Mit dem Hinweis auf einen „Unfalldatenspeicher“ hat Kawasaki Diskussionen ausgelöst. Bikes anderer Hersteller - sagen diese - haben keinen. Stimmt das? Und was speichert das Teil in den neuen Kawas wirklich? Wer liest mit?
Mit dem Hinweis auf einen „Unfalldatenspeicher“ hat Kawasaki Diskussionen ausgelöst. Bikes anderer Hersteller - sagen diese - haben keinen. Stimmt das? Und was speichert das Teil in den neuen Kawas wirklich? Wer liest mit?
Apfelschorle und Cola müssen bald wieder aufgefüllt werden. Da der Getränkeautomat schlau ist, merkt sein Chip das von allein und bestellt mittels eingebauter SIM-Karte per SMS Nachschub. M2M (Machine to Machine) nennt die Telekommunikationsbranche diese Technik. Im Beispiel eine nette Spielerei. Sie kann aber auch für ganz andere Zwecke eingesetzt werden. Etwa für „Pay as you drive“, einen neuen Versicherungstarif, mit dem die Generali in Spanien bereits um Kunden wirbt. Die vom O2-Eigner Telefónica angebotene M2M-Technik wertet mithilfe der Fahrzeugsensoren das individuelle Fahrverhalten aus (viel, wenig, schnell, langsam, aggressiv, defensiv), die SIM-Karte meldet’s der Versicherung – und entsprechend günstiger oder teurer gestaltet die den Tarif.
Und der Datenschutz? Welches Fahrzeug ist wann wo wie schnell gefahren? Fragwürdig. Ebenso, ob das spanische Modell sich in Deutschland durchsetzen wird. „Hier wurde der Eindruck erweckt, dass das Telefónica-Angebot eine Initiative der Versicherer sei. Tatsächlich aber will Telefónica den Versicherungen sein Produkt verkaufen“, erklärt Stefan Schweda vom Gesamtverband der deutschen Versicherer.
Klar dagegen ist, dass auch beim Motorrad schon Fahrdaten gespeichert werden. Das hat kürzlich Kawasaki enthüllt – eher nebenbei auf Seite 80 des Fahrerhandbuchs der neuen Z 800. Die habe, heißt es da unter „Allgemeines“, einen „Unfalldatenspeicher (UDS)“, aus welchem Kawasaki, aber auch „z. B. die Polizei“, nach einem Crash unter anderem die gefahrene Geschwindigkeit auslesen könne. Andere große Motorradhersteller, auch BMW, verneinen offiziell, diese Technik einzusetzen. Tatsächlich? Hat doch in anderem Zusammenhang ein hochrangiger BMW-Techniker MOTORRAD gegenüber erklärt, sehr wohl zumindest die Drehzahl-Maximalwerte der S 1000 RR auslesen zu können.
George Orwells Big Brother serienmäßig an Bord? Braucht die Polizei bald kein Radarfoto mehr, um zu schnellen Fahrern ein Knöllchen zu verpassen? Und kann der Hersteller auslesen, ob ein Fahrer gegen Einfahrvorschriften verstoßen hat und etwaige Garantieansprüche deswegen verweigern?
Kawasaki-Kundendienstchef Michael Resch und Kawa-Pressemann Andi Seiler winken ab: „Das ist in der Praxis nicht der Fall.“ Tatsächlich sei die Einspritzelektronik bei der Z 800 wie auch bei allen anderen neuen Kawa-Modellen ab 2013 so programmiert, dass beim Fahren die Stellung der Drosselklappen nur für die jeweils letzten zehn Sekunden gespeichert und anschließend permanent wieder überschrieben werde. Erst auf ein bestimmtes Signal, wenn nämlich der Neigungswinkelsensor einen Sturz erkennt, werde die Datensequenz gespeichert, erklärt Michael Resch. „Und dann aber auch nur maximal die letzten zehn Sekunden vor dem Ereignis.“
Immerhin genug, um im Falle eines Unfalls das Gasgeb-Verhalten das Fahrers zu dokumentieren. Und ausreichend, einem vom Autofahrer übersehenen Motorradfahrer eine Teilschuld wegen überhöhter Geschwindigkeit anzuhängen? Auch das verneint Resch. Denn ausgelesen werden könne der Speicher bisher nur von Kawasaki Heavy Industries in Japan, von Externen, etwa der Polizei, „nur mit richterlichem Beschluss. Wir von Kawasaki Deutschland sind dazu nicht in der Lage, und die deutsche Polizei unseres Wissens noch weniger.“ Warum dann also der Aufwand? „Wir vermuten, dass der Speicher aus Gründen der Produkthaftung vorgesehen ist, die wiederum vor allem auf dem US-Markt eine große Rolle spielen.“
Das sieht auch Walter Gerlach so: „Einen Unfalldatenspeicher im klassischen Sinne hat Kawasaki gar nicht“, schränkt der Produktmanager des nachrüstbaren Kienzle-Unfalldatenspeichers (UDS 2.0) ein. UDS 2.0 zeichnet auch auf, ob der Fahrer geblinkt und mit welcher Vehemenz er vor einem Crash gebremst hat. Das Gerät ist bereits in über 100.000 Polizeiautos, Kranken- und Firmenwagen verbaut. „Bei Polizeimotorrädern gab es Versuche, doch die wurden wieder eingestellt. Ziel ist der Einsatz bei allen gewerblich genutzten Fahrzeugen.“ Ganz gläsern sind wir also doch noch nicht. Aber auf dem Weg, es zu werden.