September 2013, auf der ehemaligen Solitude-Rennstrecke vor den Toren Stuttgarts. Beim Motorrad-Festival Glems-eck 101 treten zum International Sprint über 200 Meter 32 Mann gegeneinander an. Pardon: 31 Mann und eine Frau, die Rennfahrerin Nina Prinz, machen unter sich aus, wer am flottesten vom Fleck kommt. Immer in Zweier-Pärchen, im K. o.-System. Mit am Start: die TT-Heroen Guy Martin und Conor Cummins, britische Rennlegenden auf Rau-Suzuki und getunter Buell XB 12 S. Doch am Ende ist ein zierliches, schreiend schlichtes Motorrad am schnellsten beim Drag-Strip-Rennen über die Achtelmeile: die Ducati Flat Red 2, pilotiert vom Erbauer selbst, Jens vom Brauck.
Radikal reduziert, ein Motor mit zwei Rädern und exklusiven Anbauteilen. „Das Ding geht wie der Teufel“, freut sich der 43-Jährige, „hat 100 PS bei nur rund 150 Kilogramm.“ Es rennt, wheelt und burnt heftig. Respekt. Eine Ducati Monster 1100 S stiftete Desmo-V2, Gitterrohrrahmen, Upside-down-Gabel und Bremsen. Alles andere baute Jens vom Brauck selbst um oder ein, hat verfeinert und verändert. Wie viel, zeigt sich Wochen später beim Ortstermin in seiner individuellen Werkstatt. Sie liegt am Kölner Rheinhafen in einem Ex-Fabrikgelände, Backsteinbauten ringsum. Umgeben vom Beat der Industriekultur und zwei, drei anderen, heftig umgebauten Ducatis parkt hier die Flat Red 2.
Ein Traum in Schwarz-Rot-Silber. Kompakt, cool und verdammt lässig. Das wohlproportionierte Kraftpaket wirkt dynamisch schon im Stand. All dies teilt das Flacheisen mit der Flat Red 1 aus dem Jahr 2003. Sie erschuf Jens zunächst im Maßstab eins zu zwölf als Kunststoff-Modell. Und gewann damit den Ducati-Designwettbewerb. Erst danach baute er sie auch real, auf Basis einer 900 Supersport. Und nun, eine Dekade später, das Gleiche in Rot? Nun, sehr ähnlich, aber nicht gleich. Die heutige Maschine ist raffinierter, edler, wertiger im Finish, geschliffener in den Details. Jens hat sich eben weiterentwickelt.
Gestreckter und sportiver

Gestreckter, sportiver als die erste Ducati von JvB-moto wirkt die Flat Red 2. Das liegt an der noch konsequenteren Machart, der vollkommen durchgehenden Linie vom Lenkkopf zur hinteren Radachse. Und ihrer drahtigeren, geduckteren Erscheinung mit tiefen, schmalen Lenkerstummeln. Dieses absolute Einzelstück baute Jens im Auftrag eines Industriellen aus Saudi-Arabien, der hatte die Flat Red 1 im Internet gesehen. Der Name ist Wortspiel und Programm zugleich: „Flat Red“ heißt sowohl flach und rot als auch mattrot.
Im auffälligen Farbton wirkt der markante, handgefertigte Alu-Tank als Blickfang. Optisch ein Kontrapunkt zur rundlichen Sprit-Blase einer Standard-Monster: mit nur 9,5 Litern Volumen, flacher Oberkante und betont eingezogenen hinteren Flanken. Den schlanken Winz-Tank anzufertigen, war „richtig viel Theater“, sagt Jens. Einspritzpumpe, die gesamte Elektronik und die stark umgebaute Airbox im Karbon-Cover mussten schließlich drunterpassen.
Tatsächlich fängt die elegante Lufthutze als Krönung des Tanks Luft ein, lenkt und leitet sie senkrecht nach unten. So wie auf den Motorhauben von US-Hot-Rods, heiß gemachten Pick-ups mit mächtigen V8-Motoren. Eine einzige Verheißung von Speed. Der luftgekühlte Zweiventil-Motor wirkt im minimalistischen Umfeld besonders bullig, verleiht der Maschine eine starke technische Aura. Der Ölkühler sitzt extrovertiert hochkant, links unterhalb des 1078-KubikMotors. Den vorderen Edelstahl-Krümmer trägt der V2 bereits serienmäßig als Schal aus Metall über die rechte Schulter geworfen. Eine coole Karre für ebensolche Fahrer.
"Ein Motorrad muss aussehen, wie es sich anfühlt"

