Aprilia RS 660 Factory: Zweizylinder-Werksrenner im ersten PS-Test

Aprilia RS 660 Factory im ersten PS-Test
Zweizylinder-Werksrenner – die vergoldete Mitte?

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Veröffentlicht am 26.06.2025

Im Gegensatz zur schon länger verfügbaren Tuono 660 Factory, welche lediglich die bessere Ausstattung sowie den 100-PS-Motor der Basis-RS-660 erhielt, kommt die Factory-Variante der RS 660 jetzt also mit einem Fahrwerk von Öhlins als Aufwertung. Alle RS 660, ausgenommen die A2-Varianten, erhalten dank größerem Drosselklappenkörper (52 mm statt 48 mm) statt 100 PS Nennleistung deren 105 sowie eine neue, aerodynamisch optimierte Verkleidung mit kecker Winglet-Front.

Aprilia RS 660 ab 2025 mit 105 PS

Aprilia hat zudem die schon vorher sehr umfassende Elektronik der RS 660 überarbeitet und verspricht dank neu gezeichneter Sitzbank deutlich bessere Bewegungsfreiheit. So weit die 2025er-Modell-Updates, wie sie auch bei dieser von uns bereits in Modena gefahrenen Factory-Variante von Belang sind.

Erster Rennstrecken-Test in Modena

Modena: keine schnelle, aber eine als sehr flüssige, technisch und konditionell ziemlich fordernd beschriebene Piste – die ideale Spielwiese für ein solches Motorrad, hieß es. Deshalb: Attacke! Nach wie vor liegen die Lenkerstummel der Aprilia RS 660 eher moderat hoch, stellen die Ellbogen aber in eine angriffslustige Position. Dazu hohe Rasten, hohe Sitzbank und die ziemlich sicher drahtigste Taille aller Mehrzylinder-Motorräder überhaupt.

Jockey-Racer nach Tradition der RS 250

Die zierlich-kompakte Aprilia RS 660 war und bleibt ein Jockey-Hobel vor dem Herrn in bester RS-250-Manier. Dabei vermeidet sie im Sinne gesunder Rest-Alltagstauglichkeit aber geschickt die ärgsten Foltermethoden. In der Tat beengt die Sitzbank nun nicht mehr nach hinten, was beim Verkriechen hinter der Kanzel hilft und Fahrer über 1,75 Meter generell freuen dürfte. Smarte Sportlichkeit – diese Ergonomie überzeugt.

5 PS mehr auch für die neue Factory-Variante

Die 5 PS Mehrleistung der Aprilia RS 660 und Factory dürften als Kaufgrund kaum ins Gewicht fallen. Wobei wir nicht versäumen wollen, die beachtliche spezifische Leistung zu würdigen, denn immerhin werden pro Liter Hubraum die gleichen 160 PS erreicht wie einst bei einer Ducati Panigale 1299. Seine Zweizylindrigkeit verhilft dem Aprilia-Motor zwar – verglichen etwa mit einem 600er-Screamer – zu einem guten Durchzugsvermögen, die Blüte hat der 660er aber im letzten Drehzahldrittel, wo er freudig und unter kernigem Röhren erstaunlichen Vortrieb freisetzt.

Nur 185 Kilo fahrbereit

Angesichts von den nur rund 185 Kilo (fahrbereitem!) Gewicht der Aprilia RS 660 Factory reichlich Punch für eine Strecke wie diese, wo im Grunde der Zweier und Dreier und nur Start/Ziel der Vierer drin ist. Denn Modena hat es in sich. Zwei knallenge Wechselkurven, reichlich knifflige Linien und technische Schlüsselstellen, in denen du die halbe Runde versemmeln kannst, und keine Zeit zum Durchatmen. Doch die RS 660 Factory ist nicht weniger als das perfekte Motorrad, um eine solche fahrerische Challenge anzugehen – ein lupenreines Präzisionsgerät.

Öhlins-Fahrwerk für die Aprilia RS 660 Factory

Das Öhlins-Fahrwerk der Aprilia RS 660 Factory ist dabei der Schlüssel – genauer gesagt das letzte fehlende Puzzleteil, das der schon immer guten RS 660 zu solcher Genialität gefehlt hatte. Schließlich waren das durchwachsene Ansprechverhalten der Gabel und des direkt angelenkten Federbeins bis dato die zentralen, höhere Weihen vereitelnden Kritikpunkte. Ausgemerzt: Kontrolliertere Dämpfung und deutlich "smootheres" Ansprechen begünstigen Fahrstabilität, Lenkpräzision und Rückmeldung wesentlich. Handlichkeit und Neutralität der vollkommen behänden 660er waren ohnehin schon über alle Zweifel erhaben.

