Bestrafungen über Bestrafungen: Der Große Preis von Argentinien war zwar spannend, gleichzeitig aber eine Farce durch und durch. Dass Cal Crutchlow vor Johann Zarco, Alex Rins und Jack Miller gewann und dieses Quartett vorn Rennsport vom Allerfeinsten zeigte, geriet schon vor Fallen der Zielflagge in den Hintergrund.
Im Endeffekt kann von Glück gesagt werden, dass am Sonntag alle lebend in die Box zurückkehrten.
Bestrafte und Nicht-Bestrafte: Startaufstellung bis R1
Die erste Bestrafung gab es für Jack Miller – fürs alles richtig machen. Der Australier war mit Slicks in die Startaufstellung gerollt und nahm dort seine am Samstag wohlverdiente Pole-Position ein. Doch alle anderen schoben ihre Bikes zurück an die Box, um Reifen zu wechseln. Miller blieb allein stehen und setzte die Rennleitung damit unter Druck.
Schon allein, dass die Teams nach der Besichtigungsrunde zurück an die Box schoben, war eine Lücke im Reglement – hatte es so zuvor noch nicht gegeben. Bei einer ähnlichen Situation am Sachsenring, hatte man damals bei Stefan Bradl noch in der Startaufstellung auf trocken umgebaut – allerdings wurde man nicht fertig. Vermutlich gingen nun alle davon aus, dass man einfach zurückkehren, umbauen und aus der Boxengasse in die Aufwärmrunde starten könne – und dann wieder seinen Startplatz einnehmen, da man ja zuvor dort gestanden hatte.

Normalerweise hätte der Rest des Feldes – und ohne Zeitaufschub – aus der Boxengasse starten müssen – was natürlich ein unglaubliches Risiko darstellt. Etliche Piloten standen bereits wieder am Boxenausgang, als die Startverzögerung kommuniziert wurde und sie wieder zurück an die Boxen mussten – und durften.
Verpasste Strafe 1: Jorge Lorenzo. Während alle sich der Grundregeln des Motorrad-Rennsportes bewusst waren, galten diese für einen "Star" nicht: Jorge Lorenzo fuhr entgegengesetzt der Rennrichtung in der Boxengasse, stellte den Motor erst ab, als ihm ein Mechaniker auf der Hälfte der Strecke entgegengekommen war und ihn nun fortan schob. Im Gesamt-Chaos ging dies unter und es gab keine Strafe.
FIM World Championship Grand Prix Reglement: §1.21 "Verhalten während Training und Rennen", Absatz 11: Es ist Fahrern verboten, ihr Motorrad entgegen gesetzt der Rennrichtung zu fahren, sowohl auf der Strecke, als auch in der Boxengasse. Dies ist nur nach Anweisung und in Begleitung eines Offiziellen gestattet." Diese fehlte bei Lorenzo. Später an einem anderen Punkt auch.

Die zweite Bestrafung gab es hierbei nun für das Marc-VDS-Team mit Franco Morbidelli und Tom Lüthi – erneut für "alles richtig machen". Denn die beiden Honda-Satelliten-Piloten waren nach der Besichtigungsrunde zurück an die Box gekommen, um dort regelkonform auf Slicks zumzurüsten. Klar hätten die beiden Rookies dann aus der Boxengasse losfahren müssen und sich am Ende des Feldes einreihen, allerdings hätte man die Bikes im richtigen Setup da stehen gehabt – und alle anderen hätten nach Flag-to-Flag-Rule noch wechseln müssen.
In der Zwischenzeit hatte man sich dazu entschieden, die Piloten gemäß der Regelung "am Ende der Startaufstellung" wieder ins Feld zu lassen. Zur neuerlichen Besichtigungsrunde ging es dann also aus der Boxengasse um am Ende des Feldes Aufstellung zu nehmen. Laut Qualifying sollten dann hinter Pole-Sitter Jack Miller vier Reihen frei bleiben, Pedrosa nahm in Reihe sechs Platz. Erneut eine Fehlentscheidung – man hätte mit Reihe 9 beginnen müssen, doch dort waren gar keine Markierungen mehr, dass man das gesamte Feld hätte unter bringen können.
Nach der Warmup-Runde ging Marc Marquez nun kurz vor dem scharfen Start das Motorrad aus. Marquez hätte die Piste verlassen müssen und hätte maximal aus der Boxengassen hinterher fahren dürfen. Doch der sechsfache Weltmeister schob seine Maschine bis zu Jack Miller vor – und fuhr dann entgegengesetzt der Rennrichtung zurück auf seinen Startplatz. Normalerweise hätte er dafür die schwarze Flagge erhalten müssen, allerdings waren auch hier die Offiziellen überfordert und einer zeigte gar, dass Marquez an seinen Platz zurück solle – was aber der Offizielle in der Startaufstellung auch nicht hätte tun dürfen. Später gab es dafür für Marquez eine Durchfahrtsstrafe, die den Spanier 27 Sekunden kostete.
Bestrafungen und Nicht-Bestrafungen: Rennen
Verpasste Strafe 2: Nachdem nun endlich gestartet worden war, kam es gleich auf der ersten Runde zum ersten, folgenreichen Rempler. Im nassen Abschnitt verbremste sich Johann Zarco, drängte damit Dani Pedrosa nach außen, so dass der Spanier nach außen auf den nassen Streifen musste und per Highsider hoch in die Luft geschleudert wurde. Pedrosa schlug sich das rechte Handgelenk an und will sich in Barcelona genau untersuchen lassen. Zarco kämpfte am Ende um den Sieg und wurde Zweiter.
Zarco fiel damit erneut als Heißsporn auf – und diente quasi den Marquez-Aktionen wenig später als Vorbild. Klar: Die Bedingungen waren gerade in diesem Kurvenabschnitt echt schwierig und es gehört eine ganze Menge dazu, die anderen Piloten richtig einzuschätzen. In einer ersten Runde ist ein solcher Fehler vielleicht – mit viel Wohlwollen – noch zu verzeihen, doch eigentlich muss klar gesagt sein, dass schon dieses Vorgehen nicht verzeihlich war. Wenn verzeihlich, dann nur unter dem Aspekt, dass Zarco gerade erst seine zweite MotoGP-Saison fährt und Fehler dazu da sind, gemacht zu werden. Dem Franzosen ist im Gesamtkonstrukt einzig zu Gute zu halten: Das war seine einzige, derartige Aktion an diesem Wochenende – Marquez riss davon mehrere.

