Eine für alles oder alles nichts? Yamaha hat eine neue TDM gebaut. Und wieder steht die Welt vor der Frage: Was will uns dieses Motorrad eigentlich sagen?
Eine für alles oder alles nichts? Yamaha hat eine neue TDM gebaut. Und wieder steht die Welt vor der Frage: Was will uns dieses Motorrad eigentlich sagen?
Kennen Sie Heinz-Bärbel Badewanne? Nein? Egal, er kennt Sie ja vermutlich ebenso wenig. Tut auch nichts zur Sache. Jedenfalls hat Heinz-Bärbel ein Problem. Nicht mit seinem Namen, daran ist er im Lauf der Jahre sogar gewachsen. Aber und das ist der Punkt: unglücklicherweise nur innerlich. Von außen her ist Heinz-Bärbel ein bisschen kurz geraten: 1,63 Meter ½. Was nicht wirklich schlimm wäre, hätte sich Badewanne nicht ausgerechnet in den Kopf gesetzt, Großendurist zu werden.
In einem erschütternden Leserbrief an die Redaktion schilderte er die Schmach des kleinen Mannes, der immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen wird: beim Aufsteigen, beim Anhalten, beim Wenden. Zuletzt musste H.-B. seinen Aktionsradius über die Landesgrenze hinaus verlegen, um überhaupt noch eine Vorführmaschine zu bekommen. Doch auch dort nageln die Händler inzwischen ihre Garagen zu, wenn sie das verräterische Knattern seiner 700 Jahre alten DT 250 vernehmen. Zweitaktenduro. Klitzeklein.
Der Mann brauchte eine Perspektive. Dringend. Entschloßen warf ich mich vor meinen PC: »Sehr geehrter Herr Badewanne, vergessen Sie die Sache mit den Schweine-Eimern.« Stopp. Ganz schlechter Anfang. Löschen. Noch mal: »Lieber Heinz-Bärbel, Du bist nicht allein.« Ja, das klingt gut. »Ich kenne dieses niederschmetternde Gefühl... (Laberlaber)... doch sag« mal, kennst Du die neue TDM? Sieht riesig und einigermaßen nach Enduro aus, kommt allerdings derart tief daher, dass sogar meine Wenigkeit (1,58 fünf) den Segen des gleichzeitigen beidseitigen Bodenkontakts erlangt.«
Lüg nicht, Schulzi, mahnt mein Gewissen. Kriegst doch nicht mal zwei Zehen auf einmal runter. Stimmt. Fühlt sich aber so an. Ist eben ziemlich geschickt ausbalanciert, die neuerdings alugerahmte Zweizylinder-Yamaha, und hat um die Taille rum schön abgespeckt. Außerdem ist die Badewanne fünf Zentimeter länger als ich, das haut schon hin.
Nur ob die TDM wirklich irgendwelche großwildartigen Wesenszüge à la Triumph Tiger trägt? Sieht sie nicht eher aus wie ein frisch geklontes Insekt? Und kaschiert damit den braven Brüter, der in Wahrheit in ihr steckt? Jetzt wird«s kompliziert. »Aber keine Panik, Heinz-Bärbel, das kriegen wir in den Griff.« Mit einem ungezwungenen kleinen Rollenspiel. Ist bereits alles arrangiert: Tiger, Honda Hornet 900 und BMW R 1150 RT warten nur noch auf ihr Stichwort.
Erster Akt, Grand-Tourisme: TDM trifft R 1150 RT. Klarer Fall, möchte man meinen. Schon vom Auftreten her: Die Yamaha verkörpert den jung-dynamischen Globetrotter, auf allen Straßen dieser Welt zu Hause und beliebt, während der bayerische Boxer in epischer Breite bürgerliche Wohnwagen-Balladen zum Besten gibt. Auch die Gewichtskontrolle der beiden Zweizylinder spricht für diese Rollenverteilung: 223 Kilo auf der einen Seite, 281 auf der anderen. Oh ja, die BMW schleppt schwer an ihrer Ausstattung. Kardan, Integral-ABS, Hauptständer, Couchgarnitur und eine wahrhaft olympische Verkleidung mit elektrisch verstellbarer Scheibe da kommt was zusammen. Nicht zuletzt pekuniär. So eine R 1150 RT kostet das hübsche, kleine Vermögen von 14195 Euro. Ohne Heizgriffe und Hifidelity. Koffer, Doppelsteckdose und verstellbare Sitzhöhe sind allerdings serienmäßig. Die TDM kommt vergleichsweise ärmlich daher: Gepäckträger und -haken, fertig. Macht 9750 Euro.
