Mist, das gibt bestimmt Beulen! Arturos Schädel schlägt hart an die Innenverkleidung des Wagens. Aber er hält weiter drauf. Fotograf Arturo ist Profi. Lässt die Kamera nicht los und den Motorradfahrer nicht aus dem Fokus. Unserem Redaktionswagen folgt eine 1000er Custom-Suzuki, Abstand gerade mal ein, zwei Meter. Wir „rasen“ die engen Kurven hinunter, der Tacho zeigt knapp 100 km/h. Die Schräglage der 1000er ist ordentlich, die Reifen unseres Autos sind im Grenzbereich. Wir driften eher, als dass wir gezielt lenken. Keiner darf jetzt Fehler machen. Sonst knallt’s. Arturo und ich haben schon viele Produktionen gemeinsam gemacht. Er vertraut mir. Den Fahrer der 1000er kenne ich jedoch erst seit zwei Stunden. Auch er vertraut mir blind. Denn irgendwie sind wir seelenverwandt, sind Perfektionisten, die aus allem das Optimum herauskitzeln wollen. Aus einer Story. Einer Situation. Dem Leben. Oder einem Motorrad ...
Rückblende. Zwei Wochen vor diesem bewölkten Vormittag gibt mir ein Freund den Tipp, doch mal auf mellowmotorcycles.com zu schauen. Gesagt, getan. Begeisterung! Zu diesem Zeitpunkt sind dort zwei coole Umbauten zu bestaunen, die auf einer Suzuki GS 1000 und GS 550 basieren. Aber Mellow? Nie gehört. Dem daraufhin getätigten Anruf folgt eine Einladung, und so cruisen wir an jenem Morgen durch Willsbach, einem 3.700-Seelen-Nest an der Württembergischen Weinstraße. Heilbronn ist nicht weit, die Hänge ringsherum sind rebenbeschwert. Unser Wagen rollt auf den Hof von A.M.I.R.S Special Bikes. Ein junger Kerl stürmt aus der Werkhalle, ergreift meine Hand und drückt schraubstockartig zu. „Amir“, raunt er lächelnd. „Wir sagen du, nicht wahr?“ Klar. Sein Kompagnon Florian, der Amir einen Kopf überragt, stellt sich ebenfalls vor. Willkommen bei Mellow Motorcycles.
Einfach wieder was machen, was Spaß macht
„Mellow war eigentlich eine Schnapsidee“, erklärt Amir beim Kaffee. „Wir wollten einfach wieder was machen, was Spaß macht.“ Man schaut sich um und staunt. A.M.I.R.S Special Bikes ist eine Werkstatt, die alle Arten Motorräder und auch Autos repariert. Amir Brajan ist Kfz-Mechanikermeister, hat seine Werkstatt hier 1997 eröffnet und neben den finanziell überlebenswichtigen Reparaturen hier und da auch schon einige Motorräder umgebaut. Das ging vom Restaurieren eines Oldtimers bis zum Streetfighter-Umbau oder der Optimierung seiner Race-Schätzchen. Denn Amir ist sportlich unterwegs, war früher auf Motocross-Strecken und ist heute beim Supermoto anzutreffen – 2014 ist er sogar süddeutscher Meister geworden. „Och, ja“, wiegelt Amir ab. „Nix Wildes.“ Man blickt auf den jungen Kerl, rechnet nach und die Rechnung will nicht aufgehen.
Denn Amir ist ein Typ, der, sofern er rauchen würde, beim Zigarettenholen garantiert den Ausweis vorzeigen muss. Wie kann es dann sein, dass er vor knapp 20 Jahren eine Werkstatt eröffnet hat? „Mein Sohn ist 20, meine Tochter 17“, lacht Amir und zückt den Pass. Amtlicherseits ist er 45. Wirkt aber 20 Jahre jünger. Genau wie er sind seine Kids völlig zweiradverstrahlt und fahren schon lange selbst. „Das mit der ‚Werkstatt eröffnet’ muss ich dir erklären: Die bestand damals aus einem Raum, in dem ein Werkzeugkasten stand, den ich mir während der Lehrzeit zugelegt habe“, erklärt Amir. 1998 stieß dann sein Kumpel Florian dazu, und während Amir sich um Motorräder kümmerte, bemüht war, sie nicht nur zu reparieren, sondern auch zu verbessern, verarztete Florian Autos, importierte Felgen aus den USA, ließ selbst fertigen und nahm den Tieferlegungsboom mit. Nun haben die zwei „Mellow Motorcycles“ aus der Taufe gehoben, eine Schnapsidee. Aus Spaß am Schrauben.
"Am Material darf niemals gespart werden"
„Nur wegen Spaß“, grinst Amir. „Eine gesunde Werkstatt braucht heutzutage entweder einen guten Händlervertrag mit vielen Neufahrzeugverkäufen, oder du reparierst nebenbei auch Autos. Sonst lohnt sich nix.“ Billigroller aus China hatte Amir ebenfalls kurzfristig im Programm. „Die Kunden wollten immer alles nur noch günstiger. Da hatte ich die Schnauze voll. Wofür hat man seinen Job denn gelernt?“ So nehmen sich die Buben im Herbst letzten Jahres eine GS 1000 zur Brust, zerlegen sie komplett, tunen, customizen sie und erwecken sie als „Babo45“ im Frühjahr wieder. „Babo“ heißt aus dem Bosnischen übersetzt „Vater“. Amirs Vater, 1945 in Bosnien geboren, verstarb während des Umbaus. Ihm zu Ehren der Motorradname.
