Fahrbericht: Kawasaki Versys 1000 (mit Video)
Kawasakis Allrounder nun mit großem Vierzylinder

Keine halben Sachen: Für die Versys gibt's nun die doppelte Ration - und zwar an Zylindern und (nahezu) an Leistung. Macht die neue, vielseitige 1000er auch doppelt so viel Spaß?

Kawasakis Allrounder nun mit großem Vierzylinder
Foto: Wright

Stampfende Einzylinder, polternde Zweizylinder oder heiser röhrende Dreizylinder - all diese Motorenkonzepte hatte bisher zur Auswahl, wer sich für einen Mix aus Funbike und komfortablem Alltagsbegleiter interessierte. Freunde eines seidenweich laufenden, starken Reihenvierzylinders schauten hier bisher in die Röhre. Kawasaki schließt nun diese vermeintliche Lücke mit der neuen Versys 1000, die den bekannten und hinlänglich gelobten (hier leicht modifizierten) Motor der Z 1000 im neuen Rahmen trägt.

Gut, Honda hat bereits mit dem Crossrunner ein ähnlich geartetes Bike mit V4 im Programm und wird demnächst mit dem Crosstourer noch einen draufsetzen, doch wird Letzterer deutlich schwerer und teurer sein, und der Erstgenannte kann mit dem 800er-V-TEC-Motor in Sachen Leistungscharakteristik sowie konsequenter Umsetzung des Konzepts nicht völlig überzeugen.

So ist denn als Hauptkonkurrentin eher die (gerade frisch überarbeitete) Triumph Tiger 1050 zu sehen, weniger hingegen die BMW R 1200 GS oder die Ducati Multistrada. Mit nur 15 Millimetern mehr Bodenfreiheit als die Z 1000, 17-Zoll-Gussrädern und Federwegen von nur 150 Millimetern vorn und hinten nähme man der Versys ernsthafte Enduro-Ambitionen ja auch kaum ab. Ein reisetaugliches Funbike also?

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Für Spaß sorgt schon alleine der neu abgestimmte Vierzylinder. Schiere Höchstleistung ist hier nicht gefragt, 118 statt der ursprünglichen 138 PS genügen vollkommen. Die Änderungen sollten vielmehr für noch mehr Druck im unteren und mittleren Drehzahlbereich sorgen, ihre Höchstleistung erreicht die Versys bereits bei 9000 Touren. Die Naked-Schwester liefert ihre 138 PS bei 9600/min ab und dreht gar munter bis in den fünfstelligen Bereich. Doch beginnen wir von vorn, bei der ersten Begegnung mit der Neuen. Gar nicht so wuchtig wie erwartet wirkt die 1000er, die Proportionen stimmen, der Vierzylinder erscheint gut integriert. Auch die 845 Millimeter Sitzhöhe mag man beim ersten Anblick kaum glauben, und sie erweisen sich auch beim Aufsitzen keineswegs als hinderlich. Selbst mittelgroße Fahrer erreichen dank der im Tankbereich geschickt schmal geschnittenen Sitzbank recht gut den Boden.

Der neue Rahmen erlaubt einen entsprechend taillierten Tank und somit guten Knieschluss. Die neue, fünfteilige Rahmenkonstruktion, die den Motor als tragendes Element integriert, besteht aus zwei über dem Motor verlaufenden Hauptrahmen-Elementen, dem Lenkkopfschaft und zwei seitlich den Motor umspannen-den Querstreben. Alles aus Alu, versteht sich, im Gegensatz zum stabilen Heckrahmen (Stahl), welcher die hohe Zuladung von 220 Kilogramm ermöglicht. Genug für die Beladung mit Sozius und optionalem Koffersystem samt Topcase. Die üppig, jedoch nicht schwammig gepolsterte Sitzbank bietet dem Fahrer den Sitzkomfort, den dieser von einem auch auf Tourentauglichkeit ausgelegten Bike erwartet und sorgt zusammen mit den im Gegensatz zur Z 1000 tiefer und weiter vorn platzierten Rasten und dem angenehm breiten, nicht zu hoch montierten Lenker für ein äußerst gefälliges Sitzarrangement.

Wright
Der Kurztest nach Platztausch beweist: Auch Hinterbänkler reisen bequem.

Gewohnt spontan startet der Vierzylinder auf Knopfdruck, gibt trotz Verwendung nur eines Endschalldämpfers einen sehr dezenten Vierzylindersound von sich. Der Single-Endtopf wurde möglich und konnte gar relativ kompakt gehalten werden, weil ein opulenter Vorschalldämpfer unter dem Motor die Hauptaufgabe übernimmt und zudem zur Zentralisierung der Massen beiträgt. Das nach oben verlegte, samt Umlenkhebel oberhalb der Schwinge platzierte Federbein hat den dafür erforderlichen Platz geräumt. Doch nun los. Der nicht einstellbare Kupplungshebel erfordert kaum Handkraft. Erster Gang rein, bullig zieht der Vierer ab Standgas los, stürmt energisch zupackend durchs Drehzahlband - die versprochene Erstarkung im unteren Bereich erscheint sehr glaubhaft. Dieser Effekt wird beim Losfahren noch verstärkt durch die kürzer ausgelegten ersten beiden Gänge; die Stufen drei bis sechs sind länger übersetzt als bei der Z 1000.

