Die verschwitzten Köpfe dampfen in der kalten Abendluft, das Knistern des Lagerfeuers untermalt die heißen Diskussionen über das Erlebte, das Feierabendbier kreist. Ein wahrlich zünftiger Abschluss nach zwei Tagen in der Natur. Nach Stunden auf einem lehmig-schmierigen Offroad-Terrain und einer griffigen Motocross-Piste, nach anspruchsvollen Einsätzen im Unterholz sowie auf einem mit künstlichen Hindernissen angelegten Enduro-Parcours. Die ganze Bandbreite eben. Auch fahrerisch. Vom Gelegenheits-Enduristen bis zum sechsfachen deutschen Motocross-Meister Didi Lacher reicht die Palette der Testpiloten. Denn es ging um Wichtiges. Um den Chefposten in der populärsten aller Enduro-Kategorien, der 350er-Klasse.
Dort regiert die zur Saison 2012 präsentierte Gründerin dieses Segments, die KTM 350 EXC-F. Mit jährlich etwa 7000 verkauften Maschinen ist sie die derzeit meistverkaufte Sportenduro weltweit. Der Erfolg ruft die Konkurrenz auf den Plan. Zum Beispiel die Beta RR 350 EFI. Der Zusatz steht für Electronic Fuel Injection, signalisiert beim Modell 2015 die Premiere der Benzineinspritzung in der Produktpalette der Italiener. Auch die Husqvarna FE 350 meldet Ansprüche an. Ein Rahmenheck aus Kunststoff, eine Closed Cartridge-Gabel und – vor allem – ein über Umlenkhebel betätigtes Federbein unterscheiden sie von ihrer konzerninternen KTM-Halbschwester. Selbstbewusst präsentiert sich die Sherco 300 SEF-R. Die Südfranzosen rüsten ihre Bikes – als erster Offroad-Maschinen-Hersteller überhaupt – bereits seit dem Jahr 2004 mit Einspritzung aus. Hauseigene Motoren gehören ohnehin zum Selbstverständnis in der erst zwölf Jahre jungen Sportenduro-Historie des Herstellers aus Nimes. Und alle wollen nur das Eine: die KTM vom Siegerpodest stoßen.
Platz 4: Sherco 300 SEF-R

304 Kubik: Mit einem Hubraumnachteil von knapp 50 cm³ geht die Sherco 300 SEF-R mit ihrem auf dem 250er-Gehäuse basierenden Motor ins Rennen. Der Grund, weshalb sich der Sherco-Motor charakterlich völlig anders als das restliche Trio positioniert. Drehzahl ist das Pfund, mit dem der dohc-Single wuchert. Auf der Motocross-Piste, dem Trainingsareal des Gros der Enduropiloten und Basis der meisten Cross Country-Strecken hierzulande kein Problem. Mit dem Finger an der Kupplung das Motörchen am Kurvenausgang möglichst früh auf Touren bringen und dann drehen lassen, dann geht es mit der Sherco voran. Bis 13.000/min – mindestens 1200 Touren höher als der Rest des Testfelds – jubelt der 43 PS starke Einzylinder hoch.
Mit spürbar geringerem Punch als seine hubraumstärkeren Kolleginnen (siehe auch Leistungsdiagramm) fordert der 300er-Treibsatz vom Piloten Aufmerksamkeit. Wer die Drehzahl absacken lässt, verliert wertvolle Meter. Aufmerksam sollte der Pilot der Sherco 300 SEF-R auch vor der Kurve sein. Um das Schleppmoment des Motors zu verringern, hält der Steppermotor der französischen Synerject-Einspritzung die Drosselklappe im Schiebebetrieb noch einen Moment lang ein wenig geöffnet. In der Praxis schiebt der Motor kurz mit erhöhter Drehzahl nach, um erst dann auf Standgasniveau abzusinken. Gewöhnungsbedürftig.
Dafür entschädigt die Sherco 300 SEF-R mit dem handlichsten Fahrwerk in dieser Klasse. Mit zartem Schenkeldruck lenkt sie auf der Cross-Piste in Kurven ein, hält messerscharf die Linie, fühlt sich trotz objektiv gewogener 110 Kilogramm erheblich leichter an als die 109 bis 116 Kilo schwere Konkurrenz. Chapeau. Diese Leichtigkeit wirft sie auch im Enduro-Terrain in die Waagschale. Sauber ausbalanciert trialt sie über Felsbrockenpassagen, gut kalkulierbar hebt der sauber dosierbare Motor das Vorderrad. Das optionale, über einen Lenkerschalter anwählbare, betont zahme Mapping braucht es bei dieser sanften Charakteristik nie.
Die Harmonie im holprigen Ambiente stört eher die hakelig ansprechende Open Cartridge-Vorderradgabel von WP Suspension. Je glitschiger es wird, desto mehr tritt das Drehmoment-Manko der Sherco 300 SEF-R in den Hintergrund, lässt den Piloten leicht Traktion finden, auf engsten Bögen durchs Unterholz zirkeln und die Französin sich damit eindeutig definieren – als Enduro reinsten Wassers, der für mehr als Platz vier neben etwas Feinschliff in Federung und Motorabstimmung vor allem eins fehlt: 50 cm³ mehr Hubraum.
Platz 2: Beta RR 350 EFI

