Alpen-Masters 2012: Funbikes
Der große Funbike-Test in den Alpen

Ist es nicht erstaunlich? Immer wenn es um Spaß geht, geht es auch ums Weglassen. Zylinder, Leistung, Gewicht - weniger ist mehr. Aber: Gilt das auch in den Bergen? Vier ganz unterschiedliche Konzepte auf dem hochalpinen Fun-Prüfstand.

Der große Funbike-Test in den Alpen
Foto: Jahn

Weniger ist mehr. Wenn diese These stimmen würde, stünde der Sieger bei den Funbikes allein beim Blick aufs Datenblatt fest. Ein Zylinder, 70 PS, 163 Kilogramm vollgetankt - seitdem die KTM 690 Duke sogar beim Preis abspeckte und mit 7495 Euro in volksnahen Gefielden ankam, ist sie uneingeschränkte Meisterin im Weglassen. Und damit - so viel vorab - auch die uneingeschränkte Königin, wenn es um die freie Linienwahl in engen Alpenkehren geht. Keine sticht so behende ins Eck, keine lässt sich so lässig und zielgenau dirigieren, keine fährt so enge Bögen.

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Aber das allein reicht natürlich nicht. Denn erstens macht so eine Kehre noch lange keine Passhöhe, und zweitens garantiert ein einzelner Zylinder keinen kultivierten Motorlauf. Selbst dann nicht, wenn KTM bei der neuen Duke mit Doppelzündung und viel Detailarbeit allerhand unternahm, um dem ruppigen Hochleistungssingle (beeindruckende 74 PS auf dem Motorrad-Prüfstand) ein Minimum an Laufkultur angedeihen zu lassen. Und trotzdem: Auf jeder noch so kurzen Geraden rappelt, schüt-telt und vibriert der Einzylinder derart, dass sich der Fahrer ständig bei der Suche nach dem rechten Gang ertappt. In erster Linie nicht, um Leistung zu finden (auch wenn das nutzbare Drehzahlband konzeptbedingt recht schmal ausfällt), sondern um den -heftigen Vibrationen zu entkommen. Auf Dauer jedoch ist das ein hoffnungsloses Unterfangen.

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Die Leistung der vier Funbikes im Vergleich.

Also: Freunde gepflegter Laufkultur können die Duke bei ihren hochalpinen Plänen getrost außen vor lassen, auch wenn ihnen das quicklebendige Fahrwerk und die neuerdings relativ relaxte Sitzposition durchaus zusagen. Für Alpenheizer dieser Couleur kommt eher die extrovertierte Husqvarna Nuda 900 R oder die mächtigste aller Supermotos, die Aprilia Dorsoduro 1200 infrage. Die eine neu, die andere sanft überarbeitet, beide wie die KTM auf den aktiven Fahrer zugeschnitten. Und beide vor allem mit einem Zylinder mehr gesegnet als die Duke, was die Sache mit der Laufkultur doch beträchtlich milder gestaltet. Vor allem der Umstieg auf die Husky mit dem umgebauten BMW-Motor (er schiebt mit weniger Hubraum und ohne Hubzapfenversatz auch in den bayerischen 800er-Modellen Dienst) eröffnet eine neue Dimension, und zwar nicht nur in Bezug auf den KTM-Single, dessen Vibrationen und Drehmomententwicklung (siehe Leistungskurven), sondern auf Motorradantriebe im Allgemeinen und den perfekten Alpen-Motor im Besonderen.

Um es kurz zu machen: Dieser Reihen-Zweizylinder ist hier unglaublich gut, scheint zwischen zwei Kehren geboren. Er schüttelt besten Sound und feine V2-Umgangsformen dank 45-Grad-Hubzapfen-versatz ebenso locker aus dem Ärmel wie bärenstarken Durchzug (sogar im Vergleich zum viel mächtigeren Aprilia-Twin). Geht wunderbar weich ans Gas, ist perfekt dosierbar und liefert immer punktgenau die Leistung, die abgerufen wird, ist dabei fast so sparsam wie der KTM-Single. Dazu steckt er zu allem Überfluss in einem knackigen Fahrwerk, das ebenfalls kaum Wünsche offen lässt. Jedenfalls dann nicht, wenn die Nuda über den breiten, beinahe geraden und etwas gewöhnungsbedürftigen Supermoto-Lenker am kurzen Zügel geführt wird. Anbremsen, zielgenau umlegen, auf den Punkt beschleunigen und dann vier Kehren für ein Halleluja - das ist die Welt der wilden Husky.

Jahn
Die vier Funbikes von vorne.

Aber leider auch eine ohne Netz und doppelten Boden, denn kein ABS kontrolliert die superbissigen Brembo-Monoblockzangen, keine Traktionskontrolle den kernig anschiebenden V2. Und wenn dann noch beruhigende Fahrstabilität, Komfort, Wetterschutz oder gar eine Sozia mit Gepäck ins Spiel kommen, kapituliert die Nuda vollends. Sie ist ein Rase-, kein Reisemotorrad.