Perfektionist Amir hat ein kleines Kunstwerk geschaffen mit einer selbst gebogenen Titan-Krümmeranlage, integrierten „Augenlidern“ im Heck, in denen Brems- und Rücklicht untergebracht sind, einer penibel gesteppten Sitzbank oder dem neu gestalteten Tank. Piekfeine Verarbeitung sowie viele nette Details machen die Babo45 unverwechselbar. Die genietete Verbindung zwischen Heck und Sitzbank beispielsweise. Oder ein aus Titanblech geschnittenes und anlassfarbenes Logo. Auch das aufwendig geschlämmte Heck, bei dem die weichen Formen durch Auftragen mehrerer Zinnschichten erreicht werden. Oder das Versenken der Tanköffnung. Zudem findet sich keine Schraube am Motorrad, die zu lang wäre, keine Unterlegscheibe, die verkehrt herum eingebaut wurde, kein außermittig angeschraubtes oder gar überflüssiges Bauteil. Egal, in welchen noch so versteckten Winkel des Motorrads man auch schaut – die Verarbeitung ist perfekt. Hier fließt Florians Erfahrung als Kaufmann ein. „Ich habe damals Autofelgen bauen lassen, der Satz um die 10.000 Euro. Wir haben selbst dort Titanmuttern verwendet, wo man sie nicht sieht. Das hat sich ausgezahlt. Qualität muss immer ganz oben auf der Liste stehen. Am Material darf niemals gespart werden“, sagt er.
"Bevor ich verkaufe, will ich selbst Spaß haben ..."
Und Amir, der alte Racer, fügt etwas für ihn sehr Wichtiges hinzu: „Ein Umbau sollte nach getaner Arbeit besser funktionieren als vorher. Alles muss passen. Vor allem die Ergonomie. Es gibt nichts Schlimmeres, als das Gefühl zu haben, beim Fahren von einem Elefanten geschwängert zu werden, weil du scheiße draufhockst. Viele Umbauten sehen nur gut aus, wenn niemand draufsitzt. Das wollen wir nicht.“ Apropos draufsitzen. Gutes Stichwort. Amir rafft Helm, Handschuhe und Jacke zusammen, schiebt die Babo45 unter den tieftrüben, verhangenen Sommerhimmel, schaut skeptisch, winkt jedoch ab: „Scheißegal ob’s regnet! Die Elektrik ist erprobt und dicht, die Reifen sind top und der Vierzylinder hängt gut am Gas. Let’s ride!“
Dabei wäre er beinahe gar nicht dazu gekommen, die Babo45 zu fahren. Als die Jungs ihre ersten beiden Mellow-Umbauten im Mai auf der „Fly Low“-Messe in Brügge ausstellen, werden sie förmlich überrannt. Von Gaffern wie Kaufinteressenten. „Die haben mir Unsummen geboten“, brummt Amir durch den Helm hindurch. „Bin zwar Schrauber, doch im Herzen auch Motorradfahrer. Bevor ich verkaufe, will ich selbst Spaß haben ...“
So viel zur Rückblende. Und jetzt hängt er wie über eine unsichtbare Abschleppstange verbunden dicht hinter dem Redaktions-Ford, fällt von einer Schräglage in die nächste und – überholt. Arturo hat die Fotos im Kasten, wir rollen rechts ran. Steigen aus, bekraxeln einen Hügel und fixieren die gewundene Straße, die sich den Hang entlangschlängelt, als wäre der Asphalt aus einer Tube gequetscht. Ein einsamer Motorradfahrer bahnt sich den Weg bergab. Nimmt diverse Ideallinien mit elegantem Swing, bremst hart, dann wieder weich und entschwindet langsam aus dem Blickfeld. Er bewegt das Motorrad so sicher, als wäre es ein Teil von ihm. Kein Zweifeln über Reifengrip oder der Funktion diverser Teile. Alles passt perfekt. Das Hohelied eines potenten, perfekt von seinen Flachschiebern gefütterten Vierzylinders wird immer leiser. Bis er völlig verstummt. „Ob der wieder zurückkommt?“, meint Arturo. Kann dauern, denke ich.
Mellow Motorcycles
Die beiden treibenden Kräfte hinter Mellow Motorcycles sind der begnadete Handwerker und Kfz-Meister Amir Brajan und sein Freund Florian Hubert, der Mann fürs Marketing und Mädchen für alles. Angesiedelt in Willsbach nahe Heilbronn haben die Newcomer sich durch exzellente handwerkliche Ausführung und gute Ideen bereits einen Namen in der Szene gemacht.
Infos: www.mellowmotorcycles.com
Technische Daten
Motor: Basis Suzuki GS 1000, Motor überholt und leicht getunt – zirka 105 PS, Mikuni-Flachschieber-Vergaserbatterie, elektronische Dyna-2000-Zündung
Bodywork: Rahmen gecleant, Elektrik neu verlegt, neuer Kabelbaum, Custom-Speichenräder 3.50 x 17 und 5.00 x 17, Tarozzi-Stummellenker, FTE-Radialbremszylinder, Gilles-Kupplungsarmatur, Tacho, Blinker und Kontrolleinheiten von Motogadget, Mellow-Heck, YSS-Stoßdämpfer, modifizierter Yoshimura-GPIII-Schalldämpfer, Mellow-Titankrümmer, Mellow-Gabelbrücke, Krüger & Junginger-Schwinge u.v.m.
Preis: nicht unter 25.000 Euro
Arbeitsstunden: zirka 500