Feinschliff? Bei diesem Wort spitzen die Piloten der Beta RR 350 EFI die Ohren. Als wäre der hauseigene Motor mit Ventilbetätigung über Schlepphebel und getrenntem Ölkreislauf für Motor und Getriebe nicht schon am oberen Ende der aktuellen Enduromotorentechnik angesiedelt, applizierten die Italiener nun auch noch eine Einspritzung. Die wie bei der Sherco 300 SEF-R von Synerject gelieferte Anlage funktioniert erstklassig: problemloses Starten, verzögerungsfreie Gasannahme, kein erhöhtes Standgas und kein Nachlaufen.
Quicklebendig hängt der Treibsatz am Gas, animiert mit einer geringen inneren Reibung und samtigem Lauf geradezu, die Gänge auszudrehen. Objektiv bescheidet sich die Beta RR 350 EFI – im Gegensatz zu ihren über 12.000/min drehenden Vorgängerinnen – in diesem Jahr zwar mit der moderaten Maximaldrehzahl von 10.500/min. Die der Single noch nicht einmal braucht. Denn dass der Treibsatz in der Drehzahlmitte alle Mitstreiterinnen überflügelt (siehe Leistungsdiagramm), nicht einmal das merkt man ihm bei seiner famosen Erziehung an. Und weil er sich mit butterweich schaltbarem Getriebe auch sonst so unauffällig potent verhält, verzeiht man ihm, dass die Husqvarna FE 350 und KTM 350 EXC-F im letzten Drehzahldrittel drei PS mehr Spitzenleistung auf die Rolle drücken.
Denn auch fahrwerksseitig konzentriert sich die Beta RR 350 EFI eher auf ihre enduristischen Stärken. Wie ein Trial-Motorrad saugt sich die RR mit den relativ weich abgestimmten Sachs-Federelementen über die Steinfelder, muss dieser Ausrichtung aber auf der Motocross-Piste Tribut zollen und reitet sich dort bei forciertem Tempo tief in ihre Federwege. Zudem macht es der betont hoch aufragende Lenkkopf schwer, das Vorderrad in Kehren zu belasten. Selbst maximal durchgesteckte Standrohre verwandeln die Beta nicht zum Eckenwetzer. Doch weil sich die Florentinerin klar auf den Enduro-Einsatz fokussiert und sich in diesem Modelljahr so fein geschliffen wie noch nie in ihre rote Schale geworfen hat, bleibt nur eins zu sagen: Complimenti für Platz zwei. Den teilt sie sich mit der KTM 350 EXC-F.
Platz 2: KTM 350 EXC-F

Wie bitte, nur der Ehrenplatz für die bisherige Alleinherrscherin? Keine Panik. Denn von ihren bislang so herausragenden Qualitäten hat die KTM 350 EXC-F keinen Deut eingebüßt. Nach wie vor ist sie mit 109 Kilogramm die Leichteste, mit 46 PS die Stärkste und mit ihrer spontanen Leistungsentfaltung auch die Spritzigste dieses Quartetts. Ihr Potenzial offenbart sich aber nur denjenigen, die es verstehen, ihren Beitrag zum gemeinsamen Eckenwetz zu leisten.
Die leichte Frontpartie verlangt in den Kehren einen engagierten Körpereinsatz und das auf kleine Beschleunigungswellen wenig sensibel reagierende PDS-Federbein kräftigen Druck auf die Fußrasten. Wer die KTM 350 EXC-F aktiv und engagiert bewegt, wird mit keiner dieser vier Enduros schneller über Motocross-Pisten hämmern. Im kniffligen oder glitschigen Enduro-Terrain verlangen der im Klassenvergleich bissig zupackende Motor und besagt straffe Hinterhand allerdings nach einem versierten Piloten, der mit glättendem Finger an der Kupplung und gezielter Be- und Entlastung der Federung gekonnt Traktion aufbaut. Dann betritt die impulsive KTM dieselbe Stufe des Siegerpodests wie die sanftmütige Beta RR 350 EFI – nur eben aus der entgegengesetzten Richtung kommend.
Platz 1: Husqvarna FE 350

