BMW F 800 GS und Suzuki V-Strom 800 im Vergleichstest

19-Zoll-Reiseenduros fürs Straßen-Touring
BMW F 800 GS und Suzuki V-Strom 800 im Vergleich

Zuletzt aktualisiert am 11.04.2024

Dass der Wunsch nach dem großen Abenteuer auf zwei Rädern oft größer ist als die Realität, dürfte bekannt sein. Kein Wunder also, dass straßenorientierte Reiseenduros viele Freunde finden. BMW F 800 GS und Suzuki V-Strom 800 wurden jüngst runderneuert (F 800 GS) oder gar gänzlich neu aufgesetzt (V-Strom 800). [Diesen Vergleichstest sowie weitere spannende Themen lest ihr in MOTORRAD 9/2024 (die ganze Ausgabe gibt's im MOTORRAD-Plus-Abonnent inklusive)]

Naked Enduro aus München?

Nicht nur im Vergleich zu ihren größeren Geschwistern wirkt die BMW F 800 GS auffällig kompakt. Und auch die Ergonomie mit relativ schmalem Lenker, moderaten 825 Millimetern Sitzhöhe und den gar nicht so tiefen Fußrasten ruft eher das Wort Naked Bike als Reiseenduro auf den Plan. Vom sehr kleinen Windschild ganz zu schweigen. Da ändern auch die abenteuerlustig ausschauenden Handprotektoren nichts mehr dran. Die BMW F 800 GS ist und bleibt ein Motorrad, das vor allem kleineren Menschen gut passt. Bei 1,80 Meter und nicht vorhandener Ballerina-Figur fühlt man sich schon fast ein wenig deplatziert. Das in diesem Genre beliebte, hoch oben thronende Allmachtsgefühl sucht man vergeblich.

BMW F 800 GS mit fast 93 PS

Antriebsseitig hält man bei den Bayern jedoch nichts von verkleinerten Portionen. Schon die Vorgängerin mit der "750" im Namen lieferte mehr als erwartet und auch die BMW F 800 GS stapelt traditionsgemäß eher tief. Mit der neuesten Generation des Münchner Reihentwins macht sie jetzt ebenfalls fast die 900 Kubik voll und liefert auf unserem Prüfstand mehr als versprochen. Fast 93 PS und nur wenige Newtonmeter weniger lassen trotz der ebenfalls gar nicht so klein portionierten 235 Kilogramm ansprechende Längsdynamik erwarten.

Akustisch dezent, aber mechanisch präsent melden sich die zwei Zylinder der BMW F 800 GS zu Wort. Und das bleibt auch über den gesamten Drehzahlverlauf so. Tieffrequentes Rumpeln ist ein ständiger Begleiter auf der BMW F 800 GS, das um etwa 6.000 Touren noch mal extra Luft holt und 2.000 Umdrehungen später, kurz vorm Drehzahlzenit, noch mal ins Hochfrequente wechselt. Für die viel strapazierte Verklärung als "Charakter" fehlt es dem auffällig lang übersetzten Twin leider ein wenig an allgemeinem Schmiss und Verve, aber sonst kann man ihm nur wenig vorwerfen. Frei von jeglichem Gezappel lässt er sich früh ans Gas nehmen und liefert schon weit unten souveränen Druck, der sich bis in die Mitte linear verstärkt und obenrum sogar eine Spur von Feuer bereithält.

BMW F 800 GS mit leichtgängiger Kupplung

Die leichtgängige Kupplung und die absolut geschmeidige Gasannahme ermöglichen jederzeit ein entspanntes Anzapfen der Kraft. Wie im Hause BMW üblich, kann der sportlichere der beiden alltagsrelevanten Fahrmodi "Road" und "Dynamic" bei der BMW F 800 GS getrost drinbleiben. Wie ebenfalls im Hause BMW üblich, agiert das Getriebe eine Spur robuster: Kurze Wege, präzise Rastung, aber das Betätigungsgefühl ist ein wenig mechanisch und hart, ob mit oder ohne Unterstützung vom zuverlässigen Schaltautomaten. In jedem Fall geht es souverän nach vorn. Vor allem der Durchzug im oberen Geschwindigkeitsbereich ist amtlich mit Blick auf die lange Übersetzung und die ebenfalls gar nicht bräsige Suzuki.

