Nichts kommt aus dem Nichts, und sogar Yamahas epochales Big Bike hat Ahnen. Erstens die FZ 750 mit um 45 Grad nach vorn geneigtem Vierzylinder-Fünfventiler. Zweitens die ebenfalls hauseigenen GP-Granaten mit ihrem 1983 eingeführten motorumfassenden Rahmen aus fetten Leichtmetallprofilen, in Anspielung auf seine Form Deltabox genannt. Auf so was Schickes hatte die FZ im Jahr 1985 noch verzichten müssen, aber eine Klasse höher – so das Yamaha-Kalkül – ließen sich die beträchtlichen Material- und Fertigungskosten einer solchen noch nie im Serienbau verwendeten Alu-Konstruktion wieder einfahren. 135 PS drückte die 1987 eingeführte Yamaha FZR 1000 in der offenen Version, ihr im Fallstrom beatmeter Motor basierte konzeptionell auf dem 750er. Sofort setzte sie sich an die Spitze der neuen Hochleistungsklasse und missfiel lediglich mit einigen Pendeleien. Zu bockig ansprechende Federelemente, Fertigungstoleranzen und Pirelli-Serienbereifung waren rasch als Verursacher ausgemacht. Perfektion fällt eben nicht vom Himmel.
„Nein, die kommt aus Japan“, meinten Yamahas Ingenieure, durchlitten schlaflose Nächte und ersannen für 1989 einen verbesserten Rahmen. Nicht länger ruhte das Triebwerk in angeschraubten Unterzügen, sondern wurde als mittragendes Element gleich mit der wuchtigen Alu-Brücke verschraubt. Neue Federelemente und Schwinge sowie Verstärkungen an neuralgischen Punkten verbesserten die Spurtreue ebenfalls. Das Handling litt zunächst ein wenig unter dem 130er-Vorderreifen, schnell wurde ein 120er nachhomologiert. So gerüstet, bestimmte das Yamaha-Flaggschiff eindeutig den Kurs. Und war berufen zu mehr: In Japan raste schon länger eine Mini-FZR mit 400 cm³ herum, die ihr Drehmoment im unteren und mittleren Bereich mit einer drehzahlabhängig gesteuerten Walze im Auslasstrakt erhöhte. Einer 1000er zu noch mehr Dampf verhelfen – das schnalzt, und Yamaha spielte auch diesen Trumpf aus.
Exup steht für Exhaust Ultimate Powervalve
Das sinnige System heißt Exup, was für Exhaust Ultimate Powervalve steht, und bedient sich eines kleinen Mikroprozessors, welcher einen Stellmotor ansteuert, der wiederum besagte Walze am Anfang des Sammlers der Vier-in-eins-Auspuffanlage verdreht. Bis in mittlere Drehzahlen ist das Ding höchstens halb offen, um so mit erheblichem Gegendruck trotz leistungsoptimierter Steuerzeiten das einströmende Gemisch im Zylinder zu bewahren. Ab 7000/min macht es dann zügig auf, damit bei 10.000 Touren stramme 145 PS antreten. Toll, oder?
Das Tollste: Es funktioniert! Bei einer gründlichen MOTORRAD-Untersuchung hatte der Exup-Motor zwischen 4000 und 6500/min bis zu zehn PS mehr Leistung als sein Vorgänger, und das in der etwas unglücklich zugestopften deutschen 100-PS-Version. Nur hierzulande hatten weniger moderne Big Bikes überhaupt noch eine Chance, anderswo fuhren die bleischweren Honda CBR 1000 und Kawasaki ZX-10 hinterher, die GSX-R 1100 von Suzuki hielt nur dank ihres Hubraumvorteils Anschluss.
Doch es ging damals nicht um Fahrleistungen, sondern um den technologischen Führungsanspruch und deshalb hier die Zusammenfassung: Auch wenn Honda mit der RC 30 den Vierzylinder-V-Motor noch mal aufpeppte, war der Käse gegessen. Tendenziell gehörte die Zukunft kompakten Inline-Fours wie von Yamaha. Selbige waren mit geradlinigen Ansaugkanälen zu bestücken. Fallstrom eben. Auch um eine Auslasssteuerung kam man lange Jahre nicht herum, Yamaha selbst bis zur ersten R1. Neben der 1987 im Großserienbau eingeführten Rahmenbrücke aus Leichtmetall konnten sich bis heute nur vereinzelte Gitterrohrwerke etablieren. Wer also wissen will, was sportlich betrachtet in den 80ern vorne war, muss die Yamaha FZR 1000 Exup besichtigen. Mehr nicht.
Technische Daten
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-dohc-Reihenmotor, fünf Ventile pro Zylinder, 1002 cm³, 106 kW (145 PS) bei 10.000/min, 107 Nm bei 8500/min, Fünfganggetriebe, Brückenrahmen aus Aluminiumprofilen mit angeschraubtem Heckteil aus Stahlrohren, Gewicht vollgetankt 236 kg, Reifen vorn 120/60 VR 17, hinten 170/60 VR 17, Tankinhalt 19 Liter, Höchstgeschwindigkeit liegend 260 km/h, 0–100 km/h in 3,3 sek.
Literatur
Neben einer Reparaturanleitung aus dem Bucheli Verlag, die sich ausdrücklich der Yamaha FZR 1000 Exup widmet (Preis: 39,90 Euro), gibt es eine englischsprachige Sammlung von Testberichten: Road Test Portfolio Yamaha FZR 1000, Brooklands Books, ISBN 978 1855 2091 38, 17,95 £. Die Texte verdeutlichen, wie uneingeschränkt euphorisch die Yamaha FZR 1000 in der ganzen Welt aufgenommen und beurteilt wurde.
Szene
Genau wie die etwas rauere Suzuki GSX-R 1100 verkörpert auch die Yamaha FZR 1000 eine ziemlich archaische Idee vom Sportmotorrad. So was gewinnt wieder an Reiz, und genauso reizvoll ist es, mit der Yamaha FZR 1000 Exup ein Motorrad zu bewegen, das den technischen Stand seiner Zeit derart exakt bündelt. Gleichzeitig beweist die sehr haltbare Yamaha noch immer hohe Alltagstauglichkeit und lässt sich bei jedem Händler reparieren. Prima. Obwohl etliche FZR in Fighter verwandelt wurden, ist das Angebot immer noch gut, schöne Exemplare kosten ab 1500 Euro.