Report Aprilia

Report Aprilia Ist der Ruf erst ruiniert...

...lebt sich«s gar nicht ungeniert. Deshalb versucht Aprilia, das Vertrauen der Motorradfahrer zurückzugewinnen. Mit neuen, attraktiven Modellen, gutem Service und einer verlässlichen Ersatzteilversorgung.

Ist der Ruf erst ruiniert... Aprilia

Das Computersystem funktioniert einwandfrei«, sagt Hans-Peter Heck von der City Roller GmbH in Stuttgart. »Ich sehe gleich, wo ein Teil verfügbar ist, ob
im Europalager in Frankreich oder im Zentrallager in Italien.« Daraufhin kann er dem Kunden genau sagen, wie lange es braucht, bis die Benzinpumpe oder der Instrumententräger bei ihm in der Werkstatt ankommt. Oft schon am Folgetag, wenn’s schlecht läuft im Laufe einer Woche. Dieses System hat Aprilia schon länger im Gebrauch, doch erst seit kurzer Zeit können die Händler sein Potenzial auch ausschöpfen. Denn früher fehlte es an Elementarem, an Teilen. Und wenn es nichts zu verschicken gibt, hilft selbst die beste Logistik nichts. Das hatte natürlich mit der finanziellen Situation bei Aprilia zu tun, erklärt Heinz-Dieter Romanow, Geschäftsführer von Aprilia Deutschland. »Wenn Zulieferer nicht bezahlt werden, kommt von denen auch nichts. Und wenn was kam, wurde das für die Produktion von neuen Maschinen gebraucht.«
Das hatte Konsequenzen. »Die kürzeste Wartezeit war drei Wochen, die längste ein halbes Jahr. Ein neues Teil hat der Händler für mich nie aus dem Regal geholt, aber freundlicherweise zweimal von einem Ausstellungsstück abgeschraubt«, schrieb Dominik im Aprilia-Forum. Und so wie Dominik erging es vielen Aprilia-Kunden. Was dem Ruf der Marke nicht gerade förderlich war, und dem Absatz neuer Motorräder schon gar nicht. So meinte User Stierpag, dass er sich die Caponord eben doch nicht gekauft habe, da ihn »die schockierenden Berichte über die üble Ersatzteilversorgung abschrecken«.
Seit Aprilia 2004 der Pleite entrann, weil sich Europas größter Zweiradbauer Piaggio die Firma einverleibte, normalisierte sich die Situation allmählich. Die Lieferanten bekamen ihr Geld, die Kunden
ihre Ersatz- und Verschleißteile – und die
Marke ein neues Image. Zumindest soll eine Werbekampagne das erreichen, der man, wenn nicht Geschmackssicherheit, so doch Auffälligkeit attestieren muss. Da fressen Aprilia-Fahrer Fliegen, schneiden sich die Ohren ab oder fahren auf Pegaso zum Pissoir. Und Leute ohne Aprilia müssen sich mit Voodoo-Zauber behelfen, wenn sie sich nicht gleich ein Samurai-Schwert durch den Leib bohren wollen.
Bei aller Übertreibung dieser Kampagne, irgendwie pointiert sie dennoch die Ambitionen der neuen Aprilia-Bosse: In wenigen Jahren – dies ihr Szenario – wird sich die Marke aus Italiens arbeitsamem Nordosten als neue Motorradmacht in
Europa etabliert haben, mit Rennerfolgen auf allen Terrains und einer Zweiradpalette für jeden Geschmack, vom Superbike über das Mittelklasse-Funbike bis zum Offroad-Racer – eine klare Kampfansage in Richtung Japan. Doch in Fernost dürfte sich das angstvolle Zittern in Grenzen halten, denn der Weg zum erfolgreichen Relaunch von Aprilia ist weit.
