Vergleichstest
BMW R 1150 GS gegen Honda Varadero

In luftiger Höhe hinterm breiten Lenker thronen und über massig Drehmoment herrschen: Wer im Sattel eines majestätischen Fünf-Zentner-Hammers das Zepter schwingt, der darf sich wie ein König fühlen.

 BMW R 1150 GS gegen Honda Varadero
Foto: BMW R 1150 GS

Fast fünf Jahre lang war die BMW R 1100 GS auf Spitzenplazierungen bei Zulassungszahlen, Tests und Leserwahlen abonniert. Bis mit der Honda Varadero ein starker Widersacher zum Angriff auf den bayrischen Platzhirsch blies. Und das mit Erfolg, wie Testsiege in MOTORRAD 1/1999 und 6/1999 und über 2200 verkaufte Einheiten zwischen Januar und Juni 1999 beweisen. Obwohl das Interesse an der großen GS ungebrochen ist, bis Juni wurden mehr 2475 Stück abgesetzt, schickte BMW die entthronte Reise-Enduro ins Trainingslager: Zylinder mit vergrößerter Bohrung samt Ventildeckeln aus Magnesium, eine überarbeitete Abgasanlage, Sechsgang-Getriebe inklusive Overdrive sowie eine wegen des längeren Getriebes gekürzte Schwinge sollen sie unter dem Namen R 1150 GS auf den Chefsessel zurückbefördern.
Auf den verwinkelten Landstraßen der schwäbischen Alb sollen die Kontrahenten Farbe bekennen. Doch vor dem uneingeschränkten Kurvenvergnügen kommt die harte Arbeit des Stadtverkehrs. Mit den beiden Groß-Enduros ist das Mitschwimmen in der stockenden Blechlawine halb so schlimm. Plätze mit Aussicht und breite Lenker machen ihre Reiter zu Chefs im City-Ring - nur beim Durchmogeln sind die Segelstangen manchmal im Weg. Ergonomiemäßig verfolgt BMW mit einem recht straffen Sitzpolster und engem Beinwinkel den sportiven Ansatz, die Varadero ist mit softer Bank und weiter vorn plazierten Fußrasten mehr der integrative Typ. Ähnliches gilt für die Passagier-Abteile. Bequem sind sie beide, das Varadero-Arrangement kann aufgrund einer noch relaxteren Beinhaltung Vorteile verbuchen.
Vorsicht beim Ampelstopp, mit vollem 22-Liter-Tank muß vor allem die BMW konzentriert balanciert werden, insbesondere wenn die höhenverstellbare Sitzbank in der obersten Stufe steht. Kleine Fahrer suchen dann schon mal den Bordstein als willkommene Fußstütze. Beim Stop-and-go-Betrieb fällt auf, dass der dicke Boxer beim gleichmäßigen Dahinzockeln auf kleiner Flamme keine Zicken mehr macht. BMW scheint das nervende Konstantfahrruckeln mittels einer geänderten Abstimmung der neuen Motronic im Teillastbereich in die weiß-blauen Geschichtsbücher verbannt zu haben.
Raus auf die Schnellstraße. Ruck zuck zeigt sich, dass die vermeintliche Sanftheit des gleichmäßig blubbernden, per Vergaser versorgten Vauzwei der Honda täuscht: Ab 3000 Touren legt er leicht hackend, aber vehement zu. Wenn der GS-Antrieb jenseits von 6500 Touren mit zunehmenden Vibrationen einen Gangwechsel anmahnt, scheint sich das Honda-Herz an den Beginn seiner Karriere im Sportler VTR 1000 zu erinnern und legt fröhlich trompetend eine Schippe Power nach.
Trotzdem kann die Varadero der R 1150 GS nicht die Auspuffrohre zeigen. Sonor brummend schiebt der erstarkte Boxer von unten an, um zwischen 3000 und 5000 Touren hemdsärmeligen Punch zu bieten. Geradezu frappierend ist, wie geschmeidig der 1130 cm3 große Flat-Twin seine Leistung produziert. Früh schalten heißt das Erfolgsrezept. Keine Angst, Gangwechsel gestalten sich bei der Bayerin deutlich flüssiger als beim Vorgängermodell. Ohne Federlesens flutschen die Gänge der aus der R 1100 S stammenden Sechsgang-Box rein. Auch der ellenlang ausgelegte Overdrive erweist sich als echter Gewinn: Für Tempo 100 muß die Kurbelwelle nur knapp 3000 mal rotieren, für Tempo 140 braucht’s grad mal 4000 Touren. Zum majestätischen Dahingleiten auf der Landstraße reicht der Sechste gerade noch und für Autobahn-Tempo sowieso. Der Honda-Fahrer muß sich dagegen mit einem höheren Drehzahlniveau arrangieren - die sportliche Herkunft und das Hubraummanko lassen sich nicht verleugnen. Dafür zieht die BMW bei der Durchzugsmessung den kürzeren. Dort muß der Sechste ran, da der Fünfte kein vollwertiger Fahrgang ist - hier läuft die BMW mit dem Erreichen der Höchstgeschwindigkeit in den Drehzahlbegrenzer.
Runter von der Schnellstraße, rein ins Kurvenlabyrinth. Beim zügigen Ritt über das buckelige Asphaltgewürm der schwäbischen Alb schlägt sich die BMW souverän. Selbst ambitionierte Sportfahrer müssen sich hier vor der Bayerin in acht nehmen. Dabei ist es grad egal, welcher Straßenzustand der GS unter die Räder kommt. Das Telelever-System am Vorderrad - gegenüber der Vorgängerin um eineinhalb Kilo erleichtert und in der Dämpfung angepaßt - sowie die Paralever-Schwinge mit nunmehr sensibler ansprechendem Federbein lassen sie nahezu ungerührt über Verwerfungen aller Art donnern. Vollgas und drüber. Schaukelbewegungen oder gar Lenkerschlagen sind dem aufwendigen Fahrwerk fremd. Praktisch keine Eigenbewegungen der Front bei Lastwechseln versauen die Linie - so schmeckt GS-Fahren. Selbst der Kardanantrieb erweist sich dank Paralever nicht als Spielverderber. Wer auf Sportboliden nicht mindestens die Ellenbogen am Boden schrappen läßt, für den gibt’s auch im Sattel der BMW in punkto Schräglagenfreiheit nichts zu meckern.
