Das Landgericht München I hat am 11. August in einem von Dainese initiierten Verfahren zwei Urteile gefällt (Aktenzeichen: 21 O 23553/15 und 21 O 11358/16), die es Alpinestars unter anderem untersagen, seine Tech-Air-Produkte in Deutschland zu verkaufen.
Einige Eigenschaften und Funktionen dieser Produkte verletzen nach Ansicht des Gerichts Patente, welche Dainese innehat.
Außerdem muss Alpinestars Dainese detailliert darüber Auskunft erteilen, wie viele solcher Produkte seit 1. Juli 2015 in Deutschland verkauft wurden, und den Dainese daraus entstandenen Schaden ersetzen.
Gegen die Urteile kann Alpinestars Berufung einlegen, sie sind allerdings vorläufig vollstreckbar.
Beide Unternehmen haben die Urteile in Pressemitteilungen kommentiert; diese sind im Folgenden im Wortlaut nachzulesen. Grob zusammengefasst: Alpinestars wird beim OLG München Berufung gegen die Urteile einlegen, außerdem sind bereits Nichtigkeitsklagen beim Bundespatentgericht anhängig. Dainese hingegen wird sich mit der vorläufig möglichen Vollstreckung der Urteile "befassen".
Pressemitteilung von Alpinestars zu den Urteilen (Wortlaut)
PRESSEMITTEILUNG – 11 AUGUST, 2017
TECH-AIR™ PATENT-URTEIL: RECHTLICHER HINWEIS – DEUTSCHLAND
Das Landgericht München I hat in zwei am 11. August 2017 verkündeten Urteilen festgestellt, dass bestimmte Funktionen
der Alpinestars Tech-Air Produkte zwei Patente von Dainese S.p.A. verletzen.
Alpinestars ist der Ansicht, dass diese Urteile, die sich ausschließlich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beziehen, materiell unrichtig sind. Alpinestars wird daher gegen beide Urteile Berufung zum Oberlandesgericht München einlegen und ist davon überzeugt, dass die Entscheidungen im Rahmen des Berufungsverfahrens aufgehoben werden.
Alpinestars hat bereits geraume Zeit vor Verkündung dieser Urteile Nichtigkeitsklagen beim Bundespatentgericht gegen die geltend gemachten Patente eingereicht, die derzeit noch anhängig sind. Alpinestars ist der Ansicht, dass die von Dainese geltend gemachten Patente auf die Nichtigkeitsklagen von Alpinestars hin für nichtig erklärt werden und somit diesem Rechtsstreit die Grundlage entzogen wird. Entsprechend wurde bereits ein anderes Patent von Dainese aufgrund eines von Alpinestars erfolgreich vor dem Europäischen Patentamt durchgeführten Einspruchsverfahrens widerrufen.
Diese Auffassungen und Erwartungen werden auch durch Ergebnisse in parallelen Verfahren in Italien gestützt, wo ein Antrag von Dainese auf Erlass einer Unterlassungsverfügung zurückgewiesen wurde und die Rechtsbeständigkeit der Patente von Dainese derzeit ebenfalls einer genauen Überprüfung unterliegt.
Die Verletzungsvorwürfe beziehen sich auf die Konstruktion des aufblasbaren Luftsacks und das ganz allgemeine Konzept, einen Luftsack in einem Kleidungsstück anzuordnen. Die Vorwürfe beziehen sich jedoch nicht auf die Technologie, die Elektronik und die Art und Weise wie die Tech-Air Technologie von Alpinestars funktioniert.
Alpinestars schätzt und respektiert vollumfänglich die gewerblichen Schutzrechte Dritter und erwartet dasselbe in Bezug auf seine eigenen Schutzrechte. Die äußerst innovativen Tech-Air Produkte von Alpinestars basieren auf einer jahrelangen unternehmensinternen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, die durch ein eigenes Team führender Experten im Bereich der Forschung und Entwicklung durchgeführt wurde.
Die Tech-Air Produkte von Alpinestars stellen einen erheblichen innovativen Beitrag zur Steigerung der Sicherheit von Motorradfahrern dar; ein Ziel, das Alpinestars seit mehr als 50 Jahren unnachgiebig verfolgt.
