Impression Triumph Bonneville T120 und Honda CB 1100 EX
Feinripp fürs Herz

Oma sagte immer: „Das gute Feinripp hält dich warm, Junge.“ Habe ich ignoriert. Bis Honda mit der CB 1100 die knisternde Kühlrippe ins Hier und Jetzt rettete. Da wurde es mir automatisch warm ums Herz. Das will auch die neue Triumph Bonneville T120 schaffen, wenn auch mit einer kleinen Mogelpackung.

Feinripp fürs Herz
Foto: Jacek Bilski

Motorräder sind schon längst keine reinen Fortbewegungsmittel mehr. Sie sollen begeistern, emotionalisieren, perfekte Wegbegleiter für Fluchten aus dem Alltag sein. Das eint sie alle. Aber nicht alle gehen dafür den gleichen Weg. Auf der einen Seite stehen die vor Technik und Assistenzsystemen nur so strotzenden Zweiräder, oftmals in ein zackiges Plastikgewand gehüllt. Sie demonstrieren, was möglich ist, was geht, symbolisieren den aktuellen Stand der Technik. Sie stacheln dich an, fordern, wollen aktives Sportgerät sein, sind geschaffen für die Auseinandersetzung mit der Straße. Noch etwas schräger ums Eck, noch etwas härter beschleunigt, noch etwas strammer verzögert. Egal ob Sportler, nackte Kanone oder Enduro: ein Leben für den finalen Stich in jedem Quartett.

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Aber es gibt auch die andere Seite. Die direkte Abkehr von diesem Weg. Motorräder, die sich nicht ums Bessermachen oder Bessersein scheren. Die dich mitnehmen wollen. Der Weg ist egal. Setzt dich drauf, lass dich tragen, genieße das Hier und Jetzt in vollen Zügen. Gelebter Purismus im Zweiradbau, ohne die Fahrdynamik gänzlich der Optik zu opfern. Die Honda CB 1100 ist so ein Motorrad, noch mehr in der seit 2014 erhältlichen EX-Variante, die mit schicken Speichenfelgen und schöner Doppelrohr-Auspuffanlage an längst vergangene Zeiten erinnert. Bis hin zur seligen CB 750. Ein Motor, drum herum Rahmen und Lenker, zwei Räder – fertig ist der Freizeit-Veredler. Wobei auch die Honda nicht ganz ohne Hightech auskommt.

Honda CB 1100 EX - Gleiten mit Genuss

ABS ist mit an Bord, der Sprit findet per Einspritzanlage den Weg in den Motor. Aber allein dieser Motor. Majestätisch hängt die Wuchtbrumme von einem Vierzylinder im Rahmenkorsett. Frech lugen die glänzenden Krümmer zwischen Vorderrad und Antrieb hervor, gehen geradlinig in den Auspuff über. Keine Schnörkel, kein Umweg, reduziert aufs Wesentliche. Breit baut das Ag­gregat. Lichtmaschine und Kupplung liegen auf Kurbelwellenniveau. Heute findet sich beides oft huckepack hinter der Zylinderbank. Honda-typisch genügt ein kurzer Druck auf den Starter. Sofort ist der Feinripp-Vierer der Honda CB 1100 EX da. Säuselt leise vor sich. Nein, ein Krawallmacher ist er nicht. Weder im Stand noch bei höheren Drehzahlen. Immerhin darf sich die Kurbelwelle fast 8500 Mal im Kreis drehen, bevor die Motorsteuerung einschreitet. 92 Prüfstands-PS mobilisiert der glänzende Vierer, den allein der Fahrtwind und das Motoröl vorm Hitzetod bewahren müssen.

Aber wer wird die CB 1100 EX schon so scheuchen, dass ihr zu warm ums verrippte Herz wird? Vielmehr fördert die Honda ein ganz anderes Programm, das auf den Namen Gleiten mit Genuss hört. Denn so viel Ehrlichkeit sei auch angebracht: Sportlich kradeln mag die Honda CB 1100 EX nicht. Sie wiegt vollgetankt ­satte 262 Kilogramm, die Fahrwerksdaten ­liegen mit 63 Grad Lenkkopfwinkel, 114 Millimetern Nachlauf und einem Radstand von 1490 Millimetern mehr auf der stabilen denn auf der handlichen Seite. Daran kann auch die schmale 110er/140er-Be­reifung im 18-Zoll-Format wenig ändern. Hinzu kommt: Die Schräglagenfreiheit ist nicht allzu üppig, die Bremse nicht allzu bissig und die Federelemente weisen nur wenig Reserven auf. Daher Schluss jetzt mit dem rein objektiven Kram.

Greif den hohen Lenker, lümmel dich auf die Sitzbank, lass den Vierer irgendwo zwischen 3500 und 6500 Umdrehungen schnurren – und er wird dich auf besondere Weise gefangen nehmen. Die Honda reicht dir die Hand, nimmt dich mit auf eine Reise, deren Ziel du nicht kennst. Aber das ist zweit­rangig. Es geht nur ums Erleben, und zwar von jedem Moment der Gegenwart. Die Vergangenheit ist weit weg, die Zukunft egal. Das Hier und Jetzt zählt. Ohne Hektik und ohne Stress. Genau dafür ist die Honda CB 1100 EX wie geschaffen. Wenn dir der analoge Drehzahlmesser bei 100 km/h die Zahl 2800 vor Augen führt, weißt du, dass du angekommen bist. Das hat etwas Meditatives. Irgendwo, wenn schon eine ordentliche Menge Sprit auf dem 17,5 Liter fassenden Benzinfass verbraucht ist, hältst du an, hockst dich neben die Honda und schaust einfach. Genau so muss ein Motorrad aussehen. Kein Plastik – bis auf das Rücklicht –, die Speichenfelgen mit ihren großformatigen Naben und ein Glanz, wie ihn nur polierte Metalloberflächen bieten können. Da ist nichts dran, was nicht dran gehört. Die Funktion jedes Bauteils ist sofort ersichtlich. Und dann ist da dieses Knistern, wenn das Metall von Motor und Auspuff langsam abkühlt. Keine Ahnung, warum sich das so gut anhört. Es klingt auf jeden Fall richtig.

