Zehn Motorräder karrten wir an die Nordschleife, um eine Frage zu klären: Welches Bike hat die besten Gene für die spektakulärste und anspruchsvollste Strecke der Welt?
Zehn Motorräder karrten wir an die Nordschleife, um eine Frage zu klären: Welches Bike hat die besten Gene für die spektakulärste und anspruchsvollste Strecke der Welt?
Kesselchen, Brünnchen, Karussell, kleiner Pflanzgarten, Schwalbenschwanz – viele der unterschiedlichen Streckenabschnitte der knapp 21 Kilometer langen Nordschleife klingen so niedlich und verspielt, dass Unbedarfte an eine Kinderrätselrallye im Grünen denken könnten. Und auch bei Begriffen wie Fuchsröhre, Adenauer Forst, Hohe Acht oder Döttinger Höhe denkt man sich nichts Arges. Klingt nach entspanntem Wandern in der Natur mit Einkehrmöglichkeit. De facto aber ist die Nordschleife die spektakulärste und anspruchsvollste Rennstrecke der Welt. Und gefährlich. Das ahnt man, wenn man in der Früh im Hotel die Augen öffnet und draußen im Hof gleich ein großes, feuerfarbenes Transparent mit dem poesievollen Slogan sieht: „Fahr zur Hölle!“
Wir hatten zehn Maschinen mit, und wir waren zu zehnt. Der Vergleich mit der Black Pearl von Johnny Depp drängte sich auf. Unter dem souveränen Kommando von Käpt’n Jacko stach die PS, also die Pearl Sport, in die raue See, in die Hölle des Westens. Die Koordination von zehn scharfen Waffen und zehn irren Piraten verlangt nach viel Erfahrung mit mörderischen Wellen. „Wenn man auf der Nordschleife fliegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich weh tut, sehr hoch. Es gibt keine Auslaufzonen. Ohne sehr gute Streckenkenntnis und einer entsprechend sauberen, flüssigen Linie ist man hier auf verlorenem Posten“, erklärt Jacko und legt einen richtungsweisenden Spruch nach: „You have to ride it not to race it.“
Der Käpt’n spricht von großer Faszination, aber auch großem Respekt und flüstert sogar kurz noch das phonetisch ergreifende Wort „Muffensausen“, ehe er zu den wirklich scharfen Waffen rät: „Hier auf der Nordschleife braucht man viel Leistung, man braucht ein sehr gutes Fahrwerk und die beste verfügbare Technik. Man muss der Maschine in allen Belangen vertrauen können. Ich würde zu einem 200-PS-Supersportler greifen.“
Initiiert hat den Crossover-Test der junge Wilde in der Redaktion. Im Gespräch ist Tobi ein zurückhaltender, freundlicher Mensch, am Eisen wird er zum entfesselt Tobenden. Als er die Panigale brachial brüllend aus dem Klostertal in Richtung Karussell wheelen lässt, erinnere ich mich an sein Statement vor dem Start: „Angst habe ich hier keine. Respekt ist vorhanden, aber der Spaß überwiegt. Die Nordschleife macht einfach süchtig. 21 Kilometer auf und ab durch den Wald. Hohe Geschwindigkeit. Viele Kurven kann man nicht einsehen. Es ist unheimlich spannend. Und dazu dieser Mythos!“
Weniger begeistert zeigte sich der extrem erfahrene Haudegen Mini Koch, der gemeinsam mit Dirk mit der Elektronik-Riesenkrake kämpfte, um ihr verwertbares Datenmaterial zur Untermauerung des Tests zu entreißen: „Die dicken Leitplanken und die Fangzäune kommen nicht von ungefähr. Früher war ich ein begeisterter Nordschleifer, heute bevorzuge ich moderne Rennstrecken, wo die Kurven und nicht die Vollgaspassagen im Vordergrund stehen. Aber eines ist klar: Die Nordschleife ist einzigartig. Wie wenn jemand von oben ein Asphaltband in die hügelige Eifel geworfen hätte.“ Und dann reißt es den Mini plötzlich, weil er im Computer die jüngsten Daten ausliest: „Der Tim ist unglaublich! 267 km/h in der Fuchsröhre mit der BMW S 1000 RR!“ Wahnsinn! Tim, das Tier.
„Für mich ist die Nordschleife ein großer Spielplatz“, stellt Tim fest. Er war schon in seiner Kindheit sehr oft hier und polierte den Audi 80, den sein Vater bei den 24-Stunden-Rennen fuhr. In jungen Jahren griff Tim zehn Jahre lang im Motocross schwer an, und man darf davon ausgehen, dass er sich da neben blitzschnellen Reflexen und einer präzisen Fahrtechnik ein feines Sensorium für den Grenzbereich erarbeitet hat, ehe er in den Motorrad-Straßensport wechselte.
