Yamaha MT-07 und Kawasaki ER-6n im Vergleichstest
Star-Ensemble der Mittelklasse

Die Kawasaki ER-6n hat sich in ihrer neunjährigen Karriere zum Star der Mittelklasse entwickelt. Nun will ihr die ­Yamaha MT-07 mit neu entwickeltem Twin und Kampfpreis diese Position streitig machen.

Star-Ensemble der Mittelklasse
Foto: fact

Es regnet wie aus Kübeln. Seit Stunden. Die kroatische Autobahn, die uns von Zagreb durch das Velebit-Gebirge zur Adria-Küste bringen soll, verschwindet in der Gischt. Nur noch durch einen Tunnel hindurch, dann haben wir das Gebirge hinter uns und bald die Küste erreicht. Die Anzeigetafel über der Autobahn zeigt 2,5 Grad. Das Gesicht von Dave, dem Fotografen, spricht Bände. Doch das Licht am Ende des Tunnels kommt. Sonnenschein empfängt uns, 14,5 Grad vermeldet die Info-Tafel über der Schnellstraße. Der Wahnsinn. Manchmal braucht’s eben auch ein wenig Glück.

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Star-Ensemble der Mittelklasse
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Jetzt nix wie runter von der Autobahn und ausladen. Zu lange schon haben die brandneue Yamaha MT-07 und die Kawasaki ER-6n in unserem Transporter festgezurrt ausgeharrt.Doch noch ist etwas Geduld nötig, die Serpentinenstraße, die sich hinab zum Meer windet, ist mit dicken weißen Salzschleiern eingepudert. Überbleibsel des heftigen Wintereinbruchs vor wenigen Tagen. Unten angekommen aber warten leer gefegte, griffige Sträßchen.

Kernig knurrend gegen sonor bullernd

Der heiß ersehnte erste Schlagabtausch zwischen der Kawasaki ER-6n, seit ihrer Einführung 2005 absoluter Verkaufsschlager in der Mittelklasse, und der brandneuen Yamaha MT-07, die im Sog ihrer glänzend gestarteten Schwester MT-09 die Mittelklasse aufmischen will, kann beginnen.

Äußerlich liegen die beiden dicht beieinander. Reihentwins, die Krümmerführung verschlungen auf der rechten Seite mit Vorschalldämpfer unter dem Motor. Dazu nicht einstellbare 41er-Telegabeln, Stahlrahmen und -schwingen mit direkt angelenkten, nur in der Vorspannung einstellbaren Federbeinen. Die Zutaten ähneln sich. Und doch sind die Unterschiede viel größer, was man schon beim Platznehmen ahnt.

Die Kawasaki ER-6n bettet ihren Piloten in die Maschine integriert, die hoch montierten Rasten falten vor allem die Beine groß gewachsener Piloten kräftig zusammen. Der Yamaha MT-07-Pilot logiert in gleicher Höhe, sitzt aber wesentlich aufrechter und entspannter, mit offenerem Kniewinkel und dichter am Lenker. Mehr auf als im Motorrad. Dann der Druck auf den Anlasser. Kernig knurrt die Kawasaki vor sich hin. Satt und sonor bullernd nimmt der Yamaha-Twin die Arbeit auf.

Schaltarbeit bei Kawasaki ER-6n etwas geschmeidiger

Dave drängt, er will die verbleibenden sonnigen Stunden noch nutzen, Kurve links, Kurve rechts, Kurve zu zweit. Alles noch mal von der anderen Seite. Danke, Dave. Können wir jetzt? Die Küstenstraße wartet. Um diese Jahreszeit wie leer gefegt, windet sich die Straße in grandiosen Kurvenfolgen am Meer entlang. Das schier endlose Spiel mit wechselnden Schräglagen ist wie gemacht für die beiden. Lockeres Handling und ausreichend Leistung machen das Schwingen entlang der Küste zum Genuss. Anders als bei der großen Schwester MT-09 sind die Lastwechsel der Yamaha MT-07 angenehm gedämpft. Eine Nuance sanfter geht gar die Kawasaki ER-6n ans Gas. Auch die Schaltarbeit läuft bei ihr etwas geschmeidiger ab. Doch ansonsten hat die Kawa im Motorenkapitel nicht viel zu erben.

