Freddie Spencer, legendärer 250er- und 500er-Weltmeister, geht bei der Retromotor in Tübingen an den Start. Mit der NS 400 R des Autors, dem Serien-ableger des WM-Bikes. Ein unvergesslicher Tag.
Freddie Spencer, legendärer 250er- und 500er-Weltmeister, geht bei der Retromotor in Tübingen an den Start. Mit der NS 400 R des Autors, dem Serien-ableger des WM-Bikes. Ein unvergesslicher Tag.
Nein, es war kein Alkohol im Spiel, keine Schnaps-idee, entstanden in einer Bierlaune nach Feier-abend. Ehrlich. Vielmehr ergab ein Wort das andere, im Redaktionsflur, beim staunenden Studium der Gästeliste bei der Retromotor in Tübingen. Zahlreiche Weltmeister sind am Start, herrlich. Und unglaublich, wie die Organisatoren das geschafft haben. Doch vor allem ein Name elektrisiert mich - Freddie Spencer. Er, der damals 1983 mit zarten 21 Lenzen der jüngste 500er-Weltmeister wurde und seinen Ruf noch weiter zementieren konnte, als er 1985 gleich Doppelweltmeister wurde, in der 250er- und in der 500er-Klasse. Fast Freddie, wie er genannt wurde, ist heute noch ein Begriff, vor allem mir, der ich als Zweitakt-Sympathisant irgendwann vom Charme der NS 400 R übermannt worden war und dem Rothmans-Virus erlegen bin. Diese Lackierung in den Werksfarben des Sponsors, eines britischen Tabak-Konzerns, unbeschreiblich schön, klassisch, schlicht, einfach stimmig und unverwechselbar. Ich hatte lange die Augen nach solch einem Exemplar offen gehalten, und als mir eines Tages das richtige Angebot über den Weg lief, zugeschlagen.
Fast Freddie in Tübingen
Nun also sollte der schnelle Freddie quasi vor meiner Haustür erscheinen und bei diesem Rennen der Champions mitfahren. Wenn das kein Zeichen ist. Ich muss da hin, der redaktionelle Auftrag bezüglich der Berichterstattung ist sowieso klar, aber mit meinem Bike muss sich doch irgendwas drehen lassen. Genau, ein Foto von Freddie auf meiner Honda. Seine Augen werden sicher leuchten, wenn er sich beim Anblick der Rothmans-NSR an die guten alten Weltmeister-Zeiten erinnert. Am besten ein Foto von uns beiden. Sicher kein Problem. Der Gedanke wird weiter gesponnen: Andere lassen sich Mütze, Shirt oder ein Foto signieren - warum sollte nicht mein Motorrad die Unterschrift von Freddie Spencer tragen? Genau, der Plan wird immer besser. Meinem festen Vorhaben zufolge, auf Achse zur Veranstaltung zu fahren, bringe ich die NSR, die schon wieder viel zu lange unbewegt stand, zum Mechaniker des Vertrauens, der sich der Vergaser-Geschichte noch mal annehmen soll. Beim letzten Startversuch war schließlich ordentlich Sprit unten rausgelaufen, vermutlich hängen die Schwimmer - er soll einfach alles durchchecken, damit ich auf der sicheren Seite bin.
Wenige Tage später die Hiobsbotschaft: Der Benzinhahn ist undicht, leckt nicht zu knapp. Was tun? Das Problem ist leider bekannt, alle NS 400 R leiden früher oder später darunter. In Foren wird häufig darüber diskutiert, Neuteile von Honda gibt es schon lang nicht mehr. Eifrige, mühsame Suche und stundenlanges Internet-Surfen fördert einen anderen Anbieter ans Tageslicht, in England. Das Kit ist lieferbar, ich bestelle sofort, der Preis scheint sogar fair, wäre mir aber auch fast egal gewesen. Hauptsache her damit. Das Warten beginnt, die Tage verrinnen, der Termin rückt näher. Notfalls, wenn sie nicht fahrbereit ist, wird sie in den Transporter geladen und zu Freddie geschoben. Wichtig ist nur, die beiden zusammenzu- bringen. Ein kurzes Vorgespräch mit Veranstalter Rainer Klink soll klären, was im Rahmen der Veranstaltung mit dem Honda-Heroe möglich sein wird. Klink ist zwar vielbeschäftigt, empfängt Fotograf Stefan und mich jedoch zum vereinbarten Termin und wirkt entspannt. Wir plaudern, kommen ins Fachsimpeln und Schwärmen, erzählen kurz von unserer bisherigen Idee. Ob Freddie vielleicht sogar vor dem Lauf, oder in der Mittagspause, wenn auf der Strecke nichts los ist, für ein kurzes, gestelltes Fahrfoto bereit steht? Klink wird hellhörig. „Ihr habt des Moddorrad dabei? Ha, der fährt des. Isch doch klar. Im zwoida Lauf.“ Die Idee, die wir uns kaum auszusprechen getraut hätten, ist nun Programm, Freddies Einsatz quasi gebucht. Jetzt darf nur nichts schiefgehen. Das Bike muss laufen, ohne zu mucken.
