Gold ist ein ganz besonderer Stoff. Das Metall kostet eine Menge, dient oft als sichere Geldanlage, ist überaus wert- beständig. Und es glänzt, hach, da mag man gar nicht weggucken. Ob die BMWler die neue BMW F 750 GS deshalb so spektakulär bepinselt haben? Sind sie in München wirklich davon ausgegangen, dass niemand den Blick je wieder von ihr abwenden wird? Wohl nicht. Denn zum einem haben sie ja selbst ihr Gold ganz anders tituliert. „Austin Yellow metallic“ heißt die Farbe (weniger Extrovertierte greifen zu Weiß oder Grau). Und zum anderen sind die Helme und Sonnenbrillen der MOTORRAD-Tester ausreichend dunkel getönt, um dem hellen Schein zu widerstehen. Nein, liebe F 750 GS, mit deinem tollen Anstrich kannst du uns nicht blenden, aber schön macht er dich allemal.
Ein komplett neues Motorrad
Bei den zahlreichen Änderungen gegenüber der Vorgängerin hat es die BMW in erster Linie auch gar nicht nötig, durch äußeren Glanz zu überzeugen. Vielmehr setzt sie auf innere Werte. Bei denen hat sich bei der 750er-GS, der Nachfolgerin der 700er-GS, eine Menge getan. Kurz gesagt: Hier steht ein komplett neues Motorrad. Zweizylinder-Antrieb? Neu. Rahmen? Neu. Ausstattung? Umfangreicher. Da lohnt es sich auf jeden Fall, genauer hinzuschauen. Fangen wir beim Motor an. Der verteilt nun auf seine zwei Zylinder exakt 853 cm³ Hubraum, bekam gegenüber der F 700 GS gute 50 cm³ mehr spendiert. Um das zu erreichen, hat BMW Hub und Bohrung des jetzt in China bei Loncin gefertigten Antriebs erhöht, das Triebwerk der 700er lieferte Rotax aus Österreich. 84 Millimeter Durchmesser besitzen die Kolben der Neuen, 77 Millimeter Weg legen sie zurück. So ein Plus an Hubraum ist immer gut für ein Mehr an Leistung, weshalb BMW für die neue BMW F 750 GS 78 PS bei 7.500/min verspricht. Das wäre dann immerhin eine Steigerung um drei Pferdestärken.

Was neben den reinen technischen Daten aber viel wichtiger ist: BMW hat der 750er-GS mit dem neuen Motor einen völlig anderen Charakter eingeimpft. Vormals ging’s für die Kolben noch im Gleichschritt hoch und runter. Gezündet wurde exakt im Abstand von 360 Grad. Eine Konfiguration, die den Lauf eines Boxer-Motors nachahmt – ohne die Zylinder zu spreizen. Und weil da im Innern richtig viel Masse gleichzeitig von oben nach unten und retour durch die Zylinderlaufbahnen huschte, musste ein extra Ausgleichspleuel die Vibrationen der 700er-GS in Zaum halten. Mit mäßigem Erfolg. Die BMW F 750 GS meistert den weichen Motorlauf besser. Sie nutzt eine Motorkonfiguration, die einst Yamaha mit der TRX 850 salonfähig machte. Die Rede ist vom Reihentwin mit 90 Grad Hubzapfenversatz und einem Zündversatz von 270 Grad.
Richtig rund läuft der Twin ab guten 3.000/min
Viel Theorie? Schon, aber der Kniff hat es in sich, weil hierdurch der Motor von der Zündfolge her zum V2 wird, ohne zwei getrennte Zylinder zu benötigen. Diese Konfiguration verleiht der BMW F 750 GS einen ganz eigenständigen Charakter. Die ungleichmäßige Zündfolge haucht dem Antrieb mehr Leben ein. Das ist positiv, Minuspunkte gibt’s aber auch. Untenraus will der Motor nicht so recht hochdrehen. Wer ihn im sechsten Gang aus der Stadt heraus feist ans elektronisch gesteuerte Gas nimmt, erntet nur wildes Schütteln kurz vorm Absterben des Motors. Richtig rund läuft der Twin ab guten 3.000/min. Immerhin zwei Ausgleichswellen, die vor und hinter der Kurbelwelle platziert wurden, rauben ihm dann unerwünschte Rappeligkeit. Erst jenseits von 6.000 Touren treten niederfrequente Vibrationen mehr in den Vordergrund, ohne wirklich jemals richtig zu stören.

