Fahrtest CVO Street Glide und CVO Road Glide 121 VVT 2023
185 Nm ab Werk - Wie sich die neuen CVOs fahren

Harley hat zwei neue CVO-Modelle vorgestellt. Das Upgrade bezog sich nicht nur aufs Facelift. Bei dem neuen 121er-Motor, der zunächst nur in den CVO-Bikes zum Einsatz kommt, setzt die Company erstmals auf Wasserkühlung und variable Steuerzeiten. Doch ehe die Jünger der Luftkühlung aufschreien, sollten sie weiterlesen.

In diesem Artikel:
  • Modernste Harley-Technik in V2
  • Harley-Davidson CVO Street Glide 121 2024
  • Neues Cockpit bei Harley
  • Aufsteigen, wohlfühlen: CVO
  • Der neue Motor bei Harley
  • Wie fühlen sich 183 Nm aus 1.977 Kubik an?
  • CVO mit 5 Fahrmodi
  • Sportbremsen an der Edel-Harley
  • CVO speckt ab
  • Fazit

Hubraum ist durch nichts anderes als durch noch mehr Hubraum zu ersetzen. Sicherlich ist diese Herangehensweise im Zuge des allgemeinen Downsizings nicht mehr zeitgemäß. Allerdings funktioniert bei Harley kein anderes Konzept. Stammtischkönig wird immer der mit dem Dicksten. Hubraum, versteht sich.

Modernste Harley-Technik in V2

Der brandneue 121er-Motor, der ab diesem Jahr ausschließlich in den Modellen CVO Road Glide und CVO Street Glide zum Einsatz kommt, verfügt hingegen nicht nur über 1977 cm³. Er bricht auch mit der Tradition. Zwar setzt das Werk bei diversen Modellen schon auf Wasserkühlung bei den Limited-Modelle, bei den "kleineren" Touringbikes waren bislang immer nur Luft und Öl im Spiel.
Beim neuen 121er werden die Auslassventile zusätzlich durch Wasser gekühlt. Die notwendige Kühlschleife ist unauffällig integriert. Der Wasserkühler sitzt vor zwischen Vorderrad und Motorrumpf. Auffällig hingegen ist der Kühlwasserausgleichsbehälter an der linken vorderen Rahmenseite, der aussieht wie ein Rohrpost-Zylinder. Und damit seinen Spitznamen bereits weg hat.

Motorrad-Neuheiten

Harley-Davidson CVO Street Glide 121 2024

Im Rahmen der 120-Jahr-Feier in Milwaukee hatten wir Gelegenheit, die beiden neuen CVO-Bikes zu fahren. Starten wir mit der CVO Street Glide 121. Eins vorweg: Von den insgesamt zehn Sketches, also Designentwürfen, die gemacht wurden, hat Harley sich für eine entschieden, die in der Mitte angesiedelt war. Weit weg vom bisherigen Design, aber nicht so weit, wie man es hätte machen können.
Die Bat-Wing-Verkleidung, die vor gut 50 Jahren in ihrer Form über die Jahre hinweg zur Ikone gereift ist, darf letztlich den Namen gar nicht mehr tragen: Die Fledermaus-Flügel sind verschwunden.
Ein eingearbeitetes LED-Leuchtband als Tagfahrlicht und Blinker gleichzeitig ziert beide Seiten der Verkleidung und gibt der CVO Steet Glide einen futuristischen Touch. Futuristisch ist das neue Cockpit.

Neues Cockpit bei Harley

Ein 12,3 Zoll (31,24 cm) großer TFT-Monitor liefert nicht nur alle Infos über Fahr-, Motor und Umgebungszustände, sondern ist selbstverständlich mit dem Handy vernetzt. Das Ganze soll sich im Nassen mit Handschuhen über die Touchscreen-Funktion bedienen lassen. Haben wir nicht ausprobieren können, denn es war gottlob trocken. Selbstverständlich sind ein gutes Dutzend elektronische Assistenzsysteme an Bord, vom Kurven-ABS über Traktionskontrolle bis zur Berganfahrhilfe wird alles abgedeckt. Beim Platz nehmen fällt die neue Anordnung der Bedienknöpfe auf. Will heißen, dass alle Harley-Fahrer, die sich über Jahre hinweg an die bisherige Positionierung gewöhnt haben, umstellen müssen. Den "Joystick" gibt es nicht mehr.

