Midual Type 1 im Fahrbericht
Ein Kunstwerk, das funktioniert

Die Midual Type 1 ist ein Kunstwerk, das auch funktioniert. Und der erste fahrbare Prototyp des französischen Herstellers. 2016 sollen 35 Maschinen in Europa lieferbar sein. Kostenpunkt: ab 140.000 Euro

Ein Kunstwerk, das funktioniert
Foto: Alexis Goure

Als Olivier Midy, französischer ­Ingenieur und Inhaber eines ­Zu­lieferunternehmens für die Automobilindustrie, kürzlich beim berühmten Pebble Beach Concours d’Elegance in Kalifornien das Tuch von ­seinem Mitbringsel zog, staunten das zwischen meist vierrädrigen Edelkarossen ­flanierende Publikum sowie die stark ver­tretene Expertenschaft nicht schlecht: Ein Motorrad wie die Midual Type 1, mit quer eingebautem Boxer­motor, hatten sie noch nicht gesehen.

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Doch so etwas gab es durchaus schon, man muss nur weit genug zurückgehen in die Historie, um auf diese Motor-Konfiguration zu stoßen. In den 1920er-Jahren ­verbaute Helios den BMW-Boxer quer. Der britische Hersteller Douglas entwickelte ­eigene Boxer-Antriebe für seine DT 500. ­Sogar Harley-Davidson vertraute mit dem Modell W kurzzeitig auf dieses Prinzip. Doch zurück zum Hier und Heute. Den Traum, ein eigenes Motorrad zu bauen, haben einige. Oft sind das Bike-Builder oder Customizer, deren Preziosen üblicherweise kaum in der Lage sind, die zehn Meter auf die Showbühne aus eigener Kraft zurück­zulegen. Ausnahmen bestätigen die Regel, und diesen Anspruch hat die Midual Type 1.

Ersten beiden Prototypen 1999 auf der Pariser Motor-Show ausgestellt

Schon als Jugendlicher schraubte Midy leidenschaftlich an Mopeds herum, nach dem Abschluss des Maschinenbaustudiums 1992 beschloss er, ein eigenes Motorrad zu bauen. Immer schön nach Feierabend, so ein Projekt will schließlich finanziert sein – das Geld dafür kam aus seiner Firma. 1994 erhielt er ein erstes Patent auf die Motor-Konfiguration, 1999 stellte er die ersten beiden Prototypen auf der Pariser Motor-Show aus, beide noch mit Rahmen aus Stahlrohren und Motoren aus Holz. Es folgte eine mehrjährige Suche nach Investoren und einem tragfähigen Finanzkonzept, erst 2006 konnte der Startschuss dafür gegeben werden, einen funktionierenden Antrieb zu entwickeln und zu bauen. Der Hubraum der Midual Type 1 wuchs während der Konstruk­tionsphase von ursprünglich angedachten 975 auf die jetzigen 1036 cm³.

Die technischen Daten des Boxers sind zunächst wenig exotisch: Bohrung x Hub betragen 100 x 66 mm, in den dohc-Zylinderköpfen stecken jeweils vier Ventile, die Einlässe messen im Durchmesser 36 mm, die Auslässe 31 mm. Marelli liefert die Einspritzanlage mit 54 mm großen Drosselklappen. Das ganze Arrangement erfüllt die Euro 3-Norm, und als Output stehen 107 PS bei 7800/min sowie 98 Nm bei 6000/min auf dem Papier. Werte, die einen angesichts heutiger Großserien-Twins nicht unbedingt vom Hocker hauen. Doch ging es bei der Midual Type 1 nicht um Höchstleistungen, schließlich reden wir hier von einem Landstraßen-Bike und nicht von einer Rennsemmel. Auch sollte man berücksichtigen, dass die Einlassgestaltung bei einem Boxer konzeptbedingt recht verwinkelt daherkommt. Das Kippen der Zylinderachse um 25 Grad nach vorne hat übrigens verschiedene Gründe. Zum einen lässt sich so der Radstand mit 1500 mm noch im Rahmen halten, zum anderen wird unter dem hinteren Zylinder Platz fürs Sechsganggetriebe sowie die Schwingenlagerung geschaffen.

Alexis Goure
140.000 Euro Grundpreis stehen auf dem Preisschild der Midual Type 1.