»Ich will hier ganz ehrlich sein, Badewanne: In der Regel fahr ich auf bayerische Gemütlichkeit nicht ab. Die RT aber hat mir einigermaßen den Kopf verdreht.« Von wegen Wohnwagen-Nummer: Nie, niemals hätte ich für möglich gehalten, mit welcher Lust sich dieses Schlachtschiff ins Leben wirft. Du sitzt verblüffend nah am Lenker und schwenkst das Ding mit einer Selbstverständlichkeit ums Eck, die sämtliche Entgleisungen des bayerischen Motorenwerks vergessen macht: drittklassiges Getriebe, Vibrationen, schrulliges Konstantfahrruckeln und dieses spitze »Lass mich«, wenn man mal richtig am Kabel zieht. Alles überhaupt kein Thema so lange der Vorrat an weit geschwungenen Radien reicht. Immer schön im Fluss und auf der Drehmomentwoge bleiben. Die stabile Seitenlage genießen, den geschmeidigen Schräglagenwechsel, das souveräne Federungsensemble. Wie haben die Bayern das nur hingebracht? Erst, wenn das Gas raus genommen oder geschaltet wird, merkt man: Huch es ist doch ein Boxer. Er taumelt!
Und gibt den Ring für die 900er-Yamaha frei. Die wankt jedoch schon in der ersten Runde. Hauptsächlich wegen ihrer willenlos abgestimmten Vorderhand: Deutlich zu weich, bringt sie viel zu viel Bewegung ins Spiel und vermasselt mitunter die angepeilte Linie. Auf kurze Stöße reagiert die Gabel hingegen bockig und sackt beim Bremsen wiederum derart in die Knie, dass jegliches Gefühl fürs Vorderrad flöten geht. Sonderlich gut ist«s darum ohnehin nicht bestellt. Wegen dieser seltsam heckwärts orientierten Sitzposition. Man hockt im Nirwana des hinteren Maschinenraums, gebeutelt vom unnachgiebigen Federbein, und der Lenker ist so verdammt weit weg. »So weit, Bruder Bärbel, dass Deine Armlänge vermutlich grad so für den engen Umkehrschwung reicht.«
Aber wendig ist sie, die Yamaha. Sehr lässig im Umgang. Viel handlicher als ihre 850er-Vorgängerin, nicht zuletzt ein Verdienst der leichter gewordenen Räder. Insgesamt hat die TDM übrigens stolze 25 Pfund verloren. Und bei aller Liebe zur BMW R 1150 RT: Im direkten Vergleich mit der 900er wirkt der Boxer dann doch um Dynamik bemüht.
Nur wen interessiert das an dieser Stelle? Grand-Tourisme war das Thema. Die schmerzfreien Leserinnen und Leser erinnern sich. Und streng touristisch gesehen hat die TDM ganz klar das Nachsehen: Die Sitzbank ist auf Dauer hart, der Platz für den Beifahrer zu knapp bemessen, und die Zuladung liegt mit 201 Kilogramm für ein Reisemotorrad scharf an der Grenze. Wind- und Wetterschutz schmieren komplett ab. Während man auf der BMW, wenn«s draußen ungemütlich wird, das Radio, die Heizung und den Windschild höher stellt, bleibt einem auf der Yamaha nichts anderes übrig, als den Elementen zu trutzen. Motorrad fahren pur ohne Netz und doppelten Boden. In guten wie in schlechten Tagen.
Naked Bike demnach? Nein. Stopp. Keine voreiligen Schlüsse jetzt. So ein Naked Bike zeigt ja normalerweise viel mehr Motor. Wobei was heißt bei der TDM schon normal? Also schau«n wir mal, wie der zweite Akt über die Bühne geht.