Triumph Bonneville T120: Da ist Charakter drin.

Darauf muss der Triumph-Treiber verzichten. Die Triumph Bonneville T120 schummelt ein wenig, wenn es ums klassische Erscheinungsbild geht. Ihren schmal bauenden 1200er umspült ein Wassermantel, der Kühler versteckt sich dezent zwischen den vorderen Rahmenrohren. Trotzdem kommt auch der Bonnie-Twin verrippt daher. Schließ­lich sollen die feinen Stege an den Zylinderwänden die Kühlwirkung unterstützen. Wer sich durch die Ausstattungsliste der Engländerin wühlt, entdeckt ­zudem serienmäßig ABS, Heizgriffe, eine Traktionskontrolle, verschiedene Motormappings und eine Anti-Hopping-Kupplung. Also alles nur moderne Technik im ­Retro-Gewand? Ein Stück weit schon. Aber die Technik drängt sich nie in den Vordergrund, ist mehr schmuckes Beiwerk als notwendiges Hilfsmittel. Zudem wuchert die Triumph Bonneville T120 noch mit einem Pfund, dass jeden überflüssigen Gedanken an den Technik-Overkill sofort vergessen lässt: mit ihrem Design. Die Jungs bei Triumph haben es gekonnt geschafft, die Linie der Bonnie von 1959 mit vielen Stilmitteln zu zitieren, ohne ein altbackenes Motorrad zu bauen. Kniekissen am Tank, die gediegene Farbgebung und diese Auspuffführung. Alles eine gelungene Erinnerung an früher. Einfach ein Motorrad im besten Sinn, modern und trotzdem auf das beschränkt, was wirklich zählt.

Die Triumph Bonneville T120 ist damit der Honda CB 1100 EX ziemlich ähn­lich. Bis du auf der bequemen Sitzbank Platz nimmst, dich über den entspannten Kniewinkel sowie über die etwas versammeltere Sitzposition als auf der Honda freust und den Motor mit dem ersten Zünd­funken zum Leben erweckst. Da ist Charakter drin. Was eine Kurbelwelle mit 270 Grad Hubzapfenversatz ausmacht, beweist der T120-Motor mit jedem Gasstoß. Akustisch präsent, bollert er so kernig los wie ein Schiffsdiesel, ohne es an geschmeidigem Rundlauf vermissen zu lassen. Das macht an. Schon bei 3100 Umdrehungen stemmt der Twin sein Drehmoment-Ma­ximum von 105 Nm auf die Kurbelwelle. Wer die Triumph Bonneville T120 per äußerst leichtgängiger Kupplung und dem ebenso fluffig zu bedienenden Getriebe immer rund um diesen Bereich hält, ist für den entspannten Landstraßenritt bestens gerüstet. Lässig auf die Kurve zutuckern, einlenken und am Kurvenausgang mit dem blubbernden Schlag des Zweiers das Weite suchen. Das gefällt. Der Blick bleibt frei für die Landschaft, der eigene Puls im entspannten Bereich. Wer ihn mit sportiver Herangehensweise nach oben schnellen lassen möchte, sollte – ebenso wie bei der Honda CB 1100 EX erlebt – nicht zur T120 greifen. Zwar fällt sie dank eines Gewichts von 246 Kilogramm, eines Lenkkopfwinkels von 64,5 Grad, eines Nachlaufs von 105 Millimetern und eines Radstands von 1445 Millimetern etwas handlicher ins Eck als die Honda, aber sie zieht ähnlich früh wie die Japanerin mit den Fußrasten Striche in den Asphalt. Und kurz danach raspeln bei beiden nicht nachgebende Teile wie der Hauptständer über die Straßenoberfläche. Lieber das Tempo rausnehmen, ohne wirklich langsam zu sein. Dafür sind Triumph Bonneville T120 und Honda CB 1100 EX gemacht. Sie fördern das aktive Erlebnis Motorradfahren, überfordern nicht. Stacheln nicht an, sondern integrieren dich in ihrer Mitte. Das fühlt sich an wie ankommen. Hier bist du richtig.

Einziger Wermutstropfen: der Preis

Der einzige Wermutstropfen dabei? Der Spaß für jeden Kilometer Genuss mit den beiden ist kein günstiger. Das betrifft ­weniger den Spritkonsum, der sich mit vier bis fünf Litern auf 100 Kilometer im Rahmen hält. Vielmehr sind es die Preisschilder, die an Honda CB 1100 EX und Triumph Bonneville T120 hängen. Für 12.165 Euro wechselt die Honda vom Händler in deine Garage, 11.900 Euro sind es bei der Triumph. Viel Geld für viel Metall. Wert sind sie es aber alle beide, denn den wahren Wert bestimmt nicht das Preis­schild, sondern das, was du auf beiden Maschinen empfindest. Und demnach müssten die Rippenträger eigentlich unbezahlbar sein. Selbst Oma sähe das so.

Technische Daten Honda CB 1100 EX

Technische Daten Triumph Bonneville T120

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023