Es ist nicht ungewöhnlich, dass MOTORRAD aus dem Fundus der Pressemaschinen ein bereits eingefahrenes Exemplar für den Dauertest erhält. Doch Yamahas 1200er-Super-Ténéré hatte bei ihrem Einstand schon 9747 Kilometer auf der Uhr. Draufgespult wurden die im Rahmen von Tests diverser Zeitschriften, gefahren von etlichen Testfahrern und Redakteuren. Darunter auch MOTORRAD, denn exakt dieses Exemplar musste sich im Juni 2010 im Top-Test bewähren. Am 18. Oktober 2010 stand die Super Ténéré dann in der MOTORRAD-Tiefgarage. Bereit dazu, den Rest des 50000-Kilometer-Marathons abzuspulen. Und der beginnt für sie auf der alljährlich stattfindenden Herbstausfahrt, die die Dauertestgruppe in diesem Jahr rund um die oberitalienischen Seen führt. Auf diesen ersten 1000 Kilometern bemängelt die Testcrew zweierlei: eine schlecht trennende Kupplung sowie die harte, mitunter hakige Schaltung. Gleich nach der Rückkehr notiert ein erfahrener Tourguide ins Fahrtenbuch: „Öllampe leuchtet kurz auf, Ölstand jedoch okay.“ Ohne vorgreifen zu wollen sei gesagt, dass sich derartige Bemerkungen fortan durch die weiteren Aufzeichnungen ziehen. Die Furcht vor einem Motorschaden ist in diesen Fällen jedoch völlig unbegründet: Die Ölkontrollleuchte signalisiert keinen Druckverlust, sondern soll vor zu niedrigem Ölstand warnen. Kurzes Aufflackern sei laut Yamaha „völlig unbedenklich“. Erst wenn die Kontrollleuchte nicht mehr ausgeht, sollte sofort kontrolliert und gegebenenfalls nachgefüllt werden. Dazu muss man wissen, dass der große Yamaha-Twin eine Trockensumpfschmierung besitzt, obwohl es rein optisch wie eine Nasssumpfschmierung aussieht. Im Motorgehäuse ist ein in sich geschlossenes Reservoir integriert, aus dem die Ölpumpe den Schmierstoff saugt, um ihn in die Kanäle zu drücken. Systembedingt kann es vorkommen, dass sich nach langem Stehen oder auch mal über Nacht wesentlich weniger Öl im Reservoir, der Rest jedoch im Rumpfmotor befindet. In diesem Zustand wird die Kontrollleuchte kurz aufleuchten. Wer in diesen Momenten kontrolliert – das Schauglas befindet sich im rechten Motordeckel -, wird erschrecken und vielleicht zu viel Öl auffüllen. Deshalb empfiehlt Yamaha, den Motor mindestens zehn Minuten warm zu fahren, die Ténéré auf den serienmäßig verbauten Hauptständer zu bocken, zwei, drei Minuten zu warten und erst dann zu kontrollieren.
Bei Kilometerstand 12491 notiert Testmitarbeiter Stefan Glück: „Kupplung ist eine Katastrophe! Aber meine Holde meint, ich darf die Maschine gern öfter mitbringen.“ Dieses Statement der Sozia ist stellvertretend für das fast aller Beifahrer, denn der Sitzkomfort ist nicht nur für den Fahrer, sondern auch für den Passagier klasse. Das Genörgel über die schlecht trennende Kupplung geht jedoch weiter. Erste Gegenmaßnahme ist das Entlüften des hydraulischen Systems, was die Funktion jedoch nur geringfügig verbessert. Erst als sowohl die Reib- als auch Stahlscheiben der Kupplung bei Kilometerstand 22521 getauscht werden, verschwindet die Kritik über die Kupplung. Und auch die über das schlecht schaltbare Getriebe. Die recht kurze Lebensdauer dieser Teile lässt sich im Nachhinein durch viele Beschleunigungs- und Messfahrten der diversen Redaktionen erklären. Yamaha Deutschland sind jedenfalls keine weiteren Kupplungsprobleme an der Super Ténéré bekannt.
Weiterer Kritikpunkt ist die leichte Anfahrschwäche des 1200er-Twins. Auf dem Prüfstand wurde deutlich, dass Yamaha trotz Traktionskontrolle vorsorglich sowohl Leistung als auch Drehmoment in den unteren drei Gängen reduziert. Das ist kein Beinbruch, und etwas, womit die meisten sicherlich gut leben können. Aber es ist ein Baustein dafür, warum die Super Ténéré vielen recht träge vorkommt. Dieser Eindruck entsteht schon im Stand, wenn man die Maschine vom Seitenständer nimmt. Mit vollem Tankinhalt von 22,6 Litern, einer recht weit oben und vorn positionierten Batterie sowie einer opulenten Verkleidung ist Kopflastigkeit quasi vorprogrammiert. Auch das Aufsatteln pumpte vor allem kleineren Piloten schon Adrenalin ins Blut, denn mit einer Sitzhöhe von Minimum 845 Millimetern plus breiter Sitzfläche und einem Gewicht von vollgetankt 267 Kilogramm ist die Ténéré alles andere als ein zierliches Bike.

