Motus MST-R - Der Amerikanischer Vierzylinder

Fahrbericht Motus MST-R Der Amerikanischer Vierzylinder im Test

Die Motus MST-R ist nicht nur der erste Vierzylinder rein amerikanischer Herkunft der Nachkriegszeit. Ihr V4 zitiert die amerikanische Big-Block-Tradition und bringt erstmals die Direkteinspritzung in Serie.

Der Amerikanischer Vierzylinder im Test Wing

Es ist der Motor, der den Charakter eines Bikes prägt. Er ist seine Seele, Wahrzeichen einer Marke. Heutzutage ist es nicht leicht für einen neuen Hersteller, ein eigenständiges Konzept zu entwerfen.

"Keine Ahnung, wie viele Skizzen ich gemacht habe, bis mir die Idee zu diesem Motor kam", grinst verschmitzt auch Brian Case, der bereits die Entwicklung der Confederate Wraith geleitet hat. Er und Lee Conn sind die Köpfe von Motus. Das Ergebnis ihrer Überlegungen: ein Sprössling der legendären amerikanischen V8-Kultur.

Ein 90-Grad-V4 mit 1,6 Litern Hubraum, längs eingebaut und um 15 Grad nach vorne geneigt. Zwei Ventile pro Zylinder, Stoßstangen und Hydrostößel, das genügt für 161 niedertourige PS. Auch was seinen Klang angeht. Detroit lässt grüßen. Brabbelt dank 75 Grad Hubzapfenversatz und der unkonventionellen 1-4-3-2-Zündfolge je nach Last und Drehzahl aus den Two-Brothers-Endtöpfen wie eine Ducati oder eben wie ein halber Chevy-V8. Vor allem aber ist dies im Motorradbereich der erste Serienviertakter mit Direkt-einspritzung.

Kompletten Artikel kaufen
Fahrbericht Motus MST-R Der Amerikanischer Vierzylinder im Test
Sie erhalten den kompletten Artikel (4 Seiten) als PDF

In den Sattel schwingen, schon folgt die nächste Überraschung: die Sitzposition. Man merkt sofort, da waren Leute am Werk, die selbst Motorrad fahren. Die Motus besitzt eine unglaublich ausgewogene, angenehme Sitzposition. Niedrige Fußrasten, relativ flache, in Höhe, Neigung und Lage einstellbare Lenkerhälften und ein wohlausgeformtes Sitzpolster. Komfortabel, aber schmal, wo es darauf ankommt: am Übergang zum Tank. Extrem lässig, das Ganze.

Und nicht nur das. Die Testfahrt mit dem Prototyp führt weg von Laguna Seca und der Pazifik-Küste. Ein verschlungener Highway windet sich innerhalb von 16 Kilometern auf 700 Meter hinauf. Und bereits nach wenigen Kurven kratzen die Rasten auf dem Asphalt. Das wird - gute Vorsätze hin oder her - unweigerlich passieren, denn die Motus ist ein Sportler im Tourendress, ein Maserati Quattroporte due Ruote. Sie verlangt förmlich danach, flott bewegt zu werden. Die gefahrene, edler ausgestattete MST-R profitiert dabei freilich auch von ihren leichten Schmiederädern. Die Basisversion MST wird Gussräder tragen, nicht aber die extrem bissigen Brembo-Monobloc-Zangen.

Wing
Brian Case und Lee Conn sind stolz auf ihr Werk und im Zeitplan.

Selbstverständlich, intuitiv lässt sie sich abwinkeln, zielsicher trifft sie in die Kurven, dazu scheint sie ausgesprochen fein ausbalanciert. Und das, obwohl sie hinten auf einem 190er-Reifen rollt, den sie eigentlich gar nicht nötig hätte - außer für die Show vielleicht. Mit einem völlig ausreichenden 180er würde sie sicher noch williger um die Ecken gehen. Die Öhlins-Federelemente, die sowohl MST als auch MST-R schmücken werden, erweisen sich als ausgesprochen schluckfreudig und spenden bei aller Stabilität mehr Komfort, als man es von einem Sportler erwarten würde.

Für eine weitere Überraschung sorgt der Motor. Zunächst im Stand. Natürlich ist da bei Gasstößen dieses Kippmoment, das man von Guzzis und BMWs kennt und das die Fuhre zur Seite neigt. Doch sobald ein Gang eingelegt ist, ist dieses Phänomen verschwunden, dank einer geschickten Auslegung der beiden gegenläufig rotierenden Ausgleichs- und Getriebewellen. Die Ausgleichswellen sorgen übrigens auch für einen absolut vibrationsfreien Lauf, sieht man einmal von einem winzigen Kribbeln bei 7000/min ab. Darunter aber ist nichts, völlige Ruhe. Und da bei 7800/min ohnehin der Begrenzer wartet, ist das wirklich vernachlässigbar. Zumal es eine Lust ist, den V4 mittels der ersten vier Gänge immer in seinem Wohlfühlbereich zwischen 3000 und 6500/min zu halten.

