Fahrbericht: Die neue Einzylinder-Enduro BMW G 650 GS

Fahrbericht: BMW G 650 GS Die neue Einzylinder-Enduro von BMW im Test

Drei Jahre war sie in der Versenkung verschwunden. Nun ist sie zurück. Im netten Kleid, mit schiefem Blick und neuem Namen - heißen wir die BMW G 650 GS also herzlich willkommen.

Die neue Einzylinder-Enduro von BMW im Test Gargolov
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Riva del Garda, Italien, 4. Dezember 2010. Wie die Neue da so auf ihrem langen Seitenständer am Rand des Gardasees steht und wartet, könnte man der BMW-Waage tatsächlich Glauben schenken. Angeblich hat die G 650 GS gegenüber ihrer Vorgängerin vier Kilogramm abgespeckt. Kann sein. Vielleicht ist es aber nur optische Täuschung: Neue, schlankere Verkleidung, neuer Schnabel, asymmetrischer Karl-Dall-Scheinwerfer. Und: Die pummelige Taille ist jetzt ein wenig zierlicher. Der im Heck untergebrachte Tank wurde von 16,5 auf 14 Liter verkleinert. Diese Maßnahme, so beschwört es die bayerische Presselyrik, wurde ergriffen, damit Soziusbeine mehr Platz haben. Zudem soll die schlanke Taille das für Offroadeinlagen wichtige Fahren im Stehen verbessern. Der Diäterfolg errechnet sich wie folgt: zweieinhalb Liter weniger Sprit plus neu gestaltete, leichte Gussräder.

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Prima. Dann wollen wir Mal. Hopp, hoch das Bein. Man muss schon ordentlich schwingen, sonst touchiert der Fuß die ausladenden Sozius-Haltegriffe. Schlüssel rein. Und los geht‘s. Ha! Ein alter Bekannter lässt grüßen. Der bereits seit drei Jahren in Lizenz von Loncin in China gebaute Einzylinder scheppert durch den öldruckgesteuerten Steuerkettenspanner beim Kaltstart wie alle seine Vorgänger, auch als sie noch von Rotax aus Österreich kamen. Nach zwei Sekunden ist die Geräuschkulisse normal. Der Single stampft kräftig, aber irgendwie gefühlt gummigelagert. Im Kaltstart dreht er kurzfristig 2000/min und pendelt sich anschließend bei 1200/min ein. Das lässt sich auf dem neu gestalteten Drehzahlmesser gut ablesen. Überhaupt ist das Cockpit mit dem großen Rundtacho recht gefällig. Ein kleiner Bordcomputer hält neben Uhrzeit, Drehzahl, und Gesamtkilometerstand auch zwei Tagestrip-Zähler parat.

Okay, Gang rein, weg vom See, durch Riva schleichen und vor einigen Ampeln halten. Nach diesen ersten paar Metern ist man versucht, BMW zu gratulieren: Kuppeln kann so einfach sein. Überraschend ist nicht der neue, dreistufig in der Griffweite verstellbare Hebel, sondern der geringe Kraftaufwand. Aber lassen wir das lieber mit der Gratulation. Denn die Griffweitenverstellung für den Bremshebel haben sich die Bayern gespart. Und das, obwohl sie beflissen betonen, die neue G 650 GS sei besonders freundlich zu kleiner gewachsenen Menschen, weil durch eine Fahrwerksabsenkung und zwei verschieden gepolsterte Sitzbänke die Sitzhöhe bis zu 750 Millimeter gesenkt werden könne. Das ist toll. Doch liebe Techniker: Kleine Menschen haben oft auch kleine Füße und kleine Hände, da wäre es nicht schlecht, wenn auch der Bremshebel an solch körperliche Besonderheiten angepasst werden könnte.

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Der verkleinerte Tank macht die Taille schmaler, die neuen Gussräder sparen zwei Kilogramm Gewicht und der für BMW obligatorische Karl-Dall-Scheinwerfer geht nun endlich auch bei der 650er in Serie.

