Alrendo TS Bravo im Fahrbericht
Nicht alles Volt watt glänzt

MOTORRAD fuhr die Alrendo TS Bravo. Der Powercruiser macht seine Sache gut, benötigt aber noch etwas Feinschliff.

Fahrbericht Alrendo TS Bravo
Foto: Joel Bougnot
In diesem Artikel:
  • Überraschend gutes Motorrad
  • Tolle Technik
  • Design-Konflikt
  • Großer Stadtflitzer
  • Nicht alles Volt, watt glänzt
  • Fahrwerk poltert
  • Tolles Indoor-Display
  • Am Ende noch das Finish
  • Fazit

Imposant – das ist der spontane Gedanke beim Erstkontakt mit der Alrendo TS Bravo. Im niederländischen Helmond, im E-Center auf dem Automotive Campus sehe ich den großen China-Stromer in Lebensgröße. Nicht gleich klar ist: Das ist eigentlich eine 125er. Eine echt große 125er mit maximal 20 Kilowatt Leistung, 54 Nm Drehmoment und mit dem neuen großen 17,4-kWh-Akku ein echtes Reichweitenmonster. Mit 243 Kilogramm aber auch ein Massen-Monster. Wie sich das Gerät für 11.200 Euro wohl fährt?

Alternative Antriebe

Überraschend gutes Motorrad

Es fährt sich gut. Überraschend gut und stimmig. Der Mittelmotor drückt in allen drei Fahrmodi kräftig bis heftig und bringt die Bravo recht flott auf Tempo 100 und weiter auf maximal 135 km/h. Dabei rollt die Alrendo mit langem Radstand ruhig und stabil über die topfebenen und schnurgeraden Straßen um Helmond. Findet sich aus Versehen doch so etwas wie eine Kurve, fädelt der tiefe und gefühlt mittig platzierte Schwerpunkt das Krad mit wenig Kraft in den Radius. Ein Effekt, der durch den weit nach hinten reichenden Lenker und die tiefe Sitzposition verstärkt wird.

Tolle Technik

Außergewöhnlich für die Klasse und Preisklasse: Der bürstenlose Motor und die Leistungselektronik sind wassergekühlt, der On-Board-Lader kann bis zu 3,8 Kilowatt Leistung über einen Typ-2-Stecker ziehen, was knapp vier Stunden Ladezeit des großen Akkublocks bedeutet. Der Motor wiegt nur 17 Kilogramm und könnte theoretisch sogar 58 Kilowatt Leistung bieten, wenn der Akku sie böte. Der Antrieb per Zahnriemen ist unhörbar, selbst in flotter Vorbeifahrt hält die Alrendo sich zurück. Nicht zurück hält sich die Bremse. Weder optisch mit großen, dicken Scheiben und radialen Doppelsätteln, noch in der Wirkung mit der Vehemenz einer Wand. Bremsen kann die Bravo, bravo.

Design-Konflikt

Das Design der TS Bravo spaltet. Mit ihren großen Verkleidungsteilen, seitlichen Nüstern, teils offengelegten Rahmenteilen, der Boxernase, breiten Schultern und kupiertem Heck mit Disko-Licht gefällt sie nicht jedem, weiß sich aber in Szene zu setzen. Freunden der Ducati Diavel, wird die Alrendo liegen.

Großer Stadtflitzer

438 Kilometer Reichweite in der Stadt gibt Alrendo an und an die könnte man herankommen, wenn man im Eco-Modus durch die Ortschaften schippert. Real dürften über Land und mit reichlich Zwischensprints 250 Kilometer drin sein. In engen Gassen und beim Wenden kommt das große Motorrad zwar an seine Grenzen, doch mit dem Rückwärtsgang, der bis 10 km/h beschleunigt, kommt die Bravo gut herum. Übrigens: 10 km/h rückwärts auf zwei Rädern ist eine Herausforderung. Ebenso das Parken, denn der Seitenständer ist kurz und direkt unter der Fußraste versteckt: Erst kommt der Fuß nicht ran, dann schlägt der Knöchel an Metall.

