BMW-Motorräder sind seit jeher ebenso eigenwillige wie bodenständige Charaktere, die gern ungewohnte, aber trittsichere Wege beschreiten. Die neue K 1200 RS paßt in dieses Bild: Sichtbar nonkonformistisch, aber mit bewährtem technischen Fundament.
BMW-Motorräder sind seit jeher ebenso eigenwillige wie bodenständige Charaktere, die gern ungewohnte, aber trittsichere Wege beschreiten. Die neue K 1200 RS paßt in dieses Bild: Sichtbar nonkonformistisch, aber mit bewährtem technischen Fundament.
Umstürzlerische Tendenzen scheinen ebensowenig zur bayerischen Wesenart zu gehören wie der Hang, hektisch dem Zeitgeist zu folgen. Die eigensinnig-wertkonservative Grundhaltung der Freistaatler reicht bis in die entlegenen Winkel des Motorradbaus: Einmal Boxer, immer Boxer, und Kardanantrieb sowieso - nach dieser Marschrichtung werden bis heute bei BMW Motorräder gebaut, seit ein gewisser Max Friz Anfang der 20er Jahre in einem Geniestreich die Mutter aller Gummikühe erfand.
Selbst als nach einer schöpferischen Pause von 60 Jahren bei BMW der Wunsch nach vier Zylindern realisiert wurde - hausintern ist von der Revolution von 1983 die Rede - wollte man nicht auf liebgewonnene Alleinstellungsmerkmale verzichten. Diesmal hatte ein Herr Fritz(!)enwenger die zündende Idee. Mit dem Kommando »da legst di nieder!« brachte er einen längs angeordneten Reihenvierer in stabile Seitenlage, und schon war das Fundament der neuen K-Reihe, das bei einiger Phantasie so etwas wie eine Boxer-Anmutung transportiert, gelegt.
Wie zukunftsträchtig seinerzeit die K-Konzeption war, zeigt heute die K 1200 RS, deren Antriebsstrang sich in seinen Grundzügen streng ans historische Vorbild hält. Andererseits demonstriert die neue BMW aber auch, welche Probleme aus dem treuen Festhalten an traditionellen Prinzipien wachsen können - und wie man sie löst.
Auf Schwierigkeiten stieß zum Beispiel der Wunsch nach mehr Dampf aus mehr Hubraum. Wegen des engen Schulterschlusses der vier Bohrungen kam nur eine Vergrößerung des ohnehin schon beträchtlichen Hubs um fünf auf nunmehr 75 Millimeter in Betracht. Eine Drehmaschine ist der neue 1200er erwartungsgemäß denn auch nicht geworden. Zwar läßt er, wenn man`s drauf anlegt, seine Nenndrehzahl um bis zu 1500/min ohne Anzeichen von Unmut hinter sich, doch der richtige Kick kommt dabei nicht rüber. Er darf halt nicht, wie er könnte. Mag sein, daß er in ungebremster Form, mit 130 PS, sportlichere Wesenszüge trägt, aber da ist in Deutschland (noch) die freiwillige Leistungsbeschränkung vor.
Versüßt wird der Verzicht durch den Bums des Langhubers in den Niederungen des Drehzahlbands. Schon bei knapp erhöhtem Ruhepuls reicht er 80 Nm ans Getriebe, und zwischen 3000 und 8000/min tummelt er sich ausdauernd im dreistelligen Drehmomentbereich.
Für souverän-dynamisches Dahingleiten sind die Kellergeister des K 1200-Motors wie geschaffen. Egal welcher Gang der akkurat funktionierenden Sechsgangbox eingelegt ist, die Fuhre schiebt energisch an, sobald die rechte Hand nach hinten zuckt.
Die weitgehend freie Wahl von Gangstufe und Drehzahlbereich wird freilich nicht nur von der Dampfmaschinen-Charakteristik des Motors begünstig: Abgesehen vom Leerlauf - da läuft ein leichter Schüttelfrost über die gesamte Maschine - sind nur punktuell nennenswerte Vibrationen zu verspüren. Nicht weil der von Geburt an nicht sonderlich laufruhige Vierzylinder durch den Hubraumzuwachs an Kultur gewonnen hätte - im Gegenteil -, sondern weil die komplette Antriebeinheit von tragenden Aufgaben entbunden wurde und nunmehr, in Gummi gepackt, unbemerkt vor sich hinzappeln kann. Mit einem angenehmen Nebeneffekt: Das Rückdrehmoment des Motors bei abrupten Drehzahlsprüngen, das die gesamte Maschine um die Längsachse kippen will, versickert weitgehend in der Nachgiebigkeit der neuen Gummi-Lösung.
Die Aufgabe, ohne versteifende Mitarbeit des Triebwerksblocks die Brücke zwischen Lenkkopf und Schwingenlager zu schlagen, erfüllt ein aus vier Aluminium-Kokillengußteilen geschweißtes Rückgrat. Die Führung des Vorderrads übernimmt ein Telelever, das Hinterrad sitzt in einer Paraleverschwinge mit stark geneigt angelenktem Federbein - bekannte Baugruppen, in dieser Kombination aber neu in der K-Baureihe.
