100 Jahre BMW Motorrad: Die 1960er-Jahre

100 Jahre BMW Motorrad
BMW Motorrad in den 1960er-Jahren

Veröffentlicht am 01.09.2023

Nach der äußerst kontroversen Aktionärsversammlung am 9. Dezember 1959 brauchte es das ganze Jahr 1960, um BMW – und damit auch die Motorradproduktion – zu retten. Der Großindustrielle Herbert Quandt erklärte sich bereit, die im Zuge einer Kapitalerhöhung ausgegebenen "jungen" Aktien zu übernehmen, die nicht von anderen Anlegern gekauft wurden. Dank dieser finanziellen Rückendeckung wurde BMW wieder kreditwürdig und konnte die Entwicklung des BMW 1500, der "neuen Klasse", finanzieren, um das nur rudimentäre Auto-Modellprogramm zu erweitern. Das Engagement Quandts ist ein Musterbeispiel unternehmerischer Weitsicht. Zugleich schuf er sich die Möglichkeit, Teile des Vermögens der Quandt-Gruppe, die durch beste Kontakte zum Naziregime und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern erworben worden waren, gleichsam bundesrepublikanisch zu läutern.

Langsame Entwicklung, knappe Budgets

Wer auf das Motorrad-Modellprogramm von BMW in den 1960er-Jahren schaut, gewinnt den Eindruck stagnierender Entwicklung und des Festhaltens an altmodischer Technik und Gestaltung. Die geschobene Vorderradschwinge, die Rahmenkonstruktion mit Seitenwagenanschluss und der eigenartigen Aufnahme der hinteren Federbeine, die Schwingsättel und das Überwiegen der schwarzen Lackierung galten spätestens ab Mitte des Jahrzehnts als ausgesprochen konservative Merkmale. Selbst britische Hersteller, auch nicht gerade ein Ausbund an Progressivität, boten ihre Motorräder in farbenfrohen Lackierungen an, und Honda setzte auf dem Gebiet der Technik erste Zeichen: Die CB72 war den 250er-Einzylindern von BMW und NSU in Sachen Leistung und Drehzahlfestigkeit um Meilen voraus.

Im Hintergrund jedoch arbeitete auch BMW an neuer Technik und Gestaltung. Diese Entwicklung verlief langsam, immer gebremst von knappen Budgets, aber stetig. Wie hemdsärmelig BMW in den frühen 1960ern Motorräder entwickelte, zeigt das Beispiel des damals neu angestellten jungen Ingenieurs Rüdiger Gutsche und seiner Triumph Bonneville 650. Sie wurde prompt für einen Vergleich mit der R 69 S herangezogen, ihr Besitzer vom stellvertretenden technischen Direktor Claus von Rücker zur Motorradentwicklung abkommandiert. Ein erstes Ergebnis der Neuentwicklung war im April 1963 bei der Geländefahrt in Biberach zu sehen: BMW-Werksfahrer Sebastian Nachtmann trat dort mit dem bekannten Boxer in einem neuen Doppelschleifenrahmen an, der nach dem Prinzip der Norton- oder besser McCandless-Federbettrahmen konstruiert war. Dieses Fahrwerk bildete die Grundlage für die spätere Serie. Zugleich testeten die Entwickler, welche Fortschritte mit dem seit der R 51/3 eingesetzten, rollengelagerten Boxermotor noch möglich waren.

Vom Transportmittel zum Freizeit-Gefährt

Der wichtigste Grund für BMW, überhaupt an der Motorradproduktion und -entwicklung festzuhalten, waren ermutigende Signale aus den USA. Dort hatte sich früher als in Europa ein Wandel der Motorradkultur vollzogen – eine Hochblüte der Pop- und Rockmusik begleitend, wurde das Motorrad zunehmend als Vehikel einer erlebnisreichen Freizeitgestaltung geschätzt und nicht, wie in Deutschland, als Transportmittel für Leute angesehen, die sich kein Auto leisten konnten. Folgerichtig und auf Initiative des US-Importeurs wurden ab 1967 BMWs in farbigen Lackierungen, mit durchgehender Sitzbank und Telegabel ausgerüstet, um ihnen einen moderneren Look zu verleihen.

Um 1965 war man bei BMW zu der Erkenntnis gelangt, dass der alte Boxer an der Grenze seiner Entwicklungsfähigkeit angelangt war. Dazu hatten eigene Versuche, beispielsweise mit Kipphebelbrücken zur Verbesserung der Drehzahlfestigkeit, ebenso beigetragen wie die Erfahrungen mit den Motoren der R 69 S und R 50 S. Aufgrund von Schwingungs- und Resonanzphänomenen machten sie immer wieder Schwierigkeiten mit Kurbelwellenschäden bei hohen Drehzahlen. Besonders betroffen war die R 50 S, deren Motor 35 PS bei 7650/min entwickelte. Sie wurde nur von 1960 bis 1962 gebaut. Dem nicht ganz so hoch belasteten Motor der R 69 S verhalf ein Schwingungsdämpfer auf der Kurbelwelle zu befriedigender Zuverlässigkeit.

Bau der Mauer

Bei der Entwicklung des neuen Motors konnten die Konstrukteure auf die Erfahrungen aus dem Autobereich zurückgreifen, insbesondere auf die Vanderwell-Dreistoff-Gleitlager. Für die Motoren der in der Entwicklung befindlichen /5-Baureihe wurden die Maße von Kurbelwellen- und Pleuellager vom 1500er-Vierzylinder übernommen. Und obwohl nach heutigen Maßstäben das Ausmessen der Lagerspiele und der Einbau der Hauptlagerschalen als kompliziert erscheint, waren sie doch schneller zu bewerkstelligen als die Produktion der Wälzlager-Kurbelwellen mit ihren nach Tausendstelmillimetern abgestuften und lose eingesetzten Nadeln für die Lagerung der Pleuel.

Abgesehen von den menschlichen Tragödien, die sich nach dem 13. August 1961 ereigneten, trug der Bau der Mauer tatsächlich zur Konsolidierung der Lage in und um Berlin bei. Die Abwanderung aus dem Westteil der Stadt wurde jedoch zum Problem. Um das"Austrocknen" Westberlins zu verhindern, erhielten die Berliner Steuererleichterungen, sarkastisch"Zitterprämie" genannt. Industriebetriebe, die sich dort engagierten, erhielten Investitionszulagen und ebenfalls Steuererleichterungen. Das prominenteste Beispiel ist sicher der Springer-Verlag, der direkt an der Mauer ein Verlagshochhaus mitsamt Druckerei errichtete, doch auch BMW nutzte die staatlichen Hilfen. 1938 hatten die Bayern in Berlin-Spandau ein Werk der Firma Siemens übernommen und dort hauptsächlich Werkzeugmaschinen und Komponenten gefertigt. Im Frühsommer 1969 wurde die Produktion der Schwingenmodelle in München/Milbertshofen eingestellt, und im Herbst des Jahres begann die Fertigung der R 50/5, R 60/5 und des neuen Flaggschiffs R 75/5 in Berlin-Spandau.