Bereits ab 2000/min setzt der 690 cm³ große Yamaha-Twin Gasbefehle sauber um. Bei der Kawasaki ER-6n dürfen es für ruckfreien Vortrieb ein paar Hundert Umdrehungen mehr sein. Ab 3000/min wird die Yamaha MT-07 lebendig, und ab 4000/min ist richtig Druck im Kessel. Zwischen vier- und achttausend ist sie sofort da. Dreht locker und leichtfüßig in die Höhe und zerrt richtig energisch und gleichmäßig vorwärts. Erst ab 9500/min ebbt der Elan wieder etwas ab. Dabei läuft das Yamaha-Aggregat erstaunlich ruhig, der Massenausgleich scheint sehr gelungen. Leichte Vibrationen werden erst ab 5000/min wirklich spürbar. Dank der tollen Elastizität macht es auch nichts, wenn man mal im Eifer des Gefechts das Herunterschalten verpasst hat; die MT lässt sich angenehm schaltfaul bewegen.

Aus kernigerem Holz ist der 650 cm³ große Kawasaki-Zweizylinder geschnitzt. Je nach Drehzahlbereich kribbelt es in Lenker, Rasten oder Sitzbank. Deutlich kurzhubiger ausgelegt als sein Yamaha-Pendant, legt er sich in der ersten Hälfte des Drehzahlbands längst nicht so energisch ins Zeug. Sechs-, besser siebentausend Umdrehungen sollten es schon sein, um der Yamaha zu folgen. Dann entwickelt der Kawa-Triebsatz richtig Feuer, unterlegt sein erwachendes Temperament mit imposantem Ansaug-Röhren. Und wirkt dabei dennoch stets angestrengter als die Yamaha MT-07, die vor allem in den unteren Gängen mit ihrem ebenso locker wie kräftig hochdrehenden Twin der Kawa nicht den Hauch einer Chance lässt. Stets wohlgedämpft aus dem Auspuffstummel grollend.

Yamaha MT-07 lenkt leichter ein, klappt williger ab

Die Kawasaki ER-6n arbeitet mit einem Hubzapfenversatz von 180 Grad, was für die typisch kernige Twin-Klangkulisse sorgt. Die Yamaha-Techniker dagegen wählten einen Hubzapfenversatz von 270 Grad, was den Reihenmotor akustisch in die Nähe eines 90-Grad-V2 rückt. Ein rundum gelungener Gute-Laune-Motor.

Die Sonne verschwindet hinter der Insel Pag. Zeit, eine Unterkunft zu suchen. Das hellere, weißere Licht spendet der Yamaha-Scheinwerfer. Zwar mit harter Hell-Dunkel-Grenze. Doch dafür schlägt sein Fernlicht die deutlich kräftigere Schneise in die Dunkelheit. Direkt am Meer lockt ein kleines Hotel. Feierabend. Am nächsten Morgen geht es weiter. Problemlos meistern beide den Kaltstart, die Kawasaki ER-6n mit höherem Standgas, die Yamaha MT-07 auf den ersten Metern noch mit etwas verhaltener Gasannahme. Mühelos schwingt die Grüne von Kurve zu Kurve, lässt sich kinderleicht um die Biegungen dirigieren, klasse!

Doch die Yamaha MT-07 lenkt noch eine Spur leichter ein, neigt sich noch williger in tiefere Schräglagen, lässt sich behänder von links nach rechts werfen. Motorradfahren kann so einfach sein. Womit die Yamaha einmal mehr bestätigt, dass breitere Reifen nicht zwingend mit Einbußen bei der Handlichkeit einhergehen müssen. Sie rollt hinten auf einem 180er, während es die Kawa bei einem 160er bewenden lässt. Apropos Reifen. Sowohl Yamaha als auch Kawasaki fahren hier nicht die Billig-Nummer, sondern spendieren mit Michelin Pilot Road 3 und Dunlop Roadsmart II Gummis, die prächtig funktionieren. Den Handling-Vorteil verdankt die MT-07 auch ihrem geringeren Gewicht. Schlanke 179 Kilogramm vollgetankt verspricht Yamaha. Eine geeichte Waage stand leider nicht zur Verfügung. Das muss also später in der Heimat überprüft werden.

Yamaha MT-07 in Schräglage sensibler

Die Kawasaki ER-6n bringt mit 208 Kilogramm deutlich mehr auf die Waage, was sie aber optisch hervorragend kaschiert. Doch kampflos gibt sich diese im Fahrwerkskapitel nicht geschlagen. Sie ist bei ­aller Handlichkeit vielleicht nicht so kurvengierig wie die Yamaha MT-07, zieht dafür mit stoischer Gelassenheit ihre Bögen, wirkt dank straffer abgestimmter Federelemente satt und erdverbunden. Und Aufstellmoment ist für sie überhaupt kein Thema. Sie bleibt in Schräglage beim Griff zur Bremse gar noch konsequenter in der Spur als die Yamaha. Die zeigt sich Schräglagenwechseln gegenüber aufgeschlossener, in großer Schräglage allerdings auch sensibler und empfänglicher für Lenkimpulse, womit ein wenig ihre Verwandtschaft zur MT-09 durchschimmert.

