"Immer wenn du kommst, haben wir schönes Wetter, letzte Woche waren es hier drei Grad und Regen!“, begrüßt mich Philipp Habsburg. Der Entwicklungschef höchstpersönlich lässt es sich nicht nehmen, mir seine neueste Maschine vorzustellen. Wobei das immer so geht: Er fährt mit einem Affenzahn voraus auf Strecken, die er wahrscheinlich im Schlaf rückwärtsfahren kann. Und der erwartungsvolle Journalist, der weder Strecke noch Motorrad und im Falle der KTM 1290 Super Duke R auch nicht die Reifen kennt, darf versuchen, nicht abreißen zu lassen. Immerhin kommt man so in den Genuss, nahezu sämtliche Betriebszustände der jeweiligen KTM zu erfahren, von blubbrigen Ortsdurchfahrten bis zum deftigen Angasen auf Philipps Hausstrecke.
Doch nun zum Bike: Mit Donnergetöse stellte KTM die 1290 Super Duke R auf der Messe in Mailand vor. Obwohl nur Prototyp, wählten sie die Leser unserer Schwesterzeitschrift PS gleich zum Sportmotorrad des Jahres. Zu Recht? Mal aufsitzen. Der hohe Tank fühlt sich an, als ob schon ein Tankrucksack drauf wäre, aber ansonsten passen Lenker, Hebel, Rasten, Sitzbank für mich perfekt. Ob ganz lange Kerls auch gut sitzen, werden wir bald lesen. Schön versammelt positioniert und das Vorderrad gut im Griff stochern wir durch Mattighofen.
Ein Bulle von Zweizylinder unterm Hintern
Auffallend: Der dicke Motor der KTM 1290 Super Duke R läuft von allen KTM-V2-Zylindern am weichsten. Sanft am Gas, ab gut 2000/min ohne Hacken, sauber anschiebend. Etwas lange Schaltwege fühlen sich ungewohnt an, dafür braucht es wenig Kraft, die sechs Stufen zu wechseln. Wobei der Motor eigentlich nur zwei Gänge bräuchte: einen zum Anfahren und einen für den Rest. Noch nie habe ich einen solchen Bullen von Zweizylinder unterm Hintern gehabt. Der Ofen schiebt dermaßen an, wie ich es bisher nicht für möglich gehalten habe. „Wir haben ab 2000/min über 100 Nm und in der Spitze 140 …“, erklärt Philipp. Man merkt’s.
Das Schlimme ist: Ich habe bisher gar nicht über 6000/min gedreht. Was darüber passiert? Ojemine! Eine lange Gerade, möglicherweise auf einer freien deutschen Autobahn, und wir geben alles. Der bisher dumpfe Schlag wechselt in helleres Trommeln, 200 km/h sind blitzschnell überschritten, 250 schon aus den Ärmeln geschüttelt, brutal zerrt der Fahrtwind am Helm. Das reicht erst mal. Der nackte Wahnsinn, buchstäblich. 180 PS leistet der 1301 cm³ dicke V2 der KTM 1290 Super Duke R - das sickert später durch. Vor Ort will Philipp das nicht verraten. „Willst du mal ohne Regelung fahren?“ Ich will nicht. Ich bin ganz froh über all die elektronischen Helferlein, die verhindern, dass ich beim Bremsen auf die Nase (ABS), beim Gasgeben auf den Rücken (Wheelie-Control) und beim Beschleunigen in Kurven aufs Schlüsselbein (Traction Control) falle.
KTM 1290 Super Duke R fährt sich nahezu perfekt

Eine kleine Schotterpassage meistert die TC sanft regelnd, auf Asphalt nimmt sie die Leistung zuverlässig, aber kaum spürbar weg, wenn es für das Hinterrad zu viel wird. Auch hier fährt sich die KTM 1290 Super Duke R nahezu perfekt. Wie sie es geschafft haben, dem Großkolbentriebwerk (108 mm Durchmesser) solche Manieren beizubringen, erklärt Philipp: „Wir forschen viel an der Thermodynamik, haben Doppelzündung und so kleine Kanäle wie möglich in den Zylinderköpfen.“ Zweifellos eine andere Philosophie, als sie Ducati bei der Panigale anwendet. Deren V2 hat die größten Kanäle im Motorradbau bisher.
