Fahrbericht: Honda Crossrunner

Fahrbericht: Honda Crossrunner Der beste Kompromiss in der Motorradwelt?

Nicht, dass sie die erste vermasselt hätte, ganz im Gegenteil: Die VFR war ein exzellentes und äußerst erfolgreiches Motorrad. Nun erhält sie als Crossrunner eine zweite Chance, soll die Erfolgsstory fortsetzen. Mit fast gleicher Technik, doch neuem Charakter.

Der beste Kompromiss in der Motorradwelt? Honda

Tiefer legen ist out. Auf der Erde schleifende, verspoilerte Golfs oder über Querfugen hoppelnde 3er-BMWs sind längst nicht mehr angesagt. Heutzutage genießt die breite Auto fahrende Masse die gute Fernsicht in hochgelegten Untersätzen. Vans, Geländewagen oder Sport Utility Vehicles sind angesagt. Das gilt auch für den Zweiradbereich. Auch dort sind die Hochsitz-Konzepte kräftig auf dem Vormarsch. Schließlich ist das erfolgreichste Motorrad der letzten Jahre nichts anderes als ein SUV, die BMW R 1200 GS.

Honda hatte im Segment der Langbeiner bislang schon einiges zu bieten, vor allem Varadero und Transalp. Beides eher touristisch orientierte Konzepte. Nun kommt aus Japan ein anderer, fast schon europäischer Ansatz: Hondas Crossrunner. Eine Maschine, die man fraglos der Kategorie Funbike zuordnen wird, ähnelt sie doch sehr der erfolgreichen Ducati Multistrada. Und auch wenn es sich um eine andere Hubraum- und Leistungsklasse handelt, der Weg ist durchaus vergleichbar. Wie die Duc leitet sich die Honda von einem bestehenden Straßensportler ab, einzigartig ist sie dennoch wegen des in diesem Feld beispiellosen Vierzylinders.

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Hondas Idee bei der Entstehung des Crossrunners: Nicht nur der Fahrspaß des Fahrers sollte im Vordergrund stehen, vor allem sollte die Maschine eine positive Ausstrahlung haben. So kam das Crossover-Bike auch zu seinem Namen, der sich von der Comicfigur Roadrunner ableitet. Wie dieses spaßige Kerlchen soll das Motorrad sympathisch auf seine Umgebung wirken.

Ähnlich hochbeinig wie der Roadrunner steht der Crossrunner da, die Nase schnittig im Wind. Unter dem in Italien gestylten Plastikkleid steckt dabei im Wesentlichen die Technik der guten alten 800er-VFR. Nicht nur die gesamte Antriebseinheit stammt vom bewährten Straßensportler, auch fast das komplette Chassis wurde übernommen. Bei der ersten Sitzprobe fällt das sofort auf. Denn geblieben ist so auch der Abstand von Sitzbank und Fußrasten, was zu einer recht sportiven Haltung unterhalb der Gürtellinie führt. Die Rasten sind nicht nur ziemlich hoch, sondern auch ziemlich weit hinten angebracht. Oberhalb davon ist jedoch völlige Entspannung angesagt, die Lenkerenden wurden deutlich höher und weiter hinten platziert. Diese Mischung aus aufrechter Oberkörperhaltung und relativ sportlich angewinkelten Beinen mag der Umsteiger von der Reiseenduro als wenig komfortabel ansehen, für den ehemaligen Sportfahrer ist sie vertraut, er freut sich über eine aktive Position. Trotzdem, Fahrer mit langen Gräten müssen die Knie ganz schön anwinkeln. Die Sitzhöhe hält sich mit 816 Millimetern durchaus in Grenzen, da können auch weniger große Fahrer sicher vor Anker gehen.

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Der erste eindruck täuscht, der Crossrunner ist gar nicht so hoch und mächtig, wie er aussieht. Die Bodenfreiheit ist nur zwölf Millimeter größer als bei der VFR.

Höhe und Lage des Schwerpunkts scheinen gut ausbalanciert. Mit stolzen 238 Kilogramm zählt die V4 nicht zu den Leichtgewichten der Branche. Zum Vergleich: Eine Ducati Multistrada ist trotz 1200 cm3 einige Kilogramm leichter. Sympathiepunkte sammelt der Crossrunner schon vor der ersten Fahrt, weil Hebel, Schalter und Armaturen Honda-typisch gut in der Hand liegen. Auffällig ist das hoch oben im Cockpit untergebrachte, filigran gestaltete Display. Nett: Zum Ablesen muss man den Blick nur wenig senken. Nachteil: Die vielen kleinen Ziffern und Zahlen lassen sich im Sonnenlicht nicht besonders gut ablesen. Das gilt vor allem für den in langem Balkenbogen anzeigenden Drehzahlmesser.

Aber Drehzahlen soll man ja nicht unbedingt lesen müssen, die soll man spüren. Also Gang rein und auf in das fantastische Kurvenrevier am westlichen Rand von Mallorca. Die Gänge flutschen leicht und exakt, die Kupplung erfordert mäßige Hebelkräfte und ist gut dosierbar. Fein, wie direkt der V4 im unteren Drehzahlbereich anfasst. Er tuts notfalls schon mit 2000 Umdrehungen, richtig rund legt er bei 3000 los. Hmmh, ob die VFR auch schon diesen Schub von unten hatte? Wohl kaum, denn die Techniker haben sich viel Mühe gemacht, den Drehmomentverlauf des 800er-Motors zu glätten. Die 4in1-Auspuffanlage mit nur einem Katalysator dient diesem Zweck, verlängerte und dünnere Ansaugschnorchel in der Airbox ebenso. Die Drehmomentdelle der VFR um die 4000 Umdrehungen ist ausgebügelt, im Crossrunner legt der V4 ganz kontinuierlich bis über 6000 Umdrehungen zu.