Bei 4500/min erreicht die Drehmoment-Woge mit 165 Newtonmeter ihren Zenit. Auf ihr lässt es sich vor allem in den als Overdrive ausgelegten Gangstufen Fünf und Sechs trefflich surfen. Ein Zahnriemenantrieb am Hinterrad hätte ihrer Wucht auf Dauer nicht standgehalten. Ein Kardan kam aus Gewichtsgründen nicht infrage - die MST sollte schließlich in ihrer Klasse die Leichteste werden.

Angestrebt ist ein Trockengewicht von 213 Kilogramm inklusive der serienmäßigen Koffer. Deshalb sorgt eine Kette dafür, dass die Kraft am Hinterrad ankommt. Für das Spannen der Kette kam keine Billiglösung infrage. Solide Exzenter wie bei der Kawasaki Z 1000 sorgen dafür, dass dies exakt und mit geringem Aufwand vonstattengeht. Die Abstimmung der Direkteinspritzung hinterließ bei der Fahrt mit dem Prototyp bereits einen guten Eindruck. Mit extrem hohem Arbeitsdruck von 100 bar schießt sie den Treibstoff direkt in die Brennräume. Der auf diese Weise enorm fein zerstäubte Sprit sorgt dabei für bessere Leistungsausbeute und Schadstoffwerte.

Lediglich der vernehmliche Ruck, wenn nach einer Rollphase die Drosselklappen erstmals wieder geöffnet werden, zeigt, dass beim Mapping noch Bedarf für etwas Feinabstimmung besteht. Aber das sollte machbar sein.

Wing
Ein ausgezeichneter Kilometerfresser. Komfortabel, kräftig, kultiviert. Und wenn’s drauf ankommt, auch gierig auf Kurven. Eine appetitanregende Mischung.

Etwas mehr Augenmerk sollte dagegen auf die hohen Handkräfte der Kupplung gelegt werden. Sie malträtiert vor allem im Stadtverkehr den Unterarm wie weiland die Ducati-Trockenkupplungen in ihren besten Tagen. Und die präzise, aber doch etwas knochige Schaltarbeit könnte noch etwas geschmeidiger vonstattengehen.

Ansonsten aber präsentiert sich die MST bereits jetzt als ausgesprochen wendiger, komfortabler Begleiter, ob für den sportlichen Kurztrip oder zum Kilometerfressen. Denn auch die Verkleidung, bei der ein KTM-Scheinwerfer die Nacht erhellt, mit ihrer vierfach verstellbaren Scheibe, leitet den Fahrtwind ausgezeichnet um den Piloten herum. Brian Case und Lee Conn sind jedenfalls sehr zufrieden mit dem Stand, den ihre Entwicklung bereits erreicht hat. Mitte 2012 soll der Verkauf anlaufen. Auch in Deutschland. Bis dahin soll hier ein Händlernetz aufgebaut sein. Die Zeichen für einen erfolgreichen Start stehen jedenfalls nach der ersten Kontaktaufnahme recht gut.

Technische Daten

Wing
Exzenter für einfaches Kettespannen, Carbon-Endtöpfe für das Ohr.

Motor
Wassergekühlter 90-Grad-Vierzylinder-Viertakt-V-Motor, eine  kettengetriebene Nockenwelle,  Stoßstangen, zwei Ventile pro Zylinder, Direkteinspritzung, geregelter Katalysator, Sechsganggetriebe, Kette.
Bohrung x Hub 86,5 x 70,0 mm
Hubraum 1645 cm³
Nennleistung 161 PS (118 KW) bei 7800/min
Max. Drehmoment 165 Nm bei 4500/min

Fahrwerk
Stahl-Gitterrohrrahmen, Up-side-down-Gabel, Ø 43 mm voll einstellbar, Zentralfederbein mit Hebelumlenkung voll einstellbar, Lenkkopfwinkel 64 Grad, Nachlauf 102 mm, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 200 mm, Doppelkolben-Festsattel.
Aluminium-Schmiederäder
3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70-17; 190/55-17

Maße+Gewichte
Radstand 1475 mm
Sitzhöhe 790/813 (optional) mm
Trockengewicht 213 kg
Tankinhalt 22,7 Liter
Preis steht noch nicht fest

Hersteller
Motus Motorcycles Inc., USA
www.motusmotorcycles.com

Zur Startseite
Mehr zum Thema Tourer
Triumph Tiger Sport 660 Top-Test
Tourer
Honda NT 1100 2022
Tourer
Podcast MOTORRAD RIDE Folge 6
Reisen
Dauertest Honda Gold Wing GL 1800
Tourer
Mehr anzeigen