Apropos Rahmen: Das auf den Bildern silbern glänzende Monocoque der Midual Type 1 ist ein Meisterwerk der Gieß-, Fräs-, und Poliertechnik, zusätzlich bunkert es quasi nebenbei 14 Liter Sprit. Bei den Federungselementen gibt sich vorne wie hinten feinste Ware von Öhlins die Ehre: FGRT-Upside-down-Gabel­ sowie TTX 36-Federbein. Die Akront-Felgen sind – natürlich – mit französischen Michelins bespannt, nämlich Pilot Road 2.

Wohin das Auge auch schaut: Jedes, aber auch jedes Bauteil ist von allererster Güte sowie Oberflächen- und Materialqualität. So sind zum Beispiel die Lenkerarmaturen und viele andere Kleinteile aus dem Vollen gefräst. Die einzige der 1550 Komponenten am ganzen Motorrad aus Plastik, so Midy, sei die Kennzeichenhalterung. Dieser enorme Aufwand, so keimt langsam ein Verdacht, muss sich irgendwie auch im Preis niederschlagen. Tut er auch: 140.000 Euro Grundpreis stehen auf dem Preisschild der Midual Type 1. Dennoch gibt es schon zwei Bestellungen, ab 2016 sollen bis zu 35 Miduals per annum an die solvente Kundschaft ausgeliefert werden.

Was erwartet die Kundschaft ab 2016?

Was erwartet die? Alan Cathcart hat es im Wortsinn erfahren. Die mit handvernähtem Leder bespannte Sitzbank liegt auf 810 mm Höhe über Grund. Die Sitzposition der Midual Type 1 ist lässig entspannt, kann aber nach Kundenwunsch individuell angepasst werden. Per Druck auf den roten Knopf auf dem Tank startet der Boxer. Er gibt seine Kraft sehr geschmeidig und sanft ab und verblüfft im unteren und mittleren Drehzahlbereich durch das Fehlen jeglicher Vibrationen. Doch so ruhig der Boxer unten und in der Mitte läuft, so derbe schüttelt er sich obenrum. Zwischen 6800/min und 7700/min wird er zum kernigen Vibrator. Seltsamerweise arbeitet er darüber wieder ruhiger.

Einzigartig ist der Klang, obwohl der Zündabstand exakt wie in jedem BMW-Boxer ist. Der Sound liegt irgendwo zwischen dem der bayerischen Boxer und Ducati-Twins. Quasi ab Leerlaufdrehzahl zieht die Midual Type 1 selbst im sechsten Gang durch, Lastwechsel sind kaum spürbar. Man muss also nicht schalten, kann es aber, denn die Schaltbox arbeitet leicht und präzise. Nur die Kupplung erfordert eine kräftige Hand. Das Handling ist herausragend, denn durch die kurze Kurbelwelle sowie die gelungene Massenkonzentration gibt es nur geringe Massenträgheitsmomente, die sich dem leichtfüßigen Wedeln widersetzen. Angesichts auch dieser Qualitäten ist es besonders schade, dass nur die wenigsten Menschen die Mittel haben, IndiMIDUAListen werden zu können.

Technische Daten Midual Type 1

Alexis Goure
Die Midual Type 1 fährt sich fast genauso exzellent, wie sie verarbeitet ist. Die Reife des ersten Vor-„Se­rien“-Exemplars ist beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Midual Type 1

Motor: Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, quer eingebaut, je zwei oben­liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 54 mm, geregelter Kata-
lysator, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Nasskupplung, Sechsganggetriebe, Anti-Hopping-Kupplung, Kettenantrieb.

Bohrung x Hub: 100,0 x 66,0 mm
Hubraum: 1036 cm³
Verdichtungsverhältnis: 12,0:1
Nennleistung: 79 kW (107 PS) bei 7800/min
Max. Drehmoment: 98 Nm bei 6000/min

Fahrwerk: Aluminium-Monococque mit integriertem Tank, mittragender Motor, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zen­tralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare ­Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel.

Speichenräder mit Alu-Felgen: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17

Maße+Gewicht: Radstand 1505 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 100 mm, Federweg v./h. 120/120 mm, Sitzhöhe 810 mm, Leergewicht fahrfertig vollgetankt 240 kg, Tankinhalt 14,0 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Farben: nach Kundenwunsch
Preis: ab 140.000 Euro
Nebenkosten: inkludiert

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Erscheinungsdatum 15.09.2023