Mit viel Radstand und Nachlauf und dem stattlichen Kampfgewicht von 290 Kilogramm weckt die K 1200 RS in puncto Handling nicht gerade hohe Erwartungen. Ein psychologisch geschickter Schachzug, ist doch der Überraschungseffekt um so größer: Sobald die Kupplung eingerückt ist und die Fahrerfüße auf den Rasten Platz genommen haben, verliert die Maschine die Erdenschwere, die sie beim Rangieren (nicht beim Aufbocken - das geht kinderleicht) an den Tag legt. Gut, die RS fährt sich nicht wie ein Drei-Zentner-Moped, dennoch ist verblüffend, wie leichtfüßig sich die Maschine durch die vierrädrigen Slalom-Hindernisse des Stadtverkehrs dirigieren läßt. In flüssig vorgetragenen Wechselkurven das nächste Aha-Erlebnis: Ungeachtet der Trägheitskräfte und -momente, die sich ihrer bei schnellen Richtungsänderungen bemächtigen, schwingt die gewichtige Maschine mit nur leichtem Stockeinsatz behende von Schräglage zu Schräglage.
Auf der anderen Seite ist der Geradeauslauf tadellos. Selbst mit angeschnallten Koffern und unter dem Einfluß böiger Winde gerät die RS bei Geschwindigkeiten jenseits 200 km/h nicht ins Trudeln.
Außerdem leisten die Federungselemente saubere Arbeit. Das ständige, leichte Auf und Ab der Telelever-Holme signalisiert optisch, was die Hände am Lenker spüren: Feinste Bodenunebenheiten werden weggefiltert, nicht mehr ganz perfekte Straßenbeläge scheinen um eine Erhaltungsstufe aufgebessert. Die Hinterhand arbeitet nicht ganz so sensibel, läßt die Besatzung etwas mehr an ihrer Arbeit teilhaben, fördert aber unterm Strich den Eindruck von gehobenem Federungskomfort, den die RS vermittelt.
Auch im Kapitel Fahrdynamik überzeugen die Chassiskomponenten durch gute Führung. Fahrbahnunebenheiten im Kurvenverlauf bekommen keine Chance, unliebsamen Einfluß auf die Kursgestaltung zu nehmen, Lenkerschlagen beim Beschleunigen auf holprigem Terrain ist kein Thema, und die Rückmeldung in den Griffgummis über das, was sich zwischen Reifen und Fahrbahn tut, wirkt vertrauenbildend. Nicht zuletzt dürfte die Neutralität des RS-Fahrwerks auf eine freiwillige Selbstbeschränkung in Sachen Hinterradbereifung zurückgehen: Statt einer respektheischenden Gummiwalze wurde ein 170er Pneu für gut und richtig befunden.
Richtig gut tut auch die Bremsanlage. Serienmäßig mit ABS ausgerüstet, erlauben die RS-Stopper unter allen obwaltenden Bedingungen risikolose Bremsmanöver am Rand der Reifenhaftgrenze, wobei die Vorderradbremse allerdings kräftigen Zugriff verlangt. Gewöhnungsbedürftig sind das frühe Ansprechen des ABS auf welliger Fahrbahn und die kaum eintauchende Frontpartie - der Telelever mit 90prozentigem Nickausgleich beeinträchtigt das Gefühl für den Grad der Verzögerung.
Für das Gefühl der Geborgenheit an Bord der K 1200 RS soll die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes sorgen. Ein umfangreiches, übersichtliches Cockpit, neue, ergonomisch verbesserte Schaltereinheiten, fließende Übergänge zwischen Sitzbank und Tankflanken, vielfache Einstellmöglichkeiten - Lenkerstellung, Sitzhöhe, Anstellwinkel und Höhe der Verkleidungsscheibe, Position der Fußrasten -, alles gut, schön und durchdacht. Und doch ist nicht jeder zufrieden: Großgewachsene »Sitzzwerge« bekommen selbst bei voller Ausnutzung der Variationsbreite ihre Beine nur mit Mühe zwischen Sitzfläche und Rasten gefaltet, und auch die Scheibe der ansonsten gut schützenden Verkleidung stellt nicht jeden zufrieden. Dafür gibt`s keine Klagen aus der zweiten Reihe, dort wird gewohnter BMW-Komfort geboten.
Ebenfalls breite Zustimmung findet schließlich das markante Design der K 1200 RS. Es unterstreicht, daß die weißblaue »Mir san mir«-Philosophie auch ohne Mut zur Häßlichkeit Gestalt annehmen kann.
Ich bin wirklich kein BMW-Fan, aber die neue K 1200 RS macht mich an. Dafür ist in erster Linie der Motor verantwortlich: Er liefert Druck in allen Lebenslagen und sorgt für herrschaftliches Fahrvergnügen. Daß der Vierzylinder erfahrungsgemäß das ewige Leben hat und daß er dank Einspritzung und Kat eine saubere Weste hat, macht ihn noch sympathischer. Sympathie weckt auch das Fahrwerk, das der RS ein überraschend leichtes Handling verleiht. Schnelles Fahren auf kurvigen Strecken geht wirklich leicht von der Hand, und der dabei dank des fein ansprechenden Telelevers gebotene Federungskomfort ist ebensowenig zu verachten wie die Möglichkeit, jederzeit hemmungslos in die Eisen steigen zu können. Gut, die Abkopplung des Triebwerksblocks vom Rahmen ist nicht perfekt gelungen, aber die leichten Vibrationen, die hier und da zu spüren sind, stören mich nicht. Ärgerlicher ist die knappe Distanz zwischen Sitzbank und Rasten - auf dieses »sportliche« Merkmal würde ich gern verzichten. Jürgen Schmitz