Auf der sechsten Runde bekam Marquez seine Durchfahrtsstrafe angezeigt. Der Spanier sagte später, er habe diese zwar nicht verstanden, weil ihm ein Offizieller bedeutet habe, seinen Startplatz wieder einzunehmen, habe diese aber akzeptiert. Eine Nachanalyse des Video-Materials zeigt aber: Die Offiziellen zeigten in Richtung Boxengasse und keineswegs in Richtung Marquez-Startplatz.
Marquez kam schließlich vor Alvaro Bautista wieder auf die Piste – und damit auf dem zu jenem Zeitpunkt 19. Platz. Es dauerte nun drei Runden, ehe er zu Aprilia-Pilot Aleix Espargaro aufgeschlossen hatte – und diesen schließlich von der Piste rempelte. Espargaro kam zwar nicht zu Sturz, aber Platz für ein Manöver war an dieser Stelle nicht vorhanden.
Die Strafe? Einen Platz wieder her geben – doch als diese ausgesprochen wurde, hatte der Honda-Pilot bereits drei weitere Fahrer kassiert. Daher ließ er deren zwei wieder durch, verlor dabei aber nicht wirklich viel.
Fortan kämpfte er sich weiter nach vorn und schließlich lief der nun schon zweifach bestrafte Marquez fünf Runden vor Schluss auf Valentino Rossi auf, der auf Platz sechs lag. Und erneut nutzte er seinen Kontrahenten als Rambock, Rossi kam aber zu Fall. Dafür gab es dann eine addierte Durchfahrtstrafe von drei Sekunden, womit Marquez den fünften Platz verlor und als 18. gewertet wurde.
Zu viel des Guten
Kompromissloses, hartes Racing – ja! Definitiv. Aber das in Argentinien war nicht nur ein Hauch zu viel des Guten. Berechtigterweise fordert nahezu das gesamte Fahrerlager eine richtige Bestrafung. Hier muss definitiv mit Sperren eingegriffen werden. Einen Marc Marquez beim nächsten Rennen ans Ende des Feldes zu setzen, wäre eine Bestrafung für das gesamte Feld – und erneut ein Sicherheitsrisiko.
Marquez hat am Sonntag nicht nur sich selbst geschadet, sondern dem gesamten Motorradsport. Zudem war er alles andere als ein Vorbild. Auch Valentino Rossi sagt: "Er hat heute unseren Sport kaputt gemacht . Er hat absolut kein Respekt gegenüber allen anderen. Das hatte er noch nie!"

Allerdings ist Rossi zwar einer der geschädigten in diesem Rennen, trotzdem müsste der Italiener aber ganz ruhig sein. Ähnliche hirnrissige Aktionen hat Rossi auch bereits hinter sich – haargenau die gleiche Situation gab es 2011 in Jerez. Rossi crashte in Kurve 1 im Regen nach einem völlig übermotivierten Manöver in Casey Stoner und riss den Australier ins Aus.
In Argentinien stapfte Marquez im Anschluss an das Rennen in Richtung Box von Rossi und wollte sich entschuldigen. Diesen Handschlag verwehrte ihm der Italiener. Rossi sagte zum Entschuldigungsversuch: "Das war ein Joke! Das war einfach nur PR. Zuerst hat er ja nicht einmal die Eier, allein in meine Box zu kommen. Er kommt immer mit seinem Manager, mit Honda, vor allen Kameras – denn das ist ihm wichtig, um dich geht es ihm gar nicht" , so Rossi 2018. Nahezu die gleichen Worte, die Casey Stoner 2011 für Rossi übrig hatte. Das alles ändert nun aber nichts an der Situation, dass Marquez in Argentinien mehr als über das Ziel hinausgeschossen ist.
Fazit zum GP von Argentinien
Ob es eine Rennsperre für Marquez geben wird, ist derzeit völlig offen. Fakt aber ist, dass diese dringend nötig wäre. Berufsverbots-Klausel und Honda-Beschäftigung hin oder her. Nach diesem Argentinien-Grand-Prix sind definitiv alle Sieger, denn es gab am Sonntagabend keine Nachrufe aufzubereiten. Davon hat es in der letzten Zeit zu viele gegeben, darum sollte exakt jetzt gehandelt und ein Zeichen gesetzt werden – bevor es wieder zu spät ist.