Als Folge der Finanzmisere firmiert Aprilia nicht mehr als eigenständiges Unternehmen, sondern zusammen mit Moto Guzzi, Vespa, Gilera und Derbi als weitere Marke des italienischen Konzerns Piaggio aus Pontedera in der Toskana. Die dortigen, in der Mehrheit branchenfremden Manager haben jedoch Großes vor. Bis 2008 will Piaggio 100 Millionen Euro bei Aprilia investieren, neue Motorräder und Motoren entwickeln, gerade in der Mittelklasse: »In diesem Segment werden die meisten Motorräder verkauft«, sagt Piaggio-Geschäftsführer Rocco Sabelli. »Und Aprilia hat da nichts vorzuweisen. Das muss
sich ändern.« So wird der Hersteller einen
Generalangriff in den Hubraumklassen 750 und 850 cm3 starten, mit Funbikes, Enduros und Tourern, alle mit eher sportlicher Ausrichtung, dazu gesellen sich großvolumige Modelle mit 1000 und 1200 cm3.
Die Basis für die neuen Motoren stammt vom Mutterkonzern Piaggio, und zwar vom 500er-Einzylinder-Triebwerk des Rollers X9. Eine Zweizylinder-Variante mit 850 cm3 konnte MOTORRAD bereits vor vier Jahren fahren (MOTORRAD 10/2002). Während es sich damals um einen 90-Grad-V2 mit nur einer oben liegenden Nockenwelle und rund 83 PS handelte, sollen nun auch schärfere Versionen mit zwei Nockenwellen und entsprechend mehr Power in Piaggios hauseigenem Motorenentwicklungszentrum in Arbeit sein.
Noch in der CAD-Phase befindet sich ein Vierzylinder in V-Anordnung, der nach dem Willen der Aprilia-Oberen ab 2008
die Farben des Hauses in der Superbike-
WM vertreten wird. Damit nicht genug, soll auch noch das Gelände erobert werden: Den Offroad-Zweizylindern SXV und RXV 450 und 550, bislang nur in scharfen, hochteuren Wettbewerbsvarianten erhältlich, werden etwas kommodere Straßenausführungen zur Seite gestellt, zudem steht die Entwicklung eines 250er-Crossers an. Insgesamt zwölf neue Motorradmodelle kündigte Aprilia-Chef Leo Mercanti allein für die nächsten beiden Jahre an.
Hochfliegende Pläne, die durchaus Parallelen zur Vergangenheit aufweisen. Denn auch Ex-Chef Ivano Beggio wollte mit seiner Firma hoch hinaus, größter Motorradhersteller Europas werden. Es kam anders, obwohl Beggio gute Voraussetzungen geschaffen hatte. 1968 war er als 24-Jähriger ins Familienunternehmen seines Vaters Alberto eingestiegen, das in Noale, rund 30 Kilometer nordwestlich von Venedig, mit 18 Angestellten Fahrräder fertigte. Ivano, begeisterter Offroad-Fahrer, ließ 50er- und 125er-Motorräder bauen, stieg 1985 in
den Straßenrennsport ein. In der Folge etablierte sich Aprilia als einzigartiger
Talentschuppen für junge Rennfahrer: Max
Biaggi, Loris Capirossi, Marco Melandri, Ralf Waldmann und Valentino Rossi fuhren reihenweise Erfolge auf Aprilia ein; die Marke holte im Grand Prix bis heute insgesamt 26 Weltmeistertitel.
Mit sportlichem Engagement versucht Aprilia nun wieder, das Image aufzumöbeln. Sagenhafte 60 Piloten sind derzeit für den Hersteller aktiv, 35 davon allein im Straßen-Grand-Prix in der 125er- und 250er-Klasse, weitere in der Langstrecken-, der Supermoto- und Enduro-Weltmeisterschaft. Dazu kommt noch aktive Nachwuchsförderung in einem italienischen Junior-GP für 30 maximal 16-jährige Piloten, die diesen Cup auf Aprilia RS 125 ausfahren. »Wir müssen bei den jungen Fahrern den absoluten Führungsanspruch zurückgewinnen«, gibt sich Piaggio-Geschäftsführer Rocco Sabelli selbstbewusst. Rund 25 Millionen Euro lässt sich Aprilia das Sportengagement kosten, 50 Prozent davon übernehmen diverse Sponsoren. Allerdings: Die fürs Image bei den gestandenen Motorradfahrern so wichtigen Klassen, nämlich MotoGP und die Superbike-WM, fehlen derzeit.
