Der Café Racer Royal Enfield Continental GT weckt Reminiszenzen an die 60er-Jahre - eine legendäre Epoche britischer Motorradkultur. Nebenbei gelingt ihr ein deutlicher Fortschritt in Sachen Fahrwerks- und Motortechnik.
Der Café Racer Royal Enfield Continental GT weckt Reminiszenzen an die 60er-Jahre - eine legendäre Epoche britischer Motorradkultur. Nebenbei gelingt ihr ein deutlicher Fortschritt in Sachen Fahrwerks- und Motortechnik.
Es schien, als sei Royal Enfield heimgekehrt. Über 50 frisch produzierte Continental GT paradierten vor dem „Ace Café“ in London, und selbst die Passanten, die rein zufällig an der dortigen Haltestelle auf den Bus warteten, hatten den Namen sofort parat. „Sind das alles neue?“, fragte ein älterer Herr, der sich an Royal Enfield erinnerte, aber nicht gewusst hatte, dass die traditionsreichen Motorräder seit 1970, als die Pforten des Stammwerks in Redditch schlossen, im indischen Chennai weiterproduziert worden waren.
Sie waren alle neu. Und wo immer die Enfield-Parade an diesem Tag anhielt, ob vor dem Brooklands-Museum oder am Pier von Brighton, überall herrschte der gleiche unverkrampfte Umgang mit Tradition und Kontinuität vor: „Schön, dass die wieder so etwas bauen.“ Nur wenige Besitzer „echter“ Redditch-Enfields blieben skeptisch, meist nahm man die etwas verdünnte Britishness der indischen Motorräder mit Humor. „Die Vibrationen sind immer noch die gleichen“, schmunzelte der Besitzer einer historischen Bullet 350, nachdem er den Motor der Continental GT mit einigen herzhaften Gasstößen in Wallung gebracht hatte.
Die Verwandtschaft zwischen Neu und Alt ist ja auch augenfällig. Obwohl der Motor der Continental GT der 2009 in Europa
eingeführten Baureihe entstammt, die zum ersten Mal Motor und Getriebe einer Enfield in einem gemeinsamen Gehäuse unterbringt, wurden doch viele Leistungsteile vom alten Lean-Burn-Bullet-Motor übernommen. Das Laufverhalten des luftgekühlten Langhubers mit der großen Schwungmasse ist also nicht nur beim Hochdrehen im Stand „very british“.
Ist die gut dosierbare Kupplung erst einmal eingerückt, beschleunigt der Zweiventil-Einzylinder, ohne zu hacken, und schwingt sich rasch hinauf in höhere Drehzahlbereiche – höhere, nicht hohe. Denn über 4000/min lässt die Drehfreude schon wieder etwas nach; die 5100/min, bei denen der Motor seine Höchstleistung erreicht, will man in den mittleren Gängen gar nicht auflegen. Dort entwickelt der Traditionsmotor dann nämlich schon stärkere Vibrationen.
Trotz seiner um drei Millimeter größeren Bohrung schüttelt der 535er aber deutlich weniger als der Standard-499er der Bullet, die der Autor vor vier Jahren testen konnte. Rein gefühlsmäßig beschleunigt die Continental GT auch schneller, wenn man früher hochschaltet. Was geschmeidig und rasch vonstatten geht. Kein Zweifel, in Sachen Getriebe hat Royal Enfield einen guten Standard gefunden. Sportliche Fahrer würden gerne öfter schalten, müssen es aber nicht. Auf der Landstraße gleitet die Continental GT auch im fünften und letzten Gang flott dahin. Eine klangstarke Zubehör-Auspuffanlage verstärkt den Eindruck lässiger Kraft. Sie war an allen Präsentationsmotorrädern montiert.
Nur beim Kaltstart und beim Anfahren zeigt das benzinsparende Magergemisch-Konzept des Motors leichte Schwächen. So braucht es morgens einige Orgelei und eine sehr gefühlvolle Gashand, bis der Einzylinder anspringt, losstampft und sich auf eine Leerlaufdrehzahl einpegelt, die stets an der Grenze zum plötzlichen Stehenbleiben balanciert. Die ersten paar Grad Drehwinkel am Gasgriff wollen auch beim Anfahren mit warmem Motor stets behutsam aufgezogen sein. Wer den Schlund zu rasch aufreißt, stellt den Einzylinder kurzerhand ab. Diese Aussagen beziehen sich auf drei verschiedene Exemplare, die der MOTORRAD-Redakteur nach und nach fahren konnte.
In Zusammenarbeit mit dem britischen Rahmenbauer Steve Harris entwickelte Royal Enfield einen Doppelschleifenrahmen, der mit dem Einrohrrahmen der Bullet nichts mehr gemeinsam hat. Statt barocker Rohrführung zeigt die Continental GT schnörkellosen Stahlrahmenbau. Perfekt funktional und deshalb auch zur schlichten Gestaltung passend. Puristen werden angesichts der gelben Federn und golden eloxierten Ausgleichsbehälter der Paioli-Federbeine zusammenzucken, doch da überwog bei den indischen Entwicklern einfach der Stolz auf die hochwertige Bestückung – beinahe Öhlins, so lautet das Signal.
Die Continental GT fühlt sich sportlicher und besser ausbalanciert an als die hecklastige Bullet. Wie viel davon der Fahrwerksgeometrie und wie viel der stärker vorderradorientierten Sitzposition geschuldet ist, kann momentan nur vermutet werden. Royal Enfield gibt keine Werte für Lenkkopfwinkel und Nachlauf an. Wer es allzu sportlich nicht mag, sei beruhigt: Die Lenkerhälften sitzen in bequemer Höhe über der oberen Gabelbrücke und ermöglichen eine entspannte Position. Aber eine, die jederzeit aktiven Körpereinsatz ermöglicht. Passend vervollständigt wird der hübsche Café Racer durch eine Brembo-Bremsanlage. Es ist also nicht nur stylish, die Continental GT zu fahren, sie entfaltet auf ihre ruhige, traditionelle Art auch beachtliche Fahrdynamik.