Honda bringt die VFR 1200 F in einer Version mit Doppelkupplungsgetriebe auf den Markt. Ohne Kupplungs- und Schalthebel, denn gekuppelt wird automatisch, die Gänge wechseln wahlweise automatisch oder per Knopfdruck. MOTORRAD wagte sich in die neu gestaltete Schaltzentrale.
Nein, jetzt kein Griff zum Kupplungshebel. Der fehlt sowieso. Einfach den Starterknopf drücken, für einen Moment das V4-Pulsen genießen und den benachbarten Wippschalter am rechten Lenkerende mit dem Daumen nach links schieben. Mit einem gedämpften Ruck legt ein Elektromotor den ersten Gang ein. Dann vorsichtig Gas geben. Sie fährt. Probehalber ein enger Kreis im Schritttempo mit der Lenkung am Anschlag - die Kupplung wird von der Elektronik tadellos dosiert, die Balanceübung gelingt sturz- und blamagefrei. Geschmeidig fädeln sich VFR und Fahrer in den fließenden Verkehr.

Vor der ersten roten Ampel greift die Linke unwillkürlich ins Leere, und das passiert vielleicht noch ein, zwei weitere Male im Lauf eines Fahrtages, doch die enge Wende gleich zu Anfang hatte als vertrauensbildende Maßnahme Erfolg. Was die beiden Kupplungen der DCT (double clutch transmission) computergesteuert und öldruckbetätigt anstellen, das geht in Ordnung. Der Fahrer kann und sollte sich - im Fall des Autors nach 33 Jahren Kupplungsarbeit - ganz dem Erlernen neuer Fingerspiele, also der intuitiven Bedienung des innovativen Getriebes widmen.
Neben dem manuellen Modus, bei dem mit dem Zeigefinger der linken Hand hoch - und mit dem linken Daumen herunter - geschaltet wird, bietet es zwei Automatikmodi, nämlich D und S. Sie werden mit dem rechten Daumen angewählt und unterscheiden sich in ihrem Schaltverhalten. Im D-Modus lässt die Elektronik möglichst früh hochschalten, um die Drehzahl zu senken und Benzin zu sparen.
Entsprechend spät wird beim Verzögern zurückgeschaltet. Im S-Modus wählt die Elektronik erst bei höheren Drehzahlen den nächsten Gang und schaltet beim Verzögern früher zurück, unterstützt also sportliche Fahrweise. Dank selbstlernender Software sind die Schwellen nicht starr, sondern berücksichtigen auch das Verhalten des Fahrers.
Je mehr Gas er gibt, desto höher dreht das System den Motor aus, auch im D-Modus. Bei Vollgas wird der Motor in beiden Modi bis an den roten Bereich gedreht. Sollte zuvor bereits der sechste Gang eingelegt gewesen sein, lässt die Elektronik zunächst einen Gang zurückschalten, wartet kurz ab, um bei weiter bestehender voller Öffnung der Klappen nochmals zurückzuschalten, bis der Gang erreicht ist, der bei der augenblicklichen Geschwindigkeit volle Beschleunigung ermöglicht. Vergleichbar dem Kickdown herkömmlicher Automatikgetriebe.
Das DCT

Mit denen hat die Honda-DCT zwar den Bedienkomfort und die ruckfreie Schaltarbeit gemein, nicht aber die indirekte Reaktion aufs Gasgeben. Im Kern ist DCT nämlich ein mechanisches Getriebe mit perfektem Kraftschluss. Nur eben mit zwei ineinander laufenden Eingangswellen für die ungeraden und geraden Gänge sowie je einer Kupplung. Beim Gangwechsel wird die nächste Fahrstufe auf der gerade inaktiven Welle eingelegt, dann trennt die eine und greift die andere Kupplung. Wenn der Fahrer Gas gibt, geht es also sofort vorwärts, mit nicht mehr Verzögerung als die wenigen Zehntelmillimeter Zahnflankenspiel des Antriebsstrangs und die Elastizität der Kardanwelle bedingen.
Was freilich auch bedeutet, dass man das Gas immer noch selbst gefühlvoll dosieren muss, um einen geschmeidigen Lastwechsel zu schaffen. Alle ihre Vorteile eröffnet die DCT demjenigen, der es gelernt hat, virtuos zwischen den drei Betriebsarten hin und her zu wechseln. Etwa so: gut ausgebaute Landstraße, erlaubte Geschwindigkeiten 70 oder 100 km/h, Automatikmodus D, sechster Gang. Hinter einer Kuppe ein LKW, der mühsam beschleunigt. Der VFR-Pilot tippt dreimal mit dem linken Daumen auf die Minus-Taste, das System wechselt sofort in den manuellen Modus und schaltet dreimal zurück.
Nach zügigem Überholvorhang zieht er mit dem rechten Zeigefinger kurz am MT/AT-Wählhebel und reaktiviert so die Automatik, Modus D, die alsbald wieder in den Sechsten hinaufschaltet.
Hier das Video von der Präsentation der neuen VFR:
Einschränkungen des DCT

Einzige Einschränkung: Es ist nicht möglich, mit drei ganz schnellen Tastendrückern herunterzuschalten, wie es die Formel-1-Piloten in eindrucksvollen On-board-Aufnahmen vorführen. Stets benötigt das System für einmal Zurückschalten plus Einrücken der Kupplung eine halbe Sekunde und diese Frist gilt es auch im manuellen Betrieb einzuhalten, sonst wird der Schaltbefehl ignoriert. Trotzdem läuft der Vorgang schneller ab als mit einem konventionellen Getriebe. Nicht zuletzt bringt die DCT beim Zurückschalten und gleichzeitigen Einlenken einen großen Sicherheitsgewinn, weil automatisch aktiviertes Zwischengas und die sanfte Kupplungsbetätigung abruptes Einsetzen des Motorbremsmoments am Hinterrad und damit Rutscher verhindern. Auch erlaubt es nicht, versehentlich zu weit, also direkt in den Drehzahlbegrenzer herunterzuschalten.

Das innovative Getriebe bietet also fraglos eine Menge Vorteile, sei es in Sachen Komfort auf Lang- und Kurzstrecke, sei es bei der Sicherheit oder beim sportlichen Fahren. Rund 1300 Euro Aufpreis (der genaue Betrag steht noch nicht fest) und zehn Kilogramm Mehrgewicht sind ebenfalls keine gravierenden Nachteile angesichts dessen, was eine Standard-VFR kostet und wiegt. Ein Handlingnachteil der DCT-Version war nicht zu spüren, und da das zulässige Gesamtgewicht aufgestockt wurde, bleibt sogar die Zuladung erhalten.
Technische Daten
Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-76-Grad-V-Motor, je eine obenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, Rollenkipphebel und Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 44 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 570 W, Batterie 12 V/12 Ah, Doppelkupplung, Sechsganggetriebe, Kardan, Sekundärübersetzung 2,699.
Bohrung x Hub 81,0 x 60,0 mm
Hubraum 1237 cm³
Nennleistung 127,0 kW (173 PS) bei 10000/min
Max. Drehmoment 129 Nm bei 8750/min
Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Sechskolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 276 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Teilintegral-Bremssystem mit ABS.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Maße+Gewichte
Radstand 1545 mm, Lenkkopfwinkel 64,5 Grad, Nachlauf 101 mm, Federweg v/h 120/130 mm, Sitzhöhe 815 mm, Gewicht vollgetankt zirka 278 kg, Zuladung 195 kg, Tankinhalt 18,5 Liter.
Garantie drei Jahre
Farben Rot, Silber, Weiss
Preis inkl. Nk zirka 17900 Euro