Überblick Motorradmarkt von 1993 bis 2014

Der Motorradmarkt von 1993 bis 2014 Licht am Horizont

Lange war es düster am deutschen Motorradmarkt. Nach dem berauschenden Höhenflug in den 90ern ging es im neuen Jahrtausend stetig bergab. Doch nun, nach einer dreijährigen ­Konsolidierungsphase mit verhaltenen Zuwächsen, scheint Licht am Horizont.

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Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte. 87.423 zum Beispiel. Das ist die Zahl der Motorräder über 125 Kubikzentimeter, die 2013 in Deutschland neu zugelassen wurden. Ihre ganz eigene Dramatik entfaltet diese Zahl jedoch erst, wenn eine andere dazukommt. 89.270 – das ist die Zahl der Motorräder, die in Deutschland eben nicht zugelassen wurden. Jedenfalls dann, wenn man sie mit den heute beinahe unglaublichen 176.693 Bikes vergleicht, die das Kraftfahrt-Bundesamt 1993 als Neuzulassungen registrierte.

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Schnelle Rechner überreißen: Das ist mehr als das Doppelte. Und daher für die meisten Hersteller und Importeure einfach niederschmetternd. Besonders natürlich für jene, die aktuell sogar noch weniger als die Hälfte verkaufen, und das sind vor allem die Japaner. Auf satte 82 Prozent belief sich der Marktanteil der großen japanischen Vier im Jahr 1993. Im vergangenen Jahr brachten es Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha zusammen gerade noch auf 37,9 Prozent Marktanteil. Noch drastischer lässt sich dieser Vorgang in absoluten Zahlen darstellen.

Verkauf japanischer Motorräder geht drastisch zurück

Vor 20 Jahren verkauften die japanischen Hersteller in Deutschland exakt 144.888 Motorräder, 2013 waren es 33.133. Das ist nicht einmal mehr ein Viertel. Der damalige Marktführer Suzuki setzte mit 42.406 Einheiten fast 10000 Motorräder mehr ab als im vergangenen Jahr alle japanischen Hersteller zusammen. Mit den über 40.000 Motorrädern von damals könnte Suzuki heute rund die Hälfte des deutschen Gesamtmarktes bedienen.

Zugegeben, das ist eine Vorstellung, die angesichts der kümmerlichen 6207 Motorräder, welche Suzuki im vergangenen Jahr unter das kradelnde Volk brachten, geradezu abstrus erscheint. 1993 verkaufte man allein von der GS 500 E 6469 Stück. Das waren mehr Fahrzeuge, als man 20 Jahre später von der gesamten Modellpalette auf den Markt brachte. Damals hatte man aber zudem mit dem Chopper LS 650 Savage (2978 Stück) und der GSX-R 750 (2783 Stück) noch zwei weitere heiße Eisen in den Top Ten – und auch der Rest des Modellprogramms ging wie geschnitten Brot. Ganz ähnlich sah es bei Honda und Yamaha aus, die bei 22,2 Prozent (Yamaha) und exakt 20 Prozent (Honda) Marktanteil lagen. Selbstredend hatten ­beide Topseller wie eine Yamaha XJ 600 S (5005 Stück, Platz zwei) oder CBR 600 F (3445 Stück, Platz vier) im Programm.

BMW R 100 GS belegte nur Platz drei

Aber das ist lange her, inzwischen hat sich vieles verändert. So wird sich der eine oder andere angesichts der damaligen Top Ten verwundert die Augen reiben und nach der BMW R 1200 GS oder ihrer Vorgängerin fragen. Die hieß damals noch R 100 GS, wurde in der Zulassungsstatistik mit der Naked Bike-Schwester R 100 R sowie den kleineren R 80 zusammengezählt – und belegte nur Platz drei (4652 Stück), während die bayerischen Vierzylinder – damals noch längs eingebaut und viel touristischer ausgelegt – mit Platz zehn die Top Ten vervollständigten. Überhaupt, BMW: Boxer- und K-Baureihe, mehr gab es nicht, die F 650 mit Rotax-Einzylinder wurde erst im Laufe des Jahres präsentiert, vom 800er-Paralleltwin war noch keine Rede, erst recht nicht vom quer eingebauten Reihenvierer der S-Baureihe.

In der Summe ergab das 8,3 Prozent Marktanteil und Platz fünf in der Zulassungsstatistik – mit 14.363 Motorrädern. Zum Vergleich: Kawasaki verkaufte 1993 als kleinster Nippon-Vertreter mit knapp 27.500 Motorrädern fast doppelt so gut.

Aber mit den Grünen ging es damals – wie übrigens auch mit Suzuki und Yamaha – bereits abwärts, während die Europäer, Harley-Davidson und auch Honda noch zulegen konnten. Mit dem Ergebnis, dass 1999 der deutsche Motorradmarkt mit 187.192 Neumaschinen sein Allzeithoch erreichte. Was damals nur die wenigsten ahnten: Von nun an sollte es für die nächsten zehn Jahre abwärts gehen.

