Gestatten! Drei mechanische Skulpturen aus Meisterhand, drei High-Tech-Twins mit fast einem vollen Liter Hubraum, drei stimmgewaltige Südländer, die ihren Ton aus zwei im V gespreizten Zylindern blechblasen.
Zum ersten die Aprilia RSV mille, geistiges Kind der Noaler Weltmeisterschmiede, Gewinnerin des letzten Supertwin-Vergleichstests (MOTORRAD 21/1998). Homologationsbedingt hat die Mille inzwischen zehn Pferde eingebüßt. Reicht die Leistung noch?
Dann die Bimota SB 8 R, entstanden aus der Feder Ingenieur Marconis, ein noch unbeschriebenes Blatt mit dennoch langer (Entwicklungs-)Geschichte. Setzt die Kleinseriendiva im Raubfischkleid den potenten Suzuki TL 1000 R-Motor gebührend in Szene?
Schließlich die Ducati 996 Biposto, jenes legendäre Meisterwerk Massimo Tamburinis, gezähmter Stammvater des Superbikes. 1998 hatte die 916 Biposto schwer an der erstarkten Konkurrenz zu knabbern. Kann die frischzellengestärkte 996 die Klassendominanz zurückerobern?
Drei Bewerber mit starker Persönlichkeit. Die Aprilia wirkt distinguiert, rundlich glatt mit ihren großen Verkleidungsflächen, die schon mehrfach ihre Windschlüpfigkeit bewiesen. Sitzen heißt auf der Mille wohlfühlen, denn im Vergleich zur Konkurrenz ruht der Körper dank nicht allzu tief montierter Lenkerstummel und moderat plazierter Fußrasten recht entspannt. Subjektiv herrscht große Bewegungsfreiheit, der Knieschluß geriet schmal, die Tankwölbung engt auch bauchstarke Piloten kaum ein. Bedienelemente, Armaturen und Multifunktions-Cockpit zeigen den vielzitierten kompletten wie hohen Standard. Kein Zweifel, die Mille-Macher wissen, worum es geht.
Das gilt auch für die Ducati-Schöpfer, die ihrer 996 schon ergonomisch Racing-Spirit einhauchten: Ein unnachahmlich kompaktes Gefühl macht sich breit, spitz winkeln die Fußrasten die Knie an, tief beugen die Lenker den Oberkörper. Die Duc bietet alles Nötige - etwa verstellbare Handhebel -, verzichtet aber auf Features wie Schaltblitz oder Laptimer, wie sie die Aprilia feilbietet. Unbestrittene Schönheitskönigin bleibt die 996 auch im hohen Modellreihenalter von sechs Jahren. So schmal die Taille, so dynamisch die Linienführung, sprungbereit und charakterstark, wirklich einmalig, ein Klassiker.
Dagegen wirkt die Bimota mit ihren rechts und links neben dem vorderen Zylinderkopf angebrachten Kühlern und dem massigen Tank für einen Twin untypisch bullig. Unerwartet schmal dann Knieschluß und Wespentaille, daran anschließend das aggressiv-spitze Heck, untermalt von zwei Macho-Schalldämpfern - durchaus sexy, die SB 8 R.
Angesichts der ausladenden Tankflanken um so überraschender, daß es sich auf ihrem spärlich gepolsterten Arbeitsplatz recht bequem sitzt. Die breiten, gar nicht so tiefen Lenker führen die Arme um den dicken, gar nicht so langen Tank herum, die weit hinten postierten Fußrasten sorgen für eine gestreckte Haltung - eine Sitzposition, die unter großen wie kleinen Testern Fans findet.
Drei Ergonomie-Philosophien, drei unterschiedliche Rahmenkonzepte: ein Gitterrohrgeflecht bei der Ducati, großflächige, verschweißte Alu-Profilbleche bei der Aprilia, ein Schraub-Klebeverbund aus Aluprofilen vorn und Kohlefaserplatten hinten bildet an der Bimota - die aufwendige Bauweise soll Gewicht sparen und die Steifigkeit erhöhen. Damit nichts wackelt, bauen auch die Gabeln und Schwingen der drei Twins auf Stabilität dank großen Querschnitten. Und alle drei nutzen ihren Motor als Chassis-versteifendes Element.
Und was das für Motoren sind. Im Kern unverändert, werkeln die großvolumigen V zumindest an der Peripherie überarbeitet im aktuelle Jahr. Der im 60-Grad-Winkel bollernde Aprilia-Triebling mußte, wie eingangs erwähnt, Federn lassen. Geblieben ist der kernige Klang, gegangen sind acht PS, gekommen ist eine Leistungskurve, die leider nicht mehr so perfekt mit der Getriebeübersetzung harmoniert. Im oberen Drehzahlbereich wirkt die Mille recht zahm, hat auch bei den Fahrleistungen eingebüßt. Kräftig ist sie aber immer noch, zudem lief dieses Testexemplar überraschend vibrationsarm.