Also doch besser auf die kernige Aprilia umsteigen, die immerhin alle elektronischen Helfer an Bord hat? Den ebenfalls begeisternden V2 genießen, sich in kribbeligen Situationen auf nicht superfein, aber zuverlässig regelnde Assistenzsysteme verlassen? Eigentlich gerne, doch leider offenbart die große Wilde aus Noale hier oben im Kurvengeschlängel zwischen konzeptbedingten Schwachpunkten (Sitzkomfort etc., siehe Husqvarna) auch Unzulänglichkeiten, die nachhaltig den Spaß verderben. Die Plakativste: ihr unbändiger, beinahe peinlicher Durst. Mit 7,8 Litern kippt sich die Dorsoduro derart einen in die fetten Brennräume, dass nach knapp 200 Alpen-Kilometern Ebbe im Tank ist. Zum Vergleich: Die kleine Duke und die Husky brauchen bei gleichem Tempo nur etwas mehr als die Hälfte. Im französisch-italienischen Grenzgebiet mit seinem mehr als dünnen Tankstellennetz ein echtes Handicap.

Und noch etwas kommt hinzu. Die Aprilianer, eigentlich ausgewiesene Spezialisten in Sachen Fahrwerksbau, standen bei der großen Dorsoduro auch bei der jüngsten Überarbeitung wieder ein wenig auf dem Schlauch. Leichtere Räder hat sie, okay, und das Handling ist für eine ausgewachsene 1200er in der Tat frappierend. Die Unwilligkeit jedoch, mit der die Aprilia im Vergleich zur Nuda oder Duke über Straßenzustand und Haftungsreserven rapportiert, bremst selbst kühne Geister auf den hochalpinen Bergsträßchen nachhaltig ein.

Jahn
Kawasaki Versys 1000: Das große Plus der Versys ist ihre Ausgewogenheit.

Bleibt die letzte im Quartett, die „fette“ Kawasaki Versys 1000. Was die in diesem Feld der radikalen Entwürfe zu suchen hat, mag sich der eine oder andere fragen. Aber nur, wenn er Kawas seltsame Mischung aus bärenstarkem Naked Bike, kommoder Reiseenduro und, ja, eben auch wuseliger Kurvensuchmaschine noch nicht kennt. Allein die Kombination von agilen, handlingfreundlichen 17-Zoll-Rädern und breitem, hohem und bequemem Touring-Lenker ist eine ganz besondere Mischung und den Anforderungen an den Passverkehr förmlich auf den Leib geschneidert. So einfach, so unterhaltsam und gleichzeitig so gelassen und souverän fährt sich kein anderes Motorrad dieser Klasse - ja, beinahe im ganzen Alpen-Masters-Feld nicht.

Das liegt natürlich nicht nur an der kleinen Radgröße, sondern vor allem daran, dass Kawasaki bei der Fahrwerksabstimmung zumindest für diese Verhältnisse voll ins Schwarze getroffen hat. Komfortabel, aber nicht zu soft bügelt die Versys selbst Schlechtwegstrecken glatt, liefert dabei aber immer genug Rückmeldung, um auch flotte Passagen anzugehen. Dazu kommen wirkungsvolle Bremsen (natürlich mit ABS) und ein Motor (natürlich mit Traktionskontrolle), der zwar sanft, aber doch mit viel mehr Nachdruck anschiebt, als man ihm angesichts der sanften Gasannahme und unspektakulären Leistungsentfaltung zutraut. Derart konditioniert folgt die Versys der Krawallmeute vor ihr spielerisch und gelassen, lässt jegliches Spektakel außen vor. Aber das ist dann auch das einzige Manko eines Motorrads, das angesichts seines Komforts, seiner Soziustauglichkeit und seiner Fernreiseaffinität auch in der Adventure-Gruppe reüssiert hätte. In der Funbike-Gruppe tut sie es unter dem Strich überlegen.

Fazit: Sieger Kawasaki Versys 1000
So richtig spaßig anzuschauen ist sie nicht, die Kawasaki Versys. Schon gar nicht in Trauerfloor-Braun. Wer jedoch aufsteigt, will so schnell nicht wieder absteigen. Ihre Funktionalität macht einfach Laune, ihre Vielseitigkeit begeistert. Und macht sie zu einem heißen Anwärter auf den Alpen-Masters-Titel. Schaun mer mal!

Aprilia Dorsoduro 1200

Jahn
Aprilia Dorsoduro 1200: Mit 7,8 Litern kippt sich die Dorsoduro derart einen in die fetten Brennräume, dass nach knapp 200 Alpen-Kilometern Ebbe im Tank ist.

