Diesmal war es Anfang Januar. Seit Wochen standen sich die Motorräder die Reifen platt, der Winter-Blues hatte sich breitgemacht. Höchste Zeit für eine konzentrierte Endorphin-Spritze. Und die funktioniert ganz einfach: die kleine Flucht nach Gran Canaria – nicht nur im Winter.
Miet-Motorräder auf Gran Canaria
Beim netten Vermieter Pic-y-Poc am Rande des riesigen Hotel-Molochs Playa del Inglés stehen Maschinen bereit. Für uns eine KTM 390 Adventure und eine Honda Transalp 700. Gut, dass fast alle der jährlich 4 Millionen Touristen auf Gran Canaria ihr Paradies am Strand suchen, unseres werden wir anderswo finden, in den Bergen mit ihren famosen Straßen.
Berge statt Strand
Helme auf, Tankrucksack festzurren und nix wie weg hier. Das Wetter? Wolkenlos, 23 Grad. Na also, geht doch. Die GC-60 verplempert keine Zeit mit dem Vorspiel, kaum sind die Hotels aus den Rückspiegeln verschwunden, beginnt der Tanz. "Tranquillo" gewöhnen wir uns erst an die Motorräder, aktivieren die dämmernden Reflexe. Aber wie schnell das geht, der gute Asphalt und die sauberen Radien machen es leicht, fix in den "Flow" zu kommen.
Oasen aus dem Bilderbuch
Vorbei an Fataga, einer Bilderbuch-Oase mit großem Palmenhain und schönen alten Häusern, gewinnen wir an Höhe. Die Transe bollert durch Kurven und Kehren, Dauergrinsen unterm Helm, wie haben wir das vermisst! Vor uns baut sich die monumentale Felswand der Cumbres Altos auf, das bergige Herz der Insel. Auf fast 1.000 Meter Höhe rollen wir in den historischen Ort San Bartolomé. Fein restaurierte Bürgerhäuser, alles schmuck und sauber, und mit der Panaderia Tunte hat’s ein perfektes Café, das wir in den nächsten Tagen noch öfter besuchen. Hier gibt’s den besten Kuchen und Café cortado weit und breit. Und den freien Blick auf das Treiben der Straße. Erstaunlich viele Rennradler pedalieren vorbei, Gran Canaria ist ihr winterliches Trainingslager.
Die GC-60 durch die Cumbres
Weiter geht’s, die GC-60 legt sich mit den Bergen an. Und wie sie das macht. Die "Cumbres" sind das spektakuläre Zentrum der Insel. Der Schriftsteller Miguel de Unamuno beschrieb sie als "Gewitter aus Stein". Fantastische Felsnadeln wie der Bentayga und der Roque Nublo ragen in den tiefblauen Himmel, senkrechte gelbbraune Felswände müssen ein Paradies für Kletterer sein. Weit im Westen sehen wir sogar Spaniens höchsten Berg, den 3.718 Meter hohen Vulkan Pico del Teide – auf der Nachbarinsel Teneriffa.
Kurven zwischen Cruz de Tejeda und Pico de las Nieves
Wir kurven weiter bis zum Cruz de Tejeda, das dortige Café ist der Treffunkt für Biker aus Las Palmas. Mit 1.450 Meter Höhe ist der Pass aber auch die Wetterscheide der Insel. Nicht selten hängen hier inkontinente Passatwolken rum, dann fällt die Temperatur schon mal unter 5 Grad. Heute vernebeln nur wenige Wolken die Sicht, aber sie kommen schnell näher. Nix wie weg, durch dichte Kiefernwälder schraddeln wir hinauf zum 1.949 Meter hohen Pico de las Nieves, gefühlte 1.000 Kurven später sitzen wir wieder in der Sonne vorm Café Tunte, es gibt leckeren Mandelkuchen und heißen Cortado.
