Interview mit KTM-Chef Stefan Pierer über die KTM RC16

Interview mit KTM-Chef Stefan Pierer über die KTM RC16 "Realistische Chancen"

Beim Österreich-Grand-Prix trafen MOTORRAD-Chefredakteur Michael Pfeiffer und GP-Reporter Friedemann Kirn im Versteck des brandneuen MotoGP-Werksrenners KTM RC16 Stefan Pierer. Dabei erklärte der KTM-Boss, warum er an „rasche Erfolge“ glaubt.

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MOTORRAD: Herr Pierer, ist das MotoGP-Projekt für Sie persönlich eine Herzensangelegenheit?

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Stefan Pierer: Wir haben mit KTM so ziemlich alles erreicht außer MotoGP-Erfolge, diese Rechnung ist noch offen. Wir haben vor 20 Jahren mit allem angefangen, mit Dakar und so weiter, und haben voriges Jahr die Supercross-WM in Amerika gewonnen. Daran haben wir zwölf Jahre gearbeitet, und jetzt ist MotoGP dran.

MOTORRAD: Seit Jahrzehnten gelten die Japaner als unschlagbar in dieser Klasse. Italienische Marken wie Cagiva haben sich die Zähne an ihnen ausgebissen. Wie realistisch sind die Erfolgschancen von KTM?

Stefan Pierer: Sehr realistisch. Auch die Japaner kochen mit demselben Wasser wie wir. Ich glaube, wir sind aber schneller mit Entscheidungen, nehmen dort oder da mehr Risiko in Kauf. Was die Konstanz betrifft, kann man von den Japanern viel lernen. Aber wir haben’s in anderen Sportarten bewiesen, dass es geht, die Japaner zu schlagen. Und es macht Spaß.

MOTORRAD: Haben Sie einen Lieblings-Japaner, den Sie gerne schlagen?

Stefan Pierer: Der Höchstrespektierte, der, der meine größte Hochachtung genießt, ist Yamaha. Eine andere meiner Lieblingsmarken ist Kawasaki. Aber die größte Genugtuung geben mir Siege über Honda. In der Moto3-Klasse sorgt der Wettkampf ja überall für Spannung, Wochenende für Wochenende. Dazu muss man sagen: In der Moto3-Klasse haben wir sehr viel gelernt. Dass wir beim MotoGP-Einstieg keine Greenhorns sind, liegt zu einem großen Teil am Moto3-Projekt.

MOTORRAD: Was hat KTM dazu bewogen, als einziger Motorradhersteller künftig auch an der Moto2-WM teilzunehmen?

Stefan Pierer: Beim Motorrad ist nicht nur der Motor das Dominierende und Leistungsbestimmende, sondern auch die ganzen Fahrwerkskomponenten. Wir sind der letzte Aufrechte mit einem Stahlrohrrahmen und haben in der Moto3-Klasse bewiesen, dass das sehr erfolgreich ist. Das Gleiche möchten wir nun in der MotoGP-Klasse erreichen. Und in der Moto2-Klasse möchten wir zeigen, dass man mit dem Fahrwerk auch bei einem normierten Motor sehr viel machen kann.

MOTORRAD: Das Thema Stahlrohrrahmen bietet reichlich Gesprächsstoff. Ducati hat mit einem Stahlgitterrohrrahmen die MotoGP-WM gewonnen. Gleichzeitig wird ein Konstrukteur von Alu-Chassis 1000 Gründe anführen, warum es mit Stahl nicht geht. Warum sind Sie so überzeugt von diesem Rahmenprinzip?

Stefan Pierer: Wir sind über Jahrzehnte mit der Stahlrohrrahmen-Technologie über die Offroad-Competition groß geworden und haben sie dort perfektioniert. Wir verwenden hoch legierte Stähle, Chrommolybdän, und unser Rahmen im Motocross ist leichter als jeder Aluminiumrahmen. Das heißt: Mit einem intelligenten, hoch legierten Stahl kann ich einen besseren, einen leichteren Rahmen bauen und kriege eine bessere Flexibilität. Und drum glaube ich, dass wir auch in der MotoGP zeigen werden, dass das besser ist.

MOTORRAD: Bietet das radikale Anders-Sein von KTM besondere Chancen?

Stefan Pierer: Na ja, bei der Motorentechnologie sind wir sicherlich Benchmark. Da brauche ich mich vor Honda nicht zu verstecken. Und wenn Sie meine Gruppe ansehen, finden Sie darunter ein Unternehmen, das die ganze Welt des Motorsports beliefert, von Formel 1 bis MotoGP. Alle Inside-Teile von diesen MotoGP-Motorrädern kommen aus Katzenberg, von Pankl – Kolben, Pleuel … Glauben Sie mir, beim Viertaktmotor kennen wir uns aus.