F 800 GS geprägt von Souveränität und Problemlosigkeit

Passend zu ihrem geerdeten Charakter ist auch das Kurvenfräsen auf der BMW F 800 GS geprägt von Souveränität und Problemlosigkeit. Vergleichsweise langer Radstand, Lenkungsdämpfer, gesundes Gewicht: Dass die erste Antwort auf die Frage nach einem maximal sensiblen Schräglagenskalpell nicht BMW F 800 GS heißen wird, ist erwartbar. Wer aber ein Motorrad mit narrensicherem, stabilem Handling und hoher Neutralität sucht, liegt bei ihr goldrichtig. Beim Einlenken spürt man den Widerstand vom Lenkungsdämpfer ein wenig und auch schnelles Umlegen erfordert ein wenig mehr Arbeit als bei der V-Strom, dafür belohnt die BMW F 800 GS mit absolut sattschmatzender Kurvenstabilität. Wie auch die Suzuki liefert sie dabei annehmbare, aber nicht fährtenleserhafte Rückmeldung von der Straße. Da versandet doch noch einiges in den immer noch überdurchschnittlich langen Federwegen, dem immer noch unterdurchschnittlichen Vorderradbezug und der ziemlich durchschnittlichen Gabelgüte.

Erst bei sehr flottem Tempo empfiehlt es sich, das (optionale) semiaktive Federbein von "Road" auf "Dynamic" einzujustieren, um die Bewegung im Fahrwerk der BMW F 800 GS auf ein verträglicheres Maß zu begrenzen. Sollte es doch mal zu wild werden, kann mangels nennenswerten Aufstellmoments ruhigen Gewissens in die Bremse gegriffen werden. Auch ohne Schräglage ist sie jederzeit der möglichen Längsdynamik gewachsen und gefällt mit guter Dosierung und unauffälliger ABS-Regelung.

Alltagskomfort und Ergonomie

Das BMW-Logo garantiert üblicherweise, dass auch Alltagskomfort prominent im Lastenheft steht. Da macht auch die neueste BMW F 800 GS weitestgehend keine Ausnahme. Die Federelemente planieren die Fahrbahn zuverlässig, sowohl vorneals auch hinten ist man um die Rückenkette der Passagiere spürbar besorgt, ohne ins Schaukelige abzudriften. Auch ein auf "Dynamic" justiertes ESA-Federbein fühlt sich dieser Philosophie noch verpflichtet, liefert aber mehr Rückmeldung und Verbindlichkeit. Der Härtegrad ist dann etwa mit dem des V-Strom-Federbeins vergleichbar. Die etwas längeren Federwege (je 170 statt je 150 Millimeter bei Suzuki) und die elektronische Variabilität machen den Spagat hier natürlich etwas einfacher.

Die Ergonomie auf der BMW F 800 GS passt bestens, wenn man nicht zu groß ist. Der überschaubare Windschutz jedoch macht längere Autobahnetappen unerwartet zehrend, da der Kopf voll im Sturm hängt. Auch die knackige Sitzbank fordert das derrière dann irgendwann langsam, aber sicher. Tempomat und Griffheizung sind auf jeder Fahrt gern gesehene Gäste, verlangen aber markentypisch Extragage.

Weniger Aufpreis(liste) bei der Suzuki V-Strom 800

Wer Aufpreislisten scheut, ist traditionell in Japan besser aufgehoben. Und zumindest im Fall des Tempomaten auch gar nicht vor irgendeine Wahl gestellt: Haben wir nicht, gibt’s nicht, heißt es bei Suzuki. Trotz deutlicher Ent-Enduroisierung im Hinblick auf Lenkerposition, Sitzhöhe und Federwege gegenüber der 21-Zoll-Variante fühlt sich die Suzuki V-Strom 800 sofort nach dem Erstaufstieg mehr nach Reiseenduro als die BMW an. Mehr Platz in jede Richtung, richtig amtlicher Lenker und ein Windschild, das in seinen Ausmaßen auch nach Abenteuer aussieht. Erst recht, wenn man es in der obersten der 3 möglichen Positionen arretiert. Schade nur, dass es hierfür eines Sechskantschlüssels bedarf. Nichtsdestotrotz empfiehlt sich die umfangreich beschnabelte V-Strom (immerhin war Suzuki mit der DR 800 Big seinerzeit Pionier auf diesem Gebiet), wenn Körpergröße und der Wunsch nach Reiseendurofeeling etwas ausgeprägter sind.

Eitel Sonnenschein, sobald in Bewegung

Ultrakompakt, zwei Ausgleichswellen mit innovativem Layout, 270-Grad-Zündversatz: Der 776er-Reihentwin der Asphalt-V-Strom hat seine Hausaufgaben gemacht und gefällt sofort mit dezentem Bollern und auffälliger, mechanischer Laufruhe. Also, Gang rein, in die minimal weniger leichtgängige Kupplung gegriffen und … abgewürgt. Anders als bisherige Testmaschinen mit dem Zusatz DE zeigt sich die Kupplung hier äußerst spitz in der Dosierung. Dafür gibt es aber fast nur noch eitel Sonnenschein, sobald in Bewegung.

