Report: Ducati Desmosedici GP8

Report: Ducati Desmosedici GP8 Stoners MotoGP-Ducati

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Es ist das Mysterium der MotoGP-Saison: Das gleiche Motorrad, das um den Weltmeistertitel kämpft, füllt gleichzeitig die hintersten Startreihen. Was macht die Ducati GP8 für Geschichten?

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Stoners MotoGP-Ducati

Kein Zweifel: Die Ducati GP8 ist das beste MotoGP-Motorrad der Welt. Eine wunderbare Maschine, gebaut von Bolognas hellsten Köpfen. Aber nicht jeder ist mit dieser GP8 blitzschnell. Casey Stoners Teamkollege Marco Melandri und die Fahrer von Alice-Ducati, Sylvain Guintoli und Toni Elias, haben fast die gesamte Saison damit verbracht, hinten im Feld herumzudümpeln. Während der ersten Saisonhälfte erreichte Melandri ein durchschnittliches Ergebnis von Quali-Platz 16 und Platz 12 in den Rennen; Guintoli: 15 und 13, Elias: 15 und 12. Wie kann das sein: Vorn kämpft Stoner einsam und erfolgreich gegen Rossi, hinten versuchen die ehemaligen GP-Sieger Melandri und Elias sowie der talentierte Guintoli, das Betriebsgeheimnis der GP8 zu knacken? Für Ducati-MotoGP-Boss Livio Suppo liegt die Sache auf der Hand, er ist sich sicher: „Meiner Meinung nach ist es kein technisches, sondern für diese Fahrer eher ein psychologisches Problem.“ Marlboro-Ducatis technischer Direktor Cristhian Pupulin, gleichzeitig Melandris Teamchef, sieht dagegen technische Eigenheiten als Ursache. Melandri würde dieser Version vermutlich zustimmen; Ducati hat uns nicht erlaubt, mit ihm darüber zu sprechen.

Fakt ist: Die GP8 ist ein unglaublich extremes Motorrad, dessen gewaltiges Potenzial nur Fahrer mit einem ganz besonderen Talent und einer speziellen Fahrtechnik voll ausschöpfen können. Stoner ist darin nicht einzigartig. Sete Gibernau und Ducati- Tester Niccolò Canepa waren mit der GP8 ebenfalls sehr schnell, und beim Brünn-GP hat endlich auch Elias dank neuer Chassis-Teile und neu abgestimmter Traktionskontrolle seinen Frieden mit dem Bologna-Biest gemacht. „Unser Motorrad ist in bestimmter Hinsicht schon sehr extrem“, gibt Pupulin zu. „Wenn du mit der GP8 nicht auf die richtigen Rundenzeiten kommst, kann sie dir ganz schön Schwierigkeiten machen, viel mehr als andere Motorräder.“ In dieser Hinsicht ist die Ducati genau wie ein vermaledeiter GP-Slick: Der ermöglicht dir auch nur dann schnelle Runden, wenn er richtig warm ist. Um ihn jedoch warm zu bekommen, musst du richtig schnell fahren. Aber wie soll man das bitte schön anstellen? Genau das ist die hirnmarternde Klemme, in der Guintoli, Melandri und Elias plötzlich steckten – ein Teufelskreis und ein Angst einflößender Moment für die Fahrer. Du stehst an einer Schlucht und weißt, dass du über die Schlucht springen musst, um in Sicherheit zu sein. Aber bist du für diesen Sprung mutig genug? Dazu brauchst du nämlich gewaltiges Vertrauen, und nur die Mutigsten schaffen es rüber.

Vertrauenssache

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Platz fünf in Schanghai war der vorläufige Saisonhöhepunkt für Marco Melandri.

Ducatis Problem-Trio hat bestimmt alles versucht, um die GP8 auf Tempo zu bringen. Aber meistens gibt ihnen das Motorrad nicht genug Vertrauen, um es noch härter ranzunehmen. Wenn sie es dann taten, haben sie sich prompt abgelegt. "Es ist mental total schwierig", erklärt Guintoli, der das unbändige Potenzial der GP8 betont und Suppos psychologischer Erklärung bis zu einem gewissen Grad zustimmt. "Um mit der Ducati richtig schnell zu sein, musst du dich in sie verlieben. Das ist nichts Mechanisches. Du musst dich ihr ganz hingeben, ihr blind vertrauen. Das ist sehr italienisch. Man kann sich da ganz tief in die Scheiße fahren. Du fährst raus, drehst ein paar Runden und denkst: "Das geht überhaupt nicht, da stimmt was nicht." Aus diesem Loch kommst du einfach nicht mehr raus. Und dann kann es dir passieren, dass du hinfällst, während du so herumeierst. Doch selbst wenn du da rauskommst, ist immer noch viel Luft, bis du das Maximale aus dem Bike herausholst." Während Guintoli schließlich langsam Fortschritte machte, kämpften Melandri und Elias damit, genug Temperatur in die Reifen zu bekommen. Ducati hat Elias’ Problem jetzt eventuell mit den neuen Aufhängungsteilen hinten gelöst, mit denen er in Brünn auf den sensationellen zweiten Platz stürmte.