Insgesamt hat die Motorkur der 750er als Nachfolgerin der 700er gutgetan, der Antrieb steht für einen willigen, nun emotionaleren Spielgefährten, der in allen Fahrmodi (Road und Rain in Standard- ausführung, Dynamic, Enduro als Sonderausstattung) fein dosierbar am Gas hängt. Wer allerdings einen Blick aufs Leistungsdiagramm wirft, erkennt schnell, dass die Leistungsentwicklung obenheraus irgendwie abgeschnitten aussieht. Der Gedanke stimmt. Ab 7.000 Umdrehungen geht’s für die BMW F 750 GS nur noch auf einem konstanten Leistungsplateau vorwärts, mehr Power entwickelt sie bis zur Abregeldrehzahl von knapp über 9.000/min nicht mehr.
Elektronik schiebt der 750er den Leistungsriegel vor
Schuld daran ist die zusammen mit der 750er präsentierte 850er-GS, die sich in Ausgabe 13/2018 dem Top-Test stellen musste. Auf deren Aggregat fußt der Antrieb der nur dem Namen nach kleineren 750er zu 100 Prozent. Hubraum, Verdichtung, Übersetzung: Alles fällt identisch aus. Nur dass die dem Namen nach größere Schwester immerhin 95 PS mobilisiert, die bei 8.250/min anliegen. Um auf die geringere Leistung der F 750 GS zu kommen, hat BMW den zulässigen Drosselklappen-Winkel und zusätzlich bei Volllast die Zündwinkel angepasst. Kurz: Die Elektronik schiebt der 750er den Leistungsriegel vor. Das wäre schon okay, wenn BMW ihr nicht exakt dieselbe Übersetzung wie der F 850 GS mit auf den Weg gegeben hätte. 230 km/h könnte die Mittelklasse-Enduro BMW F 750 GS rennen. Bei Tempo 190 findet der Speed aber sein Ende. Und die erreicht die F 750 GS schon im fünften Gang.

Im Ergebnis heißt das: Der Motor macht zwar auf kräftigen Charakter, er kommt aber nie so richtig aus den Puschen. Der Zweizylinder erweckt immer den Anschein, an der Leine zu hängen, als ob er mehr könnte, aber nicht dürfte. Und weil das Gewicht der BMW F 750 GS mit vollgetankt 237 Kilogramm, ein Plus von 15 Kilogramm gegenüber dem Vormodell F 700 GS, ziemlich satt ausfällt, verpufft die Mehrleistung schnell. Spürbar flotter als die 700er beschleunigt die neue 750er nicht (0–140 km/h: 700er 4,3 sek, 750er 4,2 sek). Ein paar Zähne mehr am Kettenblatt würden helfen, um der 750er mehr Dynamik zu verleihen. So bleibt das Bild des Motors zwiespältig. Evolution ja, aber mit Hindernissen.
Gilt das auch fürs Fahrwerk?
Nein, das sei schon verraten. Wie beim Motor hat BMW auch hier kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Das fällt vielleicht nicht auf den ersten Blick auf, beim Besuch der nächsten Tankstelle merkt man es aber sofort. Schließlich bunkerte die Vorgänger-F-Baureihe ihren Treibstoff im Heck. Das hat sich nun geändert. Der 15 Liter fassende Tank befindet sich bei den 2018er-F-Twins vorne an allgemein gewohnter Stelle. Optisch sorgt das für ein schlankes Heck, drückt dafür die Knie etwas weiter aus- einander. Unterm Tank schlängelt sich der Stahlbrückenrahmen auf kürzestem Weg vom Lenkkopf Richtung Schwingenlager, nimmt den Zweizylindermotor als mittragendes Element auf. Gegenüber dem Gitterrohr-Stahlrahmen zuvor soll der nun aus einzelnen Schalen hergestellte Rahmen mehr Steifigkeit bieten. Das glaubt der BMW-Pilot gerne, einfach weil die BMW F 750 GS sehr satt auf der Straße liegt. Zumindest wenn beim sehr umfangreich aus- gestatteten Testfahrzeug die semiaktive Dämpfung auf„Dynamic“ verstellt wurde.