Sein Platz auf der Pearl Sport war klar: Tim war der Mann, der die Kanonen quasi aus der Hüfte abfeuerte und dann Bericht erstattete. Auf die Frage: „Was ist denn in der Kompression nach der Fuchsröhre los, wenn es die Maschine mit knapp 270 Sachen voll in die Federn presst? Versetzt es dich da nicht um einen Meter?“, hob er kurz die Brauen und sagte: „So dick bin ich nun auch wieder nicht. Aber den Helm bringst du nicht mehr weg vom Tank.“ Irre. Wenn da unten bei diesem Höllenspeed die Linie nicht passt, fliegt man wahrscheinlich über den gesamten Adenauer Forst drüber und muss sich um die scharfe Linkskurve nicht mehr kümmern.
„Stürzen auf der Nordschleife ist nie eine gute Idee“, sagt der begnadete Cartoonist und Eifel-Freak Holger Aue, den wir zufällig treffen. Für ihn ist die Grüne Hölle der pure Wahnsinn: „Ich muss immer wieder herkommen. Ich kann nicht anders. Es ist die geilste Rennstrecke der Welt. Aber den Touristenverkehr lasse ich aus, seit ich mich einmal auf einer Ölspur ausgebreitet habe.“ Und dann erzählt er noch von einem Boxer-Abschuss: „Ich lief auf eine langsame Gruppe auf. Als sie alle rechts blinkten, beschleunigte ich forsch. Aber leider kam einer der Fahrer mit seinem Boxer rechts von der Strecke ab. Das wäre noch nicht das große Problem gewesen, weil sich eine normale Maschine ja in die Leitplanken gelegt hätte, aber der verrückte Boxer fing sich irgendwie und trudelte kreiselnd zurück auf die Strecke. Genau vor mein Vorderrad. Und schon lag ich auf der Fresse.“
Für mich persönlich der wichtigste Mann an Bord der Pearl Sport war der smarte Georg, der Herr der 1000 Runden. Ohne die Führung des extrem erfahrenen Nordschleifen-Instruktors wäre ich wohl in Hatzenbach gekentert, hätte mich am Flugplatz grausam verflogen, hätte mich im Adenauer Forst in der scharfen Linken vor Publikum ausgebreitet (die vielen Zuschauer wissen genau, an welchen Stellen es etwas zu sehen gibt), wäre im Kesselchen mutlos und viel zu langsam gewesen, hätte die verheerende Katapultwirkung des Karussells erlebt, hätte mich im Brünnchen niedergelegt (dort sitzt das Publikum auf Camping-Sesseln) und wäre im kleinen Pflanzgarten so weit gesprungen, dass an ein schrottloses Einlenken nicht mehr zu denken gewesen wäre. Ein Wahnsinn, die Nordschleife! Zur Hölle, was für ein schneller und gefinkelter Kurs! Und verdammt lang! Unmöglich, sich alles gleich zu merken.
Georg: „Es geht auf der Nordschleife nicht so sehr um Schnelligkeit als viel mehr um Genauigkeit. Die Linie muss präzise passen. Außerdem ist es gut zu wissen, wo man das Vorderrad abhebt, um Lenkerschlagen zu vermeiden. Die beiden zentralen Mutstellen sind die schnelle Doppelrechts nach der Kuppe vor dem Schwedenkreuz, weil man da bei sehr hohem Tempo nach dem Abheben beziehungsweise dem Aufkommen sofort einlenken muss, und das Kesselchen. Links und rechts von der Ideallinie ist es wellig, und die Linke bergauf trennt die Spreu vom Weizen. Da muss alles passen.“
Und was ist mit dem Karussell, dieser brutalen, fast 270 Grad drehenden Steilkurve aus Betonplatten, die einen fürchterlich durchschütteln? Georg: „Wichtig ist nicht nur der Einlenkpunkt, sondern auch, dass man die Ausfahrt präzise erwischt. Verlässt man bei engagiertem Tempo die Platten eine Nuance zu früh, verliert die Maschine den Bodenkontakt und dann ist die Situation kaum mehr zu retten. Solche Stürze verlaufen nicht glimpflich.“
Alle zehn Maschinen des Tests und alle Fahrer überstanden das Gefecht auf der Nordschleife ohne Probleme (siehe Tobis Fazit), aber die Bilanz bei den beiden Fotografen war nicht ganz so positiv. Als Markus auf das Dach des verdammt hohen Mercedes Sprinters stieg, um die Aufmacherbilder zu schießen, musste ich an Ben Hur denken. Die Sicherungsgurte wirkten wie die Zügel eines Streitwagens. Allerdings – und das haben sie im alten Rom nie gesehen – stand Ben Hur jetzt nicht in Fahrtrichtung, sondern verkehrt. Viel Spaß im Karussell! Mörder Stunt. Na bumm.
