Wer sind wir – und wenn ja, wie viele? Wer bislang Daten über die Motorradbranche in Deutschland suchte, ging leer aus. Dabei strotzt die Branche laut einer vom Industrie-Verband Motorrad (IVM) in Auftrag gegebenen Studie vor Wirtschaftskraft.
Wer sind wir – und wenn ja, wie viele? Wer bislang Daten über die Motorradbranche in Deutschland suchte, ging leer aus. Dabei strotzt die Branche laut einer vom Industrie-Verband Motorrad (IVM) in Auftrag gegebenen Studie vor Wirtschaftskraft.
Was haben Möbelherstellung, Apotheken und die Motorradindustrie in Deutschland gemeinsam? Genau: die Wertschöpfung, auf gut Deutsch der Beitrag dieser Branchen zum Volkseinkommen. Der liegt nämlich auf ähnlichem Niveau. Im Jahr 2014 betrug die Wertschöpfung 6,6 Milliarden Euro, dabei erreichte die Motorradbranche einen Umsatz von 11,6 Milliarden Euro. Sie sichert Arbeitsplätze für fast 130.000 Personen, das entspricht der Einwohnerzahl von Ingolstadt oder Regensburg. Der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt beläuft sich zwar nur auf bescheidene 0,25 Prozent, das ist aber immerhin jeder 330. Arbeitsplatz in Deutschland. Auch beeindruckend: Jeder 400. erwirtschaftete Euro ist der Motorradwirtschaft im weiteren Sinne zuzuschreiben, entweder direkt, indirekt oder induziert, das heißt durch sie ausgelöst.
Dieses komplizierte Geflecht lässt sich am besten an einem Beispiel aus dem Leben illustrieren. Ein erfolgreicher Motorradverkäufer gibt sein verdientes Geld für Kleidung aus, geht essen, kauft sich ein Fahrrad, schickt seine Kinder zur Schule. Wenn der Meister sich selbstständig macht, baut oder renoviert er ein Firmengebäude, bringt Bauarbeiter in Lohn und Brot, die ihrerseits Geld ausgeben, und so weiter. Schnell wird klar, dass all diese Verästelungen äußerst schwer bis in die letzte Stelle erfassbar sind. Man versucht, das durch den sogenannten Beschäftigungsmultiplikator, auch Hebel genannt, zu beziffern. Er beträgt in unserer Branche 1,8. Das bedeutet im Klartext, dass von jedem Mitarbeiter in der Motorradwirtschaft 0,8 weitere Arbeitsplätze abhängen.
Anders gesagt: Wenn in der Motorradbranche zehn Arbeitsplätze wegfallen, kostet das acht Menschen drum herum ihren Job. Bei der Möbelbranche beträgt der Faktor übrigens 2,4; macht 14 andere Jobs pro Arbeitsplatz. Bei den Apotheken nur 1,5, sprich fünf Jobs pro zehn Personen hinterm Apothekentresen.
„Bisher konnte die wirtschaftliche Bedeutung von Motorrad und Roller nur geschätzt werden“, sagt IVM-Hauptgeschäftsführer Reiner Brendicke. Er räumt ein: „Das ist wenig überzeugend, wenn man gegenüber Politikern Gewicht haben möchte.“ Also mussten Zahlen her, Zahlen auf deren Basis man Branchen vergleichen kann. Eine Methode, die für die Möbelindustrie ebenso funktioniert wie für den Handel mit Baumaterialien. Den Auftrag bekam das Institut Economica aus Wien, es hatte eine derartige Untersuchung bereits für Österreich durchgeführt.
Da die Motorradwirtschaft ähnlich anderer Branchen wie Tourismus, Sport oder Kultur eine sogenannte Querschnittsmaterie ist, sich also aus einer Vielzahl von Branchen zusammensetzt und mit vielen anderen vernetzt ist, wurde ihre wirtschaftliche Bedeutung bisher unterschätzt. Solche Wirtschaftsstudien teilen die Materie in zwei Bereiche auf: zum einen die Kernbranche, also die Motorradwirtschaft im engeren Sinn wie die Produktion von Motorrädern, Reifen, Bekleidung und Zubehör, sowie Händler, Werkstätten oder die stark wachsende Zahl der Customizer. Und zum anderen in die Motorradwirtschaft im weiteren Sinne. Dazu gehören alle Bereiche, die es ohne Motorrad zwar auch gäbe, die aber am Motorrad und den Motorradfahrern verdienen wie Tankstellen, Fahrschulen, Zeitschriftenverlage, TÜV, Gastronomie und viele mehr.
Im Kerngeschäft hat auch und gerade der Export stark zugelegt. Seit 1991 verdoppelte sich der Wert der exportierten Waren in der Motorradbranche alle zehn Jahre. Jeder 650. Export-Euro geht auf die Kernbereiche der Motorradwirtschaft zurück. Wir denken hier an Firmen wie BMW, Metzeler, Schuberth, Held, Stadler oder Abus. Das durchschnittliche reale Exportwachstum lag hier bei zwölf Prozent im Jahr und damit deutlich über dem Gesamtmarkt. Besonders stark zugelegt hat die Branche in den letzten drei Jahren. Wichtigste Zielländer sind die USA, gefolgt von Frankreich und Italien. 57 Prozent aller Exporte gehen in Länder der Europäischen Union.
Bemerkenswert ist, wie die Studie die Zeit- und Kostenersparnis durch den Einsatz von Zweirädern bilanziert. Seriöse Untersuchungen beziffern den Zeitverlust aller Autofahrer in Deutschland durch Parksuchverkehr auf horrende 510 Millionen Stunden pro Jahr. Veranschlage man eine Stunde privaten Individualverkehr mit 4,30 Euro, komme man auf verschwendete 2,2 Milliarden Euro!
Die Motorradfahrer ersparen sich im Vergleich zur Pkw-Nutzung also 60,4 Millionen Euro pro Jahr, weil für sie der Parkplatzsuchverkehr entfällt. Und: Würden sie stattdessen das Auto nutzen, würden sie auch fast 40.000 Tonnen CO2 zusätzlich in die Luft blasen. Auch die Öko-Bilanz stimmt also. Die Motorradbranche hat sich folglich nach der dicken Delle im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends nicht nur wieder gefangen, sondern überdurchschnittlich zugelegt. Mit diesen Zahlen kann sich der IVM hoffentlich auch im politischen Berlin Gehör verschaffen.