Im Road-Modus bügelt der Zweizylinder fast schon sänftenartig geschmeidig über Verwerfungen hinweg, dafür tendiert er hinten zum Pumpen am Kurvenausgang oder bei Wechselbögen. Die Einstellung„Dynamic“ kristallisierte sich als bester Kompromiss aus Stabilität und Komfort heraus. Wobei alle Konfigurationen nur den Dämpfer betreffen. Die Gabel besitzt keine Verstellmöglichkeiten, arbeitet nicht semiaktiv. In der empfohlenen Dämpfungsvariante liegt die F 750 GS ohne Gautschen solide auf der Straße, vermeidet selbst in flotten Wechselkurven ein zu tiefes Einsacken, macht richtig Laune. Die steigt mit jeder Kurve mehr, weil die BMW F 750 GS wie an der Schnur gezogen durch Bögen eilt, wirklich sehr einfach zu fahren ist, viel Vertrauen spendet. Ihr Äußeres (1.559 mm Radstand) und ihr Gewicht (nochmals: 237 kg vollgetankt) sprechen zwar eine andere Sprache. Doch die BMW erhebt Understatement quasi zur Maxime. Sie entpuppt sich bei Bedarf als flottes Spielmobil, verliert auch beim Auskosten der Drehzahlreserven nicht ihre gutmütigen Wesenszüge. Selbst zu zweit winkelt sie stabil und verlässlich ab, zieht formi- dabel ihre Bahn. Doch sie kann noch viel mehr, als nur zügig durch die Gegend zu huschen, besitzt auch ausgeprägte touristische Talente.
Jede Menge zusätzliches Zubehör
So bietet sie Fahrer und Sozius ein kommodes Plätzchen, das gerne so lange genutzt wird, bis nach guten 350 Kilometern am Stück Ebbe im Tank herrscht. Große und schwere Fahrer würden sich allenfalls eine straffere Polsterung und einen geschmeidigeren Übergang vom Fahrer- zum Soziussitz wünschen. Die Kante zwischen beiden Plätzen drückt schon mal unangenehm auf den Steiß, der Sitz selbst ist zu nachgiebig gepolstert. Abhilfe verspricht die optional erhältliche Komfortsitzbank (350 Euro), welche die Sitzhöhe um 15 Millimeter steigert. Bei ihr fällt der Übergang zwischen vorderem und hinterem Platz viel dezenter aus. Was längeren und vor allem flotteren Touren eventuell noch im Wege steht, ist der Windschutz. Der Minischild überragt das tolle, vielfarbige und intuitiv bedienbare TFT-Display nur um einen Hauch. Wer mehr Schutz möchte, muss schon wieder zum Zubehör greifen. 157 Euro extra kostet der hohe Windschild. Zum Glück gibt sich die BMW F 750 GS beim Spritkonsum knauserig. 4,3 Liter für 100 Kilometer sind zwar mehr als noch bei der F 700 GS (3,9 Liter), unterm Strich aber in Ordnung. Da ein Service nur alle 10.000 Kilometer ansteht, bleiben auch unter diesem Gesichtspunkt die Ausgaben überschaubar.

Sparfüchse aufgepasst: Mit ihrer knackig abgestimmten Vorderradbremse schont die BMW F 750 GS sogar den Hinterreifen nachhaltig. Den zieht’s nämlich mitunter mächtig nach oben, wenn das ABS über den schnellstmöglichen Stopp wacht. Oder anders ausgedrückt: Die Bremse der F 750 GS gibt sich sportlich, staucht die 151 Millimeter Federweg vorne schon mal arg zusammen, bleibt dabei aber gut dosierbar. Nur die Abhebeerkennung kommt trotz Sensorbox – die Teil der Sonderausstattung„Dynamic-Paket“ ist – nicht hinterher. Im Extremfall muss die Vorderradbremse manuell gelöst werden. Zwar entlastet die F 750 GS ihr Federbein mit 177 Millimeter Arbeitsweg selten komplett, sie neigt aber bei Vollbremsungen zu Unruhe von hinten. Lange Federwege und damit viel Radlastverschiebung beim Bremsen sowie die Abstimmung der Stopper lassen sich manchmal nur schwer unter einen stabilen Hut bringen. Dafür punktet die BMW mit wirklich kurzen Anhaltewegen. Die gehören eindeutig zu den Glanzpunkten der BMW F 750 GS, weshalb sie ihr gol- denes Kleid selbstbewusst tragen darf. Allerdings: Matte Stellen bei den inneren Werten gibt es auch, da wäre Politur nötig – etwa eine kürzere Übersetzung.
MOTORRAD-Fazit
Ja, die BMW F 750 GS ist die bessere F 700 GS geworden, ohne deren grundsätzliche Tugenden neu zu erfinden. Begeistern kann die Neue mit ihrem ausgewogenen Fahrwerk und den tollen Bremsen. Aber: Der Motor, von Grund auf neu konstruiert, bleibt irgendwie seine Sinnhaftigkeit schuldig. Er klingt toll, er besitzt gute Manieren, aber unter fahrdynamischen Ansprüchen kann er die Erwar- tungen nicht erfüllen. Hier hat es sich BMW mit der gleichen Übersetzung wie bei der F 850 GS zu einfach gemacht.