Und dann kam der große Auftritt von Dave. Er wartete draußen auf der Strecke hinter den massiven Planken auf Topshots, als er eine Maschine zuerst mörderisch aufheulen und dann fürchterlich einschlagen hörte. Er lief zur Unfallstelle, sah die bereits eingetroffenen Sanitäter und fand das Motorrad, das es über die Planken geschleudert hatte. Beim Aufstellen kam dann etwas Sprit aus dem ramponierten Tank auf den extrem heißen Motorblock und entzündete sich mit einer Stichflamme. Daves Hose fing Feuer. Geistesgegenwärtig warf er sich zu Boden und wälzte sich im Gras. Dabei dürfte er einen großen Teil seiner Coolness und seines Überblicks verloren haben. Erst als er die Stimme eines Streckenpostens vernahm, hielt er inne: „Kannst aufhören! Die Hose brennt schon lang nicht mehr!“
Die Nordschleife ist immer ein großes Abenteuer. Und wenn mir jemand sagen würde, dass ich zukünftig nur mehr entweder auf der Landstraße, auf einer Rennstrecke oder auf der Nordschleife Motorrad fahren dürfte, würde ich die Grüne Hölle wählen. Weil sie einfach von allem das Beste bietet und das ideale Einsatzgebiet für eine sportliche Straßenmaschine ist. Nur stürzen will ich hier ganz sicher nicht.
Wie sich die einzelnen Maschinen geschlagen haben und welche Stärken und Schwächen sie im Rahmen der Höllenfahrt zeigten, lesen Sie bitte auf den folgenden Seiten. Ein Ergebnis darf man schon vorwegnehmen: Leistungsstarke Supersportler waren nicht im Nachteil. Alles darüber, wie Aprilia RSV4 RR, BMW S 1000 RR, BMW S 1000 XR, Ducati 1299 Panigale S, Kawasaki Ninja H2, KTM 1290 Super Duke R, MV Agusta Brutale 1090 RR, Suzuki GSX-S 1000 F, Triumph Daytona 675 und Yamaha YZF-R1M auf der Nordschleife abgeschnitten haben, lesen Sie auf den nächsten Seiten.
Mitten in der Eifel gibt es eine aus Teer gegossene Achterbahn von weitreichendem Ruf. Vielleicht liegt es daran, dass die Nordschleife für die meisten von uns schon immer da war. Sie ist so etwas wie eine uralte Institution für alle Anhänger von Vollgas und Beschleunigung. Quasi der Tempel eines jeden Petrolheads, egal, ob auf zwei oder vier Rädern. Vor allem für die Fahrzeugindustrie gilt seit jeher: Was sich auf der Nordschleife durch eine schnelle Rundenzeit und Haltbarkeit auszeichnet, das taugt.
Damit die Raserei durch die Dörfer endlich aufhört, fiel 1925 der Startschuss zum Bau der Rundstrecke. Zwei Jahre später waren die Arbeiten beendet und die Piste fertig. In seiner heutigen Form beläuft sich die Gesamtlänge des Kurses auf 20,8 Kilometer mit insgesamt 73 sagenhaften Kurven. Zwischen der Hohen Acht und Breidscheid erlebt das Streckenprofil Änderungen zwischen 11 Grad Gefälle und 17 Grad Steigung. Viele der Kurven sind blind und das gesamte Layout extrem tückisch. Es gibt Bodenwellen, rutschige Stellen und vor allem so gut wie keine Auslaufzonen. Ein paar Runden reichen nie und nimmer aus, um den Ring wirklich zu verinnerlichen. Und stürzen möchte man hier nicht, denn statt dem Kiesbett wartet die Leitplanke.
Nach Niki Laudas Feuerunfall von 1976 kehrte die Formel 1 nie wieder in die Grüne Hölle zurück, die ihren Namen übrigens von Sir Jackie Stewart verpasst bekam. Der letzte Motorrad-Grand Prix fand 1980 auf der Nordschleife statt. Im Anschluss feierten die sogenannten Zuverlässigkeitsfahrten Hochkonjunktur. 1993 stellte Helmut Dähne mit seiner Honda RC 30 den Rundenrekord für Motorräder von 7.49,71 min auf. Im Jahr darauf wurden die „Zuvis“ eingestellt. Auf der Döttinger Höhe ist eine fliegende Durchfahrt nicht mehr möglich. Damit steht Dähnes Rundenrekord für immer in Stein gemeißelt.