Allrounder konnten zulegen

Zeitsprung, Ende 2003, Deutschlands Motorradmarkt ist auf dem Weg ins tiefe Tal der Tränen. Rund 40.000 neue Bikes weniger als zehn Jahre zuvor, gar 50000 fehlen gegenüber 1999. Und doch gibt es Gewinner, allen voran BMW, wo man die Stückzahl mit rund 28.000 Motorrädern gegenüber 1993 nahezu verdoppelte. Auch KTM, Triumph und Harley-Davidson sind auf einem guten Weg, Ducati ist weitgehend stabil. Doch nicht nur die Größe des Kuchens und die Aufteilung haben sich über die Jahre verändert, sondern auch die bevorzugten Segmente und Hubraumklassen. Der Hubraum wuchs, Chopper und Cruiser wurden weniger. Wer trotzdem einen kaufte, fuhr nicht mehr Suzuki VN, Honda VT oder Ya­ma­ha XV, sondern Harley. Oder gleich einen Allrounder, denn neben den Choppern konnte diese Kategorie entscheidend zulegen.

Viele fuhren jedoch überhaupt nicht mehr oder zumindest immer weniger. Von 7149 Kilometern im Jahr (1994) sank die durchschnittliche Fahrleistung auf 4740 Kilometer (2011). Zwischendurch, nämlich 2010, war die Zahl der Neuzulassungen – auch wegen der Finanzkrise – auf das deprimierende Tief von 80.280 Neumotorrädern gesunken. Aber – und das war die gute Nachricht – es ging wieder bergauf.

Die Stücke vom Kuchen werden kleiner

Und zwar in kleinen Schritten, ebenso wie es bergab gegangen war: 3000 Maschinen mehr 2011, dann 2000 mehr 2012 und wieder 3000 mehr 2013 – das kann man einen stabilen Trend nennen. Ein zweiter: Der kleinere Kuchen wird auch in Zukunft statt in wenige große Stücke in viele kleinere aufgeteilt. Davon schnappt sich BMW derzeit den größten Bissen, liegt mit 22,9 Prozent Marktanteil unangefochten vorne. Prozentual ungefähr dort, wo sich Yamaha vor 20 Jahren befand. Auch hier wieder der große Unterschied: Damals bedeuteten Yamahas 22,2 Prozent rund 39.200 Motorräder, heute entsprechen BMWs 22,9 Prozent nur noch gut 20 000 Maschinen. Diese Zahl wird überhaupt nur erreicht, weil die Münchner mit der R 1200 GS nicht nur den unangefochtenen Marktführer stellen, sondern gleich vier weitere Top-Ten-Motorräder.

Was bedeutet das für die Zukunft? Eins ist klar: Wer ein möglichst großes Stück von diesem Kuchen haben will, braucht neue, attraktive Modelle und ein breit gefächertes Modellangebot. Dazu gehören technoide Trendsetter mit fortschrittlichen Assistenzsystemen ebenso wie erschwingliche Einsteiger- und Mittelklassebikes, wie sie Honda mit der NC-Baureihe, Kawasaki mit den erfolgreichen ER-Modellen und Yamaha seit diesem Modelljahr mit MT-07 und MT-09 anbieten. Klar scheint zudem, dass man mit Motorrädern mit möglichst breitem Spektrum wie den Reiseenduros oder charakterstarken Allroundern nicht viel falsch machen kann, während Supersportler oder Tourer derzeit eher das Markenimage polieren, aber nicht unbedingt höhere Absatzzahlen bringen. Und noch etwas hat dieses frühlingshafte Frühjahr gezeigt: Wenn Modellpalette und Rahmenbedingungen stimmen, haben die Kunden Lust auf ein neues Motorrad. Eigentlich kein Wunder, denn ihr altes ist im Durchschnitt unglaubliche 14 Jahre alt. Gekauft hätten sie es demnach 1999, auf dem Höhepunkt des Motorrad-Booms in Deutschland. Da ist es vermutlich mal Zeit für ein neues. Die Zulassungszahlen der ersten drei Monate dieses Jahres deuten jedenfalls darauf hin: plus 24 Prozent.

Neuzulassungen, Marktanteile und die Top Ten

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Die Gesamtentwicklung der Neuzulassungen seit 1993.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Ab und zu hilft es, sich den drastischen Rückgang der Neuzulassungen vor Augen zu führen. Der allerdings fiel in Südeuropa (Italien, Frankreich, Spanien) nach einer langen Phase des Wachstums mit der Finanzkrise noch weit dramatischer aus, während sich die Situation in Deutschland seit 2010 stabilisiert und der Markt sogar leichte Steigerungsraten aufweist. Ein Trend, der sich in diesem Frühjahr mit unerwarteter Wucht fortsetzt, sodass Hersteller wie KTM oder Yamaha mit der Auslieferung nicht mehr nachkommen.