Die Tech-Air Technologie bleibt das führende auf dem Markt verfügbare Schutzsystem für Motorradfahrer. Alpinestars wird in Deutschland - dem einzigen von diesen Urteilen betroffenen Land - angemessene Maßnahmen ergreifen soweit erforderlich um den Urteilen einstweilen zu entsprechen.
Pressemitteilung von Dainese zu den Urteilen und zur Pressemitteilung von Alpinestars (Wortlaut)
Dainese äußerte bereits früher, dass wir nicht auf Rechtsstreitigkeiten eingehen werden, weil wir es für angemessener halten, Verletzungsfragen der von Dainese seit den späten 90er Jahren entwickelten und perfektionierten D air® Patente und -technologien (Airbag-System für Motorradfahren und dynamische Sportarten) nur vor den zuständigen staatlichen Institutionen geltend zu machen.
Jedoch sieht sich Dainese wieder einmal gezwungen, auf eine Pressemitteilung von Alpinestars zu reagieren und auf die Einzelheiten der Rechtsstreitigkeiten und der dazugehörigen Entscheidungen einzugehen.
Mit großer Zufriedenheit hat Dainese den Inhalt der beiden erst kürzlich ergangenen Entscheidungen des Landgerichts München I vom 11. August, eines der führenden deutschen Patentverletzungsgerichte, zur Kenntnis genommen. In diesen Entscheidungen urteilte das Gericht, dass Alpinestars S.p.A., Italien, durch das Verkaufen ihrer Tech-Air-Street-Motorcyclist-Airbag Protektionsvorrichtungen und -bekleidung (für Straßennutzung) und ihrer Tech-Air-Racing-Motorcyclist-Airbag Protektionsvorrichtungen und -bekleidung (für Rennfahren) zwei Patente von Dainese, die unter anderem in Deutschland gültig sind, verletzt. Beide Urteile des Landgerichts München I sind zwar berufungsfähig, können jedoch sofort vorläufig vollstreckt werden.
In den Entscheidungen verurteilten die Richter des Landgerichts München I Alpinestars im Wesentlichen zu Folgendem:
- Verbot des Verkaufs der Tech-Air-Street- und der Tech-Air-Racing-Protektionsvorrichtungen und -bekleidung in Deutschland;
- Rückruf aller Tech-Air-Street- und Tech-Air-Racing-Protektionsvorrichtungen und -bekleidung von den Vertriebspartnern aus dem deutschen Markt seit Beginn der Vermarktung;
- Ersatz aller Schäden, die Dainese aufgrund des rechtswidrigen Gebrauchs ihrer patentierten Technologie erlitten hat.
Dainese befasst sich mit der Vollstreckung der Urteile.
Dainese möchte auch darauf hinweisen, dass:
- sich die beiden in Deutschland in Kraft befindlichen Patente von Dainese, die das Landgericht München I als verletzt angesehen hat, auf die innovativen und leistungsfähigen 3D-Airbags von Dainese mit interner Mikorfilamenten-Struktur, die ein gleichmäßiges Aufblasen auf der ganzen Oberfläche gewährleistet, und deren Einbindung in die Bekleidung beziehen;
- beide Patente vom Europäischen Patentamt am 30. Mai 2012 bzw. am 29. Januar 2014 erteilt wurden – die durch Alpinestars initiierten Nichtigkeitsverfahren, die noch immer anhängig sind, wurden erst im Dezember 2015 eingereicht, also erst nachdem Dainese vor dem Landgericht München I gegen einen deutschen Händler, der das Alpinestar-Tech-Air-Produkte zum Verkauf anbot, eine einstweilige Verfügung erwirkt hat – beide Patente sind für Dainese ebenso in Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien eingetragen;
- Dainese in Italien wegen der Verletzung von fünf Patenten durch Verwendung der Tech-Air-Protektionsvorrichtungen und -bekleidung rechtliche Schritte eingeleitet hat und auch in diesem Fall mit der typischen Einleitung eines Nichtigkeitsverfahrens reagierte wurde. Die Streitigkeiten sind noch anhängig und die Richter haben keine Maßnahme erlassen oder einstweilige Entscheidung getroffen, die eine Verletzung ausschließen oder die Gültigkeit der Patente von Dainese in Frage stellen;
- Dainese Inhaberin von mehr als 30 Patenten ist, die die D air® Technology schützen, und umfangreiche Investitionen in Forschung, Entwicklung, Herstellung und Marketing der ersten und innovativen Airbag-Plattform für Straßen- und Rennstreckenmotorradfahren und für Skifahren getätigt hat.
