Worte wie »sensationell, einzigartig« oder »ultimativ« hat man bei der Präsentation der neuen RS wohlweislich vermieden. Viel mehr war von Tradition, Modellkonstanz und berechenbarer Modellpolitik die Rede. Ein Bike für die immer noch zahlreichen Fans des Sporttourers, die den leicht ergrauten Boxer jedes Jahr aufs Neue brav aus den Showrooms der Händler kauften. Nicht in berauschenden Stückzahlen, aber häufig genug, dass eine Erneuerung im Stil der RT-Modelle bei den BMW-Marktstrategen als durchaus lohnenswert erachtet wurde.
So wird auch die RS nun vom bereits aus der RT bekannten 1150er-Motor angetrieben. Sechsganggetriebe, die so genannte Evo-Bremse und besseren Windschutz gibt’s ebenfalls serienmäßig, ABS kostet extra. Fahrwerksseitig lediglich geringfügig modifiziert, sind die Räder das einzig augenscheinlich Neue.
Bei der Vorstellung besannen sich die BMW-Verantwortlichen darauf, dem einst als sportlich angepriesenen Boxer nun doch eher einen tourigen Charakter zu bescheinigen. Obgleich er auch heute noch ein wenig sporteln könne – ein wenig, wohlgemerkt. Doch wer käme im Ernst darauf, der RS so etwas abzuverlangen? Zwar wird ihr, vor allem in der Zweifarblackierung, von interessierten Passanten oder neugierigem Tankstellenpersonal überraschend oft ein dynamisches Erscheinungsbild attestiert, die technischen Eigenschaften weisen dagegen klar in Richtung Reise.
Die Bestimmung der MOTORRAD-Testmaschine ist noch eindeutiger. Sie steht mit allen Extras parat teilintegrales ABS-System, Heizgriffe sowie Koffersystem. Aufpreispflichtig ist außerdem die bereits erwähnte Zweifarblackierung. Während sich Heizgriffe und Bemalung nur auf den Geldbeutel auswirken, gilt das beim ABS auch fürs Fahrverhalten. Deshalb sammelt die mit dem optional erhältlichen ABS und Verbundsystem ausgestattete Testmaschine die maximal möglichen 30 Punkte. Dem Punktgewinn steht das schlechtere Preis-Leistungs-Verhältnis gegenüber, da der Aufpreis (in diesem Fall 1995 Mark) berücksichtigt wird.
Punkte hin, Punkte her, die BMW-Bremse spielt im Fahrbetrieb eine entscheidende Rolle. Die Leistung der Anlage ist beeindruckend gut. Das hat bereits der große BMW-Bremsenvergleich (MOTORRAD 10/2001) gezeigt, bei dem vor allem die Evo-Bremse ohne ABS und Integralsystem beste Kritiken erhielt. Das teilintegrale System mit Bremskraftverstärker und ABS ist auf alle Fälle ein Sicherheitsgewinn, besitzt jedoch auch gewisse Nachteile. Gleichgültig, ob der Zündschlüssel gedreht, an der Ampel auf Grün gewartet oder im Fahrbetrieb verzögert wird, immer beherrscht diese Bremse die Szenerie. Sei es durch den lauten Summton der Servopumpe des Bremskraftverstärkers oder durch die überaus gewöhnungsbedürftige Dosierung. Der Übergang zwischen dem feinen Anlegen der Bremsbeläge bei einer leichten Anpassungsbremsung – wie sie im fließenden Verkehr ständig notwendig ist – und dem recht bissigen Zupacken bei nur geringfügig erhöhter Handkraft lässt sich selbst nach rund 3000 Testkilometer nur mit allerhöchster Konzentration zu erfühlen.
Ähnlich schwer ist der Unterschied zwischen dem alten 1100er- und dem im Hubraum leicht aufgestockten 1150er-Motor auszumachen. In Sachen Durchzug und Beschleunigung liegt der Neue nur wenige Zehntel vorn. Erfreulich ist, dass die RS jetzt ein recht sauber und geräuscharm agierendes Sechsganggetriebe besitzt, doch die Abstufung lässt leider Wünsche offen. Der im digitalen Gangdisplay als E-Gang ausgewiesene Overdrive senkt zwar das Drehzahlniveau etwas ab, raubt der RS aber den letzten Rest an Spritzigkeit, den die 254 Kilogramm (vollgetankt) übrig gelassen haben. Der Fünfte wiederum ist etwas kurz ausgelegt. Nicht an der absoluten Geschwindigkeit gemessen, sondern – und das ist bei diesem Boxer von erheblich größerer Bedeutung – am Vibrationsaufkommen.
Diesbezüglich zeigt sich die neue RS von ihrer schlechtesten Seite. Egal, ob zwei-, drei- oder sechstausend Touren, Schwingungen sind immer spürbar. Sobald der Gasgriff über 20 Prozent geöffnet ist, wird der Motorlauf aufgrund höher Verbrennungsdrücke rauer, die Vibrationen nervig. Denn anders als bei den Schwestermodellen R 1150 GS und R 1150 R lastet deutlich mehr Fahrergewicht auf den Lenkerenden, was bei längeren Etappen zu schmerzenden Handflächen führt.
