Im Portfolio von BMW gibt es für jeden Einsatzzweck ein passendes Krad. Dass es in einem solch umfassenden Angebot jedoch immer noch Lücken geben kann, zeigt diese Kreation des niederländischen Rahmen-Spezialisten Nico Bakker.
Im Portfolio von BMW gibt es für jeden Einsatzzweck ein passendes Krad. Dass es in einem solch umfassenden Angebot jedoch immer noch Lücken geben kann, zeigt diese Kreation des niederländischen Rahmen-Spezialisten Nico Bakker.
Die Modellstrategen von BMW bauen üblicherweise um jeden ihrer Motoren diverse Varianten für beinahe jeden Geschmack. Den famosen Reihensechszylinder gibt es allerdings seit seinem Erscheinen 2011 nur in der K 1600 GT, GTL und Bagger, allesamt vollverkleidete Supertourer. Auch die 2009 auf der EICMA von BMW selbst gezeigte Custom Six, ein Naked Bike, ging nicht in Serie. Den Sechser gibt es nur im Frack, nicht im Jogginganzug. Warum eigentlich?
Die Frage stellte sich auch der Niederländer Willem Heijboer. Willem ist Unternehmer und Vollblut-Biker, fährt zu seinen Kunden oder Meetings immer mit dem Motorrad. Vor einigen Jahren noch auf einer R 1200 GS unterwegs, kaufte sich der zweiradverstrahlte Holländer dann aufgrund des besseren Komforts den Reisegiganten K 1600 GT mit bärenstarkem Reihensechszylinder. Beim Fahren schrabbelte Willem jedoch selbst in den flachen Niederlanden schon nach kurzer Zeit die Motorabdeckungen des Sixpacks ab. Die nicht allzu hohe Schräglagenfreiheit nervte den rasenden Unternehmer so sehr, dass er auf die Idee kam, den mächtigen Motor der K 1600 GT mit einem GS-ähnlichen Fahrgestell zu kombinieren. Heijboer selbst hätte diese Wunschvorstellung aber nicht umsetzen können, also klopfte er an die Tür von Nico Bakker.
Rahmen und Fahrwerk
Der niederländische Rahmen-Guru gilt als einer der besten Rahmenkonstrukteure der Welt, baut seit 44 Jahren Speziallösungen für den Rennsport oder – wie in diesem Fall – auf Privatkundenwunsch. Mehr als 1.000 unterschiedliche Rohrgeflechte entwickelte Nico bereits, von kleinen 50-Kubik-Crossern bis hin zu GP-Raketen. Trotz dieses Wissensfundus war er sich aber darüber im Klaren, dass der Plan von Willem, eine GS-Version aus der K 1600 GT zu zaubern, nicht ganz einfach umzusetzen sein wird. Trotzdem nahm Nico natürlich die Herausforderung an. Was am Ende dabei herauskam, ist ein wirklich beeindruckendes Motorrad, die K 1600 GS, passend getauft auf den Beinamen "Mammoth".
Das Sechszylinder-Aggregat wird nun von einem Rahmen aus Chrom-Molybdän-Stahlrohren umschlossen. Dadurch konnte Nico das Fahrgestell leicht halten – bei gleichzeitig hoher Steifigkeit. Damit das Motorrad einfach zu handeln ist, verpflanzte Nico den üppige 102,6 Kilogramm wiegenden Motor recht hoch ins Rohrgeflecht und veränderte so den Schwerpunkt. Zusätzlich verlängerte er den Radstand um 17 Millimeter auf 1.635 Millimeter, schärfte aber an der Geometrie nach. Anstatt des Telelevers hält eine voll einstellbare USD-Gabel von WP Suspension den Reisedampfer auf Kurs. Diese wurde nachträglich von HK Suspension modifiziert und auf die speziellen Bedürfnisse der Mammut-GS eingestellt. Als besonderes Schmankerl adaptierten die Fahrwerksspezialisten von HK das semiaktive Fahrwerk ESA der Serien-BMW in ein WP-Federbein. Für den passenden GS-Look trägt das Krad zudem Speichenfelgen aus dem Hause Kineo.