Der Zweizylinder bietet verwertbare Leistung ab 2.000 Touren und drückt untenrum subjektiv (aber nicht objektiv) stärker als die BMW. Bis 5.500 Umdrehungen etwa läuft er nahezu vibrationsfrei, erlaubt sich dann lediglich feinnervige Ziselierungen, um bis 7.000 Touren stramm weiterzuschieben. Darüber wird es dann doch etwas blutleerer und vibrationsvoller, aber der kräftige Tiefen- und Mittenritt sorgt im Alltag eh für mehr Freude. Fahrmodus A wirkt für dieses Paket etwas zu nervös am Gas, B ist die Einstellung der Wahl, während C arg viel Elan raubt. Von Buchstaben zu Nummern: Gang eins bis sechs lassen sich mit etwas mehr Weg, dafür aber auch mit schmatzenderer Mechanik als bei der GS einlegen. Der sportliche Schaltautomat brilliert beim Hochjagen, braucht runter aber etwas Kraft.

Weniger Gewicht, größerer Hebel am Lenker

Vergleichsweise wenig Kraft braucht es jedoch, um die Suzuki durch das Kurvendickicht zu scheuchen. Weniger Gewicht, größerer Hebel am Lenker, etwas knackigere Geometrie: Das merkt man. Sowohl Einlenken als auch Umlegen sind bei ihr spürbar leichtere Fingerübungen als bei der Konkurrentin aus München. Dazu gefällt die Japanerin mit einem ebenfalls recht neutralen Lenkverhalten: Jeder Grad an Lenkimpuls wird kalkulierbar und gleichbleibend in entsprechende Richtungsänderung umgesetzt.

Ihre Forschheit erkauft sich die Suzuki V-Strom 800 jedoch mit einer unkritischen, aber spürbaren Portion Nervosität. Wer es fliegen lässt, sieht sich insbesondere am Heck mit etwas mehr Bewegung konfrontiert. Eine halbe Umdrehung mehr Zugstufendämpfung schafft zwar keine Abhilfe, aber etwas Linderung. Greift man dabei in die sehr kräftigen, eigens hochskalierten Stopper (radiale Verschraubung und vier statt zwei Bremskolben), gesellt sich auch von der eher weichen, tief abtauchenden Showa Big Piston-Forke viel Aktivität hinzu. Auch damit kann, aber muss man eh leben, denn hier ist die Dämpfung leider nicht verstellbar. Und wer es jetzt noch weiter treibt, muss auch den Bodenkontakt der im Vergleich zur BMW etwa einen Zentimeter tieferen und deutlich mehr in die Breite gehenden Fußrasten einplanen.

Nun denn, geht alles, aber auf der allerletzten Rille will auch diese kleine Reiseenduro für die Straße nicht primär gefahren werden. Und ohne Arbeitsvertrag als dauergetriebener Motorradtester sollte das ja vielleicht eh ganz gut zum angedachten Fahrerprofil passen.

Top-Ergonomie auch für größere Fahrer

Suzuki V-Strom – da schwingt der sorgenfreie Motorradalltag traditionell schon im Namen mit. Zu Recht, denn zur Top-Ergonomie auch für größere Fahrer gesellt sich ein langstreckentaugliches Sitzmöbel und verglichen mit der GS ein geradezu dekadenter Windschutz, hat man erst den Sechskantschlüssel bemüht. Die zeitgeistige Einbindung des Smartphones fehlt ihr zwar, dafür lassen sich die vorhandenen Elektro-Goodies mit deutlich weniger Tasten auch deutlich einfacher bedienen.

Dinge wie die großen Spiegel mit ebenso dimensioniertem Sichtfeld oder auch die einfache Ölkontrolle machen die kleinen Dinge des Motorradlebens angenehmer. Dass man sich dem gerade in dieser Klasse beliebten Tempomat selbst gegen Zuzahlung so konsequent verwehrt, ist schade. Genau wie einer längst überfälligen, weil kaum kostenintensiveren Verstellmöglichkeit des Kupplungshebels.

Auch in Japan ist man sichtlich um die Rückenkette des mitfahrenden Personals besorgt. Die Federelemente machen einen guten, ergo komfortablen Job, stehen im Hinblick auf Ansprechverhalten aber denen der BMW einen Tick nach. Vor allem das Federbein reicht den potenziellen Unbill des Asphalts ein wenig direkter durch als das (zugegebenermaßen aufpreispflichtige) Elektro-Pendant der Münchnerin, das auch wenn auf Dynamic geschaltet noch etwas geschmeidiger agiert.