Die Varadero probiert es da lieber mit Gemütlichkeit. Ihre Devise lautet: no sports, please. Die weiche, etwas unterdämpfte Gabel schmeichelt sich zwar mit ihrem komfortablen Wesen ein, läßt aber eine klare Rückmeldung vermissen. Sie ist genauso wachsweich und diplomatisch wie offizielle Statements bei Hofe. Selbst ansatzweises Sporteln auf kurvenreichem Geläuf erfordert erhöhte Konzentration, zumal die Fußrasten des öfteren Bodenkontakt bekommen. Außerdem erschwert das Eigenleben der Vorderradführung bei Lastwechseln ein konsequentes Beibehalten der gewünschten Linie. Spätestens beim Bremsen sackt die Front in sich zusammen. Bergabbremsungen mit voller Beladung zwingen die Gabel selbst beim soften Griff zum Hebel auf Anschlag. Schade eigentlich, denn die CBS-Verbundbremsanlage läßt sich präzise dosieren und begeistert mit guter Verzögerung und geringem Kraftaufwand.
Um das Münchner Kindl einzubremsen, muß kräftiger in die Brembo-Stopper gelangt werden. Zum Ausgleich unterbindet das ABS (Aufpreis 1995 DM) ein unerwünschtes Blockieren der Räder - dieses Sicherheitsplus gibt es bei der Varadero nicht einmal für Geld und gute Worte. Wer selbst die Bremsregie übernehmen will, etwa auf Schotterwegen, kann das BMW-ABS mittels Knopf an der rechten Lenkerarmatur abschalten. Doch ehrlich gesagt, so richtig Spaß macht es nicht, die Brocken über unwegsames Gelände zu treiben. Zu groß, zu schwer und - im Falle eines Sturzes zu teuer. Nur der Chronistenpflicht halber sei erwähnt, daß die BMW sich auf Schotter mit einem in den Rasten stehenden Fahrer wohler fühlt als die ausladende Varadero.
Also runter vom Feldweg und ab auf die Autobahn - eine der Königsdisziplinen der
Groß-Enduros. Getreu dem Motto »Der Weg ist das Ziel« bieten beide ein kommodes Arrangement für den fixen Transit. Vorteil Varadero: Sie stanzt bei Tempo 200 mit aufrecht sitzendem Fahrer ein Loch von der Größe des Buckingham-Palasts in die Luft, ohne daß es hinter dem Lenker sonderlich stürmisch zuginge. Die üppige Verkleidungsscheibe der Varadero nimmt vor allem kleinere Piloten bestens vor Wind und Wetter in Schutz. Das Schild der BMW läßt eine Justierung in drei Stufen oder sogar eine völlige Demontage zu. Leider ist dafür ein Torx-Schrauber nötig, die manuelle Einstellung wie bei der K 1200 RS wäre noch benutzerfreundlicher. In höchster Position bietet das Teil ausreichenden Windschutz ohne störende Sogwirkung, da die Scheibe hinterströmt ist. Groß gewachsene Fahrer werden allerdings bei hohen Tempi heftig abgewatscht. Dafür läuft die BMW unerschütterlich geradeaus. Querfugen, die auf manchem Supersportler für spannendes Lenkerschlagen sorgen, nötigen dem Boxer-Piloten nur ein müdes Lächeln ab. Ganz so lustig geht’s auf der Honda nicht zu, der Brummer leidet ab Tempo 180 unter dezenten Pendelerscheinungen. Und die nächste Zwangspause ist weit, denn beide Riesen müssen selbst beim Bolzen auf der Autobahn frühestens nach 250 Kilometern an die Zapfsäule. Zurückhaltender Umgang mit dem Gasgriff steigert den Radius sogar auf 400 Kilometer, wobei der E-Gang der BMW Top-Rahmenbedingungen fürs Knausern schafft. Wer bis in tiefste Nacht unterwegs ist, wird zu schätzen wissen, daß beide Maschinen ihren Fahrern zuverlässig heimleuchten. Das Freiflächen-Ensemble der Varadero glänzt mit schön gleichmäßiger Streuung, die BMW-Kombination hat dafür die größere Reichweite, läßt ihren Piloten wegen der scharfen Hell-Dunkel-Grenze des Projektionsscheinwerfers aber in ganz engen Kurvenin in ein schwarzes Loch blicken.
Eitel Sonnenschein hingegen herrscht bei der weiß-blauen Ausstattung: Aufgeräumtes Werkzeugfach unter dem Soziussitz, Hauptständer und der kinderleichte Ausbau des Hinterrades sind serienmäßig. Heizgriffe (325 Mark) und das solide Gepäcksystem (846 Mark) gibt’s gegen Aufpreis. Honda bittet für den Hauptständer mit 357 Mark zur Kasse, das Gepäcksystem schlägt mit 1089 Mark zu Buche. Dermaßen ausgestattet gehen die beiden Groß-Enduros dann fast als Supertourer durch. Und auch wenn das zu erobernde Terrain direkt ums Eck liegt, im Sattel der beiden Riesen wird selbst die Spritztour auf der Hausstrecke zu einem königlichen Vergnügen.

