Was bitte schön hat ein radial verschraubter Vierkolben-Bremssattel an einem Rahmen aus dem Jahr 1948 zu suchen? Und wie meistert ein offensichtliches Showbike den Alltag? Testredakteur Rolf Henniges auf der Suche nach Antworten.
Was bitte schön hat ein radial verschraubter Vierkolben-Bremssattel an einem Rahmen aus dem Jahr 1948 zu suchen? Und wie meistert ein offensichtliches Showbike den Alltag? Testredakteur Rolf Henniges auf der Suche nach Antworten.
Fährt die auch?" Meine Frage schien berechtigt. Denn das, was da an diesem Sonntag auf einem Messestand glitzerte, erinnerte eher an ein Kunstwerk oder Gefährt aus einem Harry-Potter-Film: Wünschelruten-Lenker, fischmäuliger Schalldämpfer, aufgeschlitzter Tank und Riesenräder mit gedrillten Speichen. Dazu gesellten sich üppig aufgetragenes Blattgold und viele perfekt ausgeführte Airbrushes. Ein Traum von einem Hingucker. "Aber sicher fährt die." Bodo Hayen, Boss der Bike Schmiede Süd, schien entrüstet. Denn die Prämisse, nach der sein Team seit Jahren erfolgreich Custombikes baut, lautet: "Egal wie skurril ein Motorrad auch aussieht - es muss nicht nur fahrbar sein, sondern beim Fahren auch Spaß machen."
Um das zu überprüfen, stehe ich drei Tage später im Showroom seiner Firma in Esslingen-Altbach. Ein ehemaliges Autohaus ist seit einem Jahr Sitz der 2003 gegründeten Firma, die sich mittlerweile weltweit einen guten Ruf erworben hat. Zu 350 Quadratmetern Showroom und 400 Werkstatt kommen noch ein 100-Quadratmeter-Restaurant mit bis zu 140 Sitzplätzen. "Zu guten Bikes gehört eine gute Küche", sagt Boss Bodo, der die Gastronomie den Händen und dem Geschmack seines Freundes Stefan Grabowski, einem Sternekoch, anvertraut hat.
Im Showroom tummeln sich mehr als ein Dutzend Bikes. Allesamt sehenswert. Die Spreizung reicht über die Harley von der Stange bis zu superteuren Einzelstücken wie die Royal Treasure - meinem Date, das heute in der üppigen Werkstatt auf unseren Proberitt wartet. Sie ist Siegerin des European Biker-Build-Off 2010. Einem Event, bei dem zwei Konkurrenten - meist im Rahmen einer großen Messe - innerhalb von 24 Stunden auf der Bühne vor den Augen des Publikums ein Motorrad bauen müssen. "Natürlich werden die Teile vorher angefertigt", sagt Bodo.
"Zusammengeschraubt wird allerdings auf der Bühne." Eine Herausforderung, der sich auch Airbrush-Künstlerin Bianca Hennig stellte. Viele der auflackierten Kunst-Werke der Royal Treasure entstanden vor den Augen des begeisterten Publikums.
"Hier unten ist der Startknopf", weist Bodo mich an. Sein Finger zeigt auf einen verchromten Schalter hinter dem zweiten Zylinderturm. Zaghaft drücke ich drauf.
Der luftgekühlte 45-Grad-Riese aus der US-Motorenschmiede S&S schreckt aus seiner Starre auf. 1530 ccm groß, rund 80 PS stark, mit enorm bassig-potenten Lebensäußerungen. So kernig hat sich lange nichts angehört. "Der Starrrahmen ist von 1948", klärt Bodo mich auf. "Und damals gab es noch keine Geräuschbestimmungen." Aha! Ich greife den breiten Lenker, die Kupplung ist leichtgängig, völlig unerwartet.
Und die Getrieberäder des ersten Gangs vermählen sich ohne Donnerschlag, wie man ihn von vielen Cruisern kennt. Es geht zur Sache. Und zwar anders als gedacht.
Der Motor scheint so viel Schwungmasse zu haben, dass er die Fuhre bei Standgasdrehzahl praktisch um die Welt tuckern könnte. Mit Fahrer. Und mit Gepäck. Der erste Gang ist verflucht lang und die Royal Treasure wahrscheinlich insgesamt auf weit über 200 km/h übersetzt. Dazu gesellt sich ein klasse Feeling: Man hört nicht nur jeden Verbrennungsvorgang aus dem Knucklehead-Style-Vau, man spürt ihn auch. Als hartes, kerniges Pochen, das Selbstbewusstsein ausstrahlt und überträgt.