Bester Asphalt auf der GC-65
Für den Rückweg zu unserer Ferienwohnung in Sardina nehmen wir die GC-65. Donnerlüttchen, was für eine Straße! Kaum Verkehr, bester Teer und ein euphorisierendes Kurven-Ensemble. Unterwegs Palmenhaine, die bildhübsche Oase Santa Lucia, tief eingeschnittene Trockentäler – die Barrancos –, wo perfekt symmetrische Basaltsäulen von der vulkanischen Geschichte der Insel zeugen. Als wir in Sardina nach 170 Kilometern die Zündschlüssel umdrehen, sind wir fix und foxi nach dieser Druckbetankung mit Eindrücken. Die Insel fordert, gibt aber auch so viel zurück! Abends fahren wir noch ans Meer, in Arinaga finden wir ein feines Fisch-Restaurant. Was für ein traumhafter Tag!
Die steile GC-654 unterhalb der Cumbres Altos
Wo es am nächsten Morgen hingeht? In die Berge, wohin denn sonst? Wieder nehmen wir die tolle GC-65, biegen dann in Santa Lucia auf die unscheinbare GC-654 ab, ein buckeliges Sträßchen, das sich in sehr engen und sehr steilen Kehren hoch in den gigantischen Bergkessel unterhalb der Cumbres Altos schraubt. 1. und 2. Gang, mehr geht nicht mit der dicken Transalp. Wer hier zaudert, verliert. Und wieder gibt es so viel zu sehen. Neiderregende Fincas, urgemütlich, bildhübsch, von Palmen beschattet, kleine Felder, von Lavamauern unterteilt, eine eigene, ganz ruhige Welt. Über allem ragen die Cumbres auf, unnahbar, bedrohlich, megasteil. Dort oben schiebt der Passatwind fette Wolken über die Gipfel. Sie fließen in den Bergkessel und lösen sich in der trockenen Luft einfach auf. Mirakulös.
Von der GC-605 bis zur GC-200 und ans Meer
Weiter hinauf in die Berge müssen wir heute nicht, die Wolken da oben verheißen nichts Gutes. Lieber westwärts, da ist es immer trocken. Zudem locken dort einige Straßen, die es in sich haben. Wie die GC-605 zum Cruz de San Antonio und weiter mit feinen Kehren durch eine karge und trockene Landschaft hinunter nach Mogán. Oder die rumpelige GC-607, vorbei am ikonischen Roque Bentayga windet sich der Weg zwischen winterkahlen Feldern und respektablen Kakteen bis zum Bilderbuchdorf El Chorrillo. Dann hätten wir noch die GC-210, ein wahres Kurvenwunder hinunter nach San Nicolas. Von dort kringelt sich die famose GC-200 bis ans Meer nach Puerto de Mogán. Diese Bergstraße werden wir noch öfters fahren, ihr Suchtfaktor ist enorm.
Die Dünen von Maspalomas
Und noch einen Höhepunkt hat dieser Tag im Köcher. Die Dünen von Maspalomas am Südkap der Insel. Dazu müssen wir zwar durch die relativ große Stadt kreuzen, aber es lohnt sich. Vor allem abends, wenn die Bade-Touris zurück im Hotel sind, warmes Licht die Dünen perfekt in Szene setzt und der ewige Passatwind Sandfahnen über die Kämme weht. Dann kann man sich mit etwas Fantasie fast wie im großen westlichen Erg in Algerien fühlen. Ein Stückchen Sahara direkt am Atlantik. Erstaunlich, welche Kontraste Gran Canaria zu bieten hat.
Ferienwohnung in Puerto de las Nieves
4 weitere Tage treiben wir uns im Süden rum, erkunden fast jede Straße. Dann wird es Zeit für den Norden. Und der ist ganz anders. Auf dem Weg dorthin erleben wir den Wetterwechsel, fahren 2 Stunden durch Nebel und fetten Nieselregen. Natürlich haben wir den richtigen Moment, die Regenkombis anzuziehen, wieder mal verpasst. Vielleicht wollten wir einfach nicht wahrhaben, dass es hier so ein Schietwetter geben kann. So sind wir pitschnass, als wir die reservierte Ferienwohnung in Puerto de las Nieves erreichen. Immerhin scheint an der Küste wieder die Sonne. Und wie subtropisch grün es hier ist. Der Nordost-Passat bringt im Winter Wolken, die steigen am Hindernis Gran Canaria auf und regnen sich ab, bevor sie sich im Windschatten der Berge auflösen. Selten kann man unterschiedliche Klimazonen auf so kleinem Raum wie hier erleben.