"Hattet ihr schon einmal eine sogenannte „Life-Changing-Experience"? Ein eindrückliches Erlebnis, das die eigene Weltanschauung von heute auf morgen verändert? So etwas kann in der Kategorie Motorradfahren passieren, wenn man sich eine Nordschleifenrunde lang an Tim Röthigs Hinterrad orientiert. Ich lebe noch. Wie kann das sein? Doch es kommt noch doller. Georg Jelicic stößt dazu, der sich das Ring-Kartenmaterial zu früheren Zeiten durch Hunderte von Runden auf die eigene Festplatte geladen hat. „Schorsch“ predigt heute zwar immerzu Vernunft und Fahren mit Verstand, gerade hier auf dieser speziellen Strecke. Aber nun scheint es ihn gepackt zu haben.
Das wilde Trio läuft irgendwo hinter der Hohen Acht auf eine große Gruppe auf und muss Gas rausnehmen. Endlich macht die Herde Platz. Bäm, und weiter! Je übler man sie drischt, desto besser funktioniert die Yamaha YZF-R1M. Die Maschine zeigt sich auffällig kopflastig, bietet aber ein sagenhaft direktes Gefühl fürs Vorderrad. In den schnellen Passagen muss sie sich der schieren Gewalt des Power-Reaktors BMW S 1000 RR geschlagen geben. Doch in den langsameren Handling-Sektionen wie den S-Kurven in Hatzenbach oder am Adenauer Forst, gibt die R1M laut DataRecording den Platzhirsch. Ihr Big Bang-Motor klingt wunderschön, benötigt für die Attacke jedoch am besten Drehzahlen jenseits der 10000/min. Trotz niedrig gewählter Intervention der Traktionskontrolle rutscht das Hinterrad nicht ein einziges Mal, und man kann es wunderbar laufen lassen.
Bis die Yamaha YZF-R1M so gut funktioniert wie in dieser Runde, musste allerdings am Fahrwerks-Setup „geschraubt“ werden. Auf einer topfebenen Rennstrecke arbeitet das semiaktive Öhlins-Fahrwerk der Erfahrung nach tadellos. Hier auf der Nordschleife ticken die Uhren aber anders, worauf das System weniger ausgelegt ist. Tim berichtet, dass die Maschine nicht den kompletten Federweg mit derselben linearen Härte zu nutzen scheint. „Das Heck springt umher und wird plötzlich unverhältnismäßig stramm“, so Tim nach seiner Aufzeichnungsrunde mit Data-Recording. „Man könnte meinen, es wäre gar keine Zugstufendämpfung vorhanden“, führt er weiter aus. Über den Sprunghügel am Flugplatz schlug es ihm das Hinterrad so weit in die Luft, dass er beinahe über den Lenker abgegangen wäre.
Erst als wir die Voreinstellung für Zug- und Druckstufe am Federbein digital deutlich zudrehen, stellt sich Besserung ein. Tim zur Yamaha YZF-R1M: „Über das Vorderrad fährt sie super neutral und fühlt sich toll an, aber das Heck wirkt instabil. An den neuralgischen Stellen fährt sie zwar schnell, aber nicht sonderlich vertrauenerweckend. Wenn man damit richtig pusht, braucht es schon Herz und einen gewissen Einsatz. Auch deshalb, weil sie nicht unbedingt die Handlichste ist. Im Attacke-Modus passt dann die Ergonomie wieder, die Lenkerstummel sind ganz schön weit unten. Gut gefällt mir das Feedback von der Bremse. Außerdem schaltet die R1M mit dem Quickshifter echt schön.“ Warten wir ab, was die anderen Kandidaten in die Waagschale werfen!
Antrieb
Vierzylinder-Reihenmotor
vier Ventile/Zylinder
Leistung*
202 PS bei 13.600/min, 115 Nm bei 8800/min
Hubraum 998 cm³
Gewicht*
200 kg
Setup Gabel
stat. neg. Federweg: 28 mm, Druckstufe: (-5)8, Zugstufe:(-3)19, Niveau: Standard
Setup Federbein
stat. neg. Federweg 15 mm, Druckstufe (+4)13, Zugstufe: (+3)25, Niveau: Standard
Grundpreis
22.995 Euro zzgl. Nebenkosten
Fahrassistenzen-Einstellungen
PWR: 2, TCS: 2, SCS: 2, QSS: 1, Lif: off, LCS: off
* PS-Messung
Unser feuriger Fotograf Dave zeigte sich während einer kurzen Pause im Fahrerlager schwer beeindruckt: „Man kann genau sehen, welche Linie Tim im Pflanzgarten genommen hat. Hinter dem Sprunghügel befindet sich nämlich genau an der Stelle ein fetter schwarzer Strich, an der die fliegende Kawasaki Ninja H2 wieder gelandet ist.“ Ein besonders graziöser Landeanflug wird es kaum gewesen sein. Am Hinterrad zerren eben nicht nur 139 Nm, sondern dort tritt gleichfalls die nicht unerhebliche Belastung von 239 Kilo Fahrzeuggewicht auf.