Starrrahmen - na, mir dämmert‘s. Es gab da einen Trick, mit dem man wenigstens noch einen Hauch von Komfort herausholen konnte: im Hinterreifen nur ein Bar Luftdruck fahren. Egal. Das ist hier nicht der Fall. Die Parallelogrammgabel mit dem Penske-Federbein funktioniert hervorragend und filtert gröbste Unebenheiten weg. Kleinste Löcher werden von den riesigen Rädern sowieso ignoriert, sprich locker überrollt. Vorn rotiert ein 21-Zoll-Rad, das hintere hat gewaltige 20 Zoll. Erste Biegung anvisieren, kurz mal verzögern. Hoppla, das bremst vielleicht. Der radial verschraubte Vierkolben-Festsattel arbeitet normalerweise in diversen Hochleistungs-Naked-Bikes und Supersportlern und ist dort für Entschleunigungen aus 300 km/h zuständig. Die Royal Treasure steht schneller als mir recht ist. Die weiteren Kilometer meißeln mir ein Grinsen ins Gesicht. Denn man sitzt furchtbar lässig, und das Bike verwöhnt alle Sinne. Alle! Currywurstpause am Wegesrand. "Ist das alles echt?", will die Bedienung wissen. Ja, sicher doch. Blattgold, 24 Karat. Allein das sei 7000 Euro wert. Aha! Nebenbei verrate ich den Preis: 115000 Euro. Heute ein König. "Ein echtes Kunstwerk", schwärmt sie. Und in Gedanken schwärme ich auch. Bodo hat nicht übertrieben: "Wir bauen Bikes, die Spaß machen." Nicht nur beim Angaffen, sondern auch beim Fahren.
Mit der Triangular, einem Motorrad, bei dem beinahe jedes Bauteil dreieckig ausgeführt und selbst gefertigt war, wurden die Jungs 2003 auf der Daytona Bike Week mit Platz zwei belohnt. Vom Erfolg bestätigt beschloss das Team, sein bis dato ausgeübtes Hobby Custombike-Bau zum Beruf zu machen. 2005 gründeten Bodo und Robert die Bike Schmiede Süd. Seitdem entstehen jährlich bis zu 25 Komplettumbauten in der kleinen Fünf-Mann-Manufaktur, die sich weltweit bereits einen großen Namen gemacht hat. 2010 trat das Team gegen einen renommierten Custombike-Bauer aus Abu Dhabi an und gewann mit der Royal Treasure den European Biker-Build-Off.
? Jährlich bis zu 25 Spezialumbauten - gehen einem da nicht die Ideen aus?
! Umbauten sind natürlich nicht immer so aufwendig wie unsere Showbikes. Ich kann niemanden einstellen, der 2000 Stunden irgendwelche Blechstreifen zusammenbrät. Wenn die Rendite nicht mehr stimmt, schließen wir den Laden. Die meisten Um-bauten entstehen auf Basis von normalen, meist neuen Harley-Davidson-Modellen. Unser Hauptgeschäft liegt in der Herstellung und Entwicklung individueller Umbauteile und der Reparatur.
? Wie seht Ihr die Zukunft, wie wird sich der Custombike-Markt entwickeln?
! Positiv! Viele Kunden wollen nichts mehr von der Stange und finden den Weg zu uns. In den vergangenen Jahren boomte der Markt, es hat sich nur eines verändert: Der Anspruch an Qualität ist brutal gestiegen. Der Kunde verzeiht nichts mehr, geringste Mängel werden dir vorgehalten.
? Ein Problem für euch?
! Nein. Mit unseren computergesteuer-ten Maschinen fertigen wir Teile, die sogar die hohen Qualitätsstandards des Automobilbaus erfüllen. Theoretisch gibt es nichts, bei dem wir auf fremde Hände angewiesen sind. Allerdings arbeiten wir auch mit renommierten Zulieferern zusammen.
Motor:
Luftgekühlter 45-Grad-Vau-Motor, K-Serie von S&S, zwei Ventile pro Zylinder, Hubraum 1530ccm, 61 kW (82 PS) bei 4700/min, max. Drehmoment 125 Nm, Verdichtung 9,5:1, Primärtrieb über Zahnriemen, Sekundärtrieb über Rollenkette, S&S-Vergaser, RevTech-Sechsganggetriebe
Fahrwerk:
Beiwagengeeigneter H-D-Whishbone-Starrrahmen, Parallelogramm-Gabel mit Penske-Federbein, Scheibenbremse vorn mit Vierkolben-Festsattel, hinten Ritzel-Scheibenbremse von Tolle mit Schwimmsattel, TTS-Speichenräder, Bereifung 120/70 R 21 und 220/50 R 20, Sitzhöhe 500 mm
Kontakt:
Die Bike Schmiede Süd, Telefon 0 71 53/30 8010 oder www.die-bikeschmiede-sued.de -
Zusatzinfo: Die Royal Treasure ist bereits verkauft