MOTORRAD: Wird KTM vom Problem mangelnder Motorleistung, wie es Suzuki hatte und Aprilia jetzt hat, verschont bleiben?

Stefan Pierer: Dazu möchte ich sagen, dass wir mit Kurt Trieb einen begnadeten Motorkonstrukteur haben, der schon fast 15 Jahre bei uns arbeitet, mit einer kurzen Unterbrechung bei BMW. Und mit der Erfahrung, die wir haben, fürchte ich mich motortechnisch überhaupt nicht. Es ist genug Leistung da, man muss sie natürlich fein justieren. Wir haben auch über die Jahre eine gute Mannschaft zusammenbekommen. Wir haben keine Dependancen in Spanien, in Italien oder sonstwo, sondern wir haben die Kompetenz nahe am Werk. Die Entwicklungsabteilung ist sehr eng involviert, es ist ein integriertes Projekt, in das auch die Zulieferfirmen Pankl und WP eingebunden sind und wo ich sehr zuversichtlich bin, dass wir relativ rasch dabei sein werden.

MOTORRAD: Öhlins hat zuletzt stark aufgerüstet. Ist es eine Genugtuung für Sie, dass sich der Platzhirsch von WP so sehr herausgefordert fühlt?

Stefan Pierer: WP hat einen guten Job gemacht, vor allem in der Moto2 hat man gesehen, was man mit einem guten Fahrwerk und einer guten Suspension machen kann. WP ist natürlich auch Bestandteil vieler anderer Entwicklungsprojekte. Ich bin bald 25 Jahre in der Motorradbranche, und fairerweise muss ich sagen, dass ich mir viel von den Japanern abgeschaut habe. Von Honda habe ich abgeschaut, dass du die Kontrolle über die Zulieferer und die leistungsbestimmenden Komponenten haben musst. Es hat das eine oder andere Jahrzehnt gedauert, aber mittlerweile haben wir es auch in Europa beisammen.

MOTORRAD: Ihr Nahziel ist, mit Suzuki gleichzuziehen. Was ist denn Ihr Fernziel – die MotoGP-WM zu gewinnen?

Stefan Pierer: Na sicher. Wir sind nicht beim olympischen Prinzip, nur dabeizusein und keine Medaille zu machen, sondern wir wollen aufs Podium. Und am Ende des Tages ist es immer der Traum, einmal so eine Weltmeisterschaft zu haben.

MOTORRAD: Wird sich KTM auch nicht scheuen, irgendwann das Geld für einen Fahrer aus der Riege der Superstars in die Hand zu nehmen?

Stefan Pierer: Das ist eine Variante: Sie kaufen wie Ducati einen Lorenzo für zwölf oder 14 Millionen und sind nicht sicher, ob Sie gewinnen. Weil wenn’s regnet, ist er nicht dabei, auch dann nicht, wenn Sie die beste Maschine haben. So. Wir setzen eher darauf, die Talente in der Moto3-Klasse auszusieben. Die gehen dann in die Moto2-WM und weiter in die MotoGP-WM. Das ist ein weiterer Grund, wieso wir in die Moto2 gehen. Schauen Sie, die ganzen guten Fahrer, die haben alle einmal bei uns in der kleinen Klasse angefangen: Stoner, die Márquez, Viñales – alle. Und jetzt ein Brad Binder, den lass ich nicht aus. Der fährt nächstes Jahr Moto2. Und wenn der seinen Weg weitergeht, hat er natürlich ein Ticket für die MotoGP. Das spart Ihnen Millionen, ohne dass Sie ihm zu wenig zahlen. Aber die Summen, die da herumgehen, die brauche ich jetzt für die Entwicklung des Motorrads. Und ich glaube, wir haben Glück gehabt mit der Fahrerwahl. Wir haben uns sehr früh für Bradley Smith entschieden, der schnell und erfahren ist, dann für Pol Espargaró, der kurz vor dem Sprung in ein Werksteam war, nicht genommen wurde und dann natürlich das Werksticket bei uns nahm. Zwei Fahrer, die jung und stark sind. Mit ihnen werden wir uns, ganz japanisch, konsequent nach vorn arbeiten.

MOTORRAD: War Stefan Bradl je ein Thema für KTM?

