Jean-Luc Borgetto Motorrad Eigenbauten

Motorrad-Eigenbauten von Jean-Luc Borgetto
Magisches Metall aus Frankreich

Inhalt von
Zuletzt aktualisiert am 09.10.2014

Motorengedröhn rauscht über den Circuit Paul Ricard in Le Castellet. Es ist Sunday Ride Classic, Bikers Classics auf Französisch: nur bunter, voller, frecher und frivoler als die Veranstaltung in Bel­gien. Ex-Champions stehen zum Gruppenfoto vereint: „König Ago“ (so heißt Multi-Weltmeister Giacomo Agostini im Programmheft), Jim Redman, Freddie Spencer, Steve Baker und Lokalmatador Christian Sarron. Daneben parkt in einer Box des Fahrerlagers vermeintlich Agos MV-Dreizylinder neben einer Honda RC. Ein schlanker Herr tritt herbei, turnt fast schlaksig zwischen vier Motorrädern herum. „Das sind eigentlich keine Re­pliken“, sagt er mit freundlich-fröhlichem Tonfall, „dies ist meine ganz persönliche Hommage an klassische Rennmaschinen von Honda und MV Agusta!“

Der hagere Monsieur wirbelt herum, lüftet eine Verkleidung. Der Kreis der Neugierigen zieht sich enger: Das sind ja FÜNF Zylinder. „Bien sûr“, natürlich, „die baue ich selbst.“ Wie der mittlere Krümmer sich kunstvoll links herum einmal komplett um den ­Motor windet, auf der rechten Seite in einen hochgelegten Auspuff mündet. Wow.

Das ergibt also eine offene Fünf-in-fünf-Auspuffanlage im Stil von Hondas RC-Rennmaschinen. „Ist auch Eigenbau. Ich bin Monsieur Borgetto, aber sagen Sie Jean-Luc zu mir.“ Was es mit den Motor­rädern auf sich hat? Das sei ganz einfach: „Alors, drei der vier von mir gebauten Maschinen haben die gleiche motorische Basis: Den Vierzylinder der Honda CBR 250 RR, die 1990 in Japan verkauft wurde.“ Den wassergekühlten Reihenmotor nutzte der Südfranzose mit dem italie­nischen Nachnamen Borgetto („Mein Opa wanderte im Jahr 1900 von Italien nach Frankreich aus“) als Basis für jeweils einen Renner mit Drei-, Vier- und Fünfzylinder.

Wahnsinn, wie der Triple aus offenen Mega­fonen brüllt

Jean-Luc schwärmt, wie gut man damals an den Rennstrecken noch mit Fahrern und Maschinen zusammenkommen konnte. Daran knüpft Sunday Ride Classic heute an. Nur dass er heute Ehrengast ist, kein kleiner Steppke mehr. Die eng anliegende schwarze Lederkombi steht ihm gut. Wahnsinn, wie der Fünfzylinder beim Soundcheck bellt, mit ganz eigener Klangfarbe, röchelnd und heiser. Vor allem aber viel tiefer als erwartet. Nach dem Abstellen gibt’s spontanen Applaus ringsum!

Mit dem 500er-Dreizylinder im MV-Look rückt Jean-Luc für ein paar schnelle Runden auf dem schönen Kurs aus: Die Startmaschine bedient er selbst, geht jährlich auf drei, vier Bergrennen in Südfrankreich. Der Routinier weiß, wie man überholt und wo die richtige Linie ist. Wahnsinn, wie der Triple aus offenen Mega­fonen brüllt, ohrenbetäubend kreischend.

Aber ein Kolbenfresser just am jüngsten Motor treibt ihn bald zurück an die Box. Jean-Luc trägt‘s mit Fassung: „R6-Motoren gibt es ja oft zu kaufen.“ Im Gegensatz zu den 250er-Hondas: Dafür böte in Europa bloß noch www.cmsnl.com Teile an. So hat Jean-Luc Zeit, von seiner bewegten Vergangenheit zu erzählen: Vom Mofa fahren mit sieben (dem der Mutter), dem Solex-Moped für die Fahrt zur Schule und einer Itom-Sportmaschine. Ferner von spanischen Motocross- und Trialmaschinen.

Französische Typen? Le voilà: Motobécane Ydral und Magnat-Debon („mein erstes echtes Motorrad“). Englische Motorräder hatte er viele: 250er-BSA, 350er-AJS, Triumph T 110, Triton, Norton 850. Heute besitzt er noch eine 1968er-Bonneville T 120 R und einen 500er-AJS- Single. Italienischen Maschinen wie Rumi Gentleman und Ducati Darmah folgten ­eine Menge japanische (650er-Yamaha XS 1), vor allem Hondas, bis hin zur RC 30, die er immer noch hat: „Das ist die Marke, an der ich besonders hänge.“ Bien sûr.

