zwischensumme | 50 | 37 | 40 |
Gesamtsumme | 250 | 197 | 187 | Platzierung | 1. | 2. |
PS-Urteil
1.Ducati Panigale 1199 S
Zeit für klare Worte: Die Duc siegt nach Punkten, wegen des ABS und der guten Traktionskontrolle. Das verzögerte Ansprechverhalten der Einspritzanlage, der sehr spitze Motorcharakter und das harte Federbein sind für die Landstraße zu extrem und sorgen dort eher für Frust statt für Lust.
2.KTM RC8 R
Der fast perfekte Landstraßen-Twin. Die KTM macht einem das Brennen auf der Straße leicht, ist einfach zu fahren und verzeiht Fehler. Einzig die mangelnde Sicherheitsausstattung (ABS/TC) kann und muss gerügt werden.
KTM 1190 RC8 R
Antrieb
Zweizylinder-75-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 125 kW (170 PS) bei 10 250/min*, 123 Nm bei 8000/min*, 1195 cm³, Bohrung/Hub: 105,0/69,0 mm, Verdichtungsverhältnis: 13,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 52-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat, Kette
Fahrwerk
Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,7 Grad, Nachlauf: 96 mm, Radstand: 1425 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federweg vorn/hinten: 120/120 mm
Räder und Bremsen
Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, Erstbereifung: Dunlop Sportsmart, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten
Maße und Gewicht
Länge/Breite/Höhe: 2050/830/1110 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 810/880 mm, Lenkerbreite: 665 mm, 204 kg vollgetankt, v./h.: 52,8/47,2 %
Hinterradleistung im letzten Gang
118 kW (160 PS) bei 257 km/h
Verbrauch
Kraftstoffart: Super bleifrei. Durchschnitts-testverbrauch: 6,0 Liter/100 km, Tankinhalt 16,5 Liter, Reichweite: 275 km
Grundpreis
16 295 Euro (zzgl. Nebenkosten)
Ducati 1199 Panigale S
Antrieb
Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 143 kW (195 PS) bei 10 750/min*, 132 Nm bei 9000/min*, 1198 cm³, Bohrung/Hub: 112,0/60,8 mm, Verdichtungsverhältnis: 12,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 67,5-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat, Kette,Traktionskontrolle
Fahrwerk
Tragender Motor mit Leichtmetall-Hilfsrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,5 Grad, Nachlauf: 100 mm, Radstand: 1437 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federweg vorn/hinten: 120/130 mm
Räder und Bremsen
Leichtmetall-Schmiederäder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 200/55 ZR 17, Erstbereifung: Pirelli Supercorsa SP, 330-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 245-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten, C-ABS optional
Maße und Gewicht
Länge/Breite/Höhe: 2060/810/1110 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 820/850 mm, Lenkerbreite: 670 mm, 195 kg vollgetankt, v./h.: 52,5/47,5 %
Hinterradleistung im letzten Gang
131 kW (178 PS) bei 279 km/h
Verbrauch
Kraftstoffart: Super bleifrei. Durchschnitts-testverbrauch: 6,6 Liter/100 km, Tankinhalt 17 Liter, Reichweite: 258 km
Grundpreis
24 490 Euro (zzgl. Nebenkosten)
* Herstellerangabe