Agostini? Fragen Sie heute doch einmal die Sechzehnjährigen nach diesem Namen. Wetten, dass 99,7 Prozent der Teenies mit diesem Begriff nichts anzufangen wissen – sofern sie ihr virtuelles Gedächtnis in Gestalt eines Smartphones nicht gerade in Griffweite haben. Grund genug für Stefan Kringler, bei seinem eigenen Nachwuchs solche Wissenslücken gar nicht erst entstehen zu lassen. Also schleppte der Zahntechniker, der selbst ausschließlich Zwei- und Vierrädriges vergangener Epochen bewegt, seine beiden Töchter bereits im zarten Kindesalter zu Oldie-Veranstaltungen, um sie ans Klassik-Hobby heranzuführen. Und dabei hat es bei Ines, der Jüngsten, schon früh gefunkt. Beim ersten Solitude-Revival vor zehn Jahren war das, als die Sechsjährige das freundlich lächelnde Konterfei eines jungen Rennfahrers erblickte. Und fortan zum persönlichen Idol erkor.
Es war ein frühes Porträt von Giacomo Agostini, in das sich sein Nesthäkchen verguckt hatte, was dem MV-Liebhaber natürlich nicht ungelegen kam. Dass der berühmte Rennfahrer eigentlich ihr Großvater sein könnte, hat Ines’ Sympathie für den charismatischen 15-fachen Motorradweltmeister bis heute nicht im Geringsten erschüttert. Dafür haben schon die Geschichte und vor allem die Geschichten des Herrn Papa gesorgt, der ebenfalls zwei Zweizylinder-MVs in der Garage stehen hat. Das Feuer für Ago und die legendären rot-silbernen Renner aus Gallarate loderte im Hause Kringler somit schon lichterloh, als der lang ersehnte Leichtkraftrad-Führerschein für die mittlerweile 15-jährige Ines endlich in Sichtweite geriet.
Die erste als Leichtkraftrad zugelassene MV
Klar, dass sich Papa Kringler damals, 2011, nur schwer mit dem Gedanken anfreunden konnte, seine Ines auf ein aktuelles Leichtkraftrad zu setzen. Irgendwie passt eine alte MV Agusta doch viel besser in die Garage, fand er. Und erntete spontane Zustimmung bei seiner Tochter. Eine früh begonnene Nachwuchsarbeit bleibt eben nicht ohne Wirkung.
Die Basis, eine bestens erhaltene MV Agusta 125 S von 1975, war überraschend schnell gefunden. Etwas länger dauerte es dann jedoch, die 12 PS leistende Viertakt-Maschine so zu modifizieren, dass sie sowohl den ästhetischen Ansprüchen des Perfektionisten gerecht wird als auch den behördlichen Segen für das damals noch geltende 80-km/h-Limit bei Leichtkrafträdern bekommt.

Eine Pionierarbeit, denn solch eine den Leichtkraftrad-Regularien entsprechende MV gab es bis dahin nirgendwo. Alle Umbauten erfolgten daher im ständigen Dialog mit dem örtlichen TÜV-Ingenieur. Für die Drosselung auf das Tempolimit fand der Tachospezialist Andre Winter aus Leinfelden (www.tachodesign-oldtimer.de) eine elegante Lösung: Ein Sensor in der Mechanik des Tachometers unterbricht die Zündung, wenn die Nadel die 80-km/h-Markierung überschreitet. Das genügte den Anforderungen des Sachverständigen.
Nachdem diese Hürde genommen war, konnten sich Vater und Tochter gemeinsam um das Erscheinungsbild der 125er kümmern, die ja möglichst nah an Agostinis Werksrenner kommen sollte. Maßgeblichen Anteil daran hat die elegante, handlaminierte Vollverkleidung, die Michael Söhngen entsprechend der zierlichen Statur von Maschine und Pilotin anfertigte (www.soehngen-design.com). Die filigranen Halter baute der Hobby-schrauber selbst, während Räder, Bremsen und Schwinge eine 350er-MV von der hauseigenen Schlachtbank beisteuerte. Die Fußrasten sind Repliken der alten MV-Renner, die Stefan Kringler im Programm des italienischen Klassikteile-Spezialisten Motocicli Veloci entdeckte (www.motocicliveloci.com), der außerdem Gasgriff und Lenkerarmaturen lieferte.
Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen: Das erste und bislang einzige MV-Leichtkraftrad betört aus jedem Blickwinkel mit seiner klassischen Eleganz. Fragt sich nur, was sich der Oldie-Fan zum 18. Geburtstag seiner Tochter einfallen lässt....
Ines und der Weltmeister - Der große Moment

Letztes Jahr hatte Ines Kringler im Rahmen der Tübinger Retromotor die Gelegenheit, ihrem Idol Giacomo Agostini die ihm zu Ehren gebaute MV Agusta-Renn-Replika zu präsentieren. Den 9. September 2012 wird die jüngste MV Agusta-Pilotin Deutschlands nicht mehr vergessen: Quasi als nachträgliches Geburtstagsgeschenk zu Agos 70sten zog sie zusammen mit dem 15-fachen Weltmeister das Tuch von ihrer 125er-MV. Der Ex-Champ war sichtlich angetan vom gelungenen Umbau und dem Enthusiasmus der Erbauer. Spontan bedankte sich der Charmeur mit einem Autogramm und einem Küsschen bei Ines.