Und genau dieser Bereich von 3000 bis 6000 Umdrehungen reicht für den spaßbetonten Alltagsbetrieb voll und ganz. Geschmeidig und kultiviert setzt der Vierzylinder ein, schiebt immer mit ordentlich Schmackes an. So kann man es in diesem wunderschönen Hügelland nördlich von Andratx ordentlich laufen lassen, Hondas frische Interpretation von Easy Going in vollen Zügen genießen. Nur minimale Vibrationen dringen bis in die Fußrasten durch, der Motor schnurrt im typischen V4-Rhythmus sonor und dezent. In dieses harmonische Bild fügt sich das sanft ansprechende Fahrwerk ein. Es reagiert sensibel auf minimalste Unebenheiten, planiert aber auch das grobe Flickwerk an der pittoresken nordwestlichen Küstenstraße ein. Die Federwege sind lang genug für übelste Huckelpisten, aber kurz genug, um enduromäßige Schaukeleien zu unterbinden. So schwingt der Crossrunner locker und lässig von einer Kurve zur nächsten, braucht dazu wenig Kraft am Lenker. Das Gewicht löst sich wie von Zauberhand auf, es bleibt der pure Spaß.

Wozu die extra für die neue Honda entwickelten Pirelli Scorpion Trail ihren Anteil beitragen. Sie sorgen dank speziell abgestimmter Kontur dafür, dass man den Lenker eigentlich eher zum Festhalten braucht, weniger zum Lenken. Ein paar überraschende Rutscher am Hinterrad zeigen jedoch, dass die Pirellis trotz unterschiedlicher Gummimischung an den Flanken und in der Mitte der Lauffläche keine Wunder vollbringen können. Das Geläuf hier ist tückisch, schwankt binnen weniger Meter zwischen rauer Griffigkeit und glattpolierter Schmierseife.

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Wie das gesamte Chassis stammt auch die Einarmschwinge unverändert von der 800er-VFR.

Sonne, tolle Straßen, ein nettes Mopped - Herz, was willst du mehr? Na ja, vielleicht es auf einem griffigen Streckenteil mal ein bisschen fliegen lassen? Wenn es rauf und runter geht, in allen erdenklichen Radien links oder rechts rum, dann kann einen schon mal der Hafer stechen. Also zwei Gänge runter gesteppt, und urplötzlich schreit der V4 auf, wandelt sich von Dr. Jekyll in Mr. Hyde. Wer jetzt genau hinschauen würde, könnte vielleicht die magische 7000 auf dem Drehzahlmesser erkennen, ab da geht der Punk ab. Und dann dreht der V4 fast endlos bis 12000/min. Keine Überraschung für den, der die VFR kennt. Auch bei der gab es schon diese zwei Seiten einer Medaille, einerseits der sanftmütige Charakter, andererseits die Gier nach Drehzahl. Technisch liegt das daran, dass die V-TEC-Ventilsteuerung hier schlagartig von Zwei- auf Vierventilbetrieb umschaltet. Zwar ist der Drehmomentanstieg am Umschaltpunkt beim Crossrunner ein wenig flacher als bei der VFR, zwar ist die Leistung im oberen Bereich um einige Pferdchen gestutzt, jedoch ändert das am immer wieder faszinierenden, plötzlichen Gesinnungswandel nichts. 102 PS in der Spitze sind sicher richtig dosiert, mehr Power würde den Charakter des 800ers vielleicht zu aggressiv machen.

Und auch wenn man den Stier bei den Hörnern packt, reagiert der Crossrunner immer gutmütig und kooperativ. Hohes Tempo zu gehen, braucht vergleichsweise wenig Einsatz und setzt den Fahrer nicht unter Stress. Und im Notfall kann man sich auf das bekannt gute, serienmäßige CBS-ABS - ebenfalls Erbe der VFR - voll und ganz verlassen, das gerade unter den schwierig-schmierigen Verhältnissen hier zuverlässig regelnd eingreift.

In seinem Segment ist der Crossrunner ein einzigartiges Motorrad mit einem ganz speziellen Antrieb, der zuletzt in der VFR ein unverdientes Mauerblümchendasein fristete. Im Newcomer wirkt er wieder taufrisch und äußerst attraktiv, zumal Honda den Verkaufspreis 2500 Euro unterhalb der Basismaschine positioniert hat. Ein Preisbrecher ist der Crossrunner in Relation zu Funbikes mit vergleichbarem Hubraum und ähnlicher Leistung sicher nicht. Doch wo sonst gibt es ein Funbike mit einem V4-Motor, der im Handumdrehen seinen Charakter ändern kann?

Technische Daten

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Im Rahmenheck geht es ganz offensichtlich eng zur Sache, Platz für ein Staufach bleibt da nicht.

Motor

Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 36 mm, geregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem, Lichtmaschine 386 W, Batterie 12 V/11 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 43:16.
Bohrung x Hub 72,0 x 48,0 mm
Hubraum 782 cm³
Nennleistung
74,9 kW (102 PS) bei 10000/minMax.
Drehmoment
73 Nm bei 9500/min

Fahrwerk

Brückenrahmen aus Aluminium, Telegabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Dreikolben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 256 mm, Dreikolben Schwimmsattel, Teilintegral-Bremssystem mit ABS.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17

Maße+Gewichte

Radstand 1464 mm, Lenkkopfwinkel 64,6 Grad, Nachlauf 96 mm, Federweg v/h 165/145 mm, Sitzhöhe 816 mm, Gewicht vollgetankt 238 kg, Tankinhalt 21,5 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Schwarz, Rot, Weiß
Preis 10790 Euro
Nebenkosten zirka 170 Euro

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