110 Jahre Husqvarna
Gibt es einen echten Neuanfang?

110 Jahre wird Husqvarna heuer alt – und findet sich plötzlich unter dem Dach des Erzrivalen KTM wieder. Endet damit die Eigenständigkeit der Marke für alle Zeit? Oder gibt es einen echten Neuanfang? Noch scheint der Ausgang ungewiss.

Gibt es einen echten Neuanfang?
Foto: Hersteller

Fanfaren und Feste blieben aus. Dabei begeht Husqvarna dieses Jahr den 110. Geburtstag seiner Motorradproduktion – auf eine so lange Geschichte blickt sonst nur noch die amerikanische Marke Harley-Davidson zurück. Doch wem könnte man überhaupt zum Jubiläum gratulieren? Neueigner und KTM-Chef Stefan Pierer scheint nicht der richtige Adressat zu sein. BMW, bis Ende Januar Besitzer der Marke, würde das Kapitel am liebsten aus der Firmengeschichte tilgen. Die Husqvarna-Beschäftigten in Italien könnten über Glückwünsche nur bitter lachen, steht doch die Schließung ihres Werks bevor. Und die Offroad-Gemeinde reibt sich immer noch verwundert die Augen: Ausgerechnet dem Widersacher KTM gehört Husqvarna nun? Statt nach Feiern ist vielen Kunden nach Skepsis zumute.

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Ein gewisser Optimismus scheint dennoch angebracht, schließlich hat Husqvarna schon viele Rückschläge überstanden, seit 1903 das erste Motorrad im Werk in Südschweden entstand. Die Motoren für dieses und viele folgende Modelle wurden aus halb Europa zugeliefert, etwa von FN in Belgien oder Moto Rêve in der Schweiz. Erst 1919 kam der erste eigene Antrieb, ein 550er-Zweizylinder, dem kurz darauf eine Version mit 994 cm³ folgte. Großen Umsatz machte man mit den Motorrädern aber nicht, außerhalb Schwedens war die Marke zudem kaum bekannt. Das änderte sich mit Erfolgen im Straßenrennsport in den Dreißigerjahren zwar, doch der Wirtschaftlichkeit half es nicht: 1936 wurde die Produktion der Viertakt-Motorräder ein­gestellt, 1939 die der billigeren Zweitakt-Maschinen. Das Motorrad-Kapitel der Firma schien beendet.

Großer Coup mit der Silverpilen

Doch wie der Rest Europas brauchte Schweden nach dem Zweiten Weltkrieg billige Fortbewegungsmittel, und so baute Husqvarna ab 1946 Leichtkrafträder. Der große Coup gelang 1955 mit der Silverpilen, einem 100 km/h schnellen Zweitakter mit 175 cm³, der sich gut verkaufte. Weil der Markt für Straßenmotorräder aber bald schwächelte, verlegten sich die Entwickler auf den aufkommenden Motocross-Sport. Als Basis diente eine Silverpilen mit verstärkter Schwinggabel und Hinterradschwinge, der Hubraum wurde auf 245 cm³ getunt. Auf Anhieb gewann Rolf Tibblin 1959 die Europameisterschaft. In den folgenden Jahren fuhr Husqvarna einen Motocross-Titel nach dem anderen ein. Anfang der Siebzigerjahre setzte speziell in den USA ein regelrechter Run auf die Maschinen aus Schweden ein. Husqvarna schien in eine goldene Zukunft zu blicken.

Doch der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. 1977 übernahm der schwedische Hausgerätehersteller Elektrolux das Ruder bei Husqvarna. Die Zweiradsparte führte fortan das Dasein eines Stiefkinds, und 1986 wurde sie an die Brüder Castiglioni verkauft, die die Produktion nach Norditalien verlegten. Als wertvollstes Stück erbten sie den TE 510-Motor: Der robuste Antrieb gilt als Keimzelle der modernen Viertakt-Motocross-Motoren und half Husqvarna, den massiven Angriff der japanischen Konkurrenz zu überstehen. Doch auch in Italien war der Marke auf Dauer kein Glück beschieden. Die Castiglionis investierten vor allem in ihre Neu­erwerbung MV Agusta, für das Off-road-Engagement blieb wenig Geld.

Husqvarna hinkte hinterher

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Das Gelän­de-Abenteuer be­ginnt 1959. Rolf Tibblin wird mit einem auf 245 cm³ ­aufgestockten ­Silberpfeil Euro­pameister im Motocross.