Während eines PS-Tests in diesem Sommer wurde die Kawasaki Ninja H2 bereits zur Königin der Geraden und die freie Autobahn als ihr Territorium ausgerufen. Leider kann ihre Hoheit diese Tugenden auf der selektiven Nordschleife kaum ausspielen. Dafür gibt es einfach zu viele Kurven, in denen die H2 entzaubert wird.
Vornehmlich zwei Dinge kosten die Kawasaki Zeit: Erstens zwingt ihre Masse auf die weite Linie und schiebt auf der Bremse in Richtung Kurvenausgang. Folglich kann oder möchte man nicht so spät bremsen wie mit einem der agilen Sportler. Der Grenzbereich wird so schlichtweg zu schmal. Und zweitens geht die Kawasaki Ninja H2 nach wie vor derbe ans Gas und verlangt hohe Aufmerksamkeit. „In die Ecken hinein fühlt es sich so an, als wäre die Maschine aus und müsste erst wieder anspringen“, sagt Tim. Diese Eigenart macht die Kawa unnötig schwierig zu fahren und nagt an der Konzentration. „Wenn man ganz vorsichtig agiert, dann geht es schon. So vorsichtig kann man aber fast nie sein. Eigentlich empfinde ich die H2 als ziemlich weich und kommod ausgelegt. Die Federelemente schlagen stellenweise durch. Für die Landstraße dort draußen kann ich mir das vorstellen und ich verstehe auch, dass die Leute das Motorrad geil finden. Das Zwitschern des Kompressors gefällt mir als Charakteristikum super. Aber auf der Nordschleife wirkt die Kawasaki Ninja H2 insgesamt ziemlich gestresst. Um hier schnell zu fahren, gibt es einfach deutlich geeignetere Motorräder.“
Antrieb
Aufgeladener Vierzylinder-Reihenmotor
vier Ventile/Zylinder
Leistung*
218 PS bei 11.300/min, 139 Nm bei 10.800/min
Hubraum 998 cm³
Gewicht*
239 kg
Setup Gabel
stat. neg. Federweg: 29 mm, Druckstufe: 23 K offen, Zugstufe: 17 K offen, Niveau: Standard
Setup Federbein
stat. neg. Federweg 26 mm, Druckstufe high: 2 U offen, low: 5 K offen, Zugstufe: 1,25 U offen, Niveau: Standard
Grundpreis
25.000 Euro zzgl. Nebenkosten
Fahrassistenzen-Einstellungen
Fahrmodus: F, KTRC: 1-
* PS-Messung
Tim brachte die Sache mit der BMW S 1000 XR auf den Punkt: „Was für eine fucking schnelle Reiseenduro!“ Der edle, voll ausgestattete Stelzenbock mit dem Superbike-Vierzylinder begeisterte uns alle. Man sitzt entspannt im ersten Stock und unten im Parterre spielt es Granada – begleitet von einem zornig brüllenden Fauchen, das man auf einer Reiseenduro noch nie erlebt hat. Wahnsinn, was da abgeht!
In die Kompression am Ende der Fuchsröhre stach Tim auf der BMW S 1000 XR mit beeindruckenden 249 km/h. Auch die 221 km/h in der Mutkurve im Kesselchen und die 213 km/h im Pflanzgarten dürfen als beeindruckende Großtaten der hockhakigen BMW gelten, die nicht nur auf der enormen Kraft des 170 PS starken Vierzylinders beruhen, sondern auch auf dem belastbaren und gut ausbalancierten Fahrwerk. Für den Gewinn des Titels „King of Nordschleife“ hat es aber nicht gereicht. Es fehlten 30 PS und Lenkpräzision und Transparenz. Zum entfesselten Andrücken braucht man ein sehr direktes Gefühl für das Vorderrad, und das kann die XR bauartbedingt halt nicht liefern. Das aufrechte Sitzen und die lange Gabel sind im Alltag sicher Weltklasse, aber sobald der Renngedanke in den Vordergrund tritt, ist beides ein Nachteil. Man muss dann in den Modus des blinden Vertrauens wechseln. So gesehen darf es nicht wundern, dass die BMW S 1000 XR in den kurvigen Abschnitten Zeit liegen gelassen hat.