Stichwort Gardasee. Wer das Wort liest, dem wird bestimmt gleich warm ums Herz, stimmt‘s? Pustekuchen. Schneebeflockte Hänge, nur zwei Grad plus und Pudelmütze statt Sonnencreme. Da erliegt man der Verlockung, die zweistufigen Heizgriffe anzumachen. Die Kabel hierfür werden nicht, wie bei anderen BMWs üblich für den Piloten unsichtbar durch den Lenker geführt, sondern sind wie bei preisgünstigen Zubehör-Heizgriffen außen verlegt. Wurscht. Sie funktionieren. Lässig schwingt sich die 650er durch die Kurven, so richtig schräg wird‘s allerdings nicht. Denn die Straßen sind erst seit 48 Stunden schneefrei und fein besplittet.

Da kann man froh sein, dass die Testmaschine mit einem ABS ausgerüstet ist, welches für Offroad-Spielereien abgeschaltet werden kann. Auf dem rutschigen Rollsplitt ist das ABS hinten allerdings häufig im Regelbereich, vorne arbeitet der Blockierverhinderer feinfühliger. Ein weiterer kleiner Kritikpunkt ist die vordere Bremsbetätigung, denn man muss schon kräftiger zupacken. Wobei wir, liebe Techniker, wieder bei den kleinen Menschen mit ihren kleinen Händen und vielleicht sogar zarteren Muskeln wären. Trotz dieser leichten Kritik sei unterstrichen: Die BMW verzögert narrensicher.

Wir biegen auf die Fernstraße. Kurzer Halt vorm Stoppschild und durchbeschleunigen. Wer den Single hochjubelt, wird von einem kleinen roten Schaltblitz zum Gangwechsel ermahnt. Die Gänge rasten sauber und präzise, der Motor hängt sehr gut am Gas. Und er wirkt in allen Drehzahlbereichen kraftvoll: 48 PS bei 6500/min gibt BMW als Maximalleistung an. 60 Nm soll er bei 5000 Touren produzieren - Werte, die mit denen der Vorgängerin identisch sind und gefühlsmäßig bestätigt werden. Die 650er lässt sich schaltfaul fahren und hackt bei niedrigen Drehzahlen auch nicht über Gebühr. Dass sich die Neue etwas spritziger anfühlt, liegt an einer etwas kürzeren Sekundärübersetzung. Im Nu stehen 100 km/h auf der Uhr. Jetzt dreht der Single exakt 4000/min im letzten Gang. Schade, dass er dabei feinfrequent vibriert. Diese Vibrationen nerven die Hände und dringen übers Sitzpolster sogar an den Allerwertesten. Freie Sicht, niemand schaut zu, 150 km/h. Die zierliche Scheibe sorgt für Turbulenzen im Helmbereich, doch sie entlastet den Oberkörper vom Winddruck. 170 km/h sollen laut BMW maximal drin sein, doch das wollen wir hier nicht ausprobieren.

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Der Motor hängt gut am Gas, die Gesamtübersetzung ist etwas kürzer als bei der Vorgängerin.

Einmündung voraus, Vollbremsung! Obwohl die Bremse bei Anpassungsbremsungen leicht stumpf wirkt, überzeugt sie jetzt mit ordentlicher Verzögerung. Scharfer Linksknick und rauf auf eine Landstraße dritter Ordnung. Das Fahrwerk nimmt es gelassen, schirmt den Fahrer vor den gröbsten Unebenheiten ab, spricht sauber an und bleibt stabil. Die Metzeler Tourance rollen harmonisch ab und liefern gutes Feedback. Aufgrund größerer 140/80er-Hinterrad-Dimension soll die G 650 jetzt stabiler laufen als ihre Vorgängerin. Handlicher ist sie dadurch nicht geworden, doch sie wirkt gut ausbalanciert und lässt sich über den breiten Lenker leicht dirigieren.

Ob der Markt die alte Neue annimmt, wird sich zeigen. BMW gibt sich zuversichtlich. Ein hochrangiger Mitarbeiter wollte sogar wetten, dass die G 650 GS im kommenden Jahr unter den Top Ten in der deutschen Zulassungsstatistik zu finden sein wird. Nun, dass könnte man durchaus über eine attraktive Preisgestaltung regeln. Doch über den Preis schweigen sich die Bajuwaren leider aus.