Der Desmo-Vau der Duc hat dagegen spürbar zugelegt. Satte 121 PS drückt er auf die Prüfstandsrolle. Genug, um die Schöne mit sattem Grollen prächtig springen zu lassen: 272 km/h sind neuer Ducati-Rekord. Und das trotz des länger übersetzten Primärantriebs, der sich bei der 996 allenfalls in den für einen Supersportler weniger relevanten Durchzugswerten gegenüber den beiden Konkurrentinnen negativ auswirkt.
Einsame Spitze in den Fahrleistungen ist die Bimota. Die italienischen Ingenieure haben dem TL 1000 R-Twin sogar noch Leistung antrainiert. Dies könnte der Weber-Marelli-Einspritzung mit 59er Ansaugschlünden, aber auch der wohl augen- oder besser ohrenzwinkernd erteilten ABE zu verdanken sein, denn die SB 8 R atmet und brüllt markerschütternd. Wirklich eindrucksvoll, wie der Japan-Twin die Bimota vorwärts katapultiert und dabei nicht nur Beschleunigungs-, sondern auch Durchzugsgewaltakte vollbringt. Dabei hängt der V2 so spontan am Gas, wie es nur irgendwie möglich ist - eine Tugend, die aber auch seine Mitstreiter beherrschen. Schön, daß der Verbrauch des Bimota-Kraftwerks moderat bleibt. Nur anlaufen mag es nicht gern, unabhängig von der Arbeitstemperatur des Motors künden Wolken aus unverbranntem Sprit von zu üppiger Kaltstartanreicherung. Ach ja, und diese Vibrationen, die kräftig am Fahrwerk schütteln. Anscheinend versteht es Suzuki, die von Massenkräften verursachten Schwingungen weniger störend in den Rahmen einzuleiten. Und stören tun sie bei der SB 8 R vor allem bei langer Konstantfahrt, sprich auf der Autobahn, wo die Bimota zwar eigentlich nicht hingehört, aber mit 277 km/h gewaltig abgeht und dabei recht ordentlichen Windschutz bietet. Derart schnell unterwegs, rührt sie dann schon mal leicht um die Hochachse, wohl ein Tribut an die auf gutes Handling ausgelegte Geometrie. Auch in schnellen Kurven reagiert sie auf abrupte Änderungen der Gasgriffstellung mit ständigem Rühren.
Dagegen rennt die 996 wie ein TGV geradeaus und liegt wie festgesaugt in Schräglage. Einziges Manko: In schnellen Wechselkurven stellt die Ducati auf stur. Ein alternativ montierter 180/55er Hinterreifen brachte am Testmotorrad spürbare Verbesserung. Handlich ist aber nach wie vor anders, was auch den schweren Rädern anzulasten ist - die vordere Ducati-Felge wiegt ein Kilogramm mehr als die der Aprilia. Wie gewohnt nutzt die Duc jede Unebenheit und jedes Bremsen in Schräglage für heftiges Aufstellen.
Disziplinen, die die Mille besser beherrscht: Viel flinker folgt sie Lenkbefehlen, weder beim Bremsen noch auf Bodenwellen will sie sich aufrichten, zeigt auch bei starkem Beschleunigen in Schräglage keinerlei Unter- oder Übersteuertendenzen - das Fahrverhalten ist schlicht vorbildlich.
Und die Bimota? Die Leichteste im Feld packt viel Gewicht aufs Vorderrad und führt selbiges in einer extrem steifen Gabel, die ihrerseits wieder an einem ebenso steifen Rahmen angelenkt ist. Ergebnis: Spielerisch leichtes Einlenken und Umlegen in Wechselkurven sowie enormes Feedback vom Vorderrad. Im Bedarfsfall läßt sich durch Variation des Lenkkopfwinkels per Exzenter (homologiert!) diese Eigenschaft noch steigern. Ebenfalls hilfreich wirkt sich das Wechseln des Michelin TX 15-Vorderreifen im ungewöhnlichen 120/65 ZR 17 Format aus, der starkes Aufstellmoment verursacht und auch weniger homogen lenkt als die zum Vergleich ausprobierten Pirellis in gewohnter 120/70-Dimension (siehe Rennstreckenteil).