39-Liter-Tank und Aprilia-Kühler
Um den Kardanantrieb aufnehmen zu können, wurde das Räderpaar extra für dieses Motorrad angefertigt. Kontakt zur Straße stellen Pirelli Scorpion Trail II her. Da Willem auf seinen Geschäftsreisen viel Gepäck benötigt, verbaute Bakker das Koffersystem einer R 1200 GS an seine Rahmenkonstruktion. Nachtanken muss er zudem auch nicht mehr oft, denn das originale 24-Liter-Spritfass wurde durch eine Spezialkonstruktion mit gigantischen 39 Litern Fassungsvermögen ersetzt. Damit der Motor bei summa summarum 25.000 Kilometern im Jahr nicht den Hitzetod stirbt, sorgt ein Kühler aus einer Aprilia RSV 1000 für passende Thermik. Die slowenischen Auspuff-Experten von Akrapovic steuerten eine extra angefertigte Edelstahl-Auspuffanlage bei, die durch eine angepasste ECU auf den Motor abgestimmt wurde. Insgesamt 310 Kilogramm, vollgetankt wohlgemerkt, bringt die K 1600 GS auf die Waage. Das sind satte neun Kilogramm weniger als eine normale BMW K 1600 GT. Doch genug der Daten und Fakten. Ein solch besonderes Motorrad muss und soll gefahren werden, also Helm überziehen und aufsatteln!
Smoother und seidenweicher Drehmomentverlauf
Die Bakker-Kreation platziert den Reiter in einer aufrechten und sehr entspannten Sitzposition, möglich gemacht durch relativ niedrig positionierte Fußrasten und einen hohen, weit nach hinten versetzten Lenker. Zudem bietet das Motorrad genügend Platz, auch für groß gewachsene Piloten. 820 Millimeter beträgt die Sitzhöhe, trotzdem kann selbst ein großer Pilot den Boden nur mit seinen Zehenspitzen berühren, da das Motorrad aufgrund des riesigen Tanks extrem breit baut. Vor Regen und Wind schützt die Front einer Boxer-GS mitsamt hoher Scheibe.
Beim Druck auf den Starterknopf erwacht der 1.649 Kubik große Sechszylinder mit bassigem und dumpfem Ton. Die Akrapovic-Komplettanlage ist nur ein wenig lauter als das Original, liefert aber die passende Soundkulisse zu einem solchen Gigant von Motor. Schon mit Standgas spürt man beim Spiel mit der Kupplung die fulminante Kraft. Dreht man den Gashahn dann weit auf, serviert der Sechser einen smoothen und seidenweichen Drehmomentverlauf. Problemlos lässt es sich im sechsten Gang durch die Stadt cruisen, ohne dass der Motor unruhig läuft. Die drei unterschiedlichen Fahrmodi (Rain, Road, Dynamic) sind perfekt abgestimmt und geben dem Herzen des Mammuts einen gemäßigten oder ganz sportlichen Takt. Unter Volllast dreht das 160 Pferde zählende Triebwerk ohne spürbare Einbußen sanft und zugleich kraftvoll gen Begrenzer, während die Gänge mit nur leichtem Druck auf den Hebel und wenig Zug an der Kupplung ineinanderflutschen.
Und das Handling? Überraschend gut! Trotz der imposanten Ausmaße und des hohen Gewichts lässt sich die K 1600 GS spielerisch durch enge Kehren zirkeln, ohne dass einem Schweißtropfen auf die Stirn laufen. Selbst U-Turns im Stadtverkehr meistert das Motorrad mit einer Gelassenheit, welche in diesem Segment außergewöhnlich ist. Sobald man die Stadt verlässt und im ländlichen Umland unterwegs ist, überzeugt die Bakker-GS mit einer satten Straßenlage und hoher Stabilität in langen, flotten Kurven. Die Brembo-Bremsen packen fest zu und das ABS regelt BMW-typisch sanft.
Nach einer eindrücklichen Fahrt frage ich mich, warum BMW selbst noch nicht auf die Idee gekommen ist, eine K 1600 GT mit der GS zu kreuzen. Angekratzte Motorabdeckungen sind jedenfalls für Willem Heijboer definitiv Geschichte. Und Nico Bakker meint, er könne jederzeit wieder so eine K 1600 GS bauen. Kostenpunkt? Rund 50.000 Euro.