Sicherlich fördert das Engagement in den kleinen Klassen den Rollerabsatz, nach wie vor Aprilias wichtigstes Standbein. 110000 Fahrzeuge bauten die Italiener 2005, davon 25000 Motorräder, die meisten eher mit kleinem Hubraum. Vom angestrebten Big-Bike-Business scheint Aprilia momentan also weit entfernt. Das soll sich
jedoch ändern, wie Piaggio-Mann Sabelli betont: »Wir haben Aprilia nicht gekauft, um das Rollergeschäft zu stärken, die bauen wir ja schon bei Piaggio. Wir wollen
Motorräder.« Ansatzweise klappt das wohl bereits. Heinz-Dieter Romanow von Aprilia Deutschland gibt fürs erste Quartal 2006 bei den großen Motorrädern ein Plus von gut 38 Prozent an. »Wir haben mehr Mille verkauft als Kawasaki ZX-6 oder ZX-10.«
Außerdem verweist Romanow darauf, dass Aprilia nunmehr vier Jahre Garantie auf alle großen Motorräder gewähre. Den Stuttgarter Händler Heck schreckt das nicht. »Wenn die Produktqualität so bleibt, ist das kein Thema. Technik und Verarbeitung stehen dem japanischen Standard schließlich in nichts nach. Im Gegenteil.« Mehr Sorgen bereiten ihm da – und Romanow übrigens auch – die Grauimporte, deren Preise weit unter dem liegen, was Aprilia Deutschland halten kann. »Da muss dringend was passieren, weil das auch was mit der italienischen Vertriebsstruktur zu tun hat«, sagt Romanow, der offizielle Importeur. Der darauf verweist, dass es in Italien große Zwischenhändler gibt, die gern nicht nur den nationalen Markt bedienen.
Mehr große Motorräder verkaufen, das war bereits das Ziel von Alteigentümer
Ivano Beggio. Als hilfreich erwies sich dabei ein Vertrag, den er 1992 mit BMW schloss: Aprilia fertigte die F 650 – ein ungeheurer Imagegewinn, denn der Einzylinder galt lange Zeit als die BMW mit dem sorgfältigsten Finish.
Auch diesmal könnte BMW den Ita-
lienern wieder auf die Sprünge helfen. In
einer hermetisch abgeschirmten Halle am Stammsitz von Aprilia in Noale lässt BMW die neuen Singles entwickeln – gleich drei Modelle, darunter Hard-Enduro und Supermoto. Für die Fertigung im nächsten Jahr verordnete BMW modernisierte Produktionsanlagen.
Ende der 90er Jahre baute Aprilia etwa 350000 Fahrzeuge pro Jahr, machte einen Umsatz von rund 500 Millionen Euro und beschäftigte 1500 Mitarbeiter. Das erste Big Bike des Hauses, die RSV Mille, startete 1998 viel versprechend, gewann Vergleichstests, wurde international mit Preisen überhäuft. Als dann noch Troy Corser in der Superbike-WM mit Aprilia auf Erfolgskurs steuerte, schien der Triumph unaufhaltsam.