Wie Fanfaren ragen zwei Shark-Schalldämpfer neben dem hinteren Karbon-Kotflügel nach hinten. Den passenden Gegen-Konus zu jedem Auspuff fand Jens in Form von Edelstahl-Messbechern zum Kochen – perfekt verschweißt und verschliffen. Metallbearbeitung kann der 43-Jährige, formt Blech- oder Aluminiumteile selbst. So wie das rudimentäre Front-Kotflügelchen. Aber er kann auch in Karbon, laminiert auf hohem Niveau. Die hier verbaute Lampenmaske – schwarz, quadratisch mit mittigem Rundscheinwerfer – ist mittlerweile sein Markenzeichen. Passt. „Ein Motorrad muss aussehen, wie es sich anfühlt“, sagt Jens. Möglichst sinnlich.
Weil der Wahl-Kölner „nicht so auf Einarmschwingen steht“, transplantierte er die stämmiger, massiver wirkende Zweiarmschwinge einer Monster 696. Ihr gestrahltes Aluminium verleiht zusätzlich Würze. Im vorderen Schwingendreieck fand sich Platz für eine sehr leichte Lithium-Ionen-Batterie. Besonders wichtig: Die ganze Maschine musste flacher werden, näher an den Erdboden, die Straße rücken. Also Gabel weiter durch die schwarz gehaltenen Gabelbrücken stecken. Der Öhlins-Service kürzte das schräg liegende Federbein ein, passte es stimmig an die neue Geometrie an.
Verdammt niedrig, dieser pure Power-Roadster, nichts für Riesen. Platz nehmen! Das selbst aufgeschäumte, minimalistische Solo-Sitzbrötchen ruht tief überm radikal gekürzten, knappen Rahmenheck. Dem Urinstinkt folgen: fahren wollen! Sich devot zu den Lenkstummeln strecken, die Knie spitz anwinkeln. Vorm offenen Jet-Helm röhrt und röchelt die Eigenbau-Airbox, hinter dir gähnt das pure Nichts. Jetzt gut festhalten. Der quicklebendige V2 reißt mächtig an der Kette. Fei(n)stes Viertakt-Feeling. Dies ist einer von Ducatis besten An-Trieben für die Landstraße. Mit diesem Floh, der um mehrere Dutzend Kilos abgespeckten Monster hat der Motor leichtes Spiel. Kein Gramm zu viel. Holla, da geht was!
Motorradfahrer sind offener geworden

Das Ding brennt brutal, schiebt mächtig vorwärts. Aber der tiefe Schwerpunkt hält das Vorderrad am Boden. Meistens. „Die großen Hersteller haben irgendwie vergessen, worum es beim Motorradfahren eigentlich geht“, sagt Jens. „Es geht um Gefühl, um Sound, den Rhythmus des Motors, um Kontakt zur Maschine, so pur und ungefiltert wie möglich.“ Moderne Motorräder seien viel zu vernünftig und zu emotionslos geworden. Klein und kompakt geht die Flat Red 2 zurück zu den Wurzeln: „Ein Motorrad ist dann toll, wenn es dir das perfekte Erlebnis verschafft.“
Jens weiß aus Erfahrung, dass „Motorradfahrer vor zehn Jahren mit solch einem Bike nichts anfangen konnten“. Heute seien sie offener, „denken nicht mehr so in Kategorien“. Die Grenzen zwischen Bobber und Café Racer, Sportler und Custom Bikes dürfen verwischen. Als JvB-moto sein neuestes Werk auf der populären Internet-Plattform BikeExif und bei Facebook vorstellte, fand es weltweite Beachtung und Anerkennung. Hitzige Diskussionen, Tausende „Likes“ und Empfehlungen inklusive. Die Spannweite der Kommentare in vielen Sprachen reichte von überwiegend uneingeschränkter Begeisterung bis hin zu völliger Ablehnung.
Der puristische Café Dragster glänzt mit versteckten Hydraulik-Behältern von Bremse und Kupplung. Sie verpflanzte Jens in die Löcher für die Gummilagerung des Serienlenkers, deckte sie mit Alu-Deckelchen ab. Der enorme Wendekreis ist Ducati-Erbe – der Gitterrohrrahmen baut hinterm Lenkkopf ziemlich breit. Einmal mit diesem impulsiven Energiebündel über die Hausstrecke dübeln, das wär’s. Erfahren, wie easy die federleichten Schmiederäder von OZ die Maschine in Schräglage abkippen lassen. Oder wie Brembos radiale Vierkolbenstopper dir beim Vollbremsen die Augäpfel gegen die Brille drücken. Macht an, sich hoch zu bücken.
Okay, all das geht heute nicht. Keine Spiegel, keine Blinker, kein Kennzeichen stören die aufgeräumte Linie, den cleanen Look. Die Transportkiste wartet schon. Schade. Der Beau de Cologne wird ja schon bald zur Blume der Wüste. Gute Reise, Flach-Eisen!
Vita: Jens vom Brauck

Jens vom Brauck gilt als einer der besten und begabtesten Selfmade-Motorrad-Designer Deutschlands, ist ein Mann aus der Praxis. Der gebürtige Sauerländer und gelernte Industriemechaniker weiß, auf was es ankommt und wie es geht. Auch fahrerisch. Allein auf seiner puristisch gestrippten Yamaha SR 500 hat er weit über 250000 Kilometer abgespult. Als erstes Umbauprojekt des heute 43-Jährigen gilt seine „Kawasuki“, die Verpflanzung eines 650er-Einzylinders aus einer Suzuki Freewind in das stark gestrippte Fahrgestell einer Kawasaki GPX 600. Ihr folgte die verwegene Ducati Flat Red.
Zu Diensten für die Industrie brachte es Jens vom Brauck auch ohne Hochschulstudium: Für MZ entwarf er die spektakuläre Streetfighter-Studie SFX, die wegen klammer Kassen bei MZ leider nie zur Serienreife kam. Der Wahl-Kölner gestaltete zusammen mit der Tuning-Schmiede Urban Motor aus Berlin die Triumph Brit Bob mit Parallel-Twin; aus der Zusammenarbeit mit Kedo aus Hamburg, Experten für Yamaha SR und XT, erwuchs die D-Track, eine sehr eigenständige SR 500. Mittlerweile fertigt Jens quadratische, schwarze Lampenmasken für Rundscheinwerfer von SR 500 und Triumph-Twins in Kleinserie. Für Triumph Bonneville, Thruxton, Scrambler & Co hat JvB viele Teile in petto, bis hin zu radikal drahtigen Komplettumbauten.
Kontakt und Infos unter: www.jvb-moto.com