Vor dem braucht sich der KTM-Motor nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil: Er ist gegenüber dem lauten Bologna-Twin geradezu ein kultivierter und trotzdem druckvollerer Vertreter seines Genres. Für Fahrwerk und Bremsen war wenig Zeit. Positiv: stabil in Kurven, neue Dunlops mit Grip in allen Lagen und nur wenig Aufstellmoment beim Bremsen. Komfortable Feder-/Dämpferabstimmung mit trotzdem guter Rückmeldung. Negativ: nicht die Allerhandlichste bei höheren Geschwindigkeiten, trotz der 205 Kilogramm vollgetankt, die die KTM 1290 Super Duke R nur wiegen soll.

Nach einer guten Stunde Fahrt ist der Tank halb leer, die Werkshallen von KTM tauchen am Horizont auf. Sollten die Österreicher tatsächlich eines der besten Naked Bikes der Welt gebaut haben, wie es sich nach der ersten Fahrt mit dem Prototypen anfühlt? Die MOTORRAD-Tests werden es zeigen. Eines scheint jedoch klar: 1200er-Zweizylindern schlägt jetzt die Stunde der Wahrheit. Und die heißt Dreizehnhundert. Willkommen in einer neuen Welt.
Technische Daten
75-Grad-V-Zweizylindermotor, 1301 cm³, Bohrung/Hub 108/72 mm, 180 PS bei 8870/min, 140 Nm, Stahl-Gitterrohrrahmen, Heck abschraubbar, Einarmschwinge, Upside-down-Gabel 48 mm, Doppelscheibenbremse vorn 320 mm, Scheibenbremse hinten, ABS, Traktionskontrolle, Wheelie-Control, drei Fahrmodi, Gewicht vollgetankt mit 18 Litern zirka 205 Kilogramm, Preis ca. 15 000 Euro
Interview mit Stefan Pierer

KTM-Chef Stefan Pierer expandiert weiter. Seit 1. Oktober 2013 kümmert er sich nicht nur um sein umfangreiches Firmengeflecht, sondern leitet nun auch offiziell die Marke Husqvarna. Was er damit vorhat und wie sich Husqvarna zusammen mit KTM am Markt präsentieren soll, erzählt er MOTORRAD-Chefredakteur Michael Pfeiffer.
Herr Pierer, am 30. Januar meldete motorradonline.de den Kauf von Husqvarna durch Ihre Firma Pierer Industries. Wie weit sind Sie in den letzten acht Monaten mit Husqvarna gekommen?
Sehr weit! Wir werden auf der Mailänder Messe Eicma eine völlig neue Husqvarna-Enduro- und Motocrossgeneration präsentieren. Aber natürlich war es in der Kürze der Zeit nicht möglich, komplett neue Motorräder zu entwickeln. Im Bereich Enduro stand dabei selbstverständlich Husaberg Pate. Für den Motocross-Bereich galt es hingegen, den bestehenden Baukasten der erfolgreichen KTM-Modelle zu nutzen. Unsere KTM-Basis hier ist modern, stabil, State of the Art. Oder finden Sie, dass unsere Offroad-Modelle schlechte Motorräder sind?
Sicher nicht. Aber wie werden sich die neuen Husqvarnas dann von den KTMs unterscheiden?
Optisch sehr deutlich, Husqvarna bekommt eine ganz eigenständige Linie, da muss man großen Wert darauf legen. Jede Marke braucht ihr eigenes Profil, sonst ist sie austauschbar und nicht erfolgreich.
Wer hat die neue Husqvarna-Linie gestaltet?
Gerald Kiska mit seinen Leuten natürlich. Er ist ja inzwischen der größte unabhängige Designer Europas mit 120 Angestellten. Die können das.