Nicht alles Volt, watt glänzt

Die Dimensionen der Alrendo TS Bravo, ihre gemütlichen Sitze für zwei Personen und die ausreichende Zuladung von 260 Kilogramm zeichnen ein reisefreudiges Bild des Stromers. Doch abgesehen von der ausgezeichnet funktionierende Antriebstechnik mit großer Reichweite und den Typ-2-Ladestecker benötigt die Bravo noch etwas Ingenieursliebe und Qualitätskontrolle. Und zwar an allen sichtbaren und greifbaren Bauteilen.

Fahrwerk poltert

Ein hohes Gesamtgewicht und eine hohe Zuladung rechtfertigen zwar straffe Federn, jedoch darf das kein Grund sein, für das erschreckende Polter-Fahrwerk der Alrendo mit miserablen Federelementen. Die Gabel gaukelt zwar ein Art Einstellbarkeit vor, aber besser wird es nicht und die an sich adrett gestaltete Aluschwinge bringt mit dem direkt angelenkten Trampelbein keinen Vorteil. Unterstrichen wird das von einer für Europa schlechten Antwort auf die Reifenfrage: Alrendo zieht Timsum-Reifen in den gängigen Dimensionen 120/70 und 180/55 in 17 Zoll (ca. 43 Zentimeter) auf die Gussfelgen. Die Reifen mögen zwar Laufleistung bieten, Eigendämpfung oder Abrollkomfort sind jedoch keine Eigenschaften des Modells TS-689. Gerne Premiummarken mit Modellen aus der zweiten Reihe aufziehen und einige Probleme des Fahrwerks könnten gemildert werden. Übrigens: Schon vor den Testfahrten gab der Simmerring des rechten Gabelbeins auf und die Beschichtung des Tauchrohrs zeigt nach insgesamt 2.500 Kilometern starken Schwund.

Tolles Indoor-Display

Ein schönes Stück TFT-Technik hat Alrendo der Bravo TS als Cockpit ausgesucht. Ein gutaussehendes, feingliedriges und trotzdem klares Design mit vielen wichtigen Anzeigen auf einen Blick. Leider nur für den, der die Alrendo in abgedunkelten Räumen bewegt. Nur ein Strahl Tageslicht überblendet die Anzeige, einzig der Tacho bleibt zu erahnen. Gerne vom großen Akku noch ein oder zwei Watt in Richtung Display verlegt und gut ist.

Am Ende noch das Finish

Das mit dem Cockpit ist noch zu verschmerzen. Das Fahrwerk nicht. Genau dazwischen liegen Materialgüte und Finish der TS Bravo: Fleckiger Lack, schlecht geklebte Schriftzüge, abplatzende Beschichtungen und daumendicke Lackschichten sind kein Gefallen für das im Grunde gute und runde Konzept der Alrendo. Dabei braucht es nicht viel, um aus der Bravo ein gutes E-Motorrad zu machen: Komponenten aus dem mittleren Regal und nicht von der Resterampe, etwas mehr Sorgfalt in der Montage und den Beschichtern genau auf die Finger schauen – und die Bravo würde auf allen Ebenen funktioniert. So wäre sie eine sehr interessante Alternative für Elektrofreunde, die nur den A1 oder B196-"Schein" haben, besonders beim Preis von 11.200 Euro, mit riesigem Akku und viel Motorrad unter dem Hintern.

Umfrage
Welches Elektro-Konzept auf zwei Rädern kommt für euch in Frage?
51592 Mal abgestimmt
Wenn, dann nur ein leistungsstarkes Elektromotorrad.
Ein Elektroroller für's Pendeln und den Stadtverkehr kann ich mir vorstellen.
Ein kleines, wendiges Elektromopped macht bestimmt Spaß.
Gar keins.

Fazit

Nicht gut, aber auf dem besten Weg dahin, es zu werden – das ist die Alrendo TS Bravo. Der elektrische Antrieb mit seinem riesigen Akku funktioniert sehr gut, das Krad bietet viel Motorrad für das Geld und den Exotenbonus bekommt sie ohnehin. Wäre da nicht gravierende Patzer wie das grobe Fahrwerk, das schlecht ablesbare Display und das optimierungswürdige Finish. Keine unlösbaren Probleme für Alrendo.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023