"Davor hatte ich einfach nie Grip", erzählt Elias. "Ich hatte kurveneingangs keinen Grip, und wenn ich die Drosselklappen am Ausgang aufgerissen habe, hatte ich null Gefühl fürs Hinterrad. Wenn meine Reifen warm waren, hatten sie immer noch 20 °C weniger als andere Bridgestone." Das ist ein gewaltiger Unterschied. Ducati unternahm alles, um Elias zu helfen. Sie zeigten ihm Stoners Data-Recording in der Hoffnung, er könne daraus ein paar Schlüsse ziehen. "Das Einzige, was ich dem entnehmen konnte, war, dass Casey unglaubliches Vertrauen in die Ducati hat – bremsen, reinfahren, Scheitelpunkt, Gas auf, einfach überall", sagt Elias. Hat er daraus etwas lernen können? "Nö", lächelt er. "Nur dass es mich wahnsinnig macht, sein Data-Recording durchzugehen." Guintoli wird schneller, indem er seine Technik am Kurveneingang umstellt. "Mein Hauptproblem war, auf der Bremse in die Kurve zu kommen. Das Motorrad fühlte sich unglaublich schwer an und war träge beim Einlenken. Dann schien es unmöglich, das Motorrad mit dem Gasgriff aus der Kurve sliden zu lassen. So hab ich es auf der M1 gemacht: rein auf der Bremse, Bremse rauslassen, das Motorrad zum Sliden bringen, nur ein wenig Spin, um sie zu lenken, und dann raus. Mit der Yamaha war das kein Problem. Keine Chance auf der Ducati; du brauchst schon beim Reinfahren eine völlig andere Linie, eine völlig andere Denke! Als ich mit der Ducati anfing, dachte ich, es sei ein unglaublich physisch zu fahrendes Motorrad.

In der Ruhe liegt die Kraft

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Schon der Anfang vom Ende? Stoner stürzt beim Brünn-GP in Führung liegend, am nächsten Tag glänzt er mit Fabelzeiten bei Testfahrten.

Jetzt bin ich mit der GP8 wesentlich schneller, und sie fühlt sich richtig leicht an. Ein Motorrad wird körperlich anstrengend, wenn du verkrampft fährst, wenn du gegen seine Natur arbeitest. Wenn du es rannimmst, wie es für das Bike vorgesehen ist, wackelt es vielleicht, aber das ist kein Problem. Die Art, wie Casey es fährt, ist überhaupt nicht körperlich. Seine Ducati bewegt sich zwar viel, aber er sitzt ganz ruhig drauf. Er kämpft überhaupt nicht mit ihr. Wenn seine GP8 zappelt, lässt er sie halt zappeln." Setup-Änderungen haben Guintoli ebenfalls geholfen: eine veränderte Gewichtsverteilung nach hinten beim Schalten und Eingriffe in die Geometrie und Elektronik. Die richtige Richtung zu finden war sehr schwierig, denn die Ducati kann ganz schön verwirrendes Feedback liefern. "Manchmal glaubte ich, die Front sei zu schwer, doch plötzlich hatten wir vorn nicht genug Gewicht. Dann fühlte es sich an, als würde die Front beim Gasgeben wegrutschen, weil sie zu leicht sei, während sie tatsächlich vorn viel zu schwer war. Bei diesem Motorrad widerspricht das Fahrergefühl so oft den gesammelten Daten. Die GP8 ist manchmal ein wahres Paradoxon." Ohne völlig neue Fahrtechnik geht nichts mit der Ducati. "Auf der Yamaha konntest du prinzipiell machen, was du wolltest. Selbst weit weg von der passenden Linie fand sie Grip", erzählt der in England lebende Franzose. "Auf der GP8 geht das überhaupt nicht. Die geht einzig und allein auf einer Linie, der richtigen. Das glatte Gegenteil der Yamaha, und das war zu Beginn furchtbar verwirrend. Es ist eine völlig andere Philosophie als die der Japaner. Da wird dir schlagartig klar, dass die Leute, die die GP8 gebaut haben, völlig anders ticken. Die Yamaha war freundlich, die Ducati kennt keine Kompromisse – reite sie so, wie sie es will, oder du hast Pech."