Dieser Mann lebt und liebt sein magisches Metall: „Ich werde keines meiner Eigenbau-Motorräder verkaufen, sie sind allein für mich bestimmt, werden in Familienbesitz übergehen, für meine Kinder und Enkel.“ Merci, Jean-Luc.

"Alles was ich weiß, brachte ich mir selbst bei"

Die erste Maschine baute Jean-Luc im Jahr 2005 nach dem Vorbild der Vierventil-Vierzylinder-Honda RC 162 von 1962: „Meine erste Konstruktion entsprang einer spontanen Gelegenheit: Ein Freund gab mir einen Motor der Honda CBR 250 RR. So begann ich, Rahmen und Auspuffe dazu selber anzufertigen.“ Es folgten eine eigene Rennverkleidung, Sitzbankhöcker und Tank, alle aus Aluminium. Jean-Luc war stets motorradaffin, hatte eine Werkstatt mit Dreh- und Fräsbank zu Hause. So konnte er viele Teile selber bauen.

„Alles was ich weiß, brachte ich mir selbst bei, autodidaktisch, ohne Ausbildung.“ Er half im Familienunternehmen mit, das sein Vater 1957 gründete: ein Campingplatz-Betrieb an der Côte d’Azur. „Die Saison dauerte sechs Monate, sieben Tage die Woche.“ Der Rest des Jahres ­diente dazu, den Campingplatz zu warten, instand zu halten, Toilettenhäuschen, ­Duschen, alles. „Abends nach der Arbeit verbrachte ich die meiste Zeit in der Werkstatt und bastelte an meinen Bikes.“

4 "Mein Konto an Lebensarbeitszeit war prall gefüllt"

Mit Menschen umgehen kann Jean-Luc bis heute, genießt die Gespräche über seine Maschinen, spricht auch Englisch und etwas Deutsch. Zeit fürs RC 162-Projekt fand er, weil er bereits 2002 aufgehört hatte zu arbeiten: „Mein Konto an Lebensarbeitszeit war prall gefüllt.“ Nun konnte er sich ganz seiner Passion widmen: „Ausgehend von Fotos, die ich sorgfältig betrachtet habe, war es meine Motivation, das Bild der Maschine möglichst nahe zu rekonstruieren.“ Da gehörte für ihn untrennbar der Sound dazu. Speziell der „unglaubliche Klang“ der MV Agusta-Dreizylinder von Giacomo Agostini.

Daher verfiel der Franzose auf eine ­geniale Idee: Einen Drei- aus einem Vier­zylinder zu bauen, dem einer Yamaha R6 aus dem Jahr 2000. Das Resultat war 2007 seine zweite Maschine, die JLSP 503, das steht für Jean-Luc-SPecial 500er-Drei­zylinder. Sie wäre als Dreiviertel-600er an sich eine 450er. Also amputierte Jean-Luc nicht nur einen Zylinder, sondern erhöhte noch den Hub von 44,5 auf 49 Millimeter. Dies ergibt bei 65,5 Millimeter Bohrung volle 495 cm3 – nah an Agos Vorbild.

Kompliziert: Es musste eine komplett neue Kurbelwelle her. „Der Hubzapfenversatz beträgt 120 Grad, so wie bei der MV3.“ Damit könne er die gleiche „Musik“ produzieren. „Meine Motorräder habe ich nach Intuition gebaut, die einzigen Pläne, die ich machte, waren die für die Kurbelwelle. Ein Freund hat das dann nach meinem Entwurf auf einem PC mit 3D-Programm gezeichnet.“ Für notwendige neue Nockenwellen brachte Jean-Luc „einige Abmessungen zu Papier, den Rest machte ich ohne Plan, einfach nach Gefühl“.

5 Fünfzylinder ist Hommage an die Honda RC 149

Ein befreundeter Spezialist bearbeitete die Kurbelwelle aus einem Stück, ein weiterer schliff die Nocken gemäß Jean-Lucs Skizze und übernahm auch die Härtung. Ein anderer Freund, der eine Zahnradfabrik hatte, fertigte neue Zahnräder an. „Den Rest habe ich selbst gebaut, vom Chassis bis zur Elektrik: Schweißen von Ölwannen und neuen Gehäusedeckeln, Einbau des Motors, Farbanstrich, Auspuff und so weiter.“ Die Werksrenner der 60er-Jahre waren ja auch handgemacht. „Der beste Weg war bestehende Motoren zu nutzen, damit ich keine Kurse im Gehäusegießen machen musste.“