Aufsteigen, wohlfühlen: CVO

Wurscht! Bereits nach wenigen Metern Fahrt hat man sich an alles gewöhnt. Beispielsweise an die Trittbretter, die im Vergleich zum Vorgänger leider nicht mehr gefedert und auch schmaler sind. Oder die neuen Verkleidungen, die wesentlich besser vor dem Fahrtwind schützen sollen. Und an die neue, anders konturierte Sitzbank, die dem Piloten ermöglichen soll, sich mit seinem Allerwertesten gegen den enormen Beschleunigungsdruck des Motors abzustützen.

Der neue Motor bei Harley

Guter Übergang, oder? Kommen wir also zum Motor, exakte Bezeichnung "M8 VVT 121". In der Presseprosa ist Folgendes über ihn nachzulesen: "Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem potenten 117er-Motor, liefert der 121er rund zwölf Prozent mehr Leistung, acht Prozent mehr Drehmoment und reduziert den Benzinverbrauch um circa fünf Prozent."
Kling gut, aber nicht nach Wundern. Um diese paar Prozente innerhalb des Homologations-Korsetts umzusetzen, bedurfte es einiger technischer Änderungen. Der Durchmesser der Drosselklappe wuchs von 55 auf 58 mm, das Volumen der Airbox wurde um 50 Prozent gegenüber älteren Heavy-Breathern vergrößert. Optimierte Strömungstechnik im Ansaugtrakt ermöglicht eine bessere Zylinderfüllung. Zusätzlich wurde die Verdichtung von 10,3 auf 11,4 zu eins erhöht und eine Nockenwelle verbaut, die längere Ventilöffnungszeiten realisiert. Weiterhin kommt beim M8 Motor zum ersten Mal ein patentiertes System namens VVT zu Einsatz: Drehzahlabhängig wird die Nockenwelle über einen Mechanismus um bis zu 20 Grad verdreht – ergo ändern sich die Steuerzeiten. Ziel: bessere Zylinderfüllung, mehr Power über den gesamten Drehzahlbereich. Kommen wir zum Punkt: Was bringt der ganze Aufwand?

Wie fühlen sich 183 Nm aus 1.977 Kubik an?

Der mächtige V2, in dem zwei Kolben mit einem Durchmesser von 103,5 mm bis zu 5500-mal pro Minute durch ihre Gehäuse flitzen, läuft überraschend geschmeidig. Vibrationen sind über den gesamten Drehzahlbereich pulsierend präsent, aber nie störend. Eine abrupte Leistungssteigerung durch das Verdrehen der Nockenwelle ist nicht spürbar, die Leistungsabgabe erfolgt linear. Das ist wunderbar. Torpedohaften Vorschub darf man trotz der imposanten 183 Nm Drehmoment, die schon bei 3.500/min anliegen, nicht erwarten. Schließlich gilt es fast acht Zentner plus Fahrer zu beschleunigen.
Aber relativieren wir das Ganze. Und setzen es ins Verhältnis mit Harleys aktuellen Powerpaket, dem 117er-Motor. Gäbe es ein Beschleunigungsduell, hätte dieser sofort das Nachsehen. Denn der 121er gibt sich recht spritzig und kraftvoll in jedem Drehzahlbereich. Und er fühlt sich auch überall wohl. Egal, ob man mit 1.000 Touren durch Ortschaften bummelt oder ihn beim Überholen ausquetscht und abrupt vom Begrenzer bei kurz vor 6.000/min gestoppt wird.

CVO mit 5 Fahrmodi

Neu, und hier wird es interessant, sind die fünf Fahrmodi. Unter Road oder Rain kann man sich sicher was vorstellen. Hinzu kommen noch zwei frei individuell programmierbare Modi, die sich der Kunde zusammenstellen kann. Mehr oder weniger Motorschleppmoment oder Traktionskontrolle und so weiter und so fort. Richtig Feuer unterm Hintern bietet der 121er allerdings im Sport-Modus. Eine derartige Dynamik hat es im Harley-Touringbereich noch nicht gegeben. Wer hier richtig an der Rolle dreht, kommt schnell auf den Gedanken, von der Geraden abzubiegen und mit dem Bike an den hierzulande gerade bekannt werdenden Bagger-Races teilzunehmen. Und zwar ohne jedwede Veränderung vorzunehmen. Blöde Idee? Egal. Viele blöden Ideen machen Spaß. All jene, die nach immer mehr Leistung in ihren Touringbikes geschrien haben, hat Harley erhört.