Eine KTM mit Umlenkung statt des recht knorrig ansprechenden PDS-Federbeins, das hatte sich ein Teil der Enduro-Kundschaft schon lange gewünscht. Wobei die geänderte Husqvarna-Federung weitreichende Konsequenzen hat. Tatsächlich unterscheidet sich das Fahrgefühl auf der Husqvarna FE 350 erheblich von dem auf der KTM 350 EXC-F. Vor allem die leichte Front der EXC weicht in der FE einer sich neutraler anfühlenden Vorderpartie. Auf glattem Terrain verbeißt sich das Vorderrad aggressiver in den Untergrund, im ausgefahrenen Geschlängel trifft die FE Spurrillen präziser.
Ihren Teil dazu bei trägt auch die gut ansprechende Gabel, welche sich den ebenfalls von WP Suspension stammenden offenen Cartridge-Gabeln in der KTM und Sherco 300 SEF-R klar überlegen zeigt. Sensibel steckt der über die Hebelei aktivierte Monoshock Beschleunigungswellen weg und spannt mit seiner geglückten Abstimmung gekonnt den Bogen vom feinfühligen Balanceakt in Singletrails bis zum Highspeed-Auftritt auf der Cross-Piste. Allerdings: Das spielerische Handling der KTM 350 EXC-F besitzt die mit 113 Kilogramm im Vergleich vier Kilo schwerere Husqvarna FE 350 nicht.
Der um das nun mittig platzierte Federbein zwangsläufig in einem Bogen herumgeführte Ansaugschlauch kostet dem technisch unverändert von der KTM übernommenen FE-Motor im oberen Drehzahlbereich etwas Leistung (siehe Diagramm). Auch aus dem Drehzahlkeller spricht der Treibsatz einen Tick verhaltener an. Dafür lässt sich der sanftmütigere Treibsatz im verzwickten Terrain leichter dosieren und sorgt gemeinsam mit der sensiblen Hinterradfederung für die beste Traktion der Viererbande. Und weil die Husqvarna mit ihrem für einen breiten Einsatzbereich abgestimmten Fahrwerk, betont neutralen Handling und letztlich immer noch potenten Motor das homogenste und effizienteste Gesamtpaket darstellt, dürfte die Mehrheit der Offroad-Piloten für die Husqvarna FE 350 vor allem eins sein: Feuer und Flamme.
Technische Daten und Messwerte

Motor
Beta RR 350 EFI | Husqvarna FE 350 | KTM 350 EXC-F | Sherco 300 SEF-R | |
Bauart | Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit vier Ventilen | Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit vier Ventilen | Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit vier Ventilen | Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit vier Ventilen |
Ventiltrieb | dohc | dohc | dohc | dohc |
Hubraum | 349 cm³ | 350 cm³ | 350 cm³ | 304 cm³ |
Bohrung x Hub | 88 x 57,4 mm | 88 x 57,5 mm | 88 x 57,5 mm | 84 x 54,8 mm |
Verdichtung | 13,2 | 12,3 | 12,3 | k. A. |
Leistung* | 31,6 kW (43 PS) bei 8800/min | 33,9 kW (46 PS) bei 11.300/min | 34,3 kW (47 PS) bei 11.800/min | 31,5 kW (43 PS) bei 12.000/min |
Gemischaufbereitung | Einspritzung | Einspritzung | Einspritzung | Einspritzung |
Durchmesser | 42 mm | 42 mm | 42 mm | 39 mm |
Gänge | 6 | 6 | 6 | 6 |
Fahrwerk
Beta RR 350 EFI | Husqvarna FE 350 | KTM 350 EXC-F | Sherco 300 SEF-R | |
Rahmen | Einschleifenrahmen aus Stahlrohr | Einschleifenrah-men aus Stahlrohr | Einschleifenrah-men aus Stahlrohr | Brückenrahmen aus Stahlrohr |
Gabel | Sachs | WP Suspension | WP Suspension | WP Suspension |
Gleitrohrdurchmesser | 48 mm | 48 mm | 48 mm | 48 mm |
Federbein | Sachs | WP Suspension | WP Suspension | WP Suspension |
Gewicht* | 116 kg | 113 kg | 109 kg | 110 kg |
Preis ohne Nebenkosten | 8950 Euro | 9495 Euro | 9195 Euro | 8980 Euro |
*MOTORRAD-Messungen, Gewicht fahrfertig ohne Benzin; ¹Leistung an der Kurbelwelle. Messungen auf dem Dynojet-Rollenprüfstand 250, korrigiert nach 95/1/EG, maximal mögliche Abweichung ± 5%
Leistungsmessung