Betrachtet man die Messwerte in den Kurvenabschnitten (Hatzenbach, Aremberg, Klostertal …) fällt auf, dass die BMW S 1000 XR zwar immer „langsam“ war, aber es fehlten meist nur wenige km/h auf die schnellste erzielte Geschwindigkeit. Im direkten Kampf, also wenn zwei Piloten versuchen, einander herzubrennen, sind fünf km/h Unterschied in einer Kurvenkombination nicht unerheblich, im Alltag einer Reiseenduro ist das aber zu vernachlässigen. Auf einer Bergwertung im freien Land – das haben Crossover-Vergleichstests gezeigt – ist man mit einem superpotenten Stelzensportler wie der XR bestens bestückt und hat sehr gute Chancen auf den Gipfelsieg. Aber auf der Nordschleife regieren einfach die Supersportler aus der 200-PS-Liga.
Antrieb
Vierzylinder-Reihenmotor
vier Ventile/Zylinder
Leistung*
170 PS bei 10.900/min, 118 Nm bei 9100/min
Hubraum 999 cm³
Gewicht*
242 kg
Setup Gabel
stat. neg. Federweg: nicht einstellbar, Druckstufe und Zugstufe: Modus „Dynamic“, Niveau: Standard
Setup Federbein
stat. neg. Federweg: Symbol Helm + Koffer, Druckstufe und Zugstufe: Modus „Dynamic“, Niveau: Standard
Grundpreis
15.200 Euro zzgl. Nebenkosten
Fahrassistenzen-Einstellungen
Fahrmodus: „Dynamic“
* PS-Messung
Wow! Dass Aprilia heuer mit der 203 PS starken und vollgetankt 209 Kilo schweren RSV4 RR ein gewaltiges Superbike mit mörder Herbrenn-Potenzial in den Verkauf gebracht hat, war seit den ersten Rennstreckentests klar. Und man durfte davon ausgehen, dass die italienische V4-Rakete auch auf der Nordschleife eine großartige Figur machen würde. So war es dann auch. Als Tim von seiner schnellen Runde zurückkam, sprudelte es aus ihm heraus: „Bin total begeistert! Die Aprilia RSV4 RR schaltet mit dem Automaten so butterweich und liefert einen derart vereinnahmenden Klang, dass man den ganzen Tag rauf und runter schalten möchte. Und die Maschine ist punktstabil. Sie fährt also immer genau dorthin, wo du sie haben möchtest. Da gibt es keine Überraschungen. Sie ist zwar nicht superhandlich, aber völlig neutral. Auch das Fahrwerk ist sehr gut. Selbst in tiefen Löchern fängt es nicht an zu pumpen. Federt schön durch. Wirklich beeindruckend. Ich bräuchte allerdings ein bisschen mehr Platz, weil ich halt so groß und so fett bin. Kann ich damit noch eine Runde raus? Diese Maschine hat unglaublich viel Seele. Absolut begeisternd!“
In den gemessenen Sektionen konnte die Aprilia RSV4 RR zwar bis aufs Karussell nirgends Bestwerte markieren, aber sie war immer ganz vorn mit dabei. Sowohl bei den Topspeedwerten als auch in den Kurvenkombinationen. Lediglich in der Fuchsröhre spielte die BMW S 1000 RR in einer anderen Liga und degradierte alle anderen Supersportler mit plus 15 bis 20 km/h gnadenlos. Ein echter Ausreißer, der sich vielleicht damit erklären lässt, dass Tim auf der BMW den Ausgang der Arembergkurve unglaublich gut erwischt hat. Auffällig war, dass alle Maschinen mit semiaktivem Fahrwerk (R1M, Panigale, S 1000 RR), in der heftigen Kompression vor dem Adenauer Forst etwas irritiert wirkten, während die Aprilia RSV4 RR (herkömmliche Sachs-Dämpfer) souverän und berechenbar agierte wie immer. Der Grund für dieses Phänomen dürfte sein, dass die Hersteller den elektronischen Rechnern eine derartig extreme Stelle wie den Übergang von der Fuchsröhre in den Forst nicht unterlegt haben, weil sie halt nirgends vorkommt. Außer auf der Nordschleife. Im Falle der BMW S 1000 RR könnte man noch anführen, dass es selbstverständlich einen erheblichen Unterschied in der Belastung der Dämpfer macht, ob man mit 267 oder mit 248 km/h (Aprilia) in die Kompression sticht.
Aprilia hat es mit der RSV4 RR geschafft, eine Maschine zu bauen, die niemanden kalt lässt. Das tiefe, unverwechselbare und einzigartige Brüllen des V4 in Verbindung mit dem superweich agierenden Schaltautomaten macht süchtig. Wer das einmal erlebt hat, will es nicht mehr missen. Motor, Bremse und Fahrwerk funktionierten in der Grünen Hölle absolut top. Etwas Spielraum nach oben gibt es beim Handling. Ein Hauch mehr Leichtigkeit beim Einlenken wäre – im Sinne der Suche nach dem Optimum – kein Schaden. Wahrscheinlich wäre eine derartige Verbesserung durch kleine Änderungen am Setup möglich, andererseits hat die Aprilia auf der Nordschleife so gut gepasst, dass der kleine Nachteil beim Handling gerne in Kauf genommen wurde.