Next-Generation-Sport-Motorräder

Unterm Strich wird der Fahr- und Bewegungsapparat der Aprilia RS 660 Factory in dieser Leistungsklasse und bis zu den 120-PS-Supersportlern sicher keine Gegner kennen. Das Teil könnte damit sogar in der Liga der "Next Generation", entsprechende Strecke vorausgesetzt, für Furore sorgen. Denn anders als andere Motorräder mit rund 100 PS verfügt die Aprilia auch über eine stattliche Bremsanlage und uneingeschränkt renntaugliche Elektronik.

Bissige Radial-Bremsen von Brembo

So haben die Brembo-Bremsen der Aprilia RS 660 Factory (320er-Doppelscheibe vorn, Zangen und Pumpe radial) locker das Format für 150 PS. Hier lassen Biss und Dosierbarkeit keine Wünsche offen. Kräftiges Verzögern bis tief in den Kurvenscheitel ging uns nie leichter von der Hand. Höchstwahrscheinlich hat die Tatsache, dass man, weil nicht durch die Wucht von 200 PS ausgelaugt, noch Kraft in den Gliedern und Rechenleistung in der Birne übrig hat, einen gewaltigen Teil dazu beigetragen.

High-End-Elektronik funktioniert erstklassig

Beinahe noch überbordender fällt das Elektronikbesteck der Aprilia RS 660 Factory aus: Schräglagensensible Fahrhilfen, zig Modi, gleich zwei davon eigens für die Rennstrecke appliziert, einstellbares ABS, feine Traktionskontrolle, Quickshifter, einstellbares Motorbremsmoment, separate Wheelie Control, Tempomat (nein! Pit-Limiter!) und jetzt auch Launch Control schlagen formal schon manches High-End-Superbike. Vor allem ist auch die tatsächliche Funktion erstklassig.

ABS und Traktionskontrolle auf sportlichem Top-Niveau

Vom ABS der Aprilia RS 660 Factory haben wir im schärfsten Modus den ganzen Tag nichts gemerkt (besser geht‘s nicht), die Traktionskontrolle ließ uns jeden Spielraum. Zugegeben: 105 PS auf einem Supercorsa SC1 – da herrscht grundsätzlich wenig Regelbedarf. Doch am Ende eines langen Fahrtages (ich sag’ nur: Doppelturns), als der Reifen langsam abbaute, man immer früher, womöglich aber auch unkonzentrierter Gas anlegte oder schlecht saß – zack, im entscheidenden Moment war sie da und verhinderte wahrscheinlich einen Abflug.

Trackday-Tool ohne Highspeed-Ambitionen

Kritik? An der Aprilia RS 660 Factory als Trackday-Tool nicht die geringste. Wobei wiederholt sein muss, dass das überragende Erlebnis mit der Factory-Variante ausdrücklich auf einer Nicht-Highspeed-Strecke und mit anderen Nicht-200-PS-Boliden im Fahrbetrieb entstehen konnte. Anderswo – in Hockenheim oder Mugello zwischen den üblichen Superbike-Geschwadern – dürfte das wohl anders aussehen.

Fast 14.000 Euro für eine Zweizylinder-660er

Außerdem sind zwar die Dynamik-Attribute der Aprilia RS 660 Factory einem 14.000-Euro-Motorrad (13.999 Euro inklusive Liefernebenkosten) voll würdig, die Verarbeitung ist es aber nur in Teilen. Die Kombination aus unlackiertem Motor und lackiertem Rahmen samt Schwinge beispielsweise zeigt, dass wir es hier mit einem stellenweise sparsamen Motorrad zu tun haben. Eines aber, das nicht mit "Bling-Bling" oder schierer Leistung, sondern mit seinem Fahrerlebnis protzt.

Vollkommen begeistert von der Aprilia RS 660 Factory

Die Aprilia RS 660 Factory steht damit für uns in bester Tradition der legendären Aprilia RS 250. Vielleicht ist sie damit sogar eines dieser Motorräder für die Ewigkeit. Ganz sicher ist sie eines, das die dringende Notwendigkeit von "100-PS-Sessions" bei Renntrainings belegt. Ja, tatsächlich: Wir sind vollkommen begeistert.