Der Atlantik in Wallung
Über Nacht legt der Wind noch eine ordentliche Schippe drauf. Ein Sturmtief bringt den Atlantik in Wallung. Was für eine wilde Stimmung. Breit schäumen die 5-Meter-Brecher in die Bucht von El Roque, ein Ensemble von kubischen weißen Häusern, kühn auf einen ins Meer ragenden Felssporn gebaut. Schön ist an der Nordküste ansonsten wenig, hässliche Straßendörfer, die lärmige Autobahn, riesige Bananenplantagen, versteckt in einem Meer aus Plastik-Gewächshäusern. Lediglich der Nordostzipfel bei Gáldar ist ganz nett, hier krallen sich kleine, bunte Orte an die Steilküste, die heute sogar zum Spektakel wird, weil der Ozean kocht.
Historische Altstädte in Arucas und Teror
Ein paar hundert Meter die Berge hinauf wird’s wieder schöner. Grüne Täler mit subtropischer Vegetation, steile Barrancos und die schönsten Inselstädte bilden einen Mikrokosmos, anders als alles, was im Süden zu sehen ist. Hier lebten die Altkanarier, bevor sie von den Spaniern ab dem 15. Jahrhundert unterjocht wurden. Vor allem die historischen Altstädte von Arucas und Teror begeistern uns mit ihrer Wohlfühl-Atmosphäre, den tollen alten Stadthäusern, meist aus dunklem Vulkangestein gebaut, dazwischen großzügige Plazas und Parks. Zeit lassen und genießen.
Spektakuläre Strecke zur Westküste
Fehlt noch die Westküste zwischen Agaete und Puerto Mogán. Kaum haben wir Puerto de las Nieves verlassen, legt sich die GC-200 mit dem Berg an, für uns ist dies die spektakulärste Strecke der Insel. Caramba! Die Küste ist hier so steil und unzugänglich, dass die Straßenbauer ein wahres Kunstwerk durch die Berge fräsen mussten. Aber wer diese Traumstraße noch erleben will, sollte sich sputen, denn längst bastelt man an der tunnelreichen und kurvenfreien Autobahn GC-2, die mit schweren Maschinen durch die Berge gebuddelt wird. Toll für die Trucker, blöd für uns Motorradfahrer. Es ist zu befürchten, dass nach Fertigstellung der Autobahn die alte Straße nicht mehr unterhalten und dann gesperrt wird. So wie es heute schon auf einigen Passagen der Fall ist. Dabei sollte die GC-200 als schützenswertes Kulturgut unbedingt ins Weltkulturerbe aufgenommen werden, sie hätte es verdient.
Die Schönste aller Bergstraßen auf Gran Canaria
Noch aber ist die GC-200 die Schönste aller Bergstraßen auf Gran Canaria. Mal eng und verwinkelt, dann absurd steil, mal tollkühn in die Felsen über den Abgrund gedengelt. Später werden die Radien weiter, die Kehren schneller und der Asphalt besser. Einmal fahren reicht hier keineswegs. Vor allem zwischen Puerto de las Nieves und San Nicolas stoppen wir immer wieder, staunen über die grandiose Steilküste Andén Verde im warmen Abendlicht. Noch nicht genug? Dann noch mal fahren, die Aussichten in die andere Richtung sind dann ganz andere. Oder doch wieder hoch in die Berge? Am liebsten würden wir noch 2 Wochen in diesem Paradies bleiben, es gäbe noch so viel zu sehen und zu fahren. Nicht nur, aber erst recht, wenn zu Hause gerade Winter ist.