In der Tat vertreten die Ingenieure aus Japan und Bologna zwei völlig unterschiedliche Philosophien. Die Japaner bauen Motorräder, die dir deine eigene Linie durch die Kurven gestatten, damit du richtig schnelle Runden drehen kannst. Ducati dagegen hat ein Motorrad gebaut, mit dem du alles noch viel schneller machen kannst, vorausgesetzt, du fährst es so, wie es gebaut wurde, um gefahren zu werden. "Es gibt nicht nur einen Grund, warum unsere GP8 so ist, wie sie ist", erklärt Pupulin. "Wir wählen mehrere technische Möglichkeiten, um die Performance zu steigern, aber es ist wesentlich schwieriger, das Maximum zu erreichen. Der Motor, das Elektronik-Management und das Anti-Spin-System sind Maßnahmen, um eine hohe Performance zu erzielen, machen aber das Erreichen dieses Zieles vielfach schwerer. Mit unserem Bike musst du am Scheitelpunkt schalten, du musst den Bremspunkt und den Kurveneingang vorausahnen, um dahinter richtig rauszukommen. Du musst antizipieren und absolut präzise fahren."

Echte Fahrkunst

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Toni Elias kommt immer besser mit der GP8 zurecht und gilt bei Alice-Ducati als Hoffnungsträger für die GP-Saison 2009.

Deshalb ist Stoner mit der Ducati so schnell. "Casey ist ein sehr technischer Fahrer, die Ducati ist für ihn gemacht", erklärt Guintoli. "Was er auf ihr macht, ist wirklich eine Kunst. Er ist nicht so aggressiv, eher technisch; die Art, wie er mit ihr spielt, wie er bremst, wie er Gas gibt. Er hat einfach uneingeschränktes Vertrauen. Wahnsinn, wie er sie in die Kurven wirft. Er kann auch die Traktionskontrolle und die Motorcharakeristik für seinen Speed voll nutzen. Auf einer Japanerin ist es besser, das Gas behutsam einzusetzen. Auf der Ducati gibst du einfach Vollgas und überlässt den Rest der Elektronik." Die technischen Möglichkeiten, von denen Pupulin spricht, sind auch der Desmo-V4 mit Screamer-Zündfolge, das Gitterrohr-Chassis mit dem Motor als tragendem Bauteil und die Hightech-Elektronik. Sie unterscheiden Ducati von der MotoGP-Konkurrenz und tragen zu diesem verrückten, wilden und wundervollen Charakter der GP8 bei. Aber niemand weiß genau, warum sich dieses Motorrad so grundlegend anders anfühlt. Kann es sein, dass das GP8-Chassis weniger vertrauensbildende seitliche Flexibilität mitbringt als die Leichtmetall-Brückenrahmen der Rivalen? "Kann sein." Pupulin zuckt mit den Schultern. "Wir kennen deren Steifigkeitswerte nicht."

Sogar Stoner gibt zu, dass die GP8 ein schwierig zu beherrschendes Motorrad ist. "Es bockt und schlingert und ist aggressiv", meint der Weltmeister. "Aber es gibt so viel zurück, wenn du es hart genug rannimmst." Und deshalb wird Ducati auch nichts großartig ändern. "Wir können das Wesen unseres Motorrades nicht einfach umstricken", erläutert Pupulin, "sonst verlieren wir womöglich diese Mega-Performance." Deshalb wird Ducati versuchen, Fahrer unter Vertrag zu nehmen, die die Bestie Desmosedici zähmen können. Darum haben sie für 2009 Nicky Hayden verpflichtet. Er ist wie Stoner Ex-Dirttracker. Aber selbst der Weltmeister von 2006 weiß, dass das eine Herausforderung ist: "Einige gute Jungs gehen zu Ducati und sind dann nicht mehr schnell." Vielleicht müssen die Japaner ja umdenken. Die ultra-extreme Rennmaschine aus Bologna brettert der restlichen MotoGP-Truppe davon. Müssen Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki die Fahrerfreundlichkeit über Bord werfen und den Ducati-Weg einschlagen? "Die Ducati ist ein wildes Tier, das sie immerhin schon gezähmt haben.

Die Honda und Yamaha sind freundliche, harmlose Motorräder", stimmt der ehemalige GP-Sieger Randy Mamola zu. "Die Schärfe des Ducati-Motors und die Elektronik machen die Ducati besonders aus der Kurve heraus verdammt schnell. Das Motorrad ist zwar ganz schön in Bewegung, absolut am Limit, aber wenn Casey das Gas aufzieht, ist er weg. Die Gasannahme ist blitzartig. Rossis Elektronik kommt dem wohl noch am nächsten, aber wenn er die Brause aufmacht, geht nicht annähernd so viel. Für mich sieht es so aus, als hätte Casey Playstation 4, während die anderen Jungs noch mit der Playstation 1 oder 2 rummachen."

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