Das Zittern beginnt
Nur noch wenige Tage bis zum Termin - wo zum Henker bleibt der bestellte Dichtsatz für den Benzinhahn? Der tägliche Run auf den Briefkasten wird belohnt, drei Tage vor der Deadline. Auspacken, kontrollieren - sieht gut aus, scheint vollständig zu sein. Im Eiltempo wird das Tütchen zur Werkstatt chauffiert, in einer Überstundenaktion bis tief in die Nacht wird die teilzerlegte NSR zusammengebaut. Horst gibt alles und meldet gute Nachrichten - sie läuft, ohne zu sabbern.
Nach einer letzten, mit unruhigem Schlaf gesegneten Nacht ist es so weit. Zusammen mit Hunderten, insgesamt letztlich Tausenden Besuchern pilgern wir zum Kurs im Tübinger Industriegebiet, dem Circuit d’Au. Veranstalter Klink moderiert bereits eifrig die ersten Sportwagenläufe, der überaus hilfsbereite Mitorganisator Utz Raabe bestätigt: Freddie weiß noch nichts von seinem Glück. Wir sollen es ihm einfach sagen, es sei kein Problem. Das Problem besteht vielmehr erst mal darin, an Mister Spencer heranzukommen. Im gesamten Boxenbereich wimmelt es von begeisterten Fans, die alle Autogramme wollen, ein schnelles gemeinsames Foto, oder die Stars zumindest mal aus der Nähe sehen möchten. Infernalisches Brüllen aus der MV-Box nebenan, die Besucher strömen wie magisch angezogen dahin. Das verschafft uns etwas Luft, wir kämpfen uns zu Freddie durch, der entspannt lächelnd hinter der RC 30 steht und alle Wünsche erfüllt. Ich nutze eine ruhige Minute und bringe ihm auf allerhöflichste Art unser Anliegen vor. „Sure, I can drive it. No problem.“ Wahnsinn, ohne das geringste Zucken, einfach so. Ein Profi durch und durch, sicher. Aber eben auch ein extrem netter und höflicher. Der gleich darauf auch auf unser zweites Anliegen, das Signieren der NSR-Soziusabdeckung, mit selbstverständlicher Freundlichkeit reagiert. Quasi der Brite unter den Amerikanern.
Ich halte die Meute rundherum fern, Stefan knipst beim Signieren, was das Zeug hält. Dann das Gruppenfoto, also Freddie, die NSR und ich. Der Start rückt näher, die Anspannung steigt - was, wenn sie nicht gleich anspringt? Nicht sauber läuft, oder gar doch wieder Sprit unter sich lässt? Der Ex-Weltmeister wirkt locker und entspannt, eröffnet mir in der Box kurz und freundlich, dass er die erste Hälfte des Laufs mit der 400er, die zweite mit der RC 30 fahren will. Klar, verstehe ich. Zu viel Spaß hatten ihm wohl die gespielten Zweikämpfe mit „Mister Superbike“ Peter Rubatto im ersten Lauf am Vormittag gemacht, als dass er nun den gesamten zweiten Heat mit der unterlegenen NSR bestreiten will. Hauptsache, er absolviert die geplanten fünf oder sechs Runden und Stefan hat genug Zeit, an verschiedenen Stellen Beweisfotos zu schießen. Fast etwas verloren stehen wir inzwischen in der Box, wer ist für die RC 30 zuständig? Keiner da. „Could you bring the RC 30 to the track?“ Klar kann ich, nichts lieber als das. Freddie schwingt sich auf die NSR, drückt kurz auf den imaginären, nicht vorhandenen Starterknopf. Gewohnheit, aber er merkt es sofort, sucht den Kickstarter, tritt ohne Chokehilfe einmal, zweimal drauf - rääng, bärääng, der Dreizylinder läuft, nimmt Gas an.
