Test Yamaha GTS 1000 A

Test Yamaha GTS 1000 A Zeitmaschine

Extravagant, zukunftsweisend, anders als andere: Die Yamaha GTS 1000 ist viele Jahre nach ihrer Präsentation immer noch ein aufsehenerregendes Motorrad.

Es war schon ein unverschämt modernes Konzept, mit dem Yamaha 1992 die Motorradwelt in Gestalt der GTS 1000 überraschte: Achsschenkellenkung, ABS, elektronisches Motormanagement, Einspritzung und geregelter Katalysator - ein hochkarätiges Bike wurde da geboten.
Auf Anhieb beeindruckt die GTS allerdings weniger durch innovative Schlagkraft als durch schiere körperliche Größe, die sich in immerhin 279 Kilogramm Lebendgewicht niederschlägt: ein mächtiges Motorrad, massiver Metallbau statt filigraner Eleganz. Einerseits schreckt die Masse zwar gehörig ab - vor allem beim Auf- und Abbocken der Maschine -, andererseits strahlt sie jedoch vertrauenerweckende Solidität aus. Dieser Eindruck verstärkt sich, sobald der Pilot die bequeme Sitzbank unters Gesäß und die wohlpositionierten Lenkerstummel zur Hand nimmt. Man fühlt sich gut aufgehoben im Zentrum der GTS-Welt - aufrecht sitzend, jederzeit Herr oder Frau der Lage. Auch die Instrumente mit doppeltem Tageskilometerzähler und großer Tankanzeige liegen gut im Blick. Weiteres nettes Ausstattungsdetail: das Handschuh-/Zigaretten oder Kartenfach vor der Tankklappe.
Zuverlässig erwacht der bewährte Fünfventil-Reihenvierzylinder zu sanftem Leben und erfreut dann mit kurzer Kaltlaufphase. Ausreichend Leistung, 106 PS, und vor allem eine füllige Drehmomentkurve bescheinigt die Prüfstandsrolle. Werte, die die Fahrpraxis bestätigt: Dank Einspritzung hängt der kultivierte Motor spontan am Gas und liefert satte Kraft auch im unteren Drehzahlbereich. Lastwechsel vollziehen sich manierlich sanft.
Nur bei hohen Drehzahlen kribbeln feine Vibrationen in den Fingerspitzen. Drehzahlorgien braucht’s aber nur ganz selten: Schnell gewöhnt man sich daran, schon bei Bummeltempo den fünften Gang zu wählen - ab 50 km/h gibt’s ruckfreie Beschleunigung. Das Getriebe verweist mit Yamaha-typischem Klacken auf gelungene Gangwechsel, die Funktion ist einwandfrei. Ungewohnt, vor allem beim Anfahren, ist die Kupplung, die erst auf den letzten Millimeter Hebelweg greift. Aber nach kurzer Eingewöhnung fällt das kaum noch auf.
Im Gegensatz zu ihrem hohen Gewicht, das die GTS nicht verleugnen kann. Sogar noch etwas leichter als eine BMW K 1200 RS, benötigt sie ungleich mehr Handkraft am Lenker, um in Schräglage zu kippen. Speziell in schnell gefahrenen Wechselkurven ist regelrechte Wuchtarbeit angesagt. Die extravagante Vorderradführung hält sich dabei vornehm zurück: Wie ein ganz normales Motorrad zieht die Yamaha ihre Bahn.
Auf holpriger Fahrbahn hingegen kann das GTS-Layout nicht überzeugen: Relativ unsensibel reagiert die vordere Federung auf Wellen und Kanten, worunter das Gefühl fürs Vorderrad leidet. Unebenheiten machen der 1000er in puncto Lenkverhalten übrigens nicht zuletzt wegen des breiten Vorderreifens zu schaffen. Leider hat Yamaha aus Fehlern nur die Hälfte gelernt: So rollt das aktuelle Modell noch immer auf einem widerspenstigen 130/60 ZR 17-Reifen, allerdings auf dem in MOTORRAD 11/1993 empfohlenen Dunlop D 202. Damit kurvt die GTS zwar nicht superhandlich, aber doch angemessen spurtreu und neutral. Gut ist jedoch noch mal anders. Ein 120er Vorderreifen würde hier helfen.
Die Bremsen bieten ein erfreuliches Bild: Dank der geschickten Geometrie der Achsschenkelanlenkung registriert der Fahrer vertrautes Bremsnicken, das allerdings ebensoviel Federweg aufzehrt wie eine herkömmliche Telegabel. So bietet die GTS bei starker Verzögerung nicht die erwarteten Federungsreserven. Unumwundenes Lob verdient das sensibel und mit hoher Frequenz regelnde, immer noch vorbildliche ABS.
Weniger mustergültig: der Windschutz. Vor allem große Fahrer müssen sich ungebührlich stark hinter der Verkleidung zusammenfalten, um bei Highspeed nicht von Turbulenzen geohrfeigt zu werden. Abhilfe bringt eine höhere Scheibe, die - so etwas gibt’s tatsächlich - zum serienmäßigen Lieferumfang gehört.
Unterm Strich präsentiert sich die GTS 1000 als Motorrad mit besten technischen Anlagen, die in puncto Fahrwerk leider nie richtig zu Ende entwickelt wurden. Obschon von Anfang an Kritik am Fahrverhalten laut wurde, erfuhr diese interessante Maschine während ihrer siebenjährigen Laufzeit keine einzige Modellpflege. So hat sie den Anschluß an die jüngere Konkurrenz verloren. Eigentlich schade.