Antrieb
Vierzylinder-65-Grad-V-Motor
vier Ventile/Zylinder
Leistung*
203 PS bei 13.700/min, 114 Nm bei 11.000/min
Hubraum
999 cm³
Gewicht*
209 kg
Setup Gabel
stat. neg. Federweg: 26 mm, Druckstufe: 12 K offen, Zugstufe: 12 K offen, Niveau: Standard
Setup Federbein
stat. neg. Federweg 10 mm, Druckstufe 1,25 U offen, Zugstufe: 23 K offen, Niveau: Standard
Grundpreis
18.490 Euro zzgl. Nebenkosten
Fahrassistenzen-Einstellungen
Fahrmodus: „T“, ATC: 2, AWC: off, ALC: 1, ABS: 1
* PS-Messung
Natürlich unterscheidet sich die Ducati 1299 Panigale S schon rein konzeptionell grundlegend von unserer anderen supersportlichen Kandidatin aus Bella Italia. Ganz deutlich tritt der Unterschied zur Aprilia RSV4 RR aber dann hervor, sobald das obere Drittel des Drehzahlbereichs geentert wird. Zwischen 7000 und 8000/min spannt der V2 grimmig den Bizeps. Der Fahrer meint dem subjektiven Empfinden nach bei knapp 11.000/min, gleich würde irgendetwas platzen: entweder die eigene Hauptschlagader oder der Motor der Panigale. Nichts dergleichen passiert, obwohl die Duc einen Lärm veranstaltet, als wütete Conan der Barbar mit dem Eisenhammer im Blechsilo.
Um die Maschine schnell durch die Grüne Hölle bewegen zu können, muss man den Motor genau kennen. Die Ducati 1299 Panigale S stellt Ansprüche an ihren Fahrer. Im mittleren Drehzahlbereich gibt der Twin wenig Rückmeldung darüber, wie viele Umdrehungen bis zur Leistungsexplosion nach oben heraus noch verbleiben. Man verheddert sich deshalb gerne mal im Getriebe, wählt den falschen Gang und verpatzt infolgedessen die nächste Kurvenkombination. Für die Nordschleife funktioniert das Ansprechverhalten im Race-Modus und der elektronischen Motorbremse (EBC) auf Stufe zwei am besten. Zuvor harmonierte im Sport-Modus die Übersetzungskennlinie von Drosselklappenöffnung zu Vollgas nicht optimal, was die exakte Dosierung der Power zusätzlich erschwerte.
2D-Data-Recording-Spezialist Dirk Debus fällt beim Lenkverhalten unter anderem die hohe Neutralität der Ducati 1299 Panigale S auf. Dirk: „Sie verlangt insgesamt nach etwas mehr Druck als die BMW S 1000 RR und wirkt erst leicht gautschig. Je schneller man fährt, desto besser funktioniert sie dann. Die Kreiselkräfte stabilisieren sich und du merkst, dass das Fahrwerk härter wird. Trotzdem kommt sie mir von der Zug- und Druckstufendämpfung komfortabler vor als die BMW. In der Kurve kannst du die Schräglage ganz einfach nach Belieben regulieren, aber die Linie nicht mehr verändern. Zum Schnellfahren finde ich die Duc dennoch super angenehm und neutral. Die Yamaha YZF-R1M finde ich spezieller, vielleicht etwas bockiger.“
Tims Urteil über die Ducati 1299 Panigale S: „Es gibt Stellen, da wirkt die Aprilia RSV4 RR auf mich ein bisschen ehrlicher, einfach weil sie überall gleich gut funktioniert. Wo es besonders aufs Vorderradgefühl ankommt, hat die Ducati dafür die Nase vorne. Selbst während grober Schläge, bei denen die Front eigentlich kaum mehr Bodenkontakt hat, liefert die Duc noch so ein Rest-Feeling. Dafür hat mich die Traktionskontrolle auf Stufe zwei viel zu sehr eingebremst. Das fühlte sich stellenweise an, als wäre gar kein Sprit mehr drin. Richtig gut arbeitet der Schaltautomat, und zwar in beide Richtungen. Außerdem sitze selbst ich mit meiner unfassbar athletischen Figur toll drauf, und bei der Bremse gibt es überhaupt nix zu meckern.“ Übrigens konnte die Ducati Panigale in der Rechtskurve am Flugplatz die schnellste Sektionszeit erzielen, was ihrem Fahrwerk eindeutig als Kompliment auszulegen ist.