Angenehm sanft, aber dennoch spontan packt der Vierer auf Gasbefehl zu, der kultivierte Lauf wird lediglich durch spürbare Vibrationen um 6000 bis 6500/min etwas getrübt. Liegt die Ursache in der (bis auf eine Gummilagerung) vollständig starren Verschraubung des Motors im Rahmen? Dem Spaß am Ausschöpfen der Leistung tut dies kaum Abbruch, zumal der 118-PS-Motor auch in der unkastrierten Full-Power-Einstellung kein garstig zupackendes Biest ist. Wer sich dennoch überfordert fühlt oder auf Nummer sicher gehen will, kann per Drucktaste vom Lenker aus sowohl die Leistung von Full auf Low reduzieren, als auch die Traktionskontrolle auf Stufe drei stellen, was das Gasgeben bei widrigen Fahrbahnbeschaffenheiten zur sorgenfreien Angelegenheit macht. In dieser Low-Power-Position stellt der Motor nämlich nur noch etwa 70 Prozent der Leistung zur Verfügung und geht spürbar zurückhaltender ans Gas, wirkt im mittleren Bereich deutlich zäher und lässt echte Drehfreude ganz oben vermissen.

Im Grunde eine entbehrliche Option. Die baugleich auch in der neuen ZZR 1400 verwendete (auch ganz abschaltbare) Traktionskontrolle KTRC hingegen macht vor allem in Position drei richtig Sinn. Während die Stufen eins und zwei zugunsten maximalen Vortriebs nur dezent und sehr spät (im normalen Fahrbetrieb höchst selten) eingreifen, schaltet Stufe drei nach der alle fünf Millisekunden erfolgen-den Abfrage der vier Parameter Schlupf (Abgleich Vorder- und Hinterraddrehzahl), Motordrehzahl, Fahrdynamik und Fahrer-Input bei gemeldetem Schlupf auf Dreiwege-Steuerung um. Hierbei werden nun Zündzeitpunkt, Spritzufuhr und Ansaugluft nachgeregelt und die Motorleistung dadurch so weit reduziert, bis das Hinterrad wieder Traktion hat. Ein forcierter Start auf einem sandigen Parkplatz zeigt, dass das System schnell und zuverlässig regelt, spürbar nur in Form eines verhalteneren Vortriebs als erwartet. Genutzt werden hierbei übrigens die ohnehin schon vorhandenen Sensoren des Bosch-ABS der neuesten Generation, wie es auch die aktuelle ZX-10R besitzt. Erwartungsgemäß erfolgt denn auch die Blockierverhinderung tadellos, mit schnellen, feinen und kaum spürbaren Regelvorgängen, die hart an der Blockiergrenze entlangführen und so hohe Verzögerungswerte ermöglichen. Dazu muss allerdings der Bremshebel mit etwas Nachdruck betätigt werden. Die gut dosierbaren Stopper der Versys bauen auf „gewöhnliche“ (nicht wie bei der Z 1000 radial verschraubte) Vierkolbensättel, die nicht zu bissig agieren, aber dennoch sehr ordentliche Wirkung zeigen. Gut so. Es muss schließlich nicht jeder kleinste Zug am Hebel die Gabel komplett in die Knie zwingen.

Wright
Die Scheibe lässt sich nach Lösen zweier Drehknöpfe stufenlos um 30 Millimeter verstellen.

Die mächtige, lediglich in Vorspannung und Zugstufendämpfung einstellbare 43er-Upside-down-Gabel bietet ein neu-artiges, aufwendiges Innenleben, welches das Dämpfungsverhalten beim Wechsel von Ein- in Ausfedern verbessern soll. In der Praxis funktionieren die eher sportlich-straff als schwammig agierenden Federelemente gut und stecken auch fiese Schlaglöcher weg, höchstens auf Waschbrettpisten wünscht man sich ein etwas sensibleres Ansprechverhalten der Gabel.

Überraschend gut gelungen ist das Handling des immerhin 239 Kilogramm schweren Fun-Tourers. Die Versys lenkt sehr leicht ein, fällt spielerisch in Schräglage und bleibt recht neutral in Kurven. Hier kommen die Funbike-Gene zum Tragen; die montierten Pirelli Scorpion Trail unterstützen diese mit tollem Grip und neutralem Kurvenverhalten. Der lange Radstand von 1520 mm und der flache Lenkkopfwinkel von 63 Grad (Z 1000: 1440 mm und 65,5 Grad) zielen ja eigentlich auf stabileren Geradeauslauf ab, den die Versys denn auch bei kurzzeitig möglichen 235 km/h unter Beweis stellt. Selbst der Windschutz der manuell verstellbaren Scheibe geht mehr als in Ordnung und entlastet Kopf und Oberkörper weitgehend. Deutlich entlastet wird auch der Geldbeutel künftiger Versys-Käufer, um exakt 11995 Euro. Aber wo sonst gibt es schließlich ein so komfortables Funbike mit bulligem Vierzylinder?

Technische Daten

Wright
Druck von unten: Der Versys-Motor sieht seine Bestimmung nicht in hohen Drehzahlen.

Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 38 mm, geregelter Katalysator, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.
Bohrung x Hub 77,0 x 56,0 mm
Hubraum 1043 cm³
Nennleistung 86,8 kW (118 PS) bei 9000/min
Max. Drehmoment 102 Nm bei 7700/min

Fahrwerk
Doppelrohrrahmen aus Aluminium, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 250 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, elektronische Schlupfkontrolle.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17

Maße+Gewichte
Radstand 1520 mm, Sitzhöhe 845 mm, Gewicht vollgetankt 239 kg, Tankinhalt 21 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Braun, Weiß
Preis 11995 Euro
Nebenkosten zirka 180 Euro

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023