Nach Reiseenduro und Cruiser strickt Honda mit der NT 1100 nun ein reinrassiges Tourenmotorrad um den 1100er-Reihentwin herum. Ein Genre, das bei Honda große Tradition, aber im Jahre 2021 wenig Marktbedeutung hat. Schauen wir mal.
Nach Reiseenduro und Cruiser strickt Honda mit der NT 1100 nun ein reinrassiges Tourenmotorrad um den 1100er-Reihentwin herum. Ein Genre, das bei Honda große Tradition, aber im Jahre 2021 wenig Marktbedeutung hat. Schauen wir mal.
Was haben wir also da mit der Honda NT 1100 vor uns? Jedenfalls nicht die knackig luftige CB4X, die Honda auf der EICMA 2019 stehen hatte und die seitdem wilde Spekulationen um ein Straßenmotorrad auf Basis des 1100er-Twin ausgelöst hatte. Dafür aber einen reinrassigen Tourer im Geiste der milden wie seligen CBF 1000. Den technischen Backbone liefert die Africa Twin, und zwar großzügig. Der Doppelschleifenrahmen aus Stahl sowie der besagte Twin wurden minimal überarbeitet und auf ein reines Straßenfahrwerk von Showa gestellt. Zusammen mit ordentlich (Fern-)Reiseequipment ergibt das ein neues, eigenständiges Motorrad. Nur die mit 150 Millimeter vergleichsweise großzügigen Federwege erinnern vage an die Gelände-Genese, die moderaten 820 Millimeter Sitzhöhe hingegen gar nicht.
Die Genretreue der Honda NT 1100 erscheint angesichts ihrer Featureliste ernsthaft: Kofferset, Tempomat, Heizgriffe, verstellbarer Windschutz, Elektronikvollkasko, Infotainmentvollversorgung und sogar der heilige Gral des Reisemotorrads – der Hauptständer – sind immer an Bord. Extra-Stoff für Hardcore-Traveller (Top Case, Komfortsitzbank, Komfortsoziusrasten, Tankrucksack, Nebelscheinwerfer) gibt es selbstredlich gegen Aufpreis, hübsch gebündelt in drei Ausstattungspakete, die passenderweise URBAN, TOURING und TRAVEL heißen. Natürlich steht auch das Doppelkupplungsgetriebe DCT zur Verfügung. Wo, wenn nicht hier sollte man sowas einbauen?
Guter Wind- und Wetterschutz
Also ab auf die leider stark verregneten Straßen rund um Tarragona in Spanien. Realistische Grand Tour-Testbedingungen, quasi. Dabei fällt zweierlei schnell auf. Da wäre zum einen der wirklich gute Schutz vor Wind und Wetter auf der Honda NT 1100. Wer den Windschild – leider nur im Stand – in die höchste von fünf Positionen schiebt und nicht viel größer als 1,80 Meter ist, genießt vom Scheitel bis zur Sohle umfänglichen Schutz, auch dank auslandender Verkleidung und ausgeklügelter Windabweiser.
Zum anderen fährt die Honda durch den Regen als wäre er nicht existent. Ihre Roadtec 01-Gummis von Metzeler bieten phänomenalen Nassgrip und erlauben flotten wie sicheren Badespaß, auch beim engagierten Tempo, das bei Pressevorstellungen üblicherweise herrscht. Selbst wenn man die Traktionskontrolle maximal scharf stellt, bleibt sie weitestgehend arbeitslos und der Fahrer damit stresslos.
Neben diesen beiden Schlüsselqualifikationen tragen viele weitere Qualitäten der Honda NT 1100 zur Stresslosigkeit bei. Beispielsweise ist man generell mehr als kommod untergebracht. Alle Abstände passen markentypisch auf Anhieb, nirgends zwickt es und spätestens mit der optionalen Komfortsitzbank kann man gefühlt ans Ende der Welt wummern. Die Originalbank ist kein Folterstuhl, aber deutlich kantiger und härter gestaltet. Auch der sanft pulsierende, linear schiebende und bis 6.000 Umdrehungen vibrationsfrei laufende Motor, der auch im sportlichsten der drei nicht sehr sportlichen Fahrmodi TOUR direkt, aber angenehm am Gas hängt, reguliert den Ruhepuls effektiv. Gleiches gilt für das komfortabel und neutral abgestimmte Fahrwerk, das dem 250 Kilogramm-Motorrad ein angenehmes Maß an Beweglichkeit verleiht, ohne die gerade in diesen Gefilden hochgeschätzte Stabilität zu opfern. Richtig entspannend wirkt aber allem voran das optionale DCT-Getriebe: Fährt sanft an, wechselt fast unmerklich die Gänge und wirkt wie für diese Art Motorrad gemacht. Im D-Modus agiert es aber nichtsdestotrotz etwas zu trantütig und niedertourig. Zum Glück gibt es noch drei S-Modi, von denen der erste deutlich mehr Leben in die Bude bringt, ohne unnötige Hektik zu verbreiten. Und zum Glück lässt sich das DCT unabhängig von den Fahrmodi konfigurieren, da sollte jeder seine Erfüllung finden, was den Antriebskomfort angeht.
Koffer minimal zu schmal
Nichts zu meckern? Doch, doch,… ein bisschen was gibt es. Zum Beispiel den seltenen Fall einer Gabel, die etwas unsensibler auf kleine Unebenheiten anspricht als das superb schluckende Federbein. Oder die von anderen großen Hondas bekannte Bedienbarkeit von Touchscreen und Elektronik, die – gelinde gesagt – etwas sperrig ist. Ärgerlich, aber nicht kriegsentscheidend. Anders bei den serienmäßigen Koffern. Diese sind erfreulich schmal, wodurch aber leider auch kein Helm mehr in die Koffer passt, was in Tourerkreisen so beliebt sein dürfte wie ein positiver Corona-Test. Größe XS klappt mit Presspassung, darüber: keine Chance. "Leider" muss man sagen, denn nur wenige Zentimeter mehr Breite würden dieses Problem lösen. Modellpflege, ick hör dir trapsen…
Die Honda NT 1100 ist voraussichtlich ab Februar 2022 im Handel erhältlich und kostet 13.899 Euro inklusive Nebenkosten. Das DCT kostet 1.000 Euro Aufpreis.