Für die ganz sportliche Gangart ist die Yamaha MT-07 grundsätzlich gut gerüstet, ein flinkes Wetzeisen mit unkompliziertem Fahrverhalten. Nur die ziemlich langen (aber abschraubbaren) Angstnippel an den Rasten setzen unsportlich früh auf. Und in engagiert angegangenen Kurven zeigen sich die besonders hinten weich abgestimmten Federelemente. Hurtig über Bodenwellen getrieben, wippt das Heck nahezu unbehelligt von Dämpfung fröhlich auf und ab und trampelt das Hinterrad schon mal über waschbrettartige Bodenwellen hinweg. Doch kommt dabei nie wirklich Unruhe ins Fahrwerk, man genießt das Gefühl, alles im Griff zu haben. Zumal die Federelemente gut ansprechen und Narben im Asphalt sorgfältig glatt bügeln. Weshalb man die MT-07 ziemlich unbefangen und frech ums Eck scheuchen kann.

Vollbremsung vor der Schafherde!

Die straffer abgestimmten Federelemente der ER-6n verleihen der Kawa besonders in schnellen Kurven mehr Stabilität und gute Rückmeldung von der Fahrbahn, auf der die hoch montierten Rasten erst bei ansehnlicher Schräglage kratzen. Selbst dann zieht die Kawasaki gelassen und stabil ihre Bahn. Doch sprechen die Federelemente recht unsensibel an. Und vor allem das mit reichlich Zugstufe abgestimmte Federbein reagiert auf Absätze und Asphaltrunzeln bockig, was den Komfort deutlich schmälert. Zumal auch das dünnere Sitzpolster auf Dauer mehr Härte zeigt als jenes der Yamaha MT-07. Dafür findet ein Sozius auf der Kawasaki dank breiterer Sitzbank, entspannterem Kniewinkel und anständigen Haltegriffen grundsätzlich das kommodere Plätzchen.

Eine Schafherde quert hinter einer Biegung die Straße, Vollbremsung. Die Schwimmsattel-Bremsen der Kawasaki ER-6n agieren stumpf und lassen einen klaren Druckpunkt vermissen, werden aber von einem fein regelnden Bosch-ABS unterstützt. Trotz relativ kleiner 282er-Scheiben (Kawasaki: 300 mm) packen die Vierkolben-Festsättel der Yamaha MT-07 beherzter zu, lassen sich feiner dosieren und erschrecken auch weniger Erfahrene nicht durch zu bissigen Einsatz. ABS besaß die Testmaschine übrigens nicht. Das soll in Kürze lieferbar sein.

Beide können sich mit vier Litern begnügen

Auf den Schreck erst mal einen Schluck nehmen. Tankpause. Um den letzten Dreiviertelliter in den Tank der Yamaha MT-07 zu bekommen, ist Geduld gefragt. Einfacher ist das Spritfass der Kawasaki ER-6n befüllt. Das Cruisen entlang der Küste, vornehmlich im sechsten Gang absolviert, lassen sich beide mit gerade mal vier Litern honorieren. Da kann man nicht meckern. Mit der Knute übers Land getrieben, zerstäuben die Einspritzdüsen zwar rasch 4,8 (Yamaha) respektive 5,2 (Kawasaki) Liter. Doch selbst das geht in Ordnung.

Wie auch die Verarbeitung der beiden. Die Kawa gefällt mit sauber lackierten Rohrkonstruktionen für Schwinge und Rahmen sowie Edelstahlauspuff. Die Yamaha MT-07 weiß ebenso zu gefallen. Die schön gemachte Stahlschwinge lehnt sich optisch an die Alukonstruktionen teurerer Sportler an, dazu die auffälligen Achsaufnahmen oder Vierkolben-Festsattel-Bremsen. Dennoch ist hie und da das Diktat des Rotstifts nicht zu verkennen. Beim roh belassenen Kühler, den Rahmenschweißnähten oder den seitlichen Rahmenplatten, die zwar wirken, als dienten sie der Schwingenlagerung, letztlich aber nur als Blenden fungieren. Doch trübt das die wertige Ausstrahlung nicht wirklich. Und das zum Kampfpreis von 5495 Euro, mit ABS 5995 Euro. Ein Schnäppchen. Da hat die Kawa mit 6495 Euro erneut das Nachsehen.