Der Hubraumnachteil von knapp 50 cm³ kostet der Sherco 300 SEF-R Druck in der Drehzahlmitte. Auf diesen Bereich haben die Beta-Ingenieure die Stärke der Beta RR 350 EFI gelegt. Wer genau hinschaut, erkennt die Leistungsdifferenz zwischen den technisch identischen Motoren in der Husqvarna FE 350 und KTM 350 EXC-F. Der Grund: die Unterschiede im Ansaugtrakt.
MOTORRAD-Offroadwertung

Motor
Maximale Punktzahl | Beta RR 350 EFI | Husqvarna FE 350 | KTM 350 EXC-F | Sherco 300 SEF-R | |
Startverhalten | 10 | 9 | 9 | 9 | 9 |
Durchzug | 20 | 18 | 17 | 18 | 15 |
Drehfreudigkeit | 20 | 15 | 16 | 16 | 18 |
Spitzenleistung | 20 | 14 | 16 | 16 | 14 |
Kontrollierbarkeit | 20 | 19 | 18 | 16 | 16 |
Kupplung | 10 | 9 | 9 | 9 | 9 |
Getriebe | 10 | 9 | 8 | 8 | 8 |
Laufruhe | 10 | 9 | 8 | 7 | 8 |
Summe | 120 | 102 | 101 | 99 | 97 |
Fahrwerk
Maximale Punktzahl | Beta RR 350 EFI | Husqvarna FE 350 | KTM 350 EXC-F | Sherco 300 SEF-R | |
Handlichkeit | 20 | 16 | 17 | 18 | 19 |
Stabilität | 10 | 8 | 8 | 7 | 7 |
Abstimmung Gabel | 20 | 17 | 18 | 17 | 15 |
Abstimmung Federbein | 20 | 17 | 18 | 16 | 15 |
Bremse vorn | 10 | 9 | 9 | 9 | 9 |
Bremse hinten | 10 | 8 | 8 | 8 | 8 |
Ergonomie | 10 | 8 | 9 | 9 | 8 |
Summe | 100 | 83 | 87 | 84 | 81 |
Sonstiges
Maximale Punktzahl | Beta RR 350 EFI | Husqvarna FE 350 | KTM 350 EXC-F | Sherco 300 SEF-R | |
Gewicht | 10 | 7 | 8 | 10 | 9 |
Verarbeitung/Ausstattung | 10 | 8 | 9 | 8 | 8 |
Preis | 10 | 7 | 6 | 6 | 7 |
Summe | 30 | 22 | 23 | 24 | 24 |
Maximale Punktzahl | Beta RR 350 EFI | Husqvarna FE 350 | KTM 350 EXC-F | Sherco 300 SEF-R | |
Gesamtwertung | 250 | 207 | 211 | 207 | 202 |
Platzierung | 2. | 1. | 2. | 4. |
MOTORRAD-Testergebnis

1. Husqvarna FE 350
Kleine Ursache, große Wirkung. Die Umlenkung verwandelt die technisch eng an die KTM angelehnte Husky grundlegend. Mehr Komfort, mehr Traktion, präziseres Lenkverhalten – damit gelingt der Husqvarna FE 350 der Putsch in der Mittelklasse.
2. Beta RR 350 EFI
Der kultivierte und auf die Einspritzung penibel abgestimmte Motor verschafft der Beta die Basis zum Erfolg. Den Charakter der Beta RR 350 EFI legt letztlich das Fahrwerk fest: unaufgeregt, sensibel – eine wahre Enduro.
2. KTM 350 EXC-F
Spritziger Motor, agiles Handling – mit dieser Kombination überzeugt die KTM. Doch die sportliche Ausrichtung nimmt den Piloten in die Pflicht. Wer das akzeptiert, ist mit der KTM 350 EXC-F pfeilschnell. Ein Bike für Cross Country-Racer.
4. Sherco 300 SEF-R
Mit drehfreudigem Motor und agilem Handling definiert die Sherco 300 SEF-R eindeutig ihre Stärken. Allerdings: Der Hubraumnachteil kostet der Französin wertvollen Punch. Der fehlt sowohl auf der Motocross-Piste als auch im Enduro-Terrain.