Stefan Pierer: Stefan hat schon als Kid bei uns begonnen. Bei ihm ist leider das Drumherum nicht immer optimal. Erst hat der Vater ihm mehr geschadet als geholfen, auch später hat er ein paarmal nicht die richtige Entscheidung getroffen. Wir haben ihm angeboten, Testfahrer zu sein – wie Mika Kallio. Mit der Möglichkeit, später ein MotoGP-Ticket zu bekommen. Da ist er lieber zu Aprilia. Und jetzt ist er zur Superbike-WM abgebogen. Schade. Stefan ist sicher ein Talent. Aber es ist ganz interessant: Nicht nur der Fahrer allein, sondern das Drumherum ist auch ganz wichtig. Wer betreut ihn? Kann er selbst Entscheidungen treffen, oder redet immer ein anderer mit?

MOTORRAD: Was wird mit dem MotoGP-Motorrad weiter passieren? Gibt es Pläne über die Renneinsätze hinaus?

Stefan Pierer: Wir möchten fast authentische Replicas anbieten. Wir wollen auch versuchen, den Preis sehr weit nach unten zu bringen. Die eine oder andere Komponente ist vielleicht dann etwas anders, aber im Prinzip ist es die gleiche Maschine. So ähnlich, wie wir es bei Rallye machen, wo wir die Rallyemaschine auch als Replica anbieten.

MOTORRAD: Für Track Days?

Stefan Pierer: Für Rennstrecken, ja. Die Sicherheitsdiskussion ums Motorrad treibt uns an, das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen. Deshalb bin ich überzeugt: Eine Maschine mit 270 oder 260 PS hat auf der Straße eigentlich nichts mehr verloren.

MOTORRAD: Sie haben eine weitverzweigte Unternehmensgruppe aufgebaut. Wie groß ist sie?

Stefan Pierer: Wir sind derzeit insgesamt 5000 Mitarbeiter, im Wesentlichen mit drei Unternehmungen, der KTM-Gruppe mit der Zweitmarke Husqvarna, die uns in den letzten Jahren extrem geholfen hat. Wir machen heuer 30.000 Husqvarnas. Dann ist da natürlich Pankl mit ungefähr knapp 200 Millionen Euro Umsatz und auch 1400 Mitarbeitern, dann gibt es den Zulieferanten WP, der ist 600 Mitarbeiter stark, macht auch 140 Millionen Umsatz. In der Summe konsolidiert in der Gruppe machen wir heuer 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro Umsatz mit 5000 Mitarbeitern, davon 70 Prozent hier in Österreich. Alle Entwicklungsabteilungen und Entwicklungsfertigungen sind nach wie vor in Europa, also in Österreich.

MOTORRAD: In welche Richtung werden Sie sich künftig orientieren?

Stefan Pierer: Einen Trend sehe ich in der Attraktivität des Zweirad-Rennsports. Sie kommt eigentlich ein bisschen über die Langeweile im Automobilsport. Alles redet über autonomes Fahren. Wen interessiert da noch Formel 1 oder anderer Autorennsport? Motorradsport ist hingegen noch authentisches Fahren, wo der Fahrer einen großen Einfluss hat, wo es viele Überholmanöver gibt, wo die Veranstaltungsbesuche erschwinglich sind. Das ist noch ein Familienevent, Sie können die Kinder mitnehmen und sich noch unter die Fahrer mischen. Das ist Rennsport, wie es früher war. Wir sehen es auch im Motocross. Bei guten Veranstaltungen, wie kürzlich in der Schweiz in Frauenfeld, sind 30.000 Zuschauer da. Beim Motocross! Können Sie sich das vorstellen? Außerdem wird das motorisierte Zweirad vielfach wieder Commutingfunktionen übernehmen. Nicht, dass wir die 50er- oder 60er-Jahre wieder hätten. Doch welcher junge Mensch kann sich aus eigener Kraft ein Auto leisten? Und in einer Stadt ist es oft sinnlos. Da sind Roller, Motorräder und andere Zweiräder praktischer. Ich bin auch überzeugt: Zwischen dem Fahrrad oder dem Pedelec und dem Motorrad in A1-Version wird sich in den nächsten 15 Jahren Elektromobilität abspielen. Sie werden eine Vielzahl von Konzepten sehen, die ein, zwei, drei oder vier Kilowatt haben, aber aussehen wie Motorräder. Damit kriegen Sie die Jugend wieder. Und wenn Sie mich fragen: Wohin geht die Reise strategisch? Dann ist die Antwort: Wir werden uns sicher auf dieses Marktsegment zubewegen.

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