TDM trifft Honda Hornet: eine Begegnung der besonderen Art. Beide Protagonisten äußerst eigenwillig gestylt. Von der Hornet wurde in MOTORRAD 4/2002 bekannt, dass sie die Naked-Bike-Szene fest in den Griff bekommen hat: Siegerin nach Punkten über Kawasaki ZRX 1200, Suzuki 1200 Bandit und Yamaha XJR 1300. Einzig nennenswerte Kritik: leichtes Lenkerzucken und eine etwas zu weich abgestimmte Gabel. Mit Letzterem muss sie sich vor der Yamaha nicht schämen. Zumal die Betonung auf »etwas« liegt. Ersteres tritt beim heftigen Beschleunigen auf übel zugerichtetem Asphalt zutage. Allerdings nicht heimtückisch. Wer nicht völlig grobmotorisch drauf ist, spürt«s bereits im Ansatz und spürt auch, dass der Lenker zu dem Zeitpunkt eigentlich ein Recht zu zucken hat. Denn wie die Hornisse beschleunigt, das ist Atemraub.
Vier Zylinder, echte 109 PS, 11,5 Sekunden von null auf 200! »Schnall Dich an, Heinz-Bärbel, da geht was.« In seinem früheren Leben befeuerte dieses Triebwerk keine Geringere als die CBR 900 RR, Jahrgang 1998. Für seinen Einsatz in der Hornet wurde es allerdings modifiziert und in der Spitzenleistung gekappt. Freilich fährt die Hornisse der TDM trotzdem völlig entfesselt um die Ohren. Noch extremer sogar als erwartet, da der Yamaha-Motor nur 80 von versprochenen 86 PS mitbringt. Damit konnte er dem Boxer zwar noch imponieren, gegen den quirligen, jederzeit dreh- und schubbereiten Honda-Hochleistungsvierer wirkt der Fünfventiler jedoch ausgebrannt. Nicht wirklich prickelnd. Obwohl er mit moderner Technik operiert, sogar Einspritzung hat man ihm gegönnt, kann der Twin seine Herkunft aus den 80er Jahren nicht leugnen. Angefangen hat er in der wenig geliebten XTZ 750 Super Ténéré. Tradition sind auch die Lastwechselreaktionen keine TDM ohne diese Plage, die vor allem im engen Winkelwerk nervt.
Genau dort läuft die Hornet zur Hochform auf. Dank ihres aberwitzig leichten Handlings. Ein weiterer Beweis für die Relativitätstheorie. »Du musst Dir das ungefähr so vorstellen, Heinz: Am Anfang sind die BMW und das Erstaunen. Dann steigst Du auf die Yamaha hoppla, so leicht kann Motorradeln sein. Und wärst Du auf die Honda umgestiegen, lägst Du jetzt vermutlich im Eck. Wegen roher Gewaltanwendung. Die Hornet braucht Dich nämlich nicht, die findet ihren Weg allein.« Schlägt Haken und Ösen, dass einem schwindlig wird. Frisch, frech, geradezu dreist. Nur die kürzeste Linie ist gut genug. Hornet, das ist der Stachel im Fleisch aller Superbiker. Erst gestern hat«s wieder einen erwischt. Mimte den Fogarty am Pass, um nicht eingemacht zu werden, doch die Hornisse zog vorbei. Man sagt, an ihrem Lenker habe eine Einkaufstasche gehangen und Foggy habe seine Knieschleifer angezündet.
Verschnaufpause auf der TDM gefällig? So schnell kann«s gehen. Eben noch über den ereignislosen Charakter gemeckert und sich jetzt von der Ruhe und dem freundlichen Geblubber verwöhnen lassen. Na gut war ja schließlich mit Ansagen, dass man diese Yamaha nicht sofort begreift. Mit einem Naked Bike vom Schlag einer Honda Hornet hat sie jedenfalls wenig zu tun. Sie liebt die großen, ausschweifenderen Gesten. Funktioniert eher analog, die Hornisse digital.
Okay bleibt also nur noch die Enduro: »Mit etwas Glück, Badewanne, ist Deine Zukunft nach dem dritten Akt geritzt.«
TDM trifft Triumph Tiger 955i eine sehr, sehr große Großenduro. »Und hoch, Heinz, Bärbel, so was von hochhoch, dass Dir schwindlig wird beim Runtergucken.« Aaah, verstellbare Sitzhöhe. Klasse! Runter damit, bis zum Anschlag. Mist: immer noch 84 Zentimeter. Doch das alleine ist nicht das Problem: Die Bank ist zu breit. Zumindest für Leute wie Bärbel und mich. Völlig faszinierend jedoch, wie leicht sich dieses Trumm von Motorrad auf einer Zehe ausbalancieren lässt. Fühlt sich an, als stünde die Tiger auf Autoreifen.