Träge kam die Maschine vor allem jenen Fahrern vor, die im T-Modus (Touring) unterwegs waren. Hier reagiert die 1200er nicht so vehement auf Gasbefehle wie im S-Modus (Sport). Mit dem rechten Daumen kann man während der Fahrt den jeweils gewünschten Modus abrufen. Man muss es nur wissen. So waren es denn meist Kleinigkeiten, die den Fahrern sauer aufstießen. „Den Tacho kann ich nicht vernünftig ablesen, weil der Gaszug davor ist“, schrieb Top-Tester Karsten Schwers ins Buch. „Wer hat denn diesen Seitenständer konstruiert? Der lässt sich mit dem Fuß einfach nicht gescheit rauskicken, weil er so dicht an der Raste ist“, notierte der Autor. Und Testredakteur Gerd Eirich, der die Super Ténéré mindestens einmal wöchentlich ausführt, bemerkt bei Kilometerstand 28456: „Die Lastwechselreaktionen werden allmählich ausgeprägter.“ Auch das Yamaha-eigene Koffersystem bekommt sein Fett weg: Einige bemängeln das geringe Volumen (32 Liter Koffer rechts, 29 Liter Koffer links) – ein Integralhelm passt nirgendwo rein. Und die Kofferschlösser vermitteln nach ein paar ausgedehnten Touren mit Gepäck kein rechtes Vertrauen mehr, denn sie schließen nur hakig, die Bedienung wirkt fummelig. Nach einer langen Deutschlandtour notiert action-team-Tourguide Daniel Lengwenus: „Drehmoment und Kraft können für eine 1200er nicht überzeugen.“ Für alle Besitzer, denen das auch so vorkommt, bietet die Firma Off-the-Road aus Köln Abhilfe: Eine mit Powercommander, Edelstahlkrümmer und Slip-on-Schalldämpfer von LeoVince ausgerüstete Super Ténéré presste auf dem MOTORRAD-Prüfstand 110 PS und schickte ab 3500/min stets fünf PS und bis zu zehn Nm Drehmoment mehr ans Hinterrad als die Dauertestmaschine – leider ohne TÜV-Segen. Das Ansprechverhalten auf Gasbefehle ist mit dieser Maßnahme ebenfalls besser. Mit einer Beschleunigung in 18,3 Sekunden auf 200 km/h ist die getunte Maschine im Vergleich zur Serienversion 4,3 Sekunden schneller, auch der Durchzug ist besser. Obgleich sich einige Einträge wie etwa „könnte mehr Leistung vertragen“ im Fahrtenbuch tummeln, besteht für den Großteil der Fahrer kein Bedarf nach mehr Power.
Kommen wir zu den Kosten, die bislang sehr überschaubar sind, denn bei der Super Ténéré sind 10000er-Inspektionsintervalle vorgeschrieben. Für die 20000er berechnete der Händler 381 Euro, die 30000er kostete 316 Euro. In beiden Fällen wurden lediglich Servicearbeiten durchgeführt und das Öl gewechselt. Eine defekte Glühbirne musste ersetzt werden, die oft monierte Kupplung wurde im Rahmen der Garantie getauscht. Der Benzinkonsum pendelte zwischen 4,5 Liter/100 km im moderaten Toureneinsatz und bis zu acht Liter/100 km auf zügig gefahrenen Autobahnetappen mit Koffern und Gepäck. Auf die Gesamtdistanz gerechnet ergibt sich ein Durchschnittsverbrauch von exakt sechs Liter/100 km. Aber auch ein Ölverbrauch wurde protokolliert – und warf Fragen auf. Insgesamt gab es nur einen Rückruf, der die Trägerplatte des Topcases betraf, die bei einigen Fahrzeugen getauscht werden musste. Bleibt letztlich nur, einen Kollegen zu zitieren, der namentlich nicht genannt werden möchte: „1681 Kilometer in 72 Stunden – und an mir keine alterstypischen Beschwerden.“ Damit ist die Ténéré bestens charakterisiert. Sie ist und bleibt ein tolles Tourenmotorrad mit hervorragenden Langstreckenqualitäten. Dafür sprechen nicht nur die vielen geschmeichelten Hintern der Piloten, sondern auch die Tatsache, dass die Maschine rund 26000 Kilometer in neun Monaten stressfrei zurücklegte.