Karsten Jerschke ist ein Macher. Das strahlt der Chef des in vielen Sparten von der Formel 1 bis zum Flugzeugbau aktiven Unternehmens 3C-Carbon Group in jeder Minute aus. Jerschke ist ruhelos, getrieben davon, Dinge nicht nur zu machen, sondern weiterzutreiben, zu perfektionieren. Dass so etwas nicht über Nacht geht, nagt an ihm. Aber versuchen wird er es immer. Aus diesem Antrieb heraus und aus der Begeisterung fürs Motorrad hat er Anfang des Jahres die insolvente Marke Horex übernommen und sich den Power-Cruiser gemeinsam mit seinen hoch qualifizierten Mitarbeitern und externen Experten angeschaut. Handlungsbedarf bestand akut, denn die Horex-Pleite hatte nicht nur mit Missmanagement zu tun. Es lag vor allem am Produkt. Die Horex VR6, wie sie bis zur Insolvenz die Manufaktur in Augsburg verließ, war zu schwer, litt unter einer ungenügenden Motorabstimmung und bot nicht die für den relativ hohen Preis angemessene exklusive Anmutung.
An allen drei Punkten setzte das neue Team an, wobei die Verlegung der Horex-Fertigung an den 3C-Standort Landsberg am
Lech – laut Jerschke entsteht die Silver Edition fast zu 100 Prozent dort – schon fertigungstechnisch einige Vorteile gebracht haben soll. Optisch zumindest hat sich der Schritt deutlich niedergeschlagen. Wo früher viel kantiges Plastik und eher schwülstige Retro-Design-Elemente wie etwa der hintere Kotflügel saßen, ist die aktuelle Horex deutlich luftiger und mit viel fein gemachtem Karbon gestaltet. „Steigerung der Wertanmutung“ nennt Jerschke das.
30 Kilogramm Gewichteinsparung
Der polierte Tank gehört genauso dazu wie die neue Farbgebung für den Alu-Gussrahmen und den wuchtigen Motorblock. Schwarz wich Silber. Dazu kommen viele kleine Details wie der Karbon-Fersenschützer an den Rasten, die mit dem überarbeiteten Horex-Logo versehenen Aluminium-Drehteile, die hochwertigen Hebeleien oder die handgefertigte Sitzbank.
Aber auch hinsichtlich des Designs ging man die Sache an. Vor allem die Front mit dem Scheinwerfer, dem Hightech-Dashboard und dem überlackierten Karbon-Kotflügel, aber auch das Heck, an dem ein scharf geschnittener Spritzschutz das alte Plastikteil und schließlich das ausladende Schutzblech ersetzt. Dadurch konnte das komplette Rahmenheck per Karbonkonstruktion umgestaltet werden. Jetzt bietet es nicht nur Minirückleuchten mit integrierten Blinkern, sondern auch ein integriertes Staufach. Das ist nicht nur praktisch, sondern verleiht dem Motorrad eine kraftvoll-dynamische Heckansicht.
Vor allem spart Kohlefaser gewaltig an Gewicht – ein weiteres zentrales Thema für den Horex-Neuanfang. 30 Kilogramm soll die Silver Edition leichter sein als das Vorgängermodell. Damit würde sie fahrfertig zwar immer noch bei knapp 240 kg liegen. Trotzdem wird sich das erheblich auf die Fahrdynamik auswirken. Neben dem großzügigen Karboneinsatz trug dazu auch die leichte Lithium-Ionen-Batterie bei, die die schwere herkömmliche Batterie ersetzte.
Neue Edelstahl-Komplettauspuffanlage
Doch wie steht es mit der technischen Ausstattung? Da ist ebenfalls viel passiert. Die Dämpferelemente kommen nun von
Öhlins und lösen die ehemalige WP-Ausstattung ab. Die voll einstellbare Gabel ist speziell für die Horex abgestimmt, das TTX 36-Federbein ist feinste Rennsportware. Die geänderten Federelemente haben ihren Anteil an der nun weitaus moderateren Sitzhöhe von 780 mm (vorher 830 mm). Geblieben ist Brembo als Bremsenlieferant, deren Vierkolben-Bremszangen radial an einem neuen CNC-gefrästen Gabelfuß angeschlagen sind. Die auffälligste technische Änderung betrifft freilich die neue Edelstahl-Komplettauspuffanlage mit größerem Krümmerquerschnitt, über deren Ursprung sich Karsten Jerschke bei der Präsentation noch ausschwieg, er aber eine slowenische Beteiligung klar verneinte. Ein Spezialist aus dem Automotive-Bereich zeichnet dafür wohl verantwortlich, den 3C über die Kontakte in den Vierrradrennsport gewinnen konnte.
Auch dem Auspuff sei die verbesserte Performance des Sechszylinders zuzuschreiben, da ist sich Jerschke sicher. Einen spürbar kräftigeren Antritt ohne das bisher störende Leistungsloch zwischen 4000 und 6000/min soll der Pilot der neuen Horex genießen können. Dazu wurde die Elektronik komplett neu programmiert, was auch das lange Startorgeln und das hin und wieder auftretende Absterben des Motors an Ampeln eliminiert haben soll. Doch nicht nur die neue Elektronik sei für diese gesteigerte Zuverlässigkeit verantwortlich. Auch Verbesserungen in der Fertigung des massiven Antriebs hätten dazu beitragen können, dass der VR-Motor insgesamt viel harmonischer zu Werke ginge und dadurch auch deutlich standfester sei als sein Vorgänger.
Serien-Horex VR6 auf der EICMA 2015
Weiterer Nebeneffekt: Die Horex VR6 soll jetzt 170 PS bei 9300/min leisten – ein sattes Plus von 9 PS. Dass all dies nicht zum Sparpreis zu haben ist, liegt auf der Hand. Die auf 33 Stück limitierte Silver Edition kostet 64.500 Euro. Deutlich günstiger, wenn auch nicht zum Schleuderpreis, soll es das nächste Modell der Horex VR6 geben, das im November 2015 in Mailand auf der EICMA gezeigt wird und weitere technische Finessen wie Rahmenteile aus Karbon haben soll. Dafür hat Horex bereits spezielle Farben entwickelt und sich patentieren lassen. Der Preis soll dann auf dem Niveau der letzten Horex-Modelle um die 25.000 Euro liegen. MOTORRAD wird die neue Horex alsbald zum ersten Fahrtest ausführen. Der Verkaufsstart für die Serienvariante soll im Frühjahr 2016 sein.
Technische Daten Horex VR6 Silver Edition
Wassergekühlter Sechszylinder-VR-Motor, 1218 cm³, 125 kW (170 PS) bei 9300/min, 138 Nm bei 7000/min, Leichtmetall-Brückenrahmen, 43-mm-Upside-down-Gabel, 4-Kolben-Doppelscheibenbremse vorn, Scheibenbremse hinten, Ø 320/264 mm, Sitzhöhe 780 mm, Trockengewicht 221 kg, Preis: 64.500 Euro