Beim zweiten Motorrad, der JLSP 503, kam noch Gehäuse aufschneiden und einen Zylinder kappen hinzu. Bei der dritten Maschine, der JLSP 305, ging Jean-Luc 2012 den umgekehrten Weg: „Ich fügte einen von mir bearbeiteten Zylinder hinzu.“ Der famose Fünfzylinder ist eine Hommage an die Honda RC 149, mit der Luigi Taveri Weltmeister wurde: Hondas geniale 125er-Fünfzylinder. Klar braucht’s dafür auch zugekaufte Teile. Etwa Gabeln samt Bremsen von Ceriani (mit Aludeckel) oder Fontana (mit Magnesiumdeckel).

Das vierte Motorrad entstand 2013, die JLSP 153: Ein 155er-Dreizylinder, der vermutlich kleinste Triple weltweit. Jean-Luc reduzierte den Hub der verbleibenden drei Zylinder mittels anderer Pleuel und Hubzapfen der 120-Grad-Kurbelwelle. „Die Motorräder, die ich baue, entsprechen dem Geist der Motorräder des Grand Prix-Sports der 60er-und 70er-Jahre, denn das sind die Jahre meiner Jugend.“ Alors, Jean-Luc ist 62 Jahre alt, wirkt jünger, sehr agil. Er zeigt, erklärt, erläutert. „Was mich fasziniert, ist der Klang und der visuelle Eindruck der Motorräder dieser Jahre.“

5-Zylinder-JLSP 305

Schmieder

Motor: Wassergekühlter Fünfzylinder-Viertaktmotor, Hubraum 312 cm³, Bohrung x Hub 48,5 x 33,8 Millimeter, ca. 50 PS (37 kW) bei 20.000/min, zwei obenliegende, über Kette angetriebene Nockenwellen, je vier über Tassenstößel betätigte Ventile, Verdichtung 11,5 : 1 (bei Serien-Honda CBR 250 RR), Gewicht: 115 Kilogramm, Bauzeit: rund 900 Stunden.

4-Zylinder- RC 162-Replika

Schmieder

Motor: Vierzylinder-Viertaktmotor, Hubraum 250 cm³, Bohrung x Hub 48,5 x 33,8 Millimeter, ca. 45 PS bei 20.000/min, zwei obenliegende, über Kette angetriebene Nockenwellen, je vier über Tassenstößel betätigte Ventile, Verdichtung 11,5 : 1(bei Serien-Honda CBR 250 RR), Gewicht: ca. 120 Kilogramm, Bauzeit: unbekannt.

3-Zylinder-JLSP 153

Schmieder

Motor: Wassergekühlter Dreizylinder-­Viertaktmotor, 155 cm3, Bohrung x Hub 48,5 x 28,0 mm, ca. 35 PS (26 kW) bei
18.000/min, zwei obenliegende, über Kette an­getriebene Nockenwellen, je vier über Tassen­stößel betätigte Ventile, Verdichtung 11,5 : 1 (bei Serien-Honda CBR 250 RR), Kurbelwellenkröpfung 120 Grad, Gewicht: rund 100 Kilogramm, Bauzeit: rund 500 Stunden.

3-Zylinder-JLSP 503

Motor: Wassergekühlter Dreizylinder-Viertaktmotor, Hubraum 495 cm³, Bohrung x Hub 65,5 x 49,0 mm, 94 PS (69 kW) bei 13.200/min (Maximaldrehzahl: 14 500/min), 53 Newtonmeter, Verdichtung 13,8 : 1, zwei obenliegende, über Kette angetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Kurbelwellenkröpfung 120 Grad, Keihin-FCR-Flachschiebervergaser (Durchmesser 34 mm), Gewicht: rund 125 Kilogramm, Bauzeit: zirka 1100 Stunden.

Infos, Kontakt

Schmieder

Jean-Luc Borgetto, der 1973 bis 1975 schon auf dem Elefantentreffen am Nürburgring war, kommt am 4./5. April 2015 zum Sunday Ride Classic: Einem Festival rund ums Motorrad mit vielen Stars auf dem Circuit Paul Ricard in
Le Castellet, Provence/Frankreich.

Infos per www.sundayrideclassic.com und www.circuitpaulricard.com.

Jean Luc erreicht man in seinem Blog: http://inspiration-mv3.jlsp503.over-blog.com/. Der Franzose hat Fahr-Filme mit tollen Klangproben in seinem eigenen Video-Kanal auf Youtube eingestellt; einfach mal JLSP 153, JLSP 305 oder JLSP 503 eingeben.