Daten
2-Zylinder, 1197 cm³, 131 PS, 115 Nm, 227 kg, Zuladung 173 kg, ABS, Traktionskontrolle, 12703 Euro

Messwerte
Testverbrauch Pässe: 7,8 l/100 km
Theor. Reichweite Pässe: 193 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m über NN: 7,0 s
Durchzug im zweiten Gang 25-75 km/h: 5,0 s
Bremsweg bergab: 24,4 m

Plus
Der kräftige und kernige V2 ist eine echte Nummer und prägt den Charakter dieses Motorrads entscheidend. ABS und Traktionskontrolle funktionieren gut, der Erlebniswert auf der Dorsoduro ist auch dank der aktiven Sitzposition ausgesprochen hoch.

Minus
Das Fahrwerk ist trotz Überarbeitung nicht auf dem von Aprilia gewohnten hohen Niveau, die Dorsoduro hat sowohl in Sachen Rückmeldung als auch Zielgenauigkeit Nachholbedarf. Zudem säuft sie wie ein Loch.

Husqvarna Nuda 900 R

Jahn
Husqvarna Nuda 900 R: Der Reihen-Zweizylinder ist hier unglaublich gut, scheint zwischen zwei Kehren geboren.

Daten
2-Zylinder, 898 cm³, 105 PS, 98 Nm, 197 kg, Zuladung 194 kg, 11590 Euro

Messwerte
Testverbrauch Pässe: 4,3 l/100 km
Theor. Reichweite Pässe: 303 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m über NN: 6,6 s
Durchzug im zweiten Gang 25-75 km/h: 4,8 s
Bremsweg bergab: 29,5 m

Plus
Was für ein Motor! Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass in den Alpen nicht mehr als rund 100 PS notwendig sind - hier ist er. Dass es dazu noch ein wieselflinkes Fahrwerk und brachiale Bremsen gibt, nehmen wir gerne mit - und toben den ganzen Tag Pässe rauf und runter.

Minus
Kein Komfort, kein ABS, keine Traktionskontrolle, gewöhnungsbedürftiger Lenker - etwa in dieser Reihenfolge. Die Husky ist etwas für Aktivisten, nicht für Erholungsuchende. Und nichts für die weite Anreise.

Kawasaki Versys 1000 (Sieger)

Jahn
Kawasaki Versys 1000: Die Begeisterung für die Kawa liegt nicht nur an den kleinen Rädern, sondern auch daran dass Kawasaki bei der Fahrwerksabstimmung zumindest für diese Verhältnisse voll ins Schwarze getroffen hat.

Daten
4-Zylinder, 1043 cm³, 118 PS, 102 Nm, 241 kg, Zuladung 218 kg, ABS, Traktionskontrolle, 11995 Euro

Messwerte
Testverbrauch Pässe: 5,4 l/100 km
Theor. Reichweite Pässe: 389 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m über NN: 8,5 s
Durchzug im zweiten Gang 25-75 km/h: 4,7 s
Bremsweg bergab: 26,7 m

Plus
Ganz klar ihre Ausgewogenheit. Die Versys fühlt sich überall zu Hause, selbst wenn sie aussieht wie von einem anderen Stern. Wer Alpenreisen will, ist herzlich eingeladen. Wer Alpenrasen will, liegt auch nicht falsch. Die Kombination aus Reihenvierer und hochbeinigem Fahrwerk funktioniert.

Minus
Ihr Aussehen und ihre Massigkeit - jedenfalls unter Funbike-Aspekten. Und voll beladen setzt sie relativ früh auf. Das kann den anderen nicht passieren. Vor allem, weil sie vermutlich nie voll beladen werden.

KTM 690 Duke

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KTM 690 Duke: Ein Zylinder, 70 PS, 163 Kilogramm vollgetankt – seitdem die Duke sogar beim Preis abspeckte und mit 7495 Euro in volksnahen Gefielden ankam, ist sie uneingeschränkte Meisterin im Weglassen.

Daten
1-Zylinder, 690 cm³, 70 PS, 70 Nm, 163 kg, Zuladung 187 kg, ABS, 7495 Euro

Messwerte
Testverbrauch Pässe: 4,0 l/100 km
Theor. Reichweite Pässe: 346 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m über NN: 10,2 s
Durchzug im zweiten Gang 25-75 km/h: 6,8 s
Bremsweg bergab: 27,5 m

Plus
Ihr spielerisches Handling, das seinesgleichen sucht. Und ein Fahrwerk, das bei vernünftigem Restkomfort fein ausbalanciert ist. Und ihr Underdog-Image, mit dem sie mancher Großen ordentlich um die Ohren fährt. Und ihr günstiger Preis.

Minus

Ihr Single ist kultivierter als bei der Vorgängerin, aber immer noch ein arger Vibrationsgenerator. Die Sitzposition ist ein wenig zu passiv, die Einscheiben-Bremse nur Durchschnitt.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023