Tag und Test neigen sich dem Ende zu. Die Maschinen verschwinden im Transporter, Feierabend, ab auf die Schnellstraße. Als uns der Tunnel wieder in Richtung Zagreb entlässt, ist die Autobahn nass, die Hinweistafel signalisiert klamme fünf Grad. Glück gehabt. Glück braucht Yamaha mit der MT-07 sicher nicht. Sie hat das Zeug zum Mittelklasse-Star.

Daten und Messwerte

Kawasaki ER-6n       Yamaha MT-07
Motor
Bauart Zweizylinder-Viertakt-
Reihenmotor
Zweizylinder-Viertakt-
Reihenmotor
Einspritzung Ø 38 mm Ø 38 mm
Kupplung Mehrscheiben-
Ölbadkupplung
Mehrscheiben-
Ölbadkupplung
Bohrung x Hub 83,0 x 60,0 mm 80,0 x 68,6 mm
Hubraum 649 cm³ 690 cm³
Verdichtung 10,8:1 11,5:1
Leistung 53,0 kW (72 PS)
bei 8500/min
55,0 kW (75 PS)
bei 9000/min
Drehmoment 64 Nm bei 7000/min 68 Nm bei 6500/min
Fahrwerk
Rahmen Brückenrahmen
aus Stahl
Brückenrahmen
aus Stahl
Gabel Telegabel,
Ø 41 mm
Telegabel,
Ø 41 mm
Bremsen vorne/hinten Ø 300/220 mm Ø 282/245 mm
Assistenzsysteme ABS
Räder 3.50 x 17; 4.50 x 17 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17;
160/60 ZR 17
120/70 ZR 17;
180/55 ZR 17
Bereifung Dunlop Roadsmart II „J“ Michelin Pilot Road 3
MAßE + Gewichte
Radstand 1410 mm 1400 mm
Lenkkopfwinkel 65,0 Grad 65,5 Grad
Nachlauf 110 mm 90 mm
Federweg vorne/hinten 125/130 mm 130/130 mm
Sitzhöhe 790 mm 805 mm
Gewicht vollgetankt 208 kg¹ 179 kg
Zuladung 198 kg¹ k. A.
Tankinhalt/Reserve 16,0 Liter 14,0 Liter
Service-Intervalle 6000 km 10 000 km
Preis 6495 Euro 5495 Euro (ohne ABS)
Nebenkosten 180 Euro 180 Euro
MOTORRAD-Messwerte
Höchstgeschwindigkeit* 200 km/h 207 km/h
Verbrauch Landstraße/100 km 4,1 Liter 4,0 Liter
Reichweite Landstraße 390 km 350 km

*Herstellerangabe; ¹MOTORRAD-Messungen

Leistungs-Messung

fact
Leistungsmessung.

Die Leistungsmessung der beiden Maschinen erfolgte nicht auf unserem üblicherweise verwendeten Prüfstand, sondern auf einem Dynojet-Prüfstand bei Harley-Tuner Janbo (www.janbo.hr) in Kroatien. Die Maximalwerte daher bitte nicht auf die Goldwaage legen.

Viel interessanter jedoch ist der Vergleich der beiden Kurven untereinander. Und die spiegeln ziemlich genau das wider, was man auch beim Fahren spürt: Praktisch vom Fleck weg überragt die Drehmomentkurve der hubraumstärkeren Yamaha MT-07 die der Kawasaki ER-6n, schwingt sich bei 3000/min zu einem beachtlichen Plateau auf, aus dem die MT-07 ihre tolle Durchzugskraft generiert. Die kleinere Kawasaki entwickelt ab 6000/min ihr Temperament, kann aber in keinem Bereich die Yamaha überflügeln.

Fazit

Yamaha MT-07
Hut ab, Yamaha, nach der MT-09 erneut ein gelungener Wurf. Die Yamaha MT-07 wirkt fahrwerksseitig gar harmonischer als die große Schwester. Sie ist umgänglich, komfortabel, ohne Allüren. Der Motor besitzt ausgezeichnete Manieren. Ist spritzig, durchzugsstark, kultiviert. Und der Preis knallhart kalkuliert. 

Kawasaki ER-6n
Die Kawasaki ist noch immer ein sympathisches und grundehrliches Motorrad. Doch sie kann ihr Alter nicht leugnen. Der Motor wirkt bemüht, nur bei höheren Drehzahlen spritzig. Retuschen an Bremsen und Federelementen wären angebracht.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023