Unsere Highlights

Fazit Honda Varadero

Die komfortable Varadero beeindruckt mit mächtig Power und gepflegten Umgangsformen. Einfach draufsitzen und wohlfühlen. Eine bessere Platzierung verschenkt die konsequent auf Straßenbetrieb getrimmte Reiseenduro vor allem durch die weiche, unterdämpfte Gabel. Mit ein wenig Feinarbeit an der Abstimmung der Federelemente könnte Honda die Karten fürs nächste Duell neu mischen. Bis dahin sollte auch die ökologische Notlösung »Sekundärluftsystem« einer konsequenten Abgasreinigung des Vauzwei weichen.

Fazit BMW R 1150 GS

Der König ist tot - es lebe der König: Die BMW-Leute haben den Hebel bei der GS an den richtigen Stellen angesetzt. Mehr Leistung, sensibler ansprechende Federelemente sowie ein exakter zu schaltendes Getriebe. Aus einem guten Motorrad wurde so ein besseres, was aber kein Grund ist, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Sowohl die anhand mehrerer Testexemplare festgestellte Serienstreuung beim Getriebe als auch die kurze Garantiezeit werfen Schatten auf das ansonsten strahlende Ergebnis der R 1150 GS.

Varadero-Umbau XRV 1000 Desertstorm

Zurück in die Zukunft: XRV 1000 im Farbdesign von 1988

Das Jammern hat ein Ende. Allen leistungshungrigen Africa-Twin Treibern und wimmernden Varadero-Fahrer denen ihr Gefährt zu bieder und geländeuntauglich ist, kann geholfen werden. Unter der Bezeichnung XRV 1000 Desertstorm ist ab Oktober ´99 ein Umbaukit, bzw. Komplettumbau erhältlich, der die Manko beider Maschinen beseitigen soll. Basismodell ist die Honda Varadero. Eine geänderte Federbein-Umlenkung plus längerer Gabel sorgen für geländetaugliche Boden- und rekordverdächtige Schräglagenfreiheit. Bremsanlage, Drahtspeichenräder, Alu-Motorschutz, Seitendeckel, Heck und Sitzbank stammen aus Africa-Twin-Regalen verschiedener Baujahre und sind entsprechend geändert. Trotz Stahlflexleitungen zeigen die Stopper zwar nicht den Biss der Varadero-Kombibremse, ambitionierte Schotterbolzer werden die separate Betätigung jedoch begrüssen - für den Geländeeinsatz unabdingbar. Apropos Gelände: 235 Kilogramm vollgetankt erfordern eine starke Hand. Oder einen Reifen mit genügend Grip: Der montierte Conti TKC 80 in den Dimensionen 90/90-21 und 150/70-17 setzt die ca. 90 PS terrainunabhängig in kräftigen Vorschub um. Rein gefühlsmäßig bleiben im engen Schlund des nachgerüsteten Edelstahl-Auspuffs ein paar PS stecken. Ein spezieller Endschalldämpfer ist jedoch in Vorbereitung. Der Träger der doppeläugigen GFK-Verkleidung fungiert als integrierter Sturzbügel für die Kühler und Aufnahme für elektronische Komponenten wie Roadbook und Ralleycomputer. 15500 Mark sind für einen Komplettumbau zu investieren. Einzelpreise und weitere Info unter Telefon und Fax: 0561/770273 oder e-mail: Sven. Koenig@topmail.de oder im Internet: www.desertstorm.isthier.de

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023