Von der NSR auf die RC 30
Auf ins Gefecht, ich rolle mit der V4-Legende hinterher, warte im Startbereich neben der Ziellinie, bringe den Motor auf Temperatur, damit Freddie beim fliegenden Wechsel sofort mit Vollgas durchstarten kann. Startaufstellung, die meisten Zuschauer registrieren den Fahrzeugwechsel zunächst wohl kaum, Moderator Klink erwähnt kurz, dass Spencer nun auf dem Motorrad eines Journalisten antritt. Feuer frei, alle kommen gut weg, Spencer fällt ins hintere Drittel zurück, immerhin bleibt er im Pulk. Mal sehen, wie er sich schlägt. Das Warten auf das Ende der ers-ten Runde kostet Nerven. Wo bleibt er? Stimmt was nicht? Nach der üblichen Rundenzeit von etwa einer Minute, doch einer gefühlten Ewigkeit biegt er auf die Zielgerade ein, schaut seitlich am Bike herunter, zuckt mit den Schultern. Ein Problem? Die Kollegen pfeifen an ihm vorbei. Die nächste Runde, mit mehr Speed und offensichtlich ohne Schwierigkeiten zieht mein Traum-Team vorüber, das üblicherweise deutlich hörbare Zweitaktsägen der 400er geht im Gedonner der MVs und Hondas unter. Jetzt läuft’s, Gott sei Dank.
Eine Runde, und noch eine, Freddie scheint inzwischen Spaß an der Sache zu haben, fliegt langliegend die Gerade entlang und kommt schließlich, per Handzeichen angekündigt, an den Ausgang des Fahrerlagers gerollt. Schneller Wechsel, er gibt der RC 30 die Sporen und rauscht davon. Schon beim nächsten Zieldurchgang liefern sich die beiden wieder ein Show-Duell, Spencer und Rubatto. Auch ich bin glücklich, rolle die NSR nach dem Ende des Laufs zurück an die Box. Er ist gefahren, die Honda hat sich keinen peinlichen Ausfall geleistet. Durchatmen, auf den Fotografen warten. Alle Bilder im Kas-ten? Freddie hat sich inzwischen umgezogen, sitzt wieder entspannt auf der Bank in der Box. Und, wie war es, frage ich? „Great.“ Etwas Mühe hätte sie unten herum, aber oben raus dreht sie. „It revs!“ Auch knapp 30 Jahre nach seinem ersten Weltmeister-Triumph kann ihn dieses NSR-Zweitakt-Feeling und die Erinnerung an damals schließlich nicht ganz kalt lassen. Jedenfalls glaube ich, seine Augen leuchten nun doch ein wenig.
Freddie Spencers Karriere kann eine Reihe von Superlativen vorweisen. So hat er nicht nur 1979 als jüngster Fahrer (mit 18) ein Rennen der amerikanischen AMA-Superbike-Serie gewonnen und als einziger Fahrer jemals in gleich drei Hauptrennen bei der legendären Bike Week in Daytona (1985) gesiegt, sondern auch im internationalen GP-Geschehen für Furore gesorgt. Spencer ist mit seinem Weltmeister-Titel 1983 (auf V3-NS) der mit 21 Jahren jüngste Fahrer, der die 500er-WM gewinnen konnte und darf für sich verbuchen, als einziger Pilot in einem Jahr (1985) sowohl die 250er- als auch die 500er-Weltmeisterschaft (auf V4-NSR ) errungen zu haben.
Der Einstieg in die Zweiradwelt eröffnete sich dem 1961 im US-Bundesstaat Louisiana geborenen Spencer bereits früh: Im Alter von vier Jahren lernte er das Fahren, mit fünf bestritt er die ersten Rennen. Schon mit elf hatte der junge Freddie einige regionale Dirt Track-Meisterschaften gewonnen, in den folgenden Teenagerjahren schwenkte Spencer mehr und mehr auf Straßenrennen um.
1979 tummelte er sich bereits in der nationalen 250er-Meisterschaft, die er schließlich gewann und fuhr Superbike-Rennen (auf Kawasaki). 1980 holte Honda ihn ins Werks-Team, Spencer wurde Dritter, 1981 Zweiter hinter Eddie Lawson. Ab 1982 trat er in der 500er-WM an, wurde 1983 Weltmeister. Nach seinem legendären, erfolgreichen Jahr 1985 verließ den über Probleme mit der rechten Hand klagenden Spencer dann das Glück, es ging bergab. 1988 zog er sich aus dem GP-Sport offiziell zurück, einige Comeback-Versuche scheiterten. Erst 1995 konnte er noch einen Superbike-Sieg erringen, 16 Jahre nach seinem ersten Erfolg - ebenfalls Rekord. Seither arbeitet Spencer als TV-Co-Moderator und Experte bei Motorradrennen und betreibt eine Rennfahrerschule in Las Vegas.