Antrieb
Zweizylinder-90-Grad-V-Motor
vier Ventile/Zylinder
Leistung*
197 PS bei 10.700/min, 136 Nm bei 8900/min
Hubraum
1285 cm³
Gewicht*
194 kg
Setup Gabel
stat. neg. Federweg: 33 mm, Druckstufe und Zugstufe: semiaktive Dämpfung, Niveau: Standard
Setup Federbein
stat. neg. Federweg 11 mm, Druckstufe und Zugstufe: semiaktive Dämpfung, Niveau: Standard
Grundpreis
25.490 Euro zzgl. Nebenkosten
Fahrassistenzen-Einstellungen
Fahrmodus: Race, DTC: 1, DWC: off, EBC: 2, ABS: 1, DQS: up and down
* PS-Messung
„Erschreckend gut!“, sagte Tim nach dem Turn mit Suzukis neuer halbverkleideter Waffe, die mit gemessenen 146 PS am Hinterrad, echten 240 km/h Topspeed und 216 Kilo vollgetankt nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine scharfe Runde auf der Nordschleife hat. Warum denn erschreckend? Tim: „Wenn man daneben steht und das Motorrad sieht, denkt man eher an eine Tour in der Eifel und an Koffer für den Urlaub, als an eine schnelle Runde auf der Nordschleife. So gesehen erschreckte es mich, wie gut die Suzuki GSX-S 1000 F hier fuhr. Sehr angenehmes Handling und ein superstabiles Fahrwerk. Außer in den Beschleunigungsecken, wo die Maschine vorne leicht wird. Also wenn sie leicht wird, wird sie gleich richtig leicht. Weil der Lenker halt sehr hoch ist. Das ist auf der Nordschleife bei engagiertem Tempo natürlich kein Vorteil.“
Lenkerschlagen? Tim: „Das zuckt zweimal kurz und ist gleich wieder stabil. Also überhaupt kein Problem. Aber etwas mehr Vorderradgefühl wäre gut. Beim Rein- und Rausfahren ins Karussell zum Beispiel ist dieses Gefühl eher klein. Sehr schön funktioniert der Motor. Fährt ganz linear aus der Ecke raus und geht gut ans Gas. Lastwechsel sind mir nicht negativ aufgefallen. Und dass die Fußrasten kratzen, hat mich nicht gestört. Schrubbelt halt ein wenig. Alles in allem eine wirklich tolle Maschine, die mich überrascht hat.“
Dass sich die Suzuki GSX-S 1000 F gut geschlagen hat, zeigen auch die Messwerte. Die Suzuki ist zwar nicht bei den Spitzenzeiten der Superbikes dabei, aber oft ganz knapp an der KTM 1290 Super Duke R dran und fast immer vor der Triumph Daytona 675.
Allerdings war die Suzuki GSX-S 1000 F im Karussell und in der Klostertaler Kehre die Langsamste, und in der Breidscheider Doppellinks trug sie die rote Laterne gemeinsam mit der BMW S 1000 XR. Es geht zwar immer nur um einzelne km/h Unterschied, aber trotzdem wird deutlich, dass ein Mangel an Vorderradgefühl gleich Kurvengeschwindigkeit kostet, die man am Eingang opfert. Dafür aber hat man auf der für den Straßenkampf gemachten Suzuki eine Sitzposition, die abseits der Rennstrecke einfach großartig ist und ein vollkommen entspanntes Herbrennen ermöglicht.
Antrieb
Vierzylinder-Reihenmotor
vier Ventile/Zylinder
Leistung*
156 PS bei 11.300/min, 109 Nm bei 9400/min
Hubraum
999 cm³
Gewicht*
216 kg
Setup Gabel
stat. neg. Federweg: 27 mm, Druckstufe: 8 K offen, Zugstufe: 4 K offen, Niveau: Standard
Setup Federbein
stat. neg. Federweg 12 mm, Druckstufe: nicht einstellbar, Zugstufe: 0,25 U offen, Niveau: Standard
Grundpreis
12.795 Euro zzgl. Nebenkosten
Fahrassistenzen-Einstellungen
TC: Stufe 2
* PS-Messung
Ihre Erfolgsgeschichte liest sich wie der schamlos geschönte Lebenslauf eines Musterschülers, doch das Dokument widersteht Jahr für Jahr sämtlichen Anschlägen auf seine Gültigkeit: Kein Superbike fährt sich leichter, harmoniert technisch besser oder schickt mehr Leistung an die Kurbelwelle als die BMW S 1000 RR. Selbst die extremen Anforderungen der Nordschleife reichen kaum aus, um Münchens Heilige Maria in Verlegenheit zu bringen. Tim fasst es mit wenigen Aussagen vorneweg zusammen. Er rollt mit der RR zurück ins Fahrerlager, zieht den Helm ab und berichtet: „Das war gerade locker eine Rekordrunde. Ganz sicher. Das Ding ist unfassbar schnell, und zwar überall.“