So hinkte Husqvarna in technischer Hinsicht bald den Japanern und dem jungen Widersacher KTM hinterher. 2007 übernahm dann BMW, und bei KTM holte man schon mal die Wintersachen aus dem Schrank, um sich angesichts des zu erwartenden Technologie-Feuerwerks warm anzuziehen. Doch der Erfolg blieb aus. BMW fuhr mit Husqvarna zwar Siege in der Enduro- und der Supermoto-WM ein, blieb im Motocross aber blass und schaffte es nicht, die Marke technisch auf einen hohen Standard zu bringen. Nach großen Verlusten verabschiedeten sich die Münchner Anfang 2013 und gaben die Marke ausgerechnet an Stefan Pierer vom Rivalen KTM ab.

Der ließ über seine konkreten Pläne noch nicht viel verlauten. Sicher ist, dass Husqvarna in den KTM-Konzern eingegliedert und mit Husaberg zusammengelegt wird. Diese Offroad-Marke hatten ehemalige Husqvarna-Ingenieure nach dem Verkauf an die Italiener gegründet; KTM verleibte sie sich 1995 ein. Der Name Husaberg wird wohl endgültig verschwinden.

MV Agusta
1986: Claudio Castiglioni, Eigner von Cagiva und später auch von MV Agusta, übernimmt Husqvarna. Anfang 1988 wird die Produktion nach Varese in Norditalien verlagert.

Hoffnung macht die Rückkehr Husqvarnas in die Motocross-WM mit zwei Teams, da wurden auch alte schwedische Heroen reaktiviert. Zudem wird im Oktober die Modellpalette 2014 präsentiert, an der eine Arbeitsgruppe im KTM-Werk seit Monaten werkelt. Skeptiker befürchten zwar, dass es sich wie bei den Husabergs um ­anders lackierte, technisch nur leicht modifizierte KTM-Maschinen handeln könnte. Angesichts der Kürze der Zeit wäre alles andere auch eine Überraschung. Firmenchef Pierer ließ derweil gewohnt selbst­be­wusst verkünden: „2013 wird als das Jahr der Wiedergeburt von Husqvarna in die Motorradgeschichte eingehen.“

Brennpunkt Husqvarna-Werk Italien

Husqvarna
KTM-Chef Pierer verkündete im Mai, dass die Husqvarna.produktion noch in diesem Jahr nach Österreich verlegt werden soll.

Selbst Schwedens Botschafterin wurde involviert: Italienische Politiker und Gewerkschaften wandten sich jüngst mit der Bitte um Fürsprache an sie, denn durch die Schließung des Husqvarna- Werks in Italien sei auch „der gute Name Schwedens in Gefahr“. Bislang blieb die Bitte unbeantwortet, doch sie zeigt, dass die Lage immer verzweifelter wird. Seit KTM-Chef Pierer im Mai verkündet hatte, dass die Husqvarna-Produktion noch in diesem Jahr nach Österreich verlegt und das Werk in Biandronno bei Varese geschlossen werde, zogen die Gewerkschaften alle Register: vom Fackel­lauf über Demonstrationen bis hin zum Streik.

"Die eigentliche Schuld trägt BMW"

Inzwischen hat sich auch das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung in Rom eingeschaltet und Pierer Industries aufgefordert, einen Käufer mit geeigneter Produktion für das Werk zu finden, das Vorbesitzer BMW renoviert und auf den neuesten technischen Stand gebracht hatte. Ein gewisses Interesse an den Anlagen hat bereits Giovanni Castiglioni von MV Agusta bekundet, der zuvor mit BMW über eine Übernahme von Husqvarna verhandelt, dann aber das Nachsehen hatte (MOTORRAD berichtete).

Derzeit befinden sich die Husqvarna-Beschäftigten in den Werksferien, doch im September soll der Kampf mit unverminderter Kraft weitergehen. „Wir lassen nicht locker“, sagt Nino Cartosio von der Gewerkschaft CGIL. „Wir wollen die Hintergründe des Verkaufs erfahren.“ Die eigentliche Schuld an der Situation, so Cartosio, trage BMW: „Für uns ist es immer noch unerklärlich, dass ein solcher Koloss es nicht geschafft hat, die kleine Marke Husqvarna mit ihren knapp 250 Beschäftigten erfolgreich zu managen.“

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Erscheinungsdatum 15.09.2023