Wie sind Sie eigentlich zu Husqvarna gekommen? Geplant war die Übernahme ja wohl nicht, oder?
Nein, natürlich nicht. Aber man spricht ja miteinander. Sehen Sie, ich bin ja einer der dienstältesten Manager in der Motorradwelt, und da kennt man seine Kollegen. Zu Herrn Dr. Diess von BMW hatte ich einen guten Kontakt, zu seinem Nachfolger, dem Herrn von Kuenheim, genauso. Und dann spricht man halt über vieles, und ich habe gesagt, wenn es mal so weit ist, dann hätte ich Interesse. BMW und wir haben in vielen Feldern gemeinsame Interessen, denken Sie nur an die Zulieferer. Kurz, wir pflegen hier seit Langem eine sehr gute Beziehung, auch mit Herrn Schaller konnten wir diese weiterführen und gemeinsam eine sinnvolle Vereinbarung erzielen.
Und dann musste es schnell gehen? So schnell, dass Sie Ihren Miteigner Bajaj gar nicht ins Boot bekamen und zunächst selbst übernahmen?
Das lief alles in enger Abstimmung mit Bajaj. Wir pflegen ein sehr offenes und partnerschaftliches Verhältnis. Bajaj ist unternehmergeführt, wir sind das auch, da versteht man sich. Jetzt ist Husqvarna in KTM integriert, auf der Aufsichtsratssitzung wurde alles abgesegnet und beschlossen. Wir haben uns jetzt auch die Markenrechte für 15 Jahre gesichert, die gehören ja Husqvarna AB in Schweden, die heute Rasenmäher, Motorsägen und Ähnliches produziert. Eine Bedingung hatte Bajaj allerdings an uns: keine Produktion in Italien.
Warum das?
Im Zulieferumfeld von Bajaj wurden vor einiger Zeit schon einmal zwei Firmen in Italien gekauft. Mit einem Hersteller von Federelementen beispielsweise wurden sehr negative Erfahrungen gemacht. Die Situation hieraus konnten wir uns genau anschauen, und ich sage hier ebenfalls: Man kann in Italien am heutigen Tag nicht für den Weltmarkt konkurrenzfähig produzieren. Die Zeiten können sich ändern, aber aktuell funktioniert es nicht.
Werden Sie den Standort Varese also auflösen?
Nein. Die Produktion ist gestoppt. Wir haben die Belegschaft abgefunden, das ist alles erledigt. Der Standort ist ja auch gut in Schuss. Das Werk werden wir jetzt jedenfalls einfrieren, damit da nichts passiert. Immerhin haben wir dort eine Kapazität für 30.000 bis 40.000 Motorräder im Jahr. Und vielleicht können wir damit ja mal später Kapazitätsspitzen abdecken, je nach Nachfrage unserer Maschinen. Jetzt werden wir zunächst den Vertrieb mit zehn bis zwölf Leuten von Varese aus organisieren. Dazu wird noch das Ersatzteilwesen umziehen, das bei BMW bisher in Verona situiert war. Dann werden es etwa 35 Arbeitsplätze in Varese sein.
Wie wollen Sie denn neben KTM Husqvarnas verkaufen?
Wir werden eine zweite, komplett unabhängige Vertriebsstruktur aufbauen. In Deutschland beispielsweise hätten wir jetzt einigen KTM-Händlern, die nicht so sehr im Straßenbereich zu Hause sind, gekündigt. Denen können wir jetzt Husqvarna anbieten.
Haben Sie das einem Husqvarna-Urgestein wie beispielsweise Josef Zupin auch angeboten?