Und dieser Eindruck setzt sich beim Losfahren erst mal fort. Auf Lenkbewegungen reagiert die Engländerin furchtbar zäh. Zu wenig Luft in den Reifen? Nö. Lenkkopflager zu fest angezogen? Na vielleicht ein bisschen. Also eine 1/8 Umdrehung gelöst. Schon geht«s besser. Gut ist aber noch mal anders. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit an das Gefühl. Lenkt halt ein bisschen komisch ein, die Tiger na und? Fährt ja auch ziemlich weite Bögen...
»Ne, Heinz, ich verarsch Dich nicht, die Triumph bewegt sich wirklich so seltsam. Als hätten die Engländer irgendwo einen riesigen Lenkungsdämpfer versteckt und zugedreht.« Der Schräglagenwechsel funktioniert dagegen enduromäßig leicht. In großen Zügen schwingt man von Kurve zu Kurve, genießt das geschmeidige Auf und Ab der Federelemente, die herrschaftliche Sitzposition hinter dem breiten Lenker und das Wissen, dass man jederzeit ins Gelände abbiegen könnte.
Mit der Yamaha geht das theoretisch auch genau wie mit jedem anderen Motorrad. Nur macht«s halt keinen Spaß. Weil weder die Reifen noch das knüppelharte hintere Federbein dafür taugen. Ganz abgesehen davon, dass die Federwege zwar üppig bemessen, fürs Offroaden aber immer noch zu kurz geraten sind. »Trotzdem, Badewanne, wir sind ganz dicht dran. Im normalen Straßenleben fährt so eine TDM nicht viel anders als eine Tiger. Und: nicht schlechter!« Okay man hat die Triumph vielleicht besser im Griff, weil der Lenker näher zur Hand liegt. Dafür langt die Yamaha beim Bremsen in die Vollen: mit der Vierkolbenanlage aus der R1! Dagegen wirkt die Tiger-Bremse regelrecht stumpf. Und sonst?
Klar, der Motor. Dieser Dreizylinder aus Hinckley ist unnachahmlich: klingt besser, kommt besser. Fühlt sich sehr nach Turbine an: keine Vibrationen, keine störenden Lastwechsel nichts als stetiger, sanfter Schub. Und Durst? Auch nicht mehr als die Yamaha. Solange es zivilisiert zugeht. Allerdings kann man die Tiger zum Trinken verführen. Im Dauerlauf bei 160 km/h zieht sie sich gut acht Liter Super rein. So ein Haus hat eben einen ziemlich hohen Luftwiderstand.
»Weiter ins Detail sollten wir an dieser Stelle allerdings nicht gehen, Heinz-Bärbel. Sonst ist wieder alles zerredet. Jetzt probier die Yamaha einfach mal aus.
»Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.« Der gute, alte Goethe, was? Hat doch tatsächlich was von Motorrädern verstanden. Im Grunde kämpft die neue Yamaha TDM 900 mit dem gleichen Problem wie jede andere eierlegende Wollmilchsau: Ihre Tugend gerät ihr zur Not. Anstatt anerkennend zu nicken, schärft die gemeine Welt das Messer und seziert das ungewöhnliche Wesen erst mal gründlich. Um schließlich befriedigt festzustellen, dass es das und das und das nicht kann. Klar braucht man Anhaltspunkte ( wer kauft schon gerne die Sau im Sack? Und festzuhalten bleibt, dass die Yamaha in einigen Punkten nicht überzeugt. Nur darf man dabei nicht vergessen, dass es kein anderes Motorrad gibt, das sich freiwillig nach so vielen Maßgaben streckt.So gesehen hätte man die Sache auch ganz anders aufziehen können. Frei nach dem frisch-fröhlichen Motto: »Schau mal, was die alles kann!« Kommt fast so mächtig wie eine Triumph-Tiger daher und lädt in angemessener Sitzhöhe zum handlichen Umgang mit immerhin 223 Kilo Maschine ein. Bremst wie ein Sportler, vermittelt große Weite-Welt-Gefühle und geht für 80 PS nicht schlecht. Überhaupt ( der Motor: Einspritzung, Motormanagement, geregelter Kat, SLS. Die Lastwechselreaktionen sind Panne, stimmt. Und die Abstimmung der Federelemente haut ebenfalls nicht hin. Aber mit solchen Problemen kämpfen auch andere Bikes, die wesentlich weniger bringen.