Video-Interview zur BMW G 650 GS:

Technische Daten

Gargolov
Schlanker, moderner, gefälliger: Die kleine GS reiht sich optisch in die Familie ein.

Motor:
Wassergekühlter Einzylinder-Viertakt-Motor, zwei obenliegen­de, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung Ø 43 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 400 W, Batterie 12 V/12 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 47:16.
Bohrung x Hub 100,0 x 83,0 mm
Hubraum 652 cm³
Nennleistung 35,0 kW (48 PS) bei 6500/min
Max. Drehmoment 60 Nm bei 5000/min

Fahrwerk:
Brückenrahmen aus Stahl, Telegabel Ø 41 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zugstufendämpfung, Scheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS.
Alu-Gussräder 2.50 x 19; 3.50 x 17
Reifen 110/80 R 19; 140/80 R 17

Maße und Gewichte:
Radstand 1477 mm, Lenkkopfwinkel 61,9 Grad, Nachlauf 113 mm, Federweg v/h 170/165 mm, Sitzhöhe 750–820 mm, Gewicht vollgetankt* 198 kg, Tankinhalt 14,0 Liter.
Farben Orange/Rot, Weiß
Preis keine Angabe

Aufgefallen

Positiv:

  • Sitzposition entspannt und bequem
  • ABS für Offroadeinsatz abschaltbar
  • Kupplungshandkraft sehr gering


Negativ:

  • Handbremshebel ist nicht verstellbar
  • Scheibe verursacht Turbulenzen
  • Lichtausbeute nur mittelmäßig
BMW
Dorit Mangold, 39, sieht die Zukunft der BMW G 650 GS sehr optimistisch.

BMW-Produktmanagerin Dorit Mangold zur Frage: Warum taucht die 650er plötzlich wieder auf?

 ? Viele Hersteller haben Einzylinder-Modelle aus ihrem Programm genommen. Warum nimmt BMW die Produktion wieder auf?
 ! Die Produktion war nie ganz eingestellt, für bestimmte Märkte (u.a. USA, Spanien, Brasilien) und als Behördenmodell wurde die Einzylinder F 650 GS unter neuem Namen (G 650 GS) durch­gehend seit 2008 weitergebaut. Deswegen und aufgrund der Nachfrage weiterer Länder gibt es eine neue G 650 GS.

 ? Haben Sie keine Angst, dass die G 650 GS die Konkurrenz zur F 650 GS darstellt?
 ! Der Zweizylinder hat sich am Markt als Antrieb der Wahl bei den Mittelklasse-Enduros durchgesetzt, das zeigen die Zulassungszahlen seit Jahren. Ein attraktives, vielseitiges Einzylinder-Modell kann daneben bei entsprechendem Preisabstand zusätzliche Kunden gewinnen.

 ? Wie würden Sie die potenzielle Käuferschicht beschreiben?
 ! Flexibel und vielseitig in der Verwendung ihres Motorrads: Alltag, Urlaub, manchmal ein bisschen Gelände. Pragmatisch in der Kaufentscheidung, aber mit Sinn für Qualität und Design. Etwas jünger, einige Einsteiger und Wiedereinsteiger.

 ? Der 650er-Motor wird bei Loncin in China gefertigt. Wie lässt sich das mit dem Label Made in Germany vereinbaren?
 ! Die Produktion erfolgt zu 100 Prozent nach BMW Qualitätsstandards. Um das sicherzustellen, haben Mitarbeiter vor Ort den Aufbau der Fertigungsprozesse und des Qualitätsmanagements bei Loncin und den Unterlieferanten über mehrere Jahre verfolgt. Mit der Produktionsverlagerung haben wir überdies einige Verbesserungen umgesetzt, zum Beispiel an der Kupplung. Der Motor wird bereits seit 2008 in der G 650 GS eingesetzt und zeigt sich genauso zuverlässig wie das frühere Rotax-Aggregat.

 ? Wo werden die anderen Bauteile produziert?
 ! Die Motorrad-Zulieferindustrie ist nach wie vor sehr europäisch. Wichtige Komponenten und Bauteile von Fahrwerk, Rahmen, Elektrik/Elektronik und Karosserie bezieht BMW fast ausschließlich aus der EU.

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