Herr Zupin ist sehr wertvoll für uns, natürlich wollen wir mit ihm zusammenarbeiten. Zupin weiß, wie man verkauft, und das ist für uns wichtig. Wir wollen ja vorwärtskommen. Wir wollen alle Husqvarna-Helden in die neue Zeit mitnehmen. In den USA, wo die Marke noch eine unglaublich wertvolle Tradition hat, Männer wie Mark Blackwell und Torsten Hallman, Jacky Martens beispielsweise. Wir setzen unsere früheren Rennfahrer ja auch teilweise im Management ein. Im Motorsport hat man viel zusammen erlebt. Das schweißt zusammen, da weiß man, was man aneinander hat.
Aber was wird Husqvarna langfristig von KTM unterscheiden, zumal die Basis ja dieselbe ist?
Husqvarna werden wir als starke Offroad-Competition-Marke aufbauen. KTM wird sich neben der essenziellen Offroad-Rolle weiterhin stärker in Richtung Straße entwickeln. In Deutschland beispielsweise verkaufen wir inzwischen 80 Prozent straßenzugelassene Motorräder. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht? Und wir werden weiter investieren. Benchmarks setzen, wie beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit Bosch, einer hervorragenden Firma, die mit dem ersten schräglagenabhängigen ABS bei uns eine Weltneuheit präsentiert. Unsere Mitbewerber sind hier Suzuki, Yamaha und Kawasaki, da geht es lang. Und unser neuer 1290er-Motor muss niemanden mehr fürchten. Hier sind wir inzwischen sehr weit, was Motorsteuerung, Leistungsentfaltung und Regelungen betrifft. Unsere Leute um Entwicklungsleiter Philipp Habsburg sind noch jung, aber bereits sehr erfahren, um Spitzenleistungen zu erbringen. Hier zahlt sich unsere konsequente Nachwuchsarbeit aus. Wir bilden pro Jahr bis zu 100 Mitarbeiter neu aus, und wir geben hier sogar Einstellungsgarantie. Inzwischen arbeiten bei KTM 1900 Menschen mit einem Durchschnittsalter von gerade mal 35 Jahren.
Ist diese Arbeitsweise typisch für österreichische Firmen?
Unser Markt ist klein, wir müssen zu über 90 Prozent exportieren. Deswegen hilft uns nur dynamischer Unternehmergeist: Schnelligkeit, Erfahrung, Risikofreude und klare Markenausprägung. Das ist typisch für die Region hier. Wir nennen das die „Hidden Champions“: Marken wie Palfinger, Weltmarktführer im Kranbau, oder aus unserem Unternehmensbereich Pankl, weltweit führend im Bereich von Rennsport-Motorkomponenten. Es ist schon ein tolles Gefühl, wenn selbst Honda für ihre Moto3-Renner Pleuel bei uns zukauft.
In der Moto3-Klasse sind die KTM-Maschinen inzwischen drückend überlegen. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Wieso das denn? Es ist uns eine Ehre, Honda zu schlagen. Das fördert unseren Verkauf. Vor allem in Märkten wie Indonesien und Malaysia, wo die Jugend absolut motorsportaffin ist. Und vielleicht fährt ja in Zukunft Husqvarna in der Moto3?
Im Geländesport und Motocross werden KTM und Husqvarna gegeneinander antreten?
Sicher! Das ist die Strategie. Und die wird sich bis ins Management durchziehen. Wir wollen, dass sich beide Teams hochschaukeln. So werden sie immer besser und können gegen die großen vier Japaner bestehen. Dann werden wir mal sehen, wie es in ein paar Jahren im Offroad-Markt aussieht. Im Gesamten muss es darum gehen, den Offroad-Markt in jeder Hinsicht langfristig zu stärken.
Noch eine letzte Frage zum Thema KTM Freeride. Wann kommt die Elektro-Variante Freeride-E?
Nächstes Jahr. Die Akkus sind jetzt stabil, und wir wollen drei Varianten bauen: eine Supermoto für die Urban Mobility, eine Close Course, die sich sogar für Indoor-Aktivitäten eignet, und eine Enduro. Wir sind hier in einem speziellen Markt als Offroad-Hersteller. In manchen Ländern ist vieles verboten. Dazu brauchen wir die E-Technik. Und wir haben sie schon.