Sportbremsen an der Edel-Harley

So viel Dynamik erfordert selbstverständlich Gegenmaßnahmen. Bei den CVO-Glides, die bis auf die Verkleidung technisch absolut identisch sind, setzt man vorn fortan auf radial verschraubte Vierkolben-Festssättel aus dem Hause Brembo. Sie verbeißen sich in auf 320 mm vergrößerte Scheiben. Die Verzögerung ist gut und lässt die neue 47er-USD-Gabel recht schnell eintauchen. Hier fehlt ein wenig Dämpfung, ansonsten gibt es nichts zu monieren, das Ansprechverhalten geht in Ordnung.
Am Heck gibt es ebenfalls Positives zu vermelden. Der Federweg wurde nicht nur von 55 auf 76 mm vergrößert. Ab sofort kann die Zugstufe verstellt werden. Eine Anpassung der Federbasis, beispielweise für den Soziusbetrieb, erfolgt über ein gut zugängliches Handrad vor dem linken Koffer. Der Komfortgewinn gegenüber den Vormodellen ist enorm. Hier ein Tipp: Da der Rahmen völlig unverändert ist, werden die neuen Federbeine bei den Vorgängermodellen passen. Nachfragen beim Freundlichen hilft!

CVO speckt ab

Last but not least hat man tatsächlich noch ein wenig Gewicht eingespart. Mit 380 Kilo ist die Street Glide um 14 Kilo leichter als die Vorgängerin und mit 393 Kilo wiegt die Road Glide 15 weniger als ihre Vorgängerin. Verglichen mit den Gesamtgewichten sind das natürlich nur Mückenfürze. Allerdings kommt es einem beim Fahren so vor, als könne man die Gewichtsreduktion spüren. Denn die Kilos wurden im oberen Bereich abgespeckt, bei den Haltern der Verkleidung beispielsweise und bei den Gabelbrücken. Wir hatten beide Gabelbrücken – die neue und das 2022er-Pendant – in den Händen. Bizepstraining mit der neuen ist weitaus weniger effektiv.

Fazit

Welche von beiden Glides für wen besser geeignet ist, muss der Fahrer selbst entscheiden. Während die etwas wuchtigere Verkleidung der Road Glide rahmenfest montiert ist, schwenkt die – nennen wir sie einfach nochmal so – an der Gabel montierte Batwing-Verkleidung der Street Glide bei jedem Einschlagen mit. Besseren Windschutz und bessere Sicht in den Spiegeln liefert die Road Glide.
Das etwas fahraktivere Bike ist allerdings die Street Glide, was auch an dem handlicheren Lenker liegt. Beide Modelle sind in den USA Verkaufsschlager, das Verhältnis der Absatzzahlen ist dort in etwa gleich. Hierzulande wird die Street Glide ihrer Schwester gegenüber immer noch bevorzugt.
Mit jeweils 45 495 Euro sind die CVO-Modelle wahrlich kein Schnäppchen. Außerdem ist der Aufpreis für die zweifarbige Variante mit 7.140 Euro extra mehr als happig. Aufgrund ihrer Exklusivität – es kommen dieses Jahr vorerst nur 200 Exemplare in den DACH-Verkaufsbereich – bleiben die Maschinen, so zeigt es jedenfalls die Vergangenheit, lange preisstabil.
Trotzdem sei eins angemerkt: Bei einem solch exklusiven Bike, das zudem noch aus der hauseigenen CVO-Schmiede (Custom Vehicle Operations) stammt, darf – wie hier geschehen – keine Billighupe von Alibaba verbaut werden. Wer ganz genau hinschaut, sieht die Spitze des Rotstiftes an vielen Stellen. Wollen wir mal hoffen, dass ihm bald die Farbe ausgeht.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023