Danach übernahm sich Beggio, kaufte 2000 die marode Motorradmarke Moto Guzzi. Deren Sanierung verschlang Unsummen, blockierte Kapazitäten bei Aprilia. Die Nachfrage nach RSV Mille und Konsorten nahm nicht die erhofften Ausmaße an, zumal Aprilia, bei Rollern für gelungenes Design bekannt, mit Motorrädern wie dem Tourer Futura den Geschmack des Publikums total verfehlte. 2001 brach der italienische Rollermarkt völlig zusammen, Aprilia geriet ins Trudeln, konnte Zulieferer nicht mehr bezahlen. Im Frühjahr 2004 verweigerten die Banken weitere
Kredite, Beggio warf das Handtuch.
Ein Übernahmeangebot von Ducati lehnten die Banken ab, und so kam im August 2004 Piaggio zum Zug und half mit einer Finanzspritze von 20 Millionen Euro Aprilia zunächst aus den gröbsten Nöten. Piaggio wiederum hatte Ende 2003 einen neuen Eigner bekommen, den Finanzier und Ex-Boss der italienischen Telecom, Roberto Colaninno. Zusammen mit dem ebenfalls branchenfremden Rocco Sabelli steht er nunmehr dem größtem Zweirad-Konzern Europas vor.
Als Marken-Chef fungiert Leo Mercanti, 48, der seit 1982 bei Aprilia gearbeitet hatte, bis zum Generaldirektor aufgestiegen war, das Unternehmen aber Mitte 2001
– nicht unbedingt in freundschaftlichem Einvernehmen – verließ. Mit ihm kehrten Anfang 2005 weitere Techniker und Ingenieure zu Aprilia zurück, die, wie Mercanti, in der Zwischenzeit bei der Piaggio-Tochter Derbi in Spanien überwintert hatten. Ex-Eigner Ivano Beggio lebt heute zurückgezogen in seiner Villa im Veneto und tritt öffentlich nicht mehr in Erscheinung – auch das ein gewisser Imageverlust für Aprilia: Beggio, mit seinem eher rustikalen Führungsstil sicher nicht immer ein einfacher Arbeitgeber, hatte Aprilia ein Gesicht gegeben und seine Leidenschaft für Motorräder auf Mitarbeiter und Kunden übertragen.
Heute wird Aprilia eher kühl und geschäftsmäßig regiert, die Piaggio-Bosse haben den im Juni bevorstehenden Börsengang ihrer ganzen Gruppe im Auge. Es fehle an der in Italien so wichtigen »passione«, klagen denn auch manche der rund 1150 Aprilia-Mitarbeiter. Stattdessen habe die Bürokratie mit vielfältigen Formularen und Fragebögen Einzug gehalten, schon immer ein Markenzeichen des Piaggio-Konzerns.
Verhaltener Optimismus keimt bei der Händlerschaft in Italien, immerhin war ein kleiner Zuwachs zu verzeichnen, allerdings nur im Rollerbereich. Dort lief die Ersatzteilversorgung ebenfalls deutlich besser als in den Jahren zuvor, was nicht wenig zur Zufriedenheit der Kunden beitrug. Aktuell jedoch sehen die Händler Grund zu neuen Befürchtungen.
Neuerdings wird die Ersatzteilverwaltung für Aprilia nämlich vom Piaggio-Stammsitz in Pontedera gesteuert, was die mühsam aufgebaute Logistik erneut gefährden könnte. Die Händler müssen sich vom hochgelobten Aprilia-System verabschieden – »Das ist benutzerfreundlich, und da komme ich immer sofort rein«, sagt Heck von City-Roller – und mit der neuen Piaggio-Software klar kommen. »Die stammt von SAP«, erläutert Romanow.
Doch neue Modelle hin, Ersatzteilversorgung her: Um seinen Durchhänger auszubügeln, muss Aprilia jetzt erst mal ranklotzen und neue Modelle, Erfolge im Rennsport und einen guten Service liefern. Erst dann werden die Kunden entscheiden, ob das schöne Bild, das sich die Piaggio-Bosse von der Aprilia-Zukunft ausmalen, tatsächlich Wirklichkeit wird.


Mitarbeit: Michael Orth und Norbert Sorg

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