Das Problem scheint in München nicht ganz unbekannt. Wie sonst ist zu erklären, dass der Lenker nach wie vor in vier dicken Gummiblöcken gelagert ist. Diese Notlösung zur Vibrationsminderung birgt jedoch einen entscheidenden Nachteil: Durch die recht flexible Verbindung zwischen Lenker und Gabel leidet die Zielgenauigkeit und das präzise Lenkgefühl. Vor allem, wenn hohe Lenkkräfte gefragt sind, wirkt die RS indirekt und schwammig. Schnelle Autobahnkurven oder zackige Spurwechsel bei hohem Tempo zählen ebenso zu den Problemzonen wie die schnellen Richtungswechsel auf der MOTORRAD-Handlingsstrecke, wo Kursänderungen weniger durch Gewichtsverlagerung als durch einen starken Zug an den Lenkerenden eingeleitet werden müssen.
Wie viel Potenzial dennoch im eigenwilligen BMW-Fahrwerkskonzept steckt, zeigt sich nicht zuletzt in den erstaunlich schnellen Zeiten, die auf dem Handlingskurs erreicht werden. Die Schräglagenfreiheit ist groß, vom hohen Gewicht zwischen den Pylonen wenig zu spüren. Lediglich die Haftfähigkeit der Metzeler-ME Z4-Bereifung setzt bei den hochsommerlichen Temperaturen Grenzen.
Auf der Landstraße spielt das letzte Quäntchen Haftung nicht die entscheidende Rolle. Lässt man der BMW ihren Willen und surft gemütlich über Land, dann zeigt sie sich von ihrer angenehmen Seite. Gut ausbalanciert, reagiert sie erfreulich agil und spurteu. Fällt nach einem kurzen Lenkimpuls sehr neutral in Schräglage, um – immer mit Zug am Hinterrad – diese auch unbeirrt von Bodenwellen oder Flickstellen zu durchkurven. Was auf die komfortabel ausgelegte Abstimmung der Federelemente zurückzuführen ist. Die schlucken fast alle Unebenheiten weg, Nur kurze, harte Absätze, etwa an Kanaldeckeln oder bei Frostaufbrüchen, mag weder das Tele- noch das Paraleversystem. Jedesmal geht ein harter Schlag durchs Gebälk. Die Erklärung der MOTORRAD-Techniker: Die ungefederten Massen sind hoch, vorn die langen Gleitrohre, der Schwingenarm mit Lenklager und Federbein, hinten die mächtige Kardanschwinge mit dem Kegelradantrieb. Da wirken die neuen, leichteren Fünfspeichenräder nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
Großes Lob gebührt der Neuen dagegen in Sachen Verbrauch. Zwar muss man an der Tanke zum teuren Super greifen, dafür lassen sich diese Pflichtbesuche recht lang hinausschieben. Immerhin reicht eine Tankfüllung bei kommoder Landstraßenfahrt für 500 Kilometer. Vorausgesetzt, man verlässt sich nicht auf die digitale Tankuhr. Die zeigt nämlich sehr launisch an, variiert bergauf oder bergab schon mal um zwei, drei Balken und schlägt bereits via Reservelampe Alarm, wenn noch für exakt 121 Kilometer Sprit im Tankfass schwappt. Außerdem fasst selbiges beim Testmotorrad knapp einen Liter mehr als die angegebenen 23 Liter.
Bestens bestellt ist es außerdem um den Windschutz. Die Verkleidungsscheibe wuchs immerhin um acht Zentimeter in der Höhe und sechs in der Breite. So finden jetzt selbst Fahrer bis zu 190 Zentimeter bei entsprechender Einstellung ein ruhiges, nahezu verwirbelungsfreies Plätzchen. Allerdings wirkt der Verstellmechanismus der Scheibe mit dem grobschlächtigen Drehknopf im Cockpit wie ein Relikt aus frühen Motorradtagen. Das kann eine R 1150 RT mit elektrischer Verstellung um Klassen besser. Die in drei Stufen höhenverstellbare Sitzbank ist nach wie vor ein echtes Plus, wenngleich es einiger Fummelei bedarf, die Haltebügel richtig einzufädeln. Gänzlich ohne Tadel ist das altbekannte BMW-Koffersystem, hier stimmt Bedienung sowie mit 843 Mark der Preis, der im Vergleich mit dem Yamaha-System für die FJR 1300 (1390 Mark) schon fast wie ein Sonderangebot wirkt. Tradition hat eben auch ihre guten Seiten.
Fazit
Das Hubraumplus verpufft in der ungünstigen Getriebeübersetzung, das teilintegrale ABS ist schlecht dosierbar, und die Vibrationen nerven. Dass der Windschutz besser ist, der Verbrauch gering und die Ausstattung nach wie vor voll tourentauglich, ist für acht lange Jahre relativ wenig Fortschritt. Nur gut, dass auch der Preis der Basisversion fast auf dem alten Niveau geblieben ist.