Mit dem Ray 7.7 beehrt ein neuer Elektroroller der 125er-Klasse den deutschen Markt. Er fährt weit, kann viel, kostet aber auch viel. Ob das gerechtfertigt ist, zeigt ein erster Alltagstest.
Mit dem Ray 7.7 beehrt ein neuer Elektroroller der 125er-Klasse den deutschen Markt. Er fährt weit, kann viel, kostet aber auch viel. Ob das gerechtfertigt ist, zeigt ein erster Alltagstest.
Der Elektroroller Ray 7.7 ist kein Schnäppchen. In der Basisvariante kostet der "125er"-Elektroroller rund 10.000 Euro. Je nach Ausstattung kommen nochmal über 2.000 Euro dazu. Da stellt sich natürlich zunächst die Frage: Warum?
Den ersten möglichen Grund könnte die Überschrift bereits verraten haben. Der Ray 7.7 wird in einem kleinen Betrieb in Barcelona gefertigt und somit eben nicht über die Weltmeere zu uns geschippert. Gut für Mensch und Umwelt und gut für Kunden, die sich einen persönlichen Ansprechpartner mit Zugriff auf Ersatzteile wünschen. Zwar ist die Marke noch jung und das Händlernetz in Deutschland muss noch weiterwachsen, der Kontakt nach Spanien aber ist eng und die Wege sind kurz.
Weitere mögliche Gründe für den stattlichen Preis zeigen sich im Kleingedruckten: Pirelli Reifen ab Werk, Griffe von Domino, das Topcase (wie auch die Scheibe gegen Aufpreis) kommen von der spanischen Marke Shad, das Bremssystem von der spanischen Brembo-Tochter J.Juan. Also europäische Markennamen gleich Qualität? Nicht ganz. Gerade bei den Bremsen gerät die Argumentation für den Preis des Ray 7.7 ins Stocken: Kein ABS, nur ein CBS hilft im Ernstfall. Und auch der Weg bis in den Regel- oder Rutschbereich ist recht lang, die Bremskraft angesichts des hohen Eigengewichts des Rollers (gemessen 175 Kilo inklusive Topcase und Windschild) etwas zu gering. Mit Sozius wird es ein kleiner Kraftakt.
Die Stärken des Ray 7.7 liegen also nicht im Vollbremsen, sondern im Fahren. Drei Modi stehen hierfür zur Wahl: City (mittlere Beschleunigung, hohe Rekuperation), Sport (hohe Beschleunigung, mittlere Rekuperation), und Flow (mittlere Beschleunigung, keine Rekuperation). In der Praxis überzeugt uns besonders der Flow-Modus. Er ermöglicht lautloses Segeln, ohne ständig am Gasgriff hängen zu müssen und zieht dennoch zügig vom Fleck. Die Bremsen werden hier jedoch stärker beansprucht, denn die Motorbremse setzt vollkommen aus, um möglichst lange zu gleiten oder aber ungestört ein Gefälle runterzurollen. Der Sport-Modus ist natürlich Sprint-King. Man kennt es mittlerweile: Jedes, einfach jedes Auto hat das Nachsehen. Doch der Motor des Elektrorollers bremst in seiner Rekuperations-Mission so stark, dass ohne Last, nach ein paar Metern beinahe wieder Stillstand folgt.
Auf dem Weg zur roten Ampel ist die starke Motorbremse des Ray 7.7 praktisch, im engen Stadtverkehr hingegen nicht. Was hier wiederum hilft: Die Gasannahme ist nicht wie bei so mancher Konkurrenz gesperrt, sobald die Bremse betätigt wird. Beim Rangieren können die Bremsen spielerisch mitgenutzt werden; beim Anfahren in Steigung droht kein Zurückrollen. Auch mit ausgeklapptem Hauptständer bleibt der Antrieb freigegeben, was ein praktisches Szenario ermöglicht: Zündung an, aufsteigen, einschalten und mit einem kleinen Dreh am Gasgriff direkt vom Hauptständer runter- und losfahren. Gleiches gilt dank praktischem Rückwärtsgang beim Abstellen: auf dem gewünschtem Parkplatz anhalten, im Sitzen den Hauptständer per seitlichem Hebel zu Boden drücken und über die Taste mit der Aufschrift "R" auf der linken Lenkerseite ganz geschmeidig auf den Hauptständer rollen. Ein Seitenständer fehlt hingegen, der Parkplatz sollte also stets nahezu eben sein.
Wem Flow zu flowig und Sport zu sportlich ist, wählt den gemütlichen City-Modus. Der Elektroroller kommt hier zwar deutlich träger vom Fleck, spart so aber Energie. Die Rekuperation ist zwar als "mittelstark" angegeben, bremst aber dennoch deutlich ab, was, wie auch im Sport-Modus, auf Dauer nerven kann. Wer aber am weitesten (bis zu 150 Kilometer) kommen will, sollte möglichst oft im City-Modus und dementsprechend auch möglichst viel in der Stadt fahren – dann ist die Reichweite tatsächlich realistisch.
Dauerhafte 125 km/h, die er maximal erreicht, verringern wiederum die Reichweite, erhöhen aber den Spaßfaktor: Da geht richtig was! Und das Beste: Das typisch wackelige Roller-Gefühl bleibt mit dem Ray 7.7 aus. Durch die fest hinten seitlich an der Schwinge verbauten Akkus ist der Schwerpunkt tief und der Elektroroller liegt satt und stabil auf der Straße. Zwar liegt ein Großteil des Gesamtgewichts so auf der hinteren Achse, Ray schafft es aber dennoch, auch die Front stabil zu halten. Zu diesem sicheren Gefühl tragen sicher auch die Pirelli Angel Scooter-Reifen bei und schenken zusätzliches Vertrauen. Das Fahrwerk ist eher straff und meldet sich selten.
Weitere Details, die den recht hohen Kaufpreis begründen: Die in drei Stufen verstellbare Sitzhöhe, ein beleuchtetes, geräumiges Helmfach, ein zusätzliches, abschließbares Handyfach mit USB-Buchse, eine App mit Navi-Übertragung auf das Display und eine Alarmanlage, deren Auslösen ebenfalls in der App angezeigt wird. Ebenfalls über die App, oder aber das Hauptmenü am Roller selbst steuerbar, ist die Ladegeschwindigkeit und -Leistung sowie der gewünschte Akkustand, der erreicht werden soll. Serienmäßig kommt der Ray 7.7 mit fest verbautem Schuko-Stecker (unter der Sitzbank). Optional gibt es den Typ-2-Stecker (400 Euro Aufpreis) und für weitere 1.400 Euro noch ein Schnellladegerät (2 Stunden und 35 Minuten statt 4 Stunden und 20 Minuten) dazu. Für 99 Euro einen Jethelm; für 200 Euro stehen zwei Sonderfarben zur Wahl.
Wer das nötige Kleingeld parat hat, kann sich mit dem Ray 7.7 eine hochwertige und leistungsstarke Alternative zum Auto leisten. Ein ABS würden wir uns als zusätzliches Sicherheits-Feature wünschen, einen Seitenständer und vielleicht eine einstellbare Motorbremse ebenfalls. Die Produktion in Barcelona sollte man der jungen Marke hoch anrechnen, zumal ein Großteil der Konkurrenz auf günstige Arbeitskräfte und Bauteile zugleich, aber eben auf unklare Arbeitsbedingungen und eine hohe Umweltbelastung durch weite Transportwege, beispielsweise aus China, setzt.