Fahrbericht Honda XR 650 R
Hoffnungs Schimmer

Endlich. Mit matt schimmerndem Alu-Rahmen und brandneuem Triebwerk gibt Honda den XR-Fans neue Hoffnung. Der Traum vom beinharten Erdgeschoß bleibt dem äußeren Anschein nach allerdings unerfüllt.

Eine kleine Ewigkeit nach dem ersten Auftritt ihrer mittlerweile legendären Schwester XR 600 steht sie nun da, die XR 650 R. Ganz anders, ganz neu und doch irgendwie gewohnt. Unspektakulär. Eine wahre XR eben. Die Hoffnung auf einen ultrasportlichen Stollenflitzer, der die Wettbewerbs-Szene gieren lässt – ernüchtert aufgegeben. Die Kunststoffteile – wie gehabt. Moderne, flache Tank-Sitzbank-Linie? Vergiss es. Auch die Lampenmaske könnte von der XL des Jahrgangs 1985 stammen. Na ja.
Unterm roten Cover wird’s interessanter. An einen Alu-Rahmen in Einschleifen-Bauweise wagte sich in der Off Road-Serienproduktion noch kein Hersteller. In Sachen Gewicht dürfte es allerdings kaum was bringen, denn die Alu-Profile müssen deutlich über Stahlrohren mit vergleichbarer Festigkeit dimensioniert sein. Verwunderlich bleibt die Wahl dieses Konzepts ohnehin. Erst 1997 hatte Honda den Alu-Brückenrahmen am Crosser CR 250 eingeführt. Ein Konzept, das ohne die begrenzende Höhe des Rahmenrückgrats wie geschaffen für die Aufnahme eines relativ hoch bauenden Viertaktmotors schien. Wie eben dem XR-Single mit 649 cm3 Hubraum, Wasserkühlung, vibrationsmindernder Ausgleichswelle, vier Ventilen, Fünfganggetriebe und üppiger Gehäuse-Dimension.
Ein Elektrostarter fehlt – aus Gewichtsgründen. Denn die junge XR soll trotz ihrer wuchtigen Optik ein Diät-Renner bleiben. 122 Kilogramm geben ihre Schöpfer an. So viel wie eine 610er-Husqvarna und nur fünf Kilo mehr als der neue Überflieger unter den Sport-Enduros, die KTM EXC 520 Racing – wenn’s denn so stimmt. Überprüft werden kann’s mangels Testmaschine derzeit nicht – denn zumindest hierzulande werden die Serien-XR frühestens im Mai eintrudeln.
Jimmy Lewis, talentierter Off Road-Pilot und Redakteur des amerikanischen Fachmagazins Cycle World, hat’s in dieser Beziehung besser. Er durfte – gewissermaßen als Werks-Pilot – die XR 650 im Wüstenrennen Las Vegas to Reno durch die Prärie hetzen. Lediglich die offene Auspuffanlage unterschied die Wüsten-XR von der Serien-Version – vom größeren Tank und einer längeren Übersetzung für den Steppen-Trip einmal abgesehen.
Und Jimmy war zunächst mal beeindruckt. Die deklarierten 61 PS waren in jeder Situation zu spüren. Druck wie ein Halbliter-Zweitakter, nur kontrollierbarer, sagt der US-Boy. Und dank Hubraum-Plus schiebt der Single schon ganz, ganz unten gewaltig voran. Wobei der Motor auch in langsamen Sandpassagen – im Gegensatz zu kompromissloser ausgelegten Sport-Enduros – ausreichende thermische Reserven besitzt. Trotz Wüstenhitze kochte der große Mono nie.
Zu heiß wurde es auch dem Fahrer nicht. Denn in Sachen Handling macht die neue XR ihrer Vorgängerin einiges vor. »So flink wie eine XR 400«, ordnet Jimmy die Agilität der 650er im engen Geläuf ein. Dennoch bleibt die Maschine auch auf schnellen Geraden erstaunlich ruhig. Der steife Alu-Rahmen und die Radaufhängungen scheinen das Bike gut unter Kontrolle zu halten. Dem Speed-Rausch setzt eher die Federung Grenzen. In dieser Beziehung bleibt die 650er in guter XR-Erbfolge. Komfort steht über allem. Bei hohen Sprüngen schlagen sowohl die konventionelle Gabel als auch das Federbein kräftig durch. Der Motor mag ebenfalls keine Topspeed-Orgien. Nur ungern lässt sich der Single hochjubeln. Hochschalten und den kernigen Druck bei mittleren Drehzahlen ausnutzen – so will die neue XR gefahren werden.
Die neue XR? Trotz Alu-Rahmen, trotz Wasserkühlung, sie ist eine XR in bester Tradition: eine Enduro zum Pferdestehlen, nicht zum Pokale sammeln.

Unsere Highlights

Technische Daten

Technische Daten Honda XR 650 RMotor: Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, eine obenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, vier Ventile, Trockensumpfschmierung, Fünfgangetriebe, Keihin-Schiebervergaser, Ø 40 mm, digitale Transistorzündung, Drehstromlichtmaschine ? W, Kickstarter.Bohrung x Hub 100 x 82,6 mmHubraum 649 cm³Verdichtungsverhältnis 10:1Nennleistung 45 kW (61,2 PS) bei 6750/minMax. Drehmoment64 Nm (6,3 kpm) bei 5500/minFahrwerk: Einschleifen-Alu-Rohrrahmen mit geteilten Unterzügen, abschraubbares Rahmenheck aus Alu-Rohren, konventionelle Showa-Vorderradgabel, Standrohrdurchmesser 46 mm, verstellbare Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Alu-Profilen, Showa-Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, eine Scheibenbremse vorn, Ø 240 mm, schwimmend gelagerter Zweikolbensattel, eine Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, schwimmend gelagerter Einkolbensattel.Räder: Speichenräder ?-21 vorn, ?-18 hintenReifen: 3.00-21 vorn, 4.50-18 hintenFahrwerksdaten: Radstand 1481 mm, Lenkkopfwinkel ?°, Nachlauf ? mm, Bodenfreiheit 302 mm, Federweg v/h 285/308 mm.Tankinhalt: 10 LiterGesamtgewicht (ohne Benzin): 122 kgPreis zirka 12 000? Mark

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023