Marktanteile nach Segmenten

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Die Marktanteile nach Segmenten.

Da hat sich aber einiges verschoben: Im Motorradmarkt von 1997 (von 1993 sind keine exakten Zahlen verfügbar) gaben die japanischen Cruiser vom Schlag einer Yamaha XVS 650 oder XV 535 den Ton an. Supersportler sind ebenso auf dem Rückzug. Allrounder und (Reise-)Enduros legten zu.

Marktanteile nach Hubraum

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Die Marktanteile nach Hubraum.

Für 1993 liegen keine vergleichbaren Werte vor, aber die von 1996 belegen den Trend: Der Hubraum wird immer größer. Lagen 1996 noch über 45 Prozent aller Neuzulassungen zwischen 500 und 750 Kubikzentimetern, waren es 17 Jahre später nur noch gut 32 Prozent. Dafür wuchsen die größeren Hubraumklassen, besonders die über 1000 Kubikzentimetern. Die machte 1998 noch ein knappes Viertel aller Zulassungen aus, 2013 waren es über 40 Prozent. Allerdings: Betrachtet man nur die Top Ten des vergangenen Jahres, sind die „mittleren“ Hubraumklassen wieder stark vertreten.

Top Ten der Neuzulassungen

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Die Top Ten der Neuzulassungen.

As Time goes by: Wer erinnert sich noch an das Zulassungswunder Yamaha XV 535 und seinen jahrelangen Erfolg? Aber auch eine Suzuki LS 650 Savage auf Platz sechs – das war der knuffige Chopper mit dem hübschen Einzylinder – ging damals richtig gut. Besser noch als 20 Jahre später Hondas aktueller Verkaufsprimus, die NC 700 S, die aktuell auf Platz zwei der Zulassungscharts liegt. Die einzige Kons­tante in diesem Epochen-Mix: Die GS-BMW, die sich schon 1993 gut verkaufte. Und heute Stückzah­len erreicht, von denen alle anderen nur träumen können.

Interview mit Christoph Gatzweiler

IVM
Beim IVM der Herr der Zulassungszahlen - Christoph Gatzweiler.

Christoph Gatzweiler ist beim IVM (Industrieverband Motorrad e. V.) Ressortleiter Technik und Herr der Zulassungszahlen. Er beobachtet den Motorradmarkt seit vielen Jahren ganz genau.

Drei Jahre Konsolidierung mit leichten Zuwächsen, jetzt ein deutliches Plus im Frühjahr: Erwarten Sie einen neuen Motorrad-Boom?

Gatzweiler: Die 90er-Jahre werden sich so schnell nicht wiederholen. Wir hatten einen generationsgetriebenen Hype in den 70ern und 80ern, zu dem nach der Wiedervereinigung ein neuer Markt mit vielen Motorradbegeisterten hinzukam. Diese Kombination wurde 1996 durch Änderungen beim Führerscheinrecht weiter beflügelt, sodass diese enormen Zulassungszahlen zustande kamen. Heute befinden wir uns in einem normalisierten gesamtdeutschen Markt, der sich langsam von den Folgen der Finanzkrise zu erholen scheint.

Nicht nur die Marktanteile, sondern auch die Segmente haben sich deutlich verschoben. Setzt sich dieser Trend fort? Und wenn ja, in welche Richtung?

Gatzweiler: Marktanteile sind immer mit attraktiven Modellen verbunden, die den Zeitgeist treffen und somit die Kunden anziehen. Die Segmente sind stets im Wandel. Aktuell tut sich der Supersportsektor recht schwer, wogegen man viele tolle Allrounder und Naked Bikes in den Bestsellerlisten finden kann.

Werden die Motorradfahrer im Schnitt weiter immer älter, oder ist Nachwuchs in Sicht?

Gatzweiler: Im letzten Jahr gab es beim Nach­wuchs wieder einen erfreulichen Zuwachs, sowohl beim A1-Führerschein als auch beim Absatz von Leichtkrafträdern. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass die Generation Motorrad in Deutschland mittlerweile zu den sogenannten Best-Agern zählt.

Was müssen die Hersteller anbieten, um die Klientel Plus-minus-50 zu bedienen? Geht der Trend zu immer mehr Hubraum und Leistung?

Gatzweiler: Die heutige Kundschaft ist ebenso vielseitig wie das Angebot. Mehr Hubraum und Leistung sind hier kein echter Trend. Ein Blick in die Top Ten aus dem letzten Jahr verrät nämlich, dass bei uns sogar mehr als die Hälfte der bestverkauften Motorräder deutlich weniger als 100 PS hatte.

Wie viel Zuwachs erwarten Sie für dieses Jahr?

Gatzweiler: Wir bleiben verhalten optimistisch. Der Motorradverkauf ist jedenfalls fantastisch angelaufen, und dieser Frühling macht uns bislang viel Freude!

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