Dainese ist überzeugt, dass die Einreichung und das Verteidigen ihrer Patente essentiell für den Schutz ihrer eigenen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie für die kontinuierliche Entwicklung von Technologien und Innovationen sind, die auf die Erhöhung der Sicherheit von Motorradfahrern und all jener zielen, die dynamische Sportarten praktizieren.
Meldung vom 3. Dezember 2015
Daniel Haller fiel aus allen Wolken. Per Fax erhielt der Bekleidungs- und Zubehörhändler ein 79-seitiges Schreiben der Anwaltskanzlei Hogan Lovells International aus München. Darin wurde Hallers Firma Motorradland GmbH Friedrichshafen aufgefordert, "das Anbieten und Vertreiben" des neuen Airbag-Systems TechAir von Alpinestars zu unterlassen, weil dadurch Patentrechte von Dainese, der Auftraggeberin der Kanzlei, verletzt würden.
Es folgten detaillierte englischsprachige Patentschriften, eine für Laien kaum verständliche Unterlassungserklärung, die Haller innerhalb von vier Tagen unterzeichnen sollte, und schließlich das dicke Ende: Da die Anwälte den Streitwert in der Sache auf eine Million Euro beziffert haben, will die von Dainese beauftragte Kanzlei 6126 Euro Gebühren von Händler Haller haben.
Der besorgte Dealer vom Bodensee setzte flugs alle Hebel in Bewegung. Er wandte sich an MOTORRAD und natürlich an Hersteller Alpinestars. Besonders pikant ist, dass Haller das fragliche Airbag-System noch gar nicht vorrätig hat: „Ich habe den TechAir bisher nur mündlich bestellt.“ Weil sein Name aber schon auf der Händler-Website von Alpinestars steht, bekam er die Anwaltspost – und die Rechnung dafür. Bei Alpinestars beruhigte man den aufgebrachten Geschäftsmann: "Alpinestars hat eine andere Anwaltskanzlei engagiert, die mich und weitere betroffene Händler jetzt gegenüber Dainese vertritt", erzählt Haller. Und dass er heilfroh darüber ist: "Bei einem so hohen Streitwert von einer Million Euro könnten die Verfahrenskosten einen Ladem wie meinen ruinieren."
Allem Anschein nach tobt also hinter den Kulissen ein Streit zwischen Dainese und Alpinestars. Beide Firmen sind im Veneto in Norditalien ansässig, beide stellen Schutzkleidung für Motorradfahrer her, von Handschuhen über Stiefel bis zur Kombi. Vor Jahren plante man eine Kooperation, doch die Verhandlungen scheiterten, und seither sind die beiden Firmen harte Konkurrenten.
Wegen des Airbags scheint der Wettkampf jetzt zu eskalieren. Mit dessen Entwicklung begann Dainese bereits vor 15 Jahren, stattete zunächst Rennfahrer von Valentino Rossi bis Stefan Bradl damit aus und stellte 2013 schließlich den D-air Street für den Einsatz auf öffentlichen Straßen vor. Weil Stürze dort anders verlaufen als auf der Rennstrecke, wo es keine Aufprallunfälle wie im Airbag-Crashtest-Foto links gibt, war diese Evolution laut Dainese besonders kompliziert und teuer.
Die Firma hält zahlreiche Patente an dem System – und sieht offenbar einige durch das neue, 2014 erstmals vorgestellte TechAir-System verletzt. Der Alpinestars-Airbag wurde in Deutschland nach der gegnerischen Anwaltsoffensive anscheinend vorsorglich vom Markt genommen und ist derzeit dem Vernehmen nach nicht erhältlich. Daniel Haller fragt sich, warum er zwischen die Fronten der Hersteller geriet: „Ich habe keine Ahnung, ob Alpinestars mit dem TechAir irgendwelche Patente von Dainese verletzt“, sagt er. „Und selbst wenn, könnte ich nichts dafür. Ich bin doch bloß Händler.“ Auf MOTORRAD-Nachfrage wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt keiner der beiden Hersteller näher äußern.