Das SB 8 R-Fahrwerk bringt also ideale Voraussetzungen mit, das Testmotorrad litt aber hinten unter einer zu weichen Feder (80 N/mm). Importeur Könemann verspricht für jede ausgelieferte SB 8 R eine 90er Feder, die leider zum Test noch nicht verfügbar war. Mit der montierten Feder verfügt das vorbildliche Öhlins-Federbein zwar über ausreichende Dämpfungs-Reserven, diese helfen aber nicht über die großen Wege hinweg, die die zu weiche Abstimmung dem Heck ermöglicht und so, etwa beim Einlenken, Unruhe ins Fahrwerk bringt.
Ansonsten gibt es über die Federelemente der Probanden fast nur Gutes zu berichten, die der Ducati sind vielleicht ein bißchen straff für den reinen Straßenbetrieb. Und dann wären da noch die Bremsen bei allen Kandidaten vorn identisch und hinten zwar unterschiedlich, aber immer nahezu wirkungslos. Bei den vorderen Stoppern haben die Bremboianer wohl ein bißchen am Belagmix geköchelt, so daß die Doppelscheibenbremse - mit Aluminium-Träger und dickeren Stahlscheiben - zwar immer noch nicht an die Spitzenprodukte japanischer Bikes heranreicht, aber trotzdem mit mäßiger Handkraft hervorragend verzögert und recht ordentlich dosierbar ist.
Das überrascht jedoch viel weniger als der Ausgang dieses Tests. Die Qualität der Aprilia wundert kaum. Die gute Vorstellung der Bimota hingegen verblüfft. Es tut sich was in Rimini, und die paar Kritikpunkte sollten die Bimotisti wohl noch hinbekommen. Ein bißchen traurig, daß der edlen Ducati nur der undankbare dritte Platz bleibt, denn an Faszination hat sie kaum etwas eingebüßt.
Die Supersportler auf der Rennstrecke - Gelobt sei, was schnell macht
Der Schlagabtausch auf der Rennstrecke steht an, und wie immer werden dafür alle drei Kandidaten auf die gleichen Reifen gestellt. Diesmal auf Pirelli Dragon EVO in der für den Sporteinsatz empfohlenen Größe 180/55 hinten und 120/70 vorn. Ort des Geschehens: Hockenheim, kleiner Kurs.Als Überraschungssieger des letzten Vergleichs gebührt der Aprilia der Vortritt. Und sie ist schnell. 1.11,39 Minuten braucht die Mille, um den anspruchsvollen Kurs zu umrunden. Allerdings sagt das Gefühl, es könnte schneller gehen, wenn...ja wenn statt der Dragon EVO die klebrigere Corsa-Mischung aufgezogen wäre. Denn nach zwei, drei schnellen Runden bei der sommerlichen Hitze fängt das Hinterrad bereits bei sachtem Gasanlegen an zu rutschen. Gut kontrollierbar zwar, aber leider fehlt der gewünschte Vortrieb. Was aber nicht ins Gewicht fällt, da alle Probanden damit kämpfen.Ins Gewicht bei der Mille fällt dagegen die homologationsbedingte Leistungseinbuße. Anders als im Straßenverkehr bewegt sich die Drehzahlmessernadel auf der Rennstrecke vorwiegend im oberen Drittel der Skala. Und genau da wirkt die Mille ungewohnt zahnlos und müde. Was besonders beim Wechsel vom dritten in den vierten Gang auffällt, wo ein größerer Drehzahlsprung lauert. Der Zweizylinder tut sich spürbar schwer, die 223 Kilogramm schwere Sportlerin über den Bereich zwischen 8000 und 9000/min zügig hinwegzuschieben.Kaum ist das geschafft, heißt es schon wieder voll in die Eisen steigen. Mit ordentlichem Krafteinsatz am Handbremshebel stellt sich zwar die gewünschte Wirkung ein, die Dosierbarkeit läßt aber zu wünschen übrig. Vor allem auf einem Rübenacker wie dem kleinen Kurs, der immer mehr hinterlistige Bodenwellen in den Bremszonen aufwirft, ist ein exaktes Gefühl bei der Verzögerung wichtig. Bei der RSV bleibt indes ein ungutes Gefühl beim Einlenken auf der Bremse und die Erkenntnis, viel Kurvenspeed und damit Zeit verschenkt zu haben. Dennoch: Das gute Handling, das kommode, aber fahrstabile Fahrwerk und nicht zuletzt die entspannte Sitzposition sind nach wie vor Garanten für hohen Fahrspaß auch für weniger geübte Piloten.Die werden mit der 996 weniger Freude haben - zu kompromißlos, zu extrem. Ein Traum an Stabilität in schnellen Passagen, ein Alptraum, wenn es um