Technik: Achsschenkellenkung - Großer technischer Aufwand - geringer effektiver Nutzen?

Gegenüber der konventionellen Teleskopgabel bieten alternativen Radführungssyteme wie die Achsschenkellenkung oder das Telelever-System von BMW zwei gravierende Vorteile: optimale Voraussetzung für ein gutes Ansprechverhalten und einen guten Bremsnickausgleich. Der sorgt beim Bremsen auf Bodenwellen stets für ausreichend Restfederweg.Bei der Achsschenkellenkung übernimmt die Lenkung eine teleskopförmige Lenksäule, die über Gelenke mit dem Achsschenkel verbunden ist. Der ist über Kugelgelenke drehbar im oberen und unteren Längslenker gelagert. Federung und Dämpfung erfolgt wie beim Hinterrad mit einem Federbein. Darüber hinaus kann durch eine geschickte Anordnung der einzelnen Drehpunkte ein vollständiger Bremsnickausgleich geschaffen werden. Demnach müßte die Achsschenkellenkung die Telegabel doch schon längst abgelöst haben. Aber sie hat auch Nachteile. So erfordert die Konstruktion einen größeren technischen Aufwand und höhere Kosten. Außerdem ist das Gewicht der GTS-Konstruktion vergleichsweise hoch.BMW geht mit dem Teleleversystem einen gelungenen Kompromiß ein. Die Bremsmomente stützen sich zusammen mit der Federungs/Dämpfungseinheit direkt am Hauptrahmen ab. Ein gutes Ansprechverhalten der Federung und Dämpfung und eine gute Stabilität erzeugen die großen Überschneidungslängen von Tauch- und Standrohren. Um dies auch bei der konventionellen Telegabel zu erreichen, drehten die Techniker sie einfach um und kreierten die Upside-down-Gabel. Dadurch kann der Bereich zwischen den Gabelbrücken als zusätzlicher Überschneidungsweg genutzt werden.Geringes Gewicht und kleine ungefederte Massen kann man mit Achsschenkellenkung und Upside-down-Gabel nur schwer erreichen. Da sprechen die Argumente für die konventionelle Gabel. Jüngstes Beispiel: die gewichtsoptimierte Neuauflage der ZX-9R von Kawasaki. Der entscheidende Nachteil bei der Einführung alternativer Vorderradlenksysteme ist jedoch das Design. Während die Upside-down-Gabel die konventionelle Linie beibehält und das Teleleversystem durch eine Verkleidung elegant verhüllt werden kann, akzeptiert der Kunde diese Systeme. An der GTS 1000 sticht dem Betrachter jedoch die neuartige und ungewohnte Konstruktion sofort unangenehm ins Auge. Doch auch die Akzeptanz neuer Systeme sollte nur eine Frage der Zeit sein, vorausgesetzt sie sind in ihrer Funktion der Telegabel überlegen.

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