blitzschnelles Umlegen von rechts nach links geht. Gesegnet mit einem Motor, der sanft, aber mit viel Nachdruck aus den Ecken schiebt, dessen Gesamtübersetzung auf 297 km/h in Hockenheim jedoch voll daneben ist. Dazu wird auch die Ducati von diesem teigig-indifferenten Gefühl beim Anbremsen und Einlenken geplagt, das selbst unserem Vollblut-Rennfahrer Markus Barth die Lust auf erhöhtes Risiko vergeht - 66 Hundertstel Rückstand für die 996. Das ist hart, hat sie es beim Mega-Test (MOTORRAD 9/1999) der Aprilia doch so richtig gezeigt. Auf der schnellen Strecke von Barcelona konnte sie ihre Stärken nutzen.Die Überraschung schlechthin ist allerdings die Bimota. Extrem leichtfüßig läßt sich die exklusive Diva um den Kurs peitschen. Zwar macht ihr die zu weiche Feder des hinteren Dämpfers vor allem im langen Bogen der Querspange und eingangs Motodrom das Leben schwer, die resultierenden Schaukelbewegungen können den vehementen Vorwärtsdrang der SB 8R aber nur wenig bremsen. Der Motor schiebt in allen Lagen wie die Hölle, dreht dabei fast so frech wie ein Vierzylinder und läßt den beiden Widersacherinnen selbst im Windschatten keine Chance. Das Getriebe paßt perfekt zur Charakteristik des Triebwerks, jeder Drehzahlsprung wird vom durchzugsstarken Suzuki-Vau mit Leichtigkeit überspielt.Die Sitzposition erfordert jedoch etwas Gewöhnung. Vor allem kleinere Fahrer tun sich schwer, im Hanging off am bauchigen Tank vorbei die breit ausladenden Lenkerstummel zu fassen. Und an den gräßlichen Vibrationen sollte man sich nicht stören. Denn gelobt sei, was schnell macht. Mit 1.11,2 Minuten markiert die SB 8R Tagesbestzeit. Bravo.
Aprilia RSV Mille
1. Platz Straße
Auch mit weniger Leistung bietet die Mille mehr - sie glänzt mit weitgespreiztem Talentspektrum, überzeugt mit hochwertiger, kompletter Ausstattung und einem kräftigen Schuß Bequemlichkeit, ohne es wiederum an Sportlichkeit missen zu lassen. Kurz: ein Multitalent, das Faktotum unter den sportlichen Zweizylindern.3. Platz RennstreckeMan kann es drehen und wenden, wie man will. Die Mille ist im Serientrimm ein echter Alleskönner und bestens geeignet für die schnelle Hatz auf der Rennstrecke. Auch wenn ihr Motor in der gedrosselten Version nicht mehr gänzlich überzeugt, ist ihr tolles Fahrwerk, die gelungene Sitzposition und das leichte Handling nicht nur für jede Menge Fahrspaß, sondern auch für schnelle Rundenzeiten gut.
Bimota SB 8 R
2. Platz Straße
Die Glocken läuten in Rimini, die kleine Edelschmiede Bimota baut wieder gut funktionierende Motorräder auf hohem Qualitätsniveau. Die SB 8 R macht Spaß, hat viel Persönlichkeit und bietet gut betuchten Käufern enorme Performance. Was passiert erst, wenn die Mängel auch noch beseitigt sind?1. Platz RennstreckeTagesbestzeit und trotz der zu weichen Abstimmung der Hinterhand ein durchaus überzeugender Auftritt. Vor allem der bärenstarke und drehfreudige Motor beschert der Bimota diesen Erfolg. Es ist nicht schwer zu erahnen, daß in diesem extrem steifen Rahmenkonzept noch einiges an unentdecktem Potential schlummert. Auf Komfort muß allerdings in jeder Hinsicht verzichtet werden.
Ducati 996 Biposto
3. Platz Straße
Sie ist die Schönste und die Kompromißloseste, sie ist nach wie vor faszinierend, sie zu fahren gehört immer noch zu den glücklichsten Motorrad-Momenten. Aber sechs Modelljahre können auch ein aufgebohrter Motor und Modellpflege im Detail nicht aufwiegen. Trotzdem ist und bleibt die Duc ein Klassiker mit Klasse.2. Platz RennstreckeOh, oh, oh. So enge Strecken wie Hockenheim sind einfach nicht die Welt der Ducati. Viel zu lang übersetzt und zu bockig beim schnellen Schräglagenwechsel. Dabei gibt es auch auf der Rennstrecke eigentlich nur ein Adjektiv, das diese 996 angemessen umschreibt: faszinierend. Platz drei ist mehr als hart, denn es gibt nichts, was